Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 19.03.2008

LSG NRW: gebühr, untätigkeitsklage, auflage, hauptsache, ermessen, rechtskraft, datum, rechtshängigkeit

Landessozialgericht NRW, L 7 B 29/08 AS
Datum:
19.03.2008
Gericht:
Landessozialgericht NRW
Spruchkörper:
7. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
L 7 B 29/08 AS
Vorinstanz:
Sozialgericht Köln, S 3 AS 17/07
Sachgebiet:
Grundsicherung für Arbeitssuchende
Rechtskraft:
rechtskräftig
Tenor:
Die Beschwerde der Beklagten gegen den Beschluss des Sozialgerichts
Köln vom 18.12.2007 wird zurückgewiesen. Die Beklagte trägt die
außergerichtlichen Kosten des Klägers auch für das
Beschwerdeverfahren.
Gründe:
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Die Beschwerde der Beklagten, der das Sozialgericht (SG) mit Beschluss vom
21.01.2008 nicht abgeholfen hat, ist zulässig, in der Sache jedoch nicht begründet.
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1. Das Gericht entscheidet gemäß § 193 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) auf Antrag
durch Beschluss, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu
erstatten haben, wenn das Verfahren anders als durch Urteil beendet wird. Dabei
berücksichtigt das Gericht alle Umstände des Einzelfalls. Die danach zu treffende
Entscheidung für die Kostentragungspflicht bei unstreitiger Erledigung hat allgemein auf
der Grundlage billigen Ermessens unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und
Streitstandes zu erfolgen. Maßgebend für die Entscheidung sind die Erfolgsaussichten
der Klage, ferner Gründe für die Klageerhebung und die Erledigung (Meyer-
Ladewig/Leitherer in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8. Aufl. 2005, § 193 RdNr.
13).
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a) Das SG hat in seinem angefochtenen Beschluss zu Recht ausgeführt, dass die
Beklagte Anlass zur Erhebung einer Untätigkeitsklage gemäß § 88 SGG gegeben hat,
so dass es billigem Ermessen entspricht, die außergerichtlichen Kosten des Klägers für
das Klageverfahren zu tragen. Zur Vermeidung von Wiederholungen nimmt der Senat
auf die zutreffenden Ausführungen des SG in seinem angefochtenen Beschluss Bezug
(§ 142 Abs. 2 Satz 3 SGG).
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b) Das Vorbringen der Beklagten im Beschwerdeverfahren führt zu keiner anderen
rechtlichen Beurteilung. Entgegen der Rechtsauffassung der Beklagten ist es im
vorliegenden Kontext unerheblich, dass sich die Untätigkeitsklage des Klägers kurz vor
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deren Rechtshängigkeit dadurch erledigt hat, dass die Beklagte den
Widerspruchsbescheid erlassen hat. Denn der Kläger musste, nachdem die
Dreimonatsfrist des § 88 Abs. 2 SGG seit langem abgelaufen war, nicht damit rechnen,
dass die Beklagte - insbesondere in der nächsten Zeit - über seinen Widerspruch
entscheiden würde. Die Beklagte hat den Kläger im Laufe des Verwaltungsverfahrens
nicht darauf hingewiesen, dass und ggfs. wann mit einer Entscheidung über seinen
Widerspruch zu rechnen ist. Der zwischenzeitlich erlassene Teilabhilfebescheid vom
11.06.2007 verweist in seiner Rechtsbehelfsbelehrung nur darauf, dass er Gegenstand
des Widerspruchsverfahrens wird. Wann eine Entscheidung über den Widerspruch im
übrigen getroffen werden soll, teilt er nicht mit.
Die Beklagte ließ schließlich auch das Schreiben des Klägers vom 12.06.2007
unbeantwortet, mit dem er darum bat, über den Widerspruch (im Übrigen) nunmehr bis
zum 17.08.2007 zu entscheiden. Der Kläger musste nicht davon ausgehen, dass die
Beklagte erst und unmittelbar nach Ablauf dieser Frist mit Bescheid vom 22.08.2007
über den Widerspruch des Klägers vom 16.02.2007 entscheiden würde.
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2. Die Kostenentscheidung zum Beschwerdeverfahren folgt aus der entsprechenden
Anwendung des § 193 Abs. 1 Satz 3 SGG. Sie entspricht dem Ergebnis des
Beschwerdeverfahrens.
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a) Der Senat hat die Regelung des § 193 Abs. 1 Satz 3 SGG entsprechend angewandt.
Denn ob eine Beschwerdeentscheidung über einer Kostengrundentscheidung des SG
selbst einer Kostenentscheidung bedarf, ist im SGG ausdrücklich nicht geregelt. Eine
solche Kostenentscheidung ist nach Überzeugung des Senats jedoch erforderlich. Denn
seit Inkrafttreten des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes (RVG) vom 5. Mai 2004 sind
Beschwerdeverfahren "besondere Angelegenheiten" (§ 18 Nr. 5 RVG), die im Verhältnis
zur Hauptsache zusätzliche Gebühren für den prozessbevollmächtigten Rechtsanwalt
auslösen. Nach Gebührenziffer 3501 der Anlage 1 RVG (Vergütungsverzeichnis) fällt für
ein Beschwerdeverfahren in Fällen des § 3 Abs. 1 Satz 1 RVG eine eigene Gebühr (von
15,00 bis 160,00 Euro) an; nach § 3 Abs. 1 Satz 1 RVG erhält der Bevollmächtigte
Rechtsanwalt im sozialrechtlichen Verfahren eine Vertragsrahmengebühr, wenn - wie
hier der Fall - das Gerichtskostengesetz nicht anwendbar ist. Da das RVG für das
Beschwerdeverfahren eine eigene Gebühr vorsieht, ist für das vorliegende
Beschwerdeverfahren eine eigene Kostengrundentscheidung zu treffen (vgl. LSG NRW,
Beschluss vom 23.01.2008, L 20 B 178/07 AS).
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b) Eine solche eigene Kostengrundentscheidung war unter Geltung der alten
Bundesrechtsanwaltsgebührenordnung (BRAGO) nicht erforderlich. Denn dort wurde
(zu § 116 BRAGO) die Auffassung vertreten, dass alle Nebenverfahren wie auch das
Beschwerdeverfahren grundsätzlich mit der für das Betreiben des sozialgerichtlichen
Verfahrens in einem Rechtszug entstandenen Gebühr abgegolten sind (vgl. LSG Berlin-
Brandenburg, Beschluss vom 14.12.2007, L 24 B 528/07 KR, Juris). Unter Geltung der
BRAGO war damit eine eigene Kostengrundentscheidung im Beschwerdeverfahren
entbehrlich. Unter Geltung des RVG ist sie nunmehr erforderlich. Denn ansonsten
könnten die im Beschwerdeverfahren entstandenen Kosten (hier die außergerichtlichen
Kosten des Klägers durch die Beauftragung seines verfahrensbevollmächtigten
Rechtsanwaltes) nicht berücksichtigt werden (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, a.a.O.).
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c) Soweit die Auffassung vertreten wird, diese Kosten seien im Rahmen der
Kostenfestsetzung nach § 197 SGG zu berücksichtigten (LSG NRW, Beschluss vom
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14.08.2006, L 19 B 20/06 AL, Juris), überzeugt dies den Senat nicht. Denn für die
Kostenfestsetzung nach § 197 SGG ist der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle
zuständig. Dieser füllt die Kostengrundentscheidung des Gerichts aus (LSG NRW,
Beschluss vom 23.01.2008, L 20 B 178/07 AS; Leitherer in: Meyer-Ladewig/Leitherer,
SGG, 8. Auflage 2005, § 197 Rn. 3), trifft also keine eigene Grundentscheidung über die
Kosten. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens (hier der außergerichtlichen Kosten des
Klägers) können damit ohne gerichtliche Kostengrundentscheidung im Rahmen der
Kostenfestsetzung nach § 197 SGG nicht berücksichtigt werden.
Eine Berücksichtigung der Kosten des Beschwerdeverfahrens im Rahmen der
Kostenfestsetzung gemäß § 197 SGG wäre im Übrigen bereits aus tatsächlichen
Gründen in den Fällen ausgeschlossen, in denen das Sozialgericht etwa eine nur
anteilige Kostentragungspflicht des Beklagten angeordnet hat (vgl. LSG NRW,
Beschluss vom 23.01.2008, L 20 B 178/07 AS). Erhebt der Beklagte gegen die
Kostenentscheidung des SG Beschwerde und hat die Beschwerde keinen Erfolg,
könnte der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle im Rahmen der Kostenfestsetzung
gemäß § 197 SGG die außergerichtlichen Kosten des Klägers von vornherein nicht in
vollem Umfang in Ansatz bringen, weil die Kostengrundentscheidung des SG etwas
anderes anordnete.
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3. Dieser Beschluss ist mit der Beschwerde nicht angreifbar (§ 177 SGG).
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