Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 08.12.1995

LSG NRW (kläger, gegenstand des verfahrens, 1995, rente, gutachten, tätigkeit, bundesrepublik deutschland, altersrente, 50 jahre, arbeiter)

Landessozialgericht NRW, L 14 J 14/94
Datum:
08.12.1995
Gericht:
Landessozialgericht NRW
Spruchkörper:
14. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
L 14 J 14/94
Vorinstanz:
Sozialgericht Münster, S 10 J 131/88
Nachinstanz:
Bundessozialgericht, 13 BJ 27/96
Sachgebiet:
Rentenversicherung
Rechtskraft:
rechtskräftig
Tenor:
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Münster
vom 11. November 1993 wird zurückgewiesen. Die Klagen gegen die
Bescheide vom 19. Mai 1993, 14. Oktober 1994 und 03. Februar 1995
werden als unzulässig abgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht
zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
1
Streitig ist der Anspruch des Klägers auf Versichertenrente wegen Erwerbs- bzw.
Berufsunfähigkeit für die Zeit vom 01.04.1980 bis 31.07.1992.
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Der am 00.00.1929 in T/Kreis Rostock geborene Kläger war nach seinen Angaben von
1944 bis 1949 mit Unterbrechungen in Rostock und Warnemünde als Malerlehrling und
Malergehilfe tätig. Von Mai 1949 bis Oktober 1951 arbeitete er mit Unterbrechungen als
Anstreicher und Reiniger. Nach seiner Übersiedlung in die Bundesrepublik Deutschland
war er von 1952 bis 1966 als Hausbursche, Spüler, Hoteldiener und zuletzt als
angelernter Fräser versicherungspflichtig beschäftigt. In der Zeit von 1966 bis 1979
arbeitete er in den Niederlanden als angelernter Fräser, Stanzer und Bohrer elf Jahre
und fünf Monate. Während seines letzten versicherungspflichtigen
Beschäftigungsverhältnisses von März 1977 bis März 1979 war er bei der
Maschinenfabrik W, Amsterdam, tätig und verrichtete einfache Stanzarbeiten, die keine
Berufsausbildung erforderten und nach kurzer Einweisung ausgeübt werden konnten.
Seit März 1979 hat der Kläger keine versicherungspflichtige Tätigkeit mehr ausgeübt.
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Am 08.03.1980 beantragte der Kläger beim niederländischen Sozialversicherungsträger
die Gewährung einer Invalidenrente. Der niederländische Versicherungsträger
übersandte diesen Antrag im Januar 1988 an die Beklagte und teilte mit, daß der Kläger
von März 1980 bis 01.07.1980 eine niederländische Rente bezogen habe und ab
01.07.1980 nur noch weniger als 25 % arbeitsunfähig sei. Der Kläger habe gegen die
Entziehung der Rente geklagt und in zwei Instanzen verloren.
4
Der niederländische Versicherungsträger übersandte ferner einen Bericht des
medizinischen Gemeinschaftsdienstes vom 09.06.1987 und ein Gutachten des Arztes I
vom 16.03.1988. Der Arzt I hatte in diesem Gutachten ausgeführt, die allgemeine
internistische Untersuchung habe keine Auffälligkeiten ergeben. Der Kläger leide an
einer chronischen venösen Insuffizienz der Venen des linken Beines. Er sei aber noch
in der Lage, leichte Arbeiten abwechselnd gehend oder sitzend acht Stunden pro Tag
aus- zuführen. Der beratende Arzt der Beklagten vertrat in seiner Stellungnahme vom
26.04.1988 die Ansicht, der Kläger könne leichte Arbeiten in wechselnder
Körperhaltung und unter Witterungsschutz vollschichtig verrichten.
5
Die Beklagte lehnte danach den Rentenantrag des Klägers mit Bescheid vom
16.05.1988 ab mit der Begründung, der Kläger sei wederberufs- noch erwerbsunfähig,
da er leichte Arbeiten vollschichtig verrichten könne.
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Am 20.06.1988 erhob der Kläger Widerspruch und machte geltend, er könne keine
regelmäßige Erwerbstätigkeit mehr ausüben. Auch sein Hausarzt Dr. H sei der Ansicht,
daß er - der Kläger - zu 100 % arbeitsunfähig sei und keine Tätigkeiten ausüben könne.
Er fügte ärztliche Bescheinigungen des Arztes H vom 17.03.1981, 12.04.1983 und
08.03.1986 bei.
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Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 16.08.1988 zurück.
Zur Begründung führte sie aus, der Kläger sei noch nicht berufsunfähig, weil er leichte
Arbeiten vollschichtig verrichten könne. Er sei als ungelernter Arbeiter zu beurteilen und
auf den allgemeinen Arbeitsmarkt zu verweisen. Der Bescheid wurde dem Kläger mit
Schreiben vom 31.08.1988 zugesandt.
8
Am 21.11.1988 hat der Kläger beim Sozialgericht SG Münster Klage erhoben. Während
des Verfahrens hat die Beklagte dem Kläger mit Bescheid vom 19.05.1993 Altersrente
für langjährig Versicherte ab 01.08.1992 gewährt. Der Bescheid enthielt die
Rechtsbehelfsbelehrung, daß gegen den Bescheid innerhalb von einem Monat nach
seiner Bekanntgabe Widerspruch erhoben werden könne.
9
Zur Begründung seiner Klage hat der Kläger vorgetragen, er könne wegen seines
Venenleidens keine Arbeiten von wirtschaftlichem Wert mehr verrichten. Auch sein
Hausarzt Dr. H habe in den Bescheinigungen vom 26.10.1987 und 13.12.1988 die
Ansicht vertreten, daß er für 80 bis 100 % arbeitsunfähig sei. Ihm stehe daher eine
Erwerbsunfähigkeitsrente zu. Zumindest aber müsse ihm eine Rente wegen
Berufsunfähigkeit gewährt werden, denn die Beklagte sei zu Unrecht davon
ausgegangen, daß er ungelernter Arbeiter sei. Er habe in verschiedenen
metallverarbeitenden Betrieben in Deutschland und in den Niederlanden als Bohrer,
Fräser, Dreher und Stanzer gearbeitet und sei für diese spezialisierte Arbeit angelernt
bzw. ausgebildet worden und somit als Metallfacharbeiter zu beurteilen. Der Kläger hat
Arbeitszeugnisse aus der Zeit von 1966 bis 1971 vorgelegt, auf deren Inhalt Bezug
genommen wird.
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Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und die Ansicht vertre- ten, der Kläger sei
nicht als Facharbeiter einzustufen, weil er keinen Beruf erlernt habe und allenfalls für
Teiltätigkeiten im Berufsbild des Metallfacharbeiters angelernt worden sei. Überwiegend
habe er Hilfsarbeitertätigkeiten verrichtet.
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Das SG hat Beweis erhoben über die Frage, welche Berufstätigkeit der Kläger in
Deutschland zuletzt verrichtet hat, durch Einholung einer schriftlichen
Arbeitgeberauskunft der B und Co. GmbH vom 11.10.1989. Danach war der Kläger bei
dieser Firma von September bis Dezember 1965 als angelernter Fräser beschäftigt und
nach Tätigkeitsgruppe 4 des Tarifvertrages der Metallindustrie Schleswig-Holstein
entlohnt worden. Dieser Tätigkeitsgruppe sind Arbeiten zugeordnet, "die
Arbeitskenntnisse und Handfertigkeiten verlangen, wie sie durch eine Zweckausbildung
oder ein systematisches Anlernen bis zu 6 Monaten erzielt werden."
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Das SG hat ferner Beweis erhoben über den Gesundheitszustand und das
Leistungsvermögen des Klägers durch Beiziehung eines Befundberichts des Arztes H
vom 17.02.1989 und Einholung eines orthopädischen Sachverständigengutachtens von
Prof. Dr. N, Universitätsklinik Amsterdam. Der Sachverständige Prof. Dr. N hat im
Gutachten vom 18.03.1991 und in der ergänzenden gutachtlichen Stellungnahme vom
06.06.1991 ausgeführt, beim Kläger bestehe ein postoperatives Varikosissyndrom mit
teilweise insuffizienten Perforantes, wobei die subjektiv angegebenen Beschwerden
nicht objektiviert werden könnten. Der Kläger könne in wechselnder Körperhaltung, also
gehend, stehend und sitzend tätig sein. Um eine Beschränkung der täglichen Arbeitszeit
gehe es weniger als um eine Beschränkung der Position des Klägers während der
Arbeitszeit. "Eine Beschränkung der täglichen Arbeitszeit auf plus minus 50 % könnte
dem postoperativen Varikosissyndrom zugeschrieben werden". Unabhängig von jeder
Form von Tätigkeit träten nach Angaben des Klägers Schmerzen auf. Diese
Beschwerden ließen sich jedoch nicht objektivieren, so daß eine abwechslungsreiche
Tätigkeit möglich wäre.
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Das SG hat danach Prof. Dr. C, Chefarzt der Gefäßchirurgischen Klinik des Ev.
Krankenhauses N, mit der Erstattung eines gefäßchirurgischen Gutachtens beauftragt.
Das Gutachten konnte nicht erstattet werden, weil der Kläger nicht zur Untersuchung
erschienen ist.
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Mit Urteil vom 11.11.1993 hat das SG Münster die Klage abgewiesen. Wegen der
Begründung wird auf die Entscheidungsgründe des Urteils Bezug genommen.
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Gegen dieses am 18.11.1993 an die deutsche Botschaft in Den Haag zwecks
Zustellung an den Kläger abgesandte Urteil hat der Kläger am 03.02.1994 Berufung
eingelegt.
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Während des Berufungsverfahrens lehnte die Beklagte den am 30.11.1993 gestellten
Antrag des Klägers, bei seiner Altersrente die Zeit vom 01.04.1944 bis 22.05.1949
rentensteigernd anzurechnen, mit Bescheid vom 17.01.1994 und Widerspruchsbescheid
vom 14.10.1994 ab, weil eine versicherungspflichtige Beschäftigung während dieser
zeit nicht glaubhaft gemacht sei. Mit Schreiben vom 02.11.1994 - eingegangen beim
Landessozialgericht am 07.11.1994 - hat der Kläger den Widerspruchsbescheid
angefochten. Dieses Schreiben ist als Klage an das zuständige SG Münster
weitergeleitet worden. Das Verfahren ist beim SG unter Aktenzeichen S 10 J 25/95
anhängig. Mit Bescheid vom 03.02.1995 hat die Beklagte die Altersrente für langjährig
Versicherte in Regelaltersrente umgewandelt. Der Bescheid enthält die
Rechtsbehelfsbelehrung, daß innerhalb eines Monats nach seiner Bekanntgabe
Widerspruch erhoben werden könne.
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Zur Begründung der Berufung hat der Kläger geltend gemacht, das Sozialgericht sei zu
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Unrecht davon ausgegangen, daß er auf ungelernte Arbeiten verwiesen werden könne.
Er sei für den Beruf des Fräsers angelernt worden, ebenso für die Tätigkeiten als
Dreher, Bohrer und Stanzer. Er sei deshalb als Facharbeiter einzustufen und zumindest
berufsunfähig. Darüber hinaus sei er erwerbsunfähig denn er habe seit 1980 keine
Erwerbstätigkeit mehr verrichten können. Auch sein Hausarzt Gadiot halte ihn seit 1979
für 100 % arbeitsunfähig. Die Gutachten des Arztes I und des Sachverständigen Prof.
Dr. N seien oberflächlich und im Ergebnis unrichtig.
Der Kläger begehrt ferner eine höhere Altersrente mit der Begründung, die Jahre 1944
bis 1949, in denen er in Rostock und Warnemünde gearbeitet habe, müßten als
Versicherungszeit rentensteigernd angerechnet werden. Außerdem dürfe die
Rentennachzahlung für die Zeit vom 01.08.1992 bis 31.07.1993 nicht von der
niederländischen Sozialbehörde einbehalten und verrechnet werden, sondern müsse in
voller Höhe an ihn ausgezahlt werden.
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Der Kläger beantragt schriftsätzlich,
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das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 11.11.1993 ab zuändern und die Beklagte
unter Aufhebung des Bescheides vom 16.05.1988 in der Fassung des
Widerspruchsbescheides vom 16.08.1988 zu verurteilen, ihm für die Zeit vom
01.04.1980 bis 31.07.1992 Rente wegen Erwerbsunfähigkeit, hilfsweise wegen
Berufsunfähigkeit zu gewähren,
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und die Beklagte unter Abänderung der Bescheide vom 19.05.1993, 14.10.1994 und
03.02.1995 zu verurteilen, ihm eine höhere Altersrente unter zusätzlicher Anrechnung
einer Versicherungszeit vom 01.04.1944 bis 22.05.1949 zu gewähren und den
Rentennachzahlungsbetrag für die Zeit vom 01.08.1992 bis 31.07.1993 in voller Höhe
an ihn auszuzahlen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen
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und die Klage hinsichtlich der Bescheide vom 19.05.1993, 14.10.1994 und 03.02.1995
als unzulässig abzuweisen.
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Die Beklagte hält das angefochtene Urteil für zutreffend und meint, der Kläger sei
aufgrund der versicherungspflichtig ausgeübten Tätigkeiten als angelernter Arbeiter zu
berurteilen und nicht berufsunfähig gewesen.
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Die Klage auf Anrechnung weiterer Versicherungszeiten bei der Altersrente des Klägers
hält sie für unzulässig, weil die Bescheide vom 19.05.1993, 14.10.1994 und 03.02.1995
nicht Gegenstand des anhängigen Verfahrens geworden seien und hinsichtlich dieses
Begehrens das Klageverfahren beim SG Münster anhängig sei. Soweit der Kläger die
Einbehaltung des Rentennachzahlungsbetrages für die Zeit von August 1992 bis Juli
1993 durch die niederländischen Behörden beanstandet, hält die Beklagte sich nicht für
zuständig. In dieser Frage müsse sich der Kläger mit den niederländischen Stellen
auseinandersetzen. Sie habe den vollen Nachzahlungsbetrag an den niederländischen
Sozialversicherungsträger zur Auszahlung an den Kläger überwiesen.
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Der Senat hat über die vom Kläger in den Niederlanden zuletzt ausgeübte Tätigkeit eine
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schriftliche Auskunft der Maschinenfabrik W, Amsterdam, vom 26.04.1995 eingeholt.
Ferner ist Beweis erhoben worden, durch Einholung eines medizinischen
Sachverständigengutachtens nach Aktenlage zu den Fragen, welche Leiden beim
Kläger in der Zeit von Dezember 1979 bis August 1992 bestanden und in welcher
Weise das Leistungsvermögen des Klägers eingeschränkt war. Der Sachverständige
Dr. C, Chefarzt der Gefäßchirurgischen Klinik des Ev. Krankenhauses N, hat im
gefäßchirurgischen Gutachten vom 19.09.1995 ausgeführt, bei dem Kläger habe in dem
o.g. Zeitraum eine Neokrampfaderbildung auf dem Boden einer chronisch-venösen
Insuffizienz links vorgelegen, ohne Anhalt für eine durchgemachte tiefe
Beinvenenthrombose. Der Kläger habe körperlich leichte bis mittelschwere Arbeiten
vollschichtig verichten können. Die Tätigkeiten seien wechselweise im Gehen, Stehen
und Sitzen (Sitzen ca. 50 %, Gehen ca. 40 %, Stehen ca. 10 %) möglich gewesen.
Arbeiten mit besonderer Verletzungsgefahr für die Beine und Arbeiten in
Zwangshaltungen seien auszuschließen. Der Kläger hätte als Sortierer von Kleinteilen,
Pförtner an Nebenpforten oder Aufsichtsperson in einem Museum tätig sein können und
zwar sei er vollschichtig einsatzfähig gewesen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der
Gerichtsakten und der Rentenakten der Beklagten, welcher Gegenstand der mündlichen
Verhandlung gewesen ist, Bezug genommen.
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Der Kläger ist vom Termin zur mündlichen Verhandlung gemäß Einschreiben-
Rückschein am 15.11.1995 benachrichtigt worden mit dem Hinweis, daß auch im Falle
seines Nichterscheinens verhandelt und entschieden werden könne. Der Kläger ist im
Termin weder erschienen noch vertreten gewesen.
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Entscheidungsgründe:
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Der Senat hat in Abwesenheit des Klägers aufgrund einseitiger mündlicher
Verhandlung entscheiden können, weil der Kläger in der Terminsmitteilung auf diese
Möglichkeit hingewiesen worden ist. Anlaß zur Vertagung des Termins hat nicht
bestanden; im Termin sind keine neuen Tatsachen vorgetragen worden.
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Die statthafte, form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist zulässig, aber
nicht begründet.
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Das Sozialgericht hat zu Recht die Klage abgewiesen. Der Kläger wird durch den
angefochtenen Bescheid der Beklagten vom 16.05.1988 in der Fassung des
Widerspruchsbescheides vom 16.08.1988 nicht beschwert i.S.d. § 54 Abs. 2 des
Sozialgerichtsgesetzes (SGG), denn dieser ist rechtmäßig. Dem Kläger steht für den
streitigen Zeitraum 01.04.1980 bis 31.07.1992 die begehrte Rente wegen Erwerbs- bzw.
Berufsunfähigkeit nicht zu, weil er weder erwerbsunfähig noch berufsunfähig ist.
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Für die Entscheidung über den geltend gemachten Anspruch auf Rente wegen
Erwerbsunfähigkeit bzw. Berufsunfähigkeit sind noch die ab 01.01.1992 aufgehobenen
Vorschriften der Reichsversicherungsordnung (RVO) maßgebend, denn der Kläger
macht mit seinem im März 1980 gestellten Antrag einen Rentenanspruch für die Zeit vor
dem 01.01.1992 geltend (§ 300 Abs. 2 des Sechsten Buches des Sozialgesetzbuches -
SGB VI - ).
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Berufsunfähig ist gemäß § 1246 Abs. 2 RVO derjenige Versicherte, dessen
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Erwerbsfähigkeit infolge von Krankheit oder anderen Gebrechen oder Schwäche seiner
körperlichen oder geistigen Kräfte auf weniger als die Hälfte derjenigen eines körperlich
und geistig gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen
Kenntnissen und Fähigkeiten herabgesunken ist. Der Kreis der Tätigkeiten, nach denen
die Erwerbsfähigkeit eines Versicherten zu beurteilen ist, umfaßt nach § 1246 Abs. 2
Satz 2 RVO alle Tätigkeiten, die seinen Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihm
unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs seiner Ausbildung sowie seines
bisherigen Berufs und der besonderen Anforderungen seiner bisherigen Berufstätigkeit
zugemutet werden können. Der Kläger erfüllt die Voraussetzungen dieser Vorschrift
nicht.
Bei der Beurteilung der Berufsunfähigkeit des Klägers ist - wie das Sozialgericht
zutreffend ausgeführt hat - von der Tätigkeit des angelernten Fräsers auszugehen.
Diese Tätigkeit hat der Kläger zuletzt von September bis Dezember 1965 in
Deutschland versicherungspflichtig ausgeübt. Sie ist sein "bisheriger Beruf" i.S.d. §
1246 Abs. 2 RVO. Der Kläger hat nach der Arbeitgeberauskunft vom 11.10.1989
Fräsarbeiten ausgeführt, die für einen ungelernten Arbeiter lediglich eine Anlernzeit von
sechs Monaten voraussetzten. Er ist nach Tätigkeitsgruppe 4 des Tarifvertrages für die
Metall- industrie Schleswig-Holstein entlohnt worden. Diese Tätigkeits- gruppe gilt für
Arbeiten, die ein systematisches Anlernen bis zu sechs Monaten erfordern. Facharbeiter
mit abgeschlossener Berufsausbildung waren nach diesem Tarifvertrag einer höheren
Gruppe zugeordnet, nämlich der Tätigkeitsgruppe 6 bzw. 7.
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Der Kläger ist aufgrund seiner zuletzt im Metallbereich in Deutschland ausgeübten
Berufstätigkeit im Rahmen des vom Bundessozialgericht (BSG) entwickelten
Berufsgruppenschemas, wonach die Arbeiterberufe nach verschiedenen "Leitberufen",
nämlich demjenigen des Vorarbeiters mit Vorgesetztenfunktion bzw. des besonders
hochqualifizierten Facharbeiters, des Facharbeiters, des Angelernten (sonstiger
Ausbildungsberuf) und des ungelernten Arbeiters gegliedert sind, der Berufsgruppe der
Angelernten (unterer Bereich) zuzuordnen. Es kann dahinstehen, ob die Zuordnung zu
einer höheren Berufsgruppe aufgrund einer in den Niederlanden ausgeübten
Berufstätigkeit wegen der Zugehörigkeit der Niederlande zur Europäischen
Gemeinschaft möglich ist (vgl. hierzu BSG Urteil vom 21.09.1988 in SozR 2200 § 1246
Nr. 159). Der Kläger hat nämlich in den Niederlanden auch keine Facharbeitertätigkeit
ausgeübt, sondern er ist nach den von ihm vorgelegten Arbeitszeugnissen von 1966 bis
1971 als angelernter Fräser, Stanzer und Bohrer tätig gewesen. Zuletzt vor der
Rentenantragstellung hat der Kläger nach der Auskunft der Maschinenfabrik W in den
Niederlanden von März 1977 bis März 1979 einfache Stanzarbeiten ausgeführt, die
keine Anlernung, sondern nur eine kurze Einweisung voraussetzten.
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Als ein gelernter Arbeiter ist der Kläger verweisbar z.B. auf die Tätigkeit eines Pförtners
an Nebeneingängen oder eines Bürohilfsarbeiters in der Poststelle einer größeren
Behörde. Diese Tätigkeiten erfordern nur leichte körperliche Arbeiten, können im
Wechsel von Sitzen, Gehen und Stehen ausgeführt werden und sind nicht mit
besonderer Verletzungsgefahr für die Beine verbunden. Sie entsprechen damit dem von
den medizinischen Sachverständigen festgestellten Leistungsvermögen des Klägers.
Der Senat folgt insoweit dem schlüssig und überzeugend begründeten Gutachten des
Sachverständigen Dr. C vom 19.09.1995. Dieser Sachverständige verfügt als langjährig
tätiger Chefarzt der Gefäßchirurgischen Klinik in N über besondere Kenntnisse bei der
Beurteilung von Gefäßleiden. Er hat nach Auswertung der verschiedenen ärztlichen
Berichte und Gutachten, insbesondere auch der Stellungnahmen des Hausarztes des
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Klägers Gadiot überzeugend dargelegt, daß der Kläger in der streitigen Zeit von 1980
bis 1992 noch fähig war, leichte Arbeiten wechselnd im Sitzen, Gehen und Stehen
vollschichtig zu verrichten.
Auf die o.g. Tätigkeiten ist der Kläger auch beruflich sozial zumutbar zu verweisen. Die
Verweisungstätigkeit eines einfachen Pförtners (Nebenpförtners) ist z.B. im Tarifvertrag
für die Arbeiter der Länder (MTL II) in die Lohngruppe 2 (Nr. 1.9) und 2a (Nr. 6.11) als
einfachere Anlerntätigkeit eingestuft. Auf diese Tätigkeiten muß sich der Kläger selbst
dann verweisen lassen, wenn er als Angelernter im oberen Bereich einzustufen ist (so
BSG-Urteil vom 13.07.1988 - 5/4 a RJ 19/87 - zu der damals noch in Lohngruppe 4 (Nr.
4.11.) eingestuften Pförtnertätigkeit). In dem genannten Urteil hat das BSG auch
ausgeführt, daß angesichts der Aufführung der Tätigkeit in einem Tarifvertrag eine
Vermutung dafür bestehe, daß es für solche Tätigkeiten Arbeitsplätze in einer Zahl
gebe, welche die Annahme ausschließe, der Versicherte habe praktisch keine Chance
mehr, eine solche Arbeitsstelle zu erlangen.
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Dem Kläger steht auch nicht deswegen ein Rentenanspruch für den streitigen Zeitraum
zu, weil er bereits das fünfzigste Lebensjahr vollendet hatte und ihm keine Stelle
vermittelt werden konnte. Der Senat schließt sich insoweit dem Urteil des 4. Senats des
BSG vom 25.01.1994 - 4 RA 35/93 - (SozR 3-2200 § 1246 Nr. 41) an, der entschieden
hat, daß auch Langzeitarbeitlosen, die älter als 50 Jahre sind und vollschichtig nur noch
leichte körperliche Arbeiten verrichten können, eine Rente wegen Berufs- oder
Erwerbsunfähigkeit wegen Verschlossenheit des Arbeitsmarktes nicht gewährt werden
kann. Die Gewährung einer solchen "Arbeitsmarkt-Rente" würde die Grenzen einer
zulässigen richterlichen Fortbildung bei weitem überschreiten.
41
Da der Kläger während er streitigen Zeit nicht berufsunfähig i.S.v. § 1246 Abs. 2 RVO
war, war er erst recht nicht erwerbsunfähig i.S.d. § 1247 Abs. 2 RVO, weil dies eine
noch weitergehende Leistungseinschränkung voraussetzen würde.
42
Der Rentenanspruch des Klägers ist auch nicht nach den ab 01.01.1992 geltenden
Vorschriften des SGB VI begründet. Die Voraussetzungen der §§ 43, 44 SGB VI für die
Gewährung von Berufs- bzw. Erwerbsunfähigkeitsrente entsprechen inhaltlich den bis
zum 31.12.1991 geltenden Vorschriften der RVO.
43
Soweit der Kläger im anhängigen Verfahren die Anrechnung weiterer Beitragszeiten
von 1944 bis 1949 bei seiner Altersrente begehrt, ist seine Klage unzulässig. Die
während des Verfahrens erteilten Altersrentenbescheide vom 19.05.1993 und
03.02.1995 sowie die Überprüfungsbescheide vom 17.01.1994 und 14.10.1994 sind
nicht gemäß § 96 SGG Gegenstand des Verfahrens geworden, weil sie einen anderen
Streitstoff betreffen, nämlich die Höhe der Rente. Im anhängigen Verfahren ist allein die
Frage streitig, ob der Kläger berufs- oder erwerbsunfähig gewesen ist (vgl. BSG SozR
Nr. 22 zu § 96 SGG). Hierauf ist der Kläger im Protokoll des Erörterungstermins vom
22.07.1994 und mit Schreiben des Senats vom 28.12.1994 und 08.11.1995
hingewiesen worden. Wegen der Anrechnung weiterer Versicherungszeiten ist das
Verfahren beim Sozialgericht Münster unter dem Az.: - S 10 J 25/95 - anhängig, in
welchem der Kläger seine Argumente für die Anrechnung weiterer Versicherungs-,
insbesondere Beitragszeiten vortragen muß.
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Der Anspruch des Klägers auf Auszahlung des vollen Nachzahlungsbetrages der
Altersrente für die Zeit von August 1992 bis Juli 1993 kann im vorliegenden Verfahren
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nicht geltend gemacht werden. Der Rentenbescheid vom 19.05.1993 ist - wie oben
dargelegt - nicht Gegenstand des Verfahrens geworden. Der Senat kann daher über
diesen Zahlungsanspruch des Klägers nicht entscheiden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
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Der Senat hat keinen Anlaß die Revision zuzulassen, weil die Voraussetzungen des §
160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG nicht erfüllt sind.
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