Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 04.11.2004

LSG NRW: lege artis, wider besseres wissen, stationäre behandlung, diskontsatz, krankenversicherung, diagnose, aufwand, icd, vergütung, rechtsverordnung

Datum:
Gericht:
Spruchkörper:
Entscheidungsart:
Vorinstanz:
Sachgebiet:
Tenor:
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Aktenzeichen:
Rechtskraft:
Landessozialgericht NRW, L 2 KN 54/02 KR
04.11.2004
Landessozialgericht NRW
2. Senat
Urteil
L 2 KN 54/02 KR
Sozialgericht Köln, S 23 KN 45/00 KR
Krankenversicherung
nicht rechtskräftig
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Köln
vom 21.01.2002 geändert. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin
548,62 Euro nebst 2% Zinsen hierauf über dem maßgeblichen
Basiszinssatz ab 24.07.2000 zu zahlen. Die Beklagte hat der Klägerin die
außergerichtlichen Kosten für beide Rechtszüge zu erstatten. Die
Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist, ob der Klägerin ein weiterer Vergütungsanspruch für Krankenhausleistungen
(Fallpauschale - FP Nr. 12.01) in Höhe von 548,72 Euro (= 1073,20 DM) zusteht.
Die Klägerin betreibt ein Plankrankenhaus im Sinne des § 108 Sozialgesetzbuch Fünftes
Buch (SGB V). Sie ist Mitglied der Landeskrankenhausgesellschaft nach § 108 a SGB V.
Für den Inhalt der Vereinbarungen gem. § 112 SGB V, die für die Beteiligten unmittelbare
Wirkung haben, wird auf Blatt 154ff Gerichtsakten verwiesen.
Die Klägerin behandelte das Mitglied der Beklagten B F (Versicherte) seit dem 17.09.1999
stationär wegen kolikartiger Oberbauchbeschwerden bei bekannter Cholezystolithiasis. Bei
Aufnahme bestanden eine Leukozytose, Fieber, Schmerzen sowie ein rechtsseitiger
Pleuraerguss. Am 20.09.1999 wurde die Versicherte cholezystektomiert. Es fand sich nach
Eröffung des Bauchraums eine massiv vergrößerte Leber mit deutlicher Stauung. Die
Gallenblase war faustgroß und aufgestaut. Wesentliche entzündliche Veränderungen lagen
nicht vor. Der histologische Befund vom 23.09.1999 ergab eine leichte chronische
Cholezystitis und eine Cholesteatose der Gallenblase ohne Anhalt für Malignität. Da der
Pleuraerguss an Größe zugenommen hatte, wurde die Versicherte am 01.10.1999 in eine
Lungenklinik verlegt. Dort verstarb sie am 07.10.1999 während einer Thorakotomie
intraoperativ.
Mit Schreiben vom 12.10.1999 stellte die Klägerin der Beklagten für die Behandlung der
Versicherten neben Basispflegesätzen sowie Abteilungspflegesätzen Allgemeinchirurgie
das Sonderentgelt (SE) 12.10 (Cholezystektomie/ offen-chirurgisch), insgesamt 7.434,54
DM in Rechnung. Die Beklagte lehnte es ab, die Behandlung der Versicherten nach
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DM in Rechnung. Die Beklagte lehnte es ab, die Behandlung der Versicherten nach
Sonderentgelten und tagesgleichen Pflegesätzen zu bezahlen, da die Abrechnung nach
der FP 12.03 möglich sei, und zahlte 5.941,83 DM.
Im Juli 2000 hat die Klägerin Klage beim Amtsgericht Köln erhoben, das die Klage zum
Sozialgericht (SG) Köln verwiesen hat. Zur Begründung hat sie gemeint, es sei nach der
FP 12.01 abzurechnen. Es habe sich um einen akuten, nicht frei planbaren Eingriff
gehandelt. Wegen der besonderen Herz- und Lungensituation habe das Operationsrisiko
erst durch die Gabe von Antibiotika gebessert werden müssen.
Die Beklage hat die Auffassung vertreten, entscheidend sei die im Nachhinein getroffene
histologische Feststellung, die Gallenblase sei nicht akut entzündet gewesen,
entsprechend der Stellungnahme von Dr. E (SMD, 28.05.2001).
Das Sozialgericht hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 21.01.2002).
Mit ihrer Berufung verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 21.01.2002 abzuändern und die Beklagte zu
verurteilen, an sie 548,72 Euro nebst 2% Zinsen über dem jeweiligen Diskontsatz als
Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie ist der Auffassung, die zu vergütende Hauptleistung sei bei der Entlassung festzulegen,
da nur zu diesem Zeitpunkt eine sachgerechte Zuordnung vorgenommen werden könne.
Mit der FP 12.01 sei die notfallmäßige und nicht die elektive Cholezystektomie zu vergüten.
Auf die Stellungnahmen des Sozialmedizinischen Dienstes (SMD) vom 25.02., 30.6.,
04.07.2003, 13.07. und 06.10.2004 verweise sie. Ihre Widerklage hat sie zurückgenommen.
Das Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung hat mitgeteilt, bei der
Formulierung der FPn 12.01 und 12.03 sei der übliche medizinische Sprachgebrauch
verwendet worden (19.12.2002).
Der Senat hat Beweis erhoben durch die Sachverständigen Chirurg Prof. Dr. C/I
(29.12.2002 und 22.05.2003) und Chirurg Prof. Dr. V/ E (23.06. und 14.09.2004). Sie haben
ausgeführt, die unter der Arbeitsdiagnose "akute Cholezystitis, Cholelithiasis" offen
chirurgische Cholezystektomie sei bei ex ante Betrachtung lege artis gewesen.
Für die Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichts- und Verwaltungsakten verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist begründet.
Das Sozialgericht hat zu Unrecht die Klage abgewiesen. Die Klägerin hat gegenüber der
Beklagten Anspruch auf Zahlung von weiteren 548,62 Euro (FP Nr 12.01) für die stationäre
Behandlung mit Cholezystektomie am 20.09.1999.
1. Bei der auf Zahlung der Behandlungskosten eines Versicherten gerichteten Klage des
Trägers eines Krankenhauses gegen eine Krankenkasse geht es um einen sog.
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Beteiligtenenstreit im Gleichordnungsverhältnis, in dem eine Regelung durch
Verwaltungsakt nicht in Betracht kommt (BSG Urteile vom 17. Mai 2000, B 3 KR 33/99 R,
BSGE 86, 166, 167 f = SozR 3-2500 § 112 Nr 1 und vom 28. Mai 2003, B 3 KR 10/02 R).
Ein Vorverfahren war mithin nicht durchzuführen, die Einhaltung einer Klagefrist nicht
geboten.
2. Die Höhe des - dem Grunde nach unstreitigen - Vergütungsanspruchs der Klägerin für
die durchgeführte Krankenhausbehandlung richtet sich nach den Vorschriften der von der
Bundesregierung auf Grund des Krankenhausfinanzierungsgesetzes (KHG) erlassenen
BPflV vom 26. September 1994 (BGBI l, S 2750) in der für die durchgeführte
Krankenhausbehandlung hier maßgeblichen Fassung durch das Gesetz zur Stärkung der
Solidarität in der gesetzlichen Krankenversicherung vom 19. Dezember 1998 (BGBI l, S
3853) und den nach Maßgabe dieser Vorschriften getroffenen vertraglichen
Vereinbarungen.
a) Das KHG ermächtigt in seiner bis zur Änderung durch das Gesetz zur Reform der
gesetzlichen Krankenversicherung ab dem Jahr 2000 vom 22. Dezember 1999 (BGBI l, S
2626) zum 1. Januar 2000 gültigen Fassung durch das Zweite Gesetz zur Neuordnung von
Selbstverwaltung und Eigenverantwortung in der gesetzlichen Krankenversicherung vom
23. Juni 1997 (BGBI l, S 1520) in § 16 Satz 1 Nr 1 die Bundesregierung, mit Zustimmung
des Bundesrats Vorschriften über Krankenhauspflegesätze zu erlassen, mit denen die
Leistungen des Krankenhauses durch die Benutzer oder deren Kostenträger vergütet
werden, und enthält in § 17 nähere Bestimmungen zur Regelung der Pflegesätze in Form
von tagesbezogenen Entgelten und/oder Fallpauschalen und anderen pauschalierten
Entgelten und zur schrittweisen Einführung von Fallpauschalen und Sonderentgelten mit
Vorgabe bundeseinheitlicher Bewertungskriterien (§ 17 Abs 2 Nr 1, Abs 2a Satz 1 KHG).
Die Entgelte sind danach bis zum 31. Dezember 1997 in der Rechtsverordnung nach § 16
Satz 1 Nr 1 KHG zu bestimmen und danach durch die Spitzenverbände der Krankenkassen
und den Verband der privaten Krankenkassen gemeinsam mit der Deutschen
Kranksnhausgeselfschaft (Vertragspartner) zu vereinbaren und weiterzuentwickeln (§ 17
Abs 2a Satz 2 und 3 KHG), wobei die Entgeltkataloge für diejenigen Krankenhausträger,
die Mitglied einer Landeskrankenhausgesellschaft sind, unmittelbar verbindlich und
andernfalls die Entgeltkataloge der Pflegesatzvereinbarung zu Grunde zu legen sind sowie
die in der Rechtsverordnung nach § 16 Satz 1 Nr 1 bestimmten Fallpauschalen und
Sonderentgelte ab 1. Januar 1998 als vertraglich vereinbart gelten (§ 17 Abs 2a Satz 6 und
7 KHG). Mit der Fallpauschale werden die gesamten Leistungen des Krankenhauses für
einen bestimmten Behandlungsfall vergütet (§ 17 Abs 2a Satz 10 KHG). Zur Vergütung der
Leistungen des Krankenhauses, die nicht durch Fallpauschalen und Sonderentgelte
vergütet werden, sind Abteilungspflegesätze als Entgelt für ärztliche und pflegerische
Leistungen und ein für das Krankenhaus einheitlicher Basispflegesatz als Entgelt für nicht
durch ärztliche und pflegerische Tätigkeit veranlasste Leistungen vorzusehen (§ 17 Abs 2a
Satz 12 KHG).
b) Die von der Klägerin während des Krankenhausaufenthalts bei der Versicherten
durchgeführte "Cholezystektomie offen-chirurgisch" (OPS 5.511.01) ist sowohl in den
zuletzt durch die Fünfte Verordnung zur Änderung der Bundespflegesatzverordnung vom 9.
Dezember 1997 (BGBI l, S 2874) geänderten, als Anlagen zur BPflV aF bekannt
gemachten bundesweiten Entgeltkatalogen als auch in dem durch die Vertragspartner
gemäß § 17 Abs 2a Satz 3 KHG mit Wirkung zum 1. Januar 1999 vereinbarten
"Aktualisierten bundesweit geltenden Fallpauschalen- und Sonderentgeltkatalog" (KH
1998, Sonderbeilage zu Heft 10) als Fallpauschale enthalten. Sie ist mit identischen
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Operationen- und Diagnose- schlüsseln sowie identischer Leistungsbeschreibung als Nr
im Fallpauschalenkatalog der Anlage 1 zu § 11 Abs 1 BPflV aF Nr. 12.01 und Nr 12.03
aufgeführt. Die Nrn. 12.01 und 12.03 unterscheiden sich bei der Diagnose
"Cholezystitis/Cholezystolilhiasis" durch die Zusätze "akut" (Nr. 12.01) und "elektiv" (Nr.
12.03), dem ICD-9 (Nr. 12.01:574.0,.3, 575.0; Nr. 12.03: 574.1,.2,.4; 575.1,.3,.6,.8), der
Grenzverweildauer (Sp. 11: Nr. 12.01: 19; Nr. 12.03: 18), der Verweildauer (Sp. 15: Nr.
12.01: 10,66; Nr. 12.03: 9,78) und der Gesamtpunktzahl (Nr. 12.01: 6340, entsprechend
7.015, 03 DM; Nr. 12.03: 5370, entsprechend 5941,83 DM). Kein Unterschied besteht
dagegen zwischen Nr. 12.01 und Nr. 12.03 beim OPS-301 (Sp. 4:5-511.00,.01,.20,.21) und
der Textfassung des Eingriffs (Sp. 2: Cholezystektomie, offen-chirurgisch). Hierzu sehen
die Abrechnungsbestimmungen, an denen sich infolge der Weiterentwicklung durch die
Selbstverwaltung insoweit nichts geändert hat, folgendes vor:
" 1. Fallpauschalen werden für die im Entgeltkatalog bestimmten Behandlungsfälle
berechnet, wenn diese die Hauptleistung des Krankenhauses für den Patienten sind und
der Patient am Tag der Aufnahme das 14. Lebensjahr vollendet hat. Eine Berechnung bei
jüngeren Patienten ist nur in den in Spalte 2 bezeichneten Ausnahmen möglich.
2. Maßgeblich für die Zuordnung eines Patienten zu einer Fallpauschale und damit für
deren Abrechenbarkeit ist die im Entgeltkatalog ausgewiesene Leistung in Verbindung mit
der genannten Hauptdiagnose für den Krankenhausaufenthalt oder einer entsprechenden
Diagnose. Dabei gilt folgende Rangfolge der Definitionen:
a) der Operationenschlüssel nach dem OPS-301 (Spalte 4);
b) der Diagnosenschlüssel nach der ICD (Spalte 3); dieser grenzt die Fallpauschalen
ergänzend zu Spalte 4 näher ab; die Fallpauschale ist auch bei "entsprechenden"
Diagnosen abzurechnen, wenn die erbrachte Leistung nach Art und Aufwand der Leistung
entspricht, die der Fallpauschalendefinition zugrunde liegt;
c) die Textdefinition (Spalte 2); sie ist maßgeblich, soweit eine nähere Definition der
Fallpauschalen mit den Schlüsseln nach Spalte 4 und 3 nicht dargestellt werden kann und
somit nur aus der Textfassung hervorgeht ( ...)".
Bei dem identischen Operationenschlüssel nach dem OPS-301 für die Nr. 12.01 und Nr.
12.03 unterscheiden sich die FP dementsprechend nach dem Diagnoseschlüssel. Der
Schlüssel 574.0 ICD-9 führt zur FP Nr. 12.01.
c) Zu Recht hat die Klägerin den Schlüssel Nr. 574.0 zugrundegelegt. Er betrifft die
Cholelithiasis mit akuter Cholezystitis. Maßgebend ist insoweit die Diagnose, die der
Krankenhausarzt bei vorausschauender Betrachtung ("ex ante") nach den Regeln der
ärztlichen Kunst zugrundelegen durfte.
Denn das Krankenhaus konkretisiert mit der Festlegung der Behandlung den zunächst nur
abstrakten Sachleistungsanspruch des Versicherten. Geschieht dies - wie hier - im
Ergebnis fehlerhaft, so kommen Schadensersatzansprüche der KK gegen das
Krankenhaus und/oder den Versicherten in Betracht, wenn diese die unrichtige
Behandlung zu vertreten haben. Die Konkretisierung indessen bleibt, von Fällen eines
bewußten Zusammenwirkens abgesehen, wirksam. Der im Gesetz global zugesagte
(Rahmen-)Anspruch des Versicherten auf Krankenhausbehandlung (vgl §§ 11 Abs 1 Satz 1
Nr 4, 27 Abs 1 Satz 2 Nr 5, 39 Abs 1 Satz 1 (jetzt: 2) SGB V), wird durch die Entscheidung
des Krankenhausarztes über die Aufnahme erstmalig und durch die jeweils geplanten und
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durchgeführten Behandlungsschritte fortlaufend konkretisiert und erfüllt, so daß die KK
aufgrund des Sachleistungsprinzips verpflichtet ist, den Versicherten von den dadurch
entstandenen Aufwendungen freizustellen (vgl - auch zum folgenden - BSG SozR 3-2500 §
39 Nr 3). Die Krankenhausbehandlung wird - in der Regel - vom Vertragsarzt verordnet und
vom zugelassenen Krankenhaus auf ihre Notwendigkeit überprüft, wobei die ausdrückliche
Regelung "nach Prüfung durch das Krankenhaus" in § 39 Abs 1 Satz 2 SGB V (idF des
Gesetzes zur Sicherung und Strukturverbesserung der gesetzlichen Krankenversicherung
(Gesundheitsstrukturgesetz) vom 21. Dezember 1992 = BGBI l, 2266) nur eine Klarstellung
des auch schon vorher bestehenden Rechtszustandes darstellt. Wie bei der ambulanten
Behandlung dem Vertragsarzt (vgl BSGE 73, 271, 278 ff = SozR 3-2500 § 13 Nr 4), so
kommt im Bereich der Krankenhausbehandlung dem Krankenhausarzt eine
"Schlüsselstellung" zu. Denn das zugelassene Krankenhaus und dessen Ärzte sind
aufgrund des Sachleistungsprinzips gesetzlich ermächtigt, mit Wirkung für die KK über die
Aufnahme sowie die erforderlichen Behandlungsmaßnahmen und damit konkludent auch
über den Leistungsanspruch des Versicherten zu entscheiden; die KK ist dann
grundsätzlich an diese Entscheidung gebunden. Stellt sich die Entscheidung nachträglich -
vollständig oder in einzelnen Teilen - als unrichtig heraus, ist die KK nur dann nicht an die
Entscheidung des Krankenhausarztes gebunden, wenn dieser vorausschauend ("ex ante")
hätte erkennen können, daß die geklagten Beschwerden nicht die Notwendigkeit einer
Krankenhausbehandlung begründeten, de lege artis also eine Fehlentscheidung getroffen
hat. Auf das Fehlen einer Kostenübemahmeerklärung der KK kommt es nicht an (BSGE 70,
20, 22 = SozR 3-2500 § 39 Nr 1) (vgl. BSG, Urteil vom 21.08.1996, 3 RK 2/96, SozR 3-2500
§ 39 Nr. 4, 13ff, 19f; vom 17.05.2000, B 3 KR 33/99 R, BSGE 86, 166, 169f = SozR 3-2500,
§ 112 Nr. 1, 1ff, 4; vom 13.12.2001, B 3 KR 11/01 R, BSGE 89, 104, 106f = SozR 3-2500 §
112 Nr. 2, 11ff, 12). Dieser Grundsatz wirkt sich nicht nur im Rahmen des Einwands
fehlender Notwendigkeit der Krankenhausbehandlung, sondern unmittelbar bei
Anwendung der Abrechnungsbestimmungen aus. Andernfalls erhielte das Krankenhaus
ggfs. trotz kunstgerechten Vorgehens keine Vergütung, stellte sich im Nachhinein heraus,
dass die gewählte Arbeitsdiagnose unrichtig war.
Nichts anderes ergibt sich daraus, dass entsprechend der höchstrichterlichen
Rechtsprechung bei der Entscheidung, welche Leistung bei Behandlung mehrerer
Erkrankungen die Hauptleistung einer Kranbenhausbehandlung ist, entscheidend ist, in
welchem Verhältnis die (betriebswirtschaftlichen) Aufwendungen für die durch die
einzelnen Diagnosen während eines Krankenhausaufenthalts veranlassten Leistungen zu
einander stehen. Hauptdiagnose ist diejenige Diagnose, die bei nachträglicher Betrachtung
den höchsten Aufwand verursacht hat (vgl BSG, Urteil vom 24.09.2003, B 8 KN 2/02 KR R,
SozR 4-5565 § 14 Nr. 4). Insoweit ist ggfs. an die lege artis gewählten Arbeitsdiagnosen
anzuknüpfen. Dementsprechend ist das Urteil vom 24.09.2003 (aaO) auch nicht von der
vorzitierten Rechtsprechung abgerückt.
Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme durfte die Klägerin im Einklang mit den Regeln
der ärztlichen Kunst bei der offen chirurgischen Cholezystektomie von einer akuten
Cholezystitis mit Cholelithiasis ausgehen. Dafür sprachen das Fieber, die Leukozytose, die
Oberbauchbeschwerden und der sonographisch diagnostizierte Gallenstein. Das entspricht
der überzeugenden Beurteilung der Sachverständigen Prof. Dr. C und Prof. Dr. V. Auch das
als Beteiligtenvorbringen verwertbare Gutachten von Dr. E (SMD, 28.05.2001) zieht dies
nicht in Zweifel.
Der Senat ist nicht gehindert, die Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. C zu
verwerten. Das Ablehnungsgesuch wegen Befangenheit der Beklagten ist ohne Erfolg
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geblieben (Beschluss vom 02.02.2004). Die Vorwürfe der Beklagten, gestützt insbesondere
auf die Stellungnahme vom Dr. N (SMD, 04.07.2003), der Sachverständige habe wider
besseres Wissen grob fahrlässiges oder kunstfehlerhaftes Verhalten der Klägerin aus
sachfremden Motiven verschwiegen, haben sich durch die Gutachten des
Sachverständigen Prof. Dr. V als in vollem Umfang haltlos erwiesen. Dem Gutachten des
Sachverständigen, das Vorgehen sei bei einer ex ante Betrachtung lege artis gewesen, hat
die Beklagte gestützt auf die Stellungnahme des SMD vom 19.07.2004, daher nichts
entgegenzusetzen gehabt. Ob die Stellungnahme vom 04.07.2003 in Unkenntnis der
medizinischen Grundlagen oder verleumderischer Absicht erfolgte, ist insoweit ohne
Belang.
d) Ohne Erfolg bleibt der Einwand der Beklagten, der histologische Befund habe gezeigt,
dass die Cholezystitis nicht akut gewesen sei. Daran ist zutreffend, dass anhand der
Histologie im Nachhinein abklärbar ist, ob die Erkrankung akut war oder nicht (Prof. Dr. C;
Prof. Dr. V; Dr. E). Auf die Sicht "ex ante", nicht aber diejenige "ex post" kommt es indes an,
wie dargelegt.
e) Die Beklagte vermag auch nichts für sich daraus abzuleiten, dass die Textfassung der
FP Nr 12.01 und 12.03 sich durch die Zusätze "akut" und "elektiv" zu den Diagnosen
Cholezystitis/Cholezystolithiasis unterscheidet. Nach Nr. 2c der
"Abrechnungsbestimmungen" (vgl oben) hat die Textfassung nur nachrangige Bedeutung.
Die nähere Definition der FP kann - wie dargelegt - bereits mit den Schlüsseln nach Spalte
4 und 3 hier dargestellt werden. Nur ergänzend erfolgt deshalb der Hinweis, dass die
Cholezystektomie bei ex ante als akut anzusehender Cholezystitis mit Cholezystolithiasis
(vgl oben) nicht elektiv erfolgte, legt man mit dem BMGsS den üblichen medizinischen
Sprachgebrauch zugrunde. Beim elektiven Eingriff ist die Entfernung der Gallenblase
planbar, nicht etwa wegen einer akuten Cholezystitis dringlich oder sofort erforderlich (Prof.
Dr. C, Prof. Dr. V). Die Standardbehandlung der akuten Cholezystitis besteht dagegen in
der Anbehandlung mit Flüssigkeit, Antibiotika und Elektrolyten praeoperativ und der
frühelektiven Operation innerhalb von 72 Stunden (vgl ebenda). So aber verfuhr die
Klägerin unter Beachtung des Hinweises auf dem Aufnahmeschein: "Bitte nicht
überhydrieren, kardiale Situation". Auch insoweit sind die Voraussetzungen der FP Nr.
12.01 in vollem Umfang erfüllt. Nach Aufnahme der Versicherten am 17.09.1999 um 13:30
Uhr erfolgte u.a. eine Antibiose mit Clont und Cephazolin. An die Röntgenaufnahme am
20.09.1999 um 8:00 Uhr schloss sich die Laparatomie über einen Subcostalschnitt rechts
an.
f) Schließlich kann die Beklagte aus dem Behandlungsaufwand keinen Einwand ableiten.
Im Einklang mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung geht der Senat davon aus, dass
eine Vergütungsregelung, die für die routinemäßige Abwicklung von zahlreichen
Behandlungsfällen vorgesehen ist, ihren Zweck nur erfüllen kann, wenn sie allgemein
streng nach ihrem Wortlaut sowie den dazu vereinbarten Anwendungsregeln gehandhabt
wird und keinen Spielraum für weitere Bewertungen sowie Abwägungen belässt.
Demgemäß sind Vergütungsregelungen stets eng nach ihrem Wortlaut, ergänzend auch
noch nach systematischem Zusammenhang, auszulegen; Bewertungen und
Bewertungsrelationen bleiben außer Betracht (so bereits Urteil des BSG vom 13.
Dezember 2001; B 3 KR 1/01 R, SozR 3-5565 § 14 Nr 2). Sofern sich in der Praxis erweist,
dass es dabei zu Bewertungsunstimmigkeiten und sonstigen Ungereimtheiten kommt, ist
es Aufgabe der Vertragspartner, die nunmehr dafür zuständig sind, dies durch
Weiterentwicklung der Fallpauschalen- bzw Sonderentgelt-Kataloge und der
Abrechnungsbestimmungen zu beheben (§ 15 Abs 1 Satz 1 Nr 1 BPflV). Kommt es dabei
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zu keiner Einigung, ist zunächst die Schiedsstelle nach § 18a Abs 6 KHG anzurufen (§ 15
Abs 4 BPflV), bevor sich die Gerichte mit Fragen der Angemessenheit von Vergütungen
befassen können. Dabei sind die Entscheidungen der Schiedsstelle nur beschränkt
überprüfbar (vgl BSGE 20, 73, 76 ff = SozR Nr 1 zu § 368h RVO; BSGE 87, 199, 202 =
SozR 3-3300 § 85 Nr 1). Dies entspricht auch der Zurückhaltung der Rechtsprechung bei
der Auslegung von Abrechnungsbestimmungen im vertragsärztlichen Bereich (vgl BSG
SozR 3-5533 Nr 7103 Nr mwN; vgl insgesamt BSG, Urteile vom 21.02.2002, B 3 KR 30/01,
SozR 3-5565 § 15 Nr 1, B 3 KR 29/01 R; B 3 KR 45/01 R, jeweils mwN). Selbst wenn man
aber entgegen dieser ständigen Rechtsprechung auf Behandlungsaufwand für die
Versicherte abstellen wollte, obwohl es hier nicht um Ermittlung der Hauptleistung bei
Behandlung mehrerer Erkrankungen geht (vgl zu Letzterem BSG, Urteil vom 24.09.2003,
aa0), rechtfertigte dieser entsprechend der überzeugenden Beurteilung der
Sachverständigen den gegenüber FP Nr 12.03 höheren Wert der FP Nr 12.01 im Falle der
Versicherten. Sowohl der prae- wie der postoperative Aufwand bei der multimorbiden,
schwerkranken Versicherten war wesentlich höher, als es bei einer elektiven
Cholezystektomie der Fall gewesen wäre (Prof. Dr. C; Prof. Dr. V).
3. Der geltend gemachte Zinsanspruch folgt aus § 15 Abs 1 Satz 2 des Vertrages nach §
112 Abs 2 Nr 1 SGB V - Allgemeine Bedingungen der Krankenhausbehandlung - , in Kraft
seit 01.01.1997. Danach kann das Krankenhaus bei Überschreitung des Zahlungsziels
Verzugszinsen in Höhe von 2% über dem jeweiligen Diskontsatz der Deutschen
Bundesbank auf den ab dem Fälligkeitstag folgenden Tag verlangen. Ab 01.01.1999 ist
diese Vertragsbestimmung aufgrund der geänderten währungsrechtlichen Rechtslage in
modifizierter Fassung anzuwenden. Seit dem 01.01.1999 gibt es keinen Diskontsatz der
Deutschen Bundesbank mehr. Der Diskontsatz ist nach § 1 des Diskontsatz-
Überleitungsgesetzes (DÜG, BGBl. 1998 I S 1242 und BGBl 2000 I S. 901) zum
01.01.1999 durch den sog. Basiszinssatz ersetzt worden. Jede Bezugnahme auf den
Diskontsatz der Deutschen Bundesbank im Rahmen von Regelungen über Zinsen oder
andere Leistungen wird ab 01.01.1999 von Gesetzes wegen (§ 1 Abs 1 Satz 1 DÜG) durch
eine Bezugnahme auf den Basiszinssatz ersetzt.
4. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 183, 193 Abs. 4 Satz 2 SGG in der bis zum
Inkrafttreten des 6. SGG-Änderungsgesetzes am 02.01.2002 maßgeblichen alten Fassung.
Diese ist anzuwenden, da es sich um ein Verfahren nach § 197a SGG nF handelt, das vor
dem Inkrafttreten des 6. SGG-Änderungsgesetzes rechtshängig geworden ist (Art. 17 Abs 1
Satz 2 6. SGG-ÄndG, BSG, Urteil vom 30.01.2002, B 6 KR 12/2001 R = SozR 3-2500 § 116
SGB V Nr. 24).
Gründe, die Revision zuzulassen, bestehen nicht (§ 160 Abs 2 SGG).