Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 30.07.2003

LSG NRW: ärztliche verordnung, behandlung, arzneimittel, ersatzkasse, mangelfolgeschaden, apotheker, versorgung, vertragsarzt, krankenkasse, notfall

Landessozialgericht NRW, L 11 KA 149/01
Datum:
30.07.2003
Gericht:
Landessozialgericht NRW
Spruchkörper:
11. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
L 11 KA 149/01
Vorinstanz:
Sozialgericht Düsseldorf, S 33 KA 199/00
Sachgebiet:
Vertragsarztrecht
Rechtskraft:
rechtskräftig
Tenor:
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts
Düsseldorf vom 25.04.2001 wird zurückgewiesen. Die Klägerin trägt die
außergerichtlichen Kosten des Beklagten auch im Berufungsverfahren.
Im Übrigen sind zwischen den Beteiligten keine Kosten zu erstatten. Die
Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
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Streitig ist der Regress wegen der Verordnung eines Antibiotikums als
Sprechstundenbedarf im Quartal I/1998.
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Hinsichtlich der Verordnung von Sprechstundenbedarf bestand im Streitquartal
zwischen der beigeladenen Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein (Beigeladene zu
8)) sowie den ebenfalls beigeladenen Landesverbänden der Krankenkassen und
Verbänden der Ersatzkassen (Krankenkassenverbänden) die seit dem 01.07.1995
gültige Vereinbarung über die ärztliche Verordnung von Sprechstundenbedarf (SSB-
Vereinbarung). Diese sah vor, dass der Sprechstundenbedarf kalendervierteljährlich zu
Lasten der Barmer Ersatzkasse (Beigeladene zu 9)) erfolgt (Ziff. II. 1 SSB-
Vereinbarung). Die Kosten des Sprechstundenbedarfs wurden nach den Fallzahlen
eines jeden Abrechnungsquartals unter den Krankenkassenverbänden aufgeteilt (§ 3
Abs. 1 Satz 1 der Vereinbarung über die Umlage der Kosten des Sprechstundenbedarfs
und der Impfstoffkosten der nordrheinischen Vertragsärzte (Umlagevereinbarung)). Als
Sprechstundenbedarf galten nur solche Mittel, die ihrer Art nach bei mehr als einem
Berechtigten im Rahmen der vertragsärztlichen Behandlung angewendet werden oder
die zur Notfall- bzw. Sofortbehandlung im Rahmen der vertragsärztlichen Behandlung
erforderlich sind (Ziff. III.1 Satz 1 SSB-Vereinbarung). Verordnungsfähig waren nur die
unter Ziff. IV SSB-Vereinbarung aufgeführten Mittel (Ziff. III.1 Satz 2 SSB-Vereinbarung).
Soweit Mittel, die nur für einen Patienten, auf dessen Namen sie verordnet wurden, nicht
mehr benötigt wurden und in der Praxis verblieben, waren sie dem
Sprechstundenbedarf zuzuführen (Ziff. III.4 Satz 2 SSB-Vereinbarung). Nach Ziff. IV.9
SSB-Vereinbarung war eine Verordnung von nach § 34 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch
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(SGB V) ausgeschlossenen Mitteln als Sprechstundenbedarf (SSB) zulässig, wenn die
Mittel ausschließlich zur Vorbereitung auf oder im unmittelbaren Anschluss an
diagnostische oder therapeutische Eingriffe angewendet werden. Nach Ziff. VI.1 galt für
die Prüfung der Wirtschaftlichkeit sowie der Zulässigkeit von SSB-Anforderungen die
Gemeinsame Prüfvereinbarung.
Der Kläger, der als niedergelassener Hals-Nasen-Ohren-Arzt und Mund-Kiefer-
Gesichts-Chirurg in W ... an der vertragsärztlichen Versorgung Teil nimmt, verordnete
am 30.01.1998 das Antibiotikum Ampicillin auf Sprechstundenbedarf. Den am
20.03.1999 gestellten Prüfantrag der Beigeladenen zu 9) lehnte der Prüfungsausschuss
ab (Bescheid vom 09.09.1999). Auf den Widerspruch der Beigeladenen zu 9) hin setzte
der Beklagte einen Regress von 506,82 DM netto fest, weil Antibiotika nicht zu den
Arzneimitteln gehöre, die nach Ziff. IV.7 SSB-Vereinbarung als SSB verordnungsfähig
seien.
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Mit der Klage zum Sozialgericht Düsseldorf (SG) hat der Kläger vorgetragen: Antibiotika
fielen unter Ziff. IV.9 SSB-Vereinbarung. Er verabreiche Antibiotika ausschließlich im
Anschluss an einen diagnostischen bzw. therapeutisch-chirurgischen Eingriff. Die
kleinste im Handel befindliche Einheit von Ampicillin bestehe aus fünf Ampullen. Er
verwende dieses hoch dosierte Anbiotikum selbst bei Patienten mit schweren akuten
Entzündungszuständen nur initial. Aus diesem Grund sei eine Einzelverordnung von
fünf Ampullen nicht wirtschaftlich. Apotheken hätten Ampicillin nur selten vorrätig. Daher
habe ihm der Apotheker der T ... Apotheke in W ... geraten, es als SSB zu verordnen. Im
Übrigen habe der Prüfungsausschuss die Festsetzung eines Regresses wegen
Ampicillin für das Quartal I/1999 abgelehnt. Der Bescheid sei bestandskräftig geworden.
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Der Kläger hat beantragt,
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den Bescheid des Beklagten vom 23.08.2000 aufzuheben und den Beklagten zu
verurteilen, den Widerspruch der Barmer Ersatzkasse gegen den Beschluss des
Prüfungsausschusses vom 09.09.1999 zurückzuweisen, hilfsweise, die Berufung
zuzulassen.
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Der Beklagte sowie die Beigeladenen zu 1), 3) und 6) haben beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Der Beklagte hat vorgetragen, allein die Parteien der SSB-Vereinbarung hätten über die
Aufnahme neuer Arzneimittel zu entscheiden. Durch die unzulässige Verordnung als
SSB, dessen Kosten anteilig auf sämtliche Krankenkassenverbände umgelegt würden,
seien sämtliche Kassen und nicht allein die Krankenkasse des mit Ampicillin
behandelten Versicherten geschädigt worden.
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Mit Urteil vom 25.04.2001 hat das SG die Klage abgewiesen und sich zur Begründung
im Wesentlichen der Argumentation des Beklagten angeschlossen.
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Mit der vom SG zugelassenen Berufung weist der Kläger darauf hin, dass Antibiotika
nunmehr nach Ziff. IV.7 Buchst. a) der seit dem 01.07.2001 gültigen Vereinbarung über
die ärztliche Verordnung von Sprechstundenbedarf (SSB-Vereinbarung 2001) als SSB
verordnungsfähig seien.
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Der Kläger beantragt,
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das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 25.04.2001 abzuändern und den Bescheid
des Beklagten vom 23.08.2000 aufzuheben.
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Der Beklagte sowie die Beigeladenen zu 2) und 4) beantragen,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Der Beklagte trägt vor, die SSB-Vereinbarung 2001 habe im Streitquartal noch nicht
gegolten. Im Übrigen habe der Kläger Ampicillin auf den Namen eines Patienten
verordnen und anschließend nach Ziff. III.4 SSB-Vereinbarung vorgehen können.
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Die Verwaltungsakte des Beklagten ist beigezogen worden und Gegenstand der
mündlichen Verhandlung gewesen.
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Entscheidungsgründe:
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Der Senat kann verhandeln und entscheiden, obwohl die Beigeladenen zu 1) bis 8) in
der mündlichen Verhandlung nicht vertreten gewesen sind. Denn sie sind mit der
ordnungsgemäßen Terminsbenachrichtigung auf diese Möglichkeit hingewiesen
worden.
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Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Der mit dem angefochtenen Bescheid
ausgesprochene Regress ist rechtmäßig.
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Die Gremien der Wirtschaftlichkeitsprüfung und damit auch der Beklagte sind befugt,
Regresse wegen unzulässiger Verordnung von SSB festzusetzen. Das ergibt sich aus
Ziff. VI.1 SSB-Vereinbarung i.V.m. § 15 Abs. 1 Nr. 4 Gemeinsame Prüfvereinbarung.
Danach erfolgt die Prüfung der Wirtschaftlichkeit und der Zulässigkeit von SSB-
Anforderungen nach den Bestimmungen der Gemeinsamen Prüfvereinbarung. Die
Ermächtigungsgrundlage hierfür findet sich in § 106 Abs. 2 Satz 4 SGB V in der
Fassung des Gesundheitsstrukturgesetzes, wonach die Krankenkassenverbände
gemeinsam und einheitlich mit den Kassenärztlichen Vereinigungen über die in § 106
Abs. 2 Satz 1 SGB V vorgesehenen Prüfungen hinaus andere arztbezogene
Prüfungsarten vorsehen können. Demgemäß ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass
den Prüfgremien die Zuständigkeit für Regresse wegen unzulässiger
Arzneimittelverordnung, auch im Wege des Sprechstundenbedarfs, durch
gesamtvertragliche Vereinbarung übertragen werden darf (BSG SozR 3-5533 Allg Nr. 2;
BSG SozR 3-2500 § 106 Nr. 52). Nichts anderes gilt für die Verordnung solcher
Gegenstände oder Arzneimittel, für die zwar eine Leistungspflicht der Krankenkassen
nach den Bestimmungen des SGB V besteht, die aber nicht zulässigerweise als SSB
verordnet werden können. Denn auch in diesem Fall soll die Prüfung die wirtschaftliche
Versorgung der Versicherten gewährleisten (vgl. zu diesem Erfordernis BSG SozR 3-
5533 Allg Nr. 2 m.w.N.). Das wird in besonderem Maße deutlich bei der Verordnung von
Arzneimitteln: Hier gewährleistet die Wirtschaftlichkeitsprüfung zum einen, dass die für
die Einzelverordnung geltenden Wirtschaftlichkeitskriterien nicht durch eine Verordnung
als SSB unterlaufen werden. Bei über SSB verordnungsfähigen Mitteln, die ihrer Art
nach bei mehr als einem Berechtigten angewandt werden und die daher ohnehin
einzelnen Versicherten nicht zugeordnet werden können, kommt es nämlich in erster
Linie auf eine möglichst preiswerte Beschaffung großer Mengen an, wie sie im Rahmen
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der SSB-Verordnung von Groß-, Anstalts- oder Bündelpackungen ermöglicht wird (vgl.
Ziff. V.2 SSB-Vereinbarung). Demgegenüber hat bei Einzelverordnungen
beispielsweise der Apotheker auf die Abgabe wirtschaftlicher Einzelmengen zu achten
(vgl. § 129 Abs. 1 Nr. 3 SGB V). Ebenso besteht bei Einzelverordnungen die
Möglichkeit, Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit der ärztlichen Verordnung bezogen
auf den einzelnen Versicherten zu prüfen, während dies ausgeschlossen ist, wenn der
Versicherte aus SSB versorgt wird. Schließlich wird mit Hilfe der Prüfung auch
sichergestellt, dass nicht auf dem Weg über die SSB-Verordnung die nach § 31 Abs. 3
SGB V vorgesehenen Zuzahlungen des einzelnen Versicherten unterlaufen werden, die
sein Ausgaben- und Preisbewusstsein stärken und daher ebenfalls dem
Wirtschaftlichkeitsgebot dienen sollen (vgl. BT-Drucks. 11/2237, S. 138 f.).
Der Kläger hat durch Verordnung von Ampicillin in unzulässiger Weise SSB
angefordert. Denn Ampicillin ist als Antibiotikum nicht über den SSB verordnungsfähig:
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Dabei kann es dahingestellt bleiben, ob für die Auslegung der SSB-Vereinbarung die
einschränkenden Maßstäbe gelten, die die Rechtsprechung für die Auslegung von
Bewertungs- und Vergütungsregelungen entwickelt hat (so für den Einheitlichen
Bewertungsmaßstab BSG SozR 3-5533 Nr. 100 Nr. 1; BSG SozR 3-5533 Nr. 75 Nr. 1;
BSG SozR 3-5533 Nr. 2449 Nr. 1 m.w.N.), oder ob die allgemeinen
Auslegungsgrundsätze für Normenverträge eingreifen (so z.B. für die Auslegung der
Onkologie-Vereinbarung BSG, USK 99108). Denn in jedem Fall ergibt sich, dass die
Parteien der SSB-Vereinbarung einen abschließenden Katalog der verordnungsfähigen
Mittel aufgestellt haben, der in Ermangelung einer Regelungslücke einer erweiternden
Auslegung unter teleologischen Gesichtspunkten oder gar einer Rechtsfortbildung nicht
zugänglich ist.
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Ziff. III.1 SSB-Vereinbarung schränkt die Verordnungsfähigkeit von Mitteln als SSB in
doppelter Weise ein. Einmal muss es sich um Mittel handeln, die ihrer Art nach bei mehr
als einem Berechtigten angewendet werden, oder die zur Notfall- oder
Sofortbehandlung im Rahmen der vertragsärztlichen Behandlung erforderlich sind (Ziff.
III.1 Satz 1 SSB-Vereinbarung). Zudem sind nur diejenigen Mittel als SSB
verordnungsfähig, die ausdrücklich unter Ziff. IV SSB-Vereinbarung aufgeführt sind (Ziff.
III.1 Satz 2 SSB-Vereinbarung). Damit entspricht die Regelung ihrer Struktur nach der in
Ziff. V.3 der Anlage 12 zum Bundesmantelvertrag Zahnärzte-/Ersatzkassen, die von der
Rechtsprechung ebenfalls als abschließend angesehen worden ist (vgl. BSG SozR 3-
2500 § 106 Nr. 29). Hier wie dort haben sich die Vertragsparteien für eine Kombination
von Positivliste und einschränkenden Indikationen entschieden. Der Unterschied
besteht allein darin, dass in der hier anwendbaren SSB-Vereinbarung die
einschränkenden Indikationen, wie durch Ziff. III.1 Satz 1 sowie Ziff. III.4 bis 6
geschehen, zum Teil im Sinne allgemeiner Regelungen vor die "Klammer" der in Ziff. IV
enthaltenen Aufstellung der als SSB zulässigen Mittel gezogen worden sind.
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Nach Maßgabe dieser Grundsätze gehörte Ampicillin im Quartal I/1998 nicht zu den in
Ziff. IV.7 SSB-Vereinbarung aufgeführten Arzneimitteln. Vielmehr hat der Kläger selbst
zutreffend darauf hingewiesen, dass Antibiotika erst in der seit dem 01.07.2001 gemäß
Ziff. IV.7 Buchst. a) SSB-Vereinbarung 2001 unter den dort genannten besonderen
Voraussetzungen als verordnungsfähig genannt werden. Ebenso wenig ist Ampicillin
nach Ziff. IV.9 SSB-Vereinbarung als SSB verordnungsfähig. Denn diese spezielle
Regelung betrifft nur solche Mittel, deren Verordnung grundsätzlich nach § 34 SGB V
ausgeschlossen ist. Sie betrifft damit z.B. Augen- und Ohrenklappen, die nach § 34 Abs.
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4 SGB V i.V.m. § 2 Nr. 4 bzw. 17 der Verordnung über Hilfsmittel von geringem
therapeutischen Nutzen oder geringem Abgabepreis in der gesetzlichen
Krankenversicherung von der Leistungspflicht der Krankenkassen an und für sich
ausgenommen, als SSB jedoch unter den näheren Voraussetzungen der Ziff. IV.1 und
IV.9 SSB-Vereinbarung verordnungsfähig sind. Ampicillin wird demgegenüber von § 34
SGB V ersichtlich nicht erfasst.
Die SSB-Vereinbarung enthält dabei eine ausfüllungsbedürftige Lücke oder einen
korrekturbedürftigen Wertungswiderspruch auch nicht deshalb, weil es Mittel gibt, die -
wie Ampicillin - nur in größeren Mengen auf dem Markt erhältlich sind und bei denen
eine Einzelverordnung daher unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten keinen Sinn macht.
Vielmehr regelt Ziff. III.4 SSB-Vereinbarung ausdrücklich, wie in diesem Fall zu
verfahren ist: Zunächst ist eine Einzelverordnung auf den Namen des Versicherten
auszustellen. Soweit das verordnete Mittel von dem betroffenen Versicherten nicht mehr
benötigt wird und in der Praxis verbleibt, ist es anschließend dem Sprechstundenbedarf
zuzuführen.
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Durch die unzulässige Verordnung von SSB ist den beteiligten Krankenkassen ein
Schaden entstanden:
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Nach Ziff. II.2 Satz 3 SSB-Vereinbarung erfolgt die Verordnung von SSB zu Lasten der
Beigeladenen zu 9). Die Verordnungskosten werden sodann nach den Fallzahlen eines
jeden Abrechnungsquartals unter den Krankenkassenverbänden aufgeteilt (§ 3 Abs. 1
Satz 1 Umlagevereinbarung), d.h. ohne Ansehen der mit den verordneten Mitteln
versorgten Versicherten und ihrer jeweiligen Krankenkassenzugehörigkeit. Mithin
müssen für die Verordnung eines Mittels über SSB zugunsten eines Versicherten
zunächst die Beigeladene zu 9) und im Ergebnis sämtliche Krankenkassen aufkommen
und nicht nur diejenige, deren Mitglied der Versicherte ist. Diese haftet allein vielmehr
nur im Falle einer Einzelverordnung. Aus diesem Grund ist der Kläger bereits im Ansatz
mit dem Einwand ausgeschlossen, dass eine solche Einzelverordnung Kosten in
mindestens gleicher Höhe verursacht hätte.
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Der Kläger kann auch keine Reduzierung der Regresssumme mit dem Argument
beanspruchen, dass jedenfalls der Krankenkasse des bzw. der mit Ampicillin versorgten
Versicherten kein Schaden entstanden sei, weil sie im Falle einer rechtmäßigen
Einzelverordnung sogar den Gesamtbetrag des Arzneimittels hätte bezahlen müssen.
Nach dem sog. normativen Schadensbegriff, der auch im Vertragsarztrecht gilt, muss
sich der Geschädigte bei der Ermittlung des eingetretenen Vermögensschadens
schadensmindernde Vorteile nur dann entgegenhalten lassen, wenn die Anrechnung
dem Zweck des Schadenersatzes entspricht (BSGE 76, 153, 155 f. m.w.N.). Das ist hier
jedoch nicht der Fall: Die für die Ausübung der vertragsärztlichen Tätigkeit
maßgebenden Rechtsvorschriften sind u.a. dazu bestimmt, die Funktionsfähigkeit des
vertragsärztlichen Systems zu sichern (vgl. hierzu bereits BSGE 74, 154, 158; BSGE 76,
153, 156). Das gilt auch für die SSB-Vereinbarung. Die in ihr geregelten
Beschränkungen der Verordnungsfähigkeit von Mitteln über SSB gewährleisten die
erforderliche Transparenz der Kosten veranlasster Leistungen und die Kontrolle der
wirtschaftlichen Leistungserbringung. Soweit die SSB-Vereinbarung den Grundsatz der
Einzelverordnung aufrecht erhält, stellt sie zudem sicher, dass die von den gesetzlichen
Krankenkassen finanzierten (Arznei-)Mittel tatsächlich nur ihren Versicherten zugute
kommen. Diese Zielsetzungen schließen es aus, dem Regressanspruch den
Gesichtspunkt ersparter Aufwendungen entgegenzuhalten. Denn andernfalls würde es
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den Vertragsärzten ermöglicht, abweichend von der Regelung, dass die einzelnen
Krankenkassen die Kosten der ihren Versicherten verordneten Arzneimittel zu tragen
haben, weitgehend unkontrolliert Verordnungen zu Lasten sämtlicher Krankenkassen
auszustellen. Gerade dann, wenn (anders als im vorliegenden Fall) SSB in größerem
Umfang und zu Lasten vieler bei unterschiedlichen Krankenkassen Versicherter
unzulässig verordnet würde, käme die Vorteilsausgleichung dem Vertragsarzt nämlich
in besonderem Maße zugute. Zudem würden die Prüfgremien gegebenenfalls mit einem
unzumutbaren Ermittlungs- und Berechnungsaufwand belastet.
Der Beklagte hat die Höhe der Regressforderung ausgehend von dem entstandenen
Nettoschaden zutreffend festgesetzt. Gegen die Schadensberechnung im Einzelnen
sind auch keine Einwände erhoben worden.
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Die unzulässige Verordnung von SSB führt zum Entstehen eines Regressanspruchs,
ohne dass hierfür ein Verschulden des Vertragsarztes und damit im vorliegenden Fall
des Klägers gesondert im Bescheid des Beklagten festgestellt werden müsste. Das
Verschuldenserfordernis besteht nur bei der Festsetzung eines "sonstigen Schadens"
im Sinne von § 48 Abs. 1 Bundesmantelvertrag-Ärzte. Der Regress wegen unzulässiger
SSB-Verordnung ist demgegenüber ein Unterfall des Verordnungsregresses. Er richtet
sich auf den Betrag, den die Beigeladene zu 9) an die Apotheke für Arzneien gezahlt
hat, welche dem verordnenden Vertragsarzt aufgrund der SSB-Verordnung
ausgehändigt wurden und werden durften. Demgegenüber ist der typische
Schadensregress außerhalb des Verordnungsverhaltens dadurch gekennzeichnet, dass
das Verhalten des Arztes Folgekosten der Kassen ähnlich einem "Mangelfolgeschaden"
nach bürgerlichem Recht ausgelöst hat (vgl. BSG SozR 3-2500 § 106 Nr. 52). Um einen
solchen "Mangelfolgeschaden" geht es im vorliegenden Fall jedoch nicht. Denn es
bestehen keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass das Verordnungsverhalten des Klägers
Schäden an anderer Stelle verursacht hätte.
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Aus dem Umstand, dass die Verordnung von Antibiotika bis zum 31.12.1997 nicht von
den Prüfgremien beanstandet worden ist und auch danach noch zwischen ihnen
unterschiedliche Auffassungen bestanden haben, die zum Teil keiner gerichtlichen
Klärung zugeführt worden sind, erwächst kein Vertrauensschutz zugunsten des Klägers.
Denn die Beigeladene zu 8) hat die Vertragsärzte bereits mit ihrem Heft "KVNo Aktuell"
5/1997 (Praxisinformationen, S. I) auf die Notwendigkeit hingewiesen, die SSB-
Vereinbarung in der Verordnungspraxis zu beachten. Abgesehen davon können das
Unterlassen von Prüfanträgen bzw. der Verzicht darauf, gegen Beschlüsse des
Prüfungsausschusses Widerspruch einzulegen, dem Beklagten schon deshalb nicht
entgegengehalten werden, weil er auf diese nicht in seinem Verantwortungsbereich
liegenden Entscheidungen keinen Einfluss hat.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in der bis zum
01.01.2002 geltenden Fassung. Anlass, die Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG
zuzulassen, hat nicht bestanden. Der Rechtsstreit betrifft die Auslegung von
Vereinbarungen, deren Geltung auf den Zuständigkeitsbereich des erkennenden
Gerichts beschränkt ist. Soweit dabei Fragen von grundsätzlicher Bedeutung
angesprochen sind, erschließt sich deren Beantwortung unmittelbar aus der gefestigten
höchstrichterlichen Rechtsprechung.
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