Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 31.10.2000

LSG NRW: freiwillige versicherung, versicherungsschutz, krankenkasse, arbeitsentgelt, verzicht, fälligkeit, beitragsforderung, gehalt, firma, auskunft

Landessozialgericht NRW, L 5 KR 27/00
Datum:
31.10.2000
Gericht:
Landessozialgericht NRW
Spruchkörper:
5. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
L 5 KR 27/00
Vorinstanz:
Sozialgericht Düsseldorf, S 1 KR 87/98
Sachgebiet:
Krankenversicherung
Rechtskraft:
rechtskräftig
Tenor:
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts
Düsseldorf vom 17.01.2000 wird zurückgewiesen. Der Kläger trägt auch
die Kosten der Beigeladene zu 3) im Berufungsverfahren; im Übrigen
sind Kosten nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
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Streitig ist, ob der Kläger für die bei ihm früher beschäftigte Beigeladene zu 3)
Gesamtsozialversicherungsbeiträge zu leisten hat.
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Die Beigeladene zu 3) war seit dem 01.06.1994 bei dem Kläger, der unter der Firma S
(S) selbständig tätig ist, beschäftigt. Das Gehalt betrug zuletzt 4.000,00 DM brutto
monatlich. Es war nach § 6 Abs. 3 des Anstellungsvertrages bis zum letzten Werktag
des laufenden Monats zu zahlen.
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Aufgrund einer Verschlechterung der wirtschaftlichen Situation des Klägers zahlte er ab
Juni 1997 keine Gehälter mehr an seine Angestellten, darunter die bei der Beklagten
versicherte Beigeladene zu 3) und ein weiterer, bei einer anderen Krankenkasse
versicherter Mitarbeiter. Da der Kläger auch keine Gesamtsozialversicherungsbeiträge
mehr abführte, forderte die Beklagte mit Beitragsbescheiden vom 24.07.1997,
19.08.1997, 17.09.1997 und 17.10.1997 die Beiträge für die Monate Juni bis September
1997 nebst Säumniszuschlägen.
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Im Oktober 1997 traf der Kläger mit der Beigeladenen zu 3) und dem weiteren
Arbeitnehmer eine Vereinbarung mit (auszugsweise) folgendem Inhalt:
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"Es besteht Einigkeit, dass alle rückständigen Ansprüche aus Arbeitsvertrag auf
Zahlung von Vergütung, Auslagenersatz und sonstigen Leistungen gleich welcher Art,
seien sie bekannt oder unbekannt, erledigt sind.
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Zwischen den Parteien besteht des weiteren Einigkeit, dass diese Vereinbarung nur
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dann rechtswirksam wird, wenn die Arbeitnehmerin bis spätestens zum 21.10.1997 mit
Wirkung vom 01.11.1997 als Arbeitnehmerin von der Firma ... eingestellt wird zu
folgenden Konditionen ... ".
Mit Fax vom 22.10.1997 übersandte er der Beklagten diese Vereinbarung und vertrat in
der Folgezeit die Auffassung, auf Grund des Gehaltsverzichtes könnten keine Beiträge
für die vom Verzicht betroffenen Monate (Mai bis einschließlich Oktober 1997) gefordert
werden. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) könnten
nur für solche Arbeitsentgelte Sozialabgaben erhoben werden, die dem Arbeitnehmer
zuflössen. Die Beigeladene zu 3) habe für den Verzicht keine Gegenleistung erhalten,
ihr seien auch keine sonstigen wirtschaftliche Vorteile zugeflossen. Im weiteren Verlauf
übersandte er der Beklagten ein Schreiben einer Krankenkasse, bei der ein anderer
Arbeitnehmer versichert war, mit dem der Kläger eine entsprechende Vereinbarung
getroffen hatte. Er wies darauf hin, dass diese Krankenkasse auf Grund des
Gehaltsverzichts ihre Beitragsforderungen storniert hatte.
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Die Beklagte vertrat die Auffassung, dass nach der neueren Rechtsprechung des BSG
das Fälligkeitsprinzip gelte, so dass Beiträge aus dem bei Fälligkeit geschuldeten
Entgelt zu entrichten seien, auch wenn das Arbeitsentgelt tatsächlich nicht gezahlt
werde. Mit Bescheid vom 05.05.1998 stellte sie eine Beitragsforderung einschließlich
Nebenkosten (Säumniszuschläge und Mahngebühr) in Höhe von insgesamt 8.947,00
DM fest.
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Im Widerspruchsverfahren rügte der Kläger die Höhe der Säumniszuschläge und
machte darüber hinaus geltend, das BSG sei in seiner Entscheidung vom 30.08.1994, in
der es das Zuflussprinzip aufgegeben habe, davon ausgegangen, dass das Entgelt
noch "gefordert" werde. Im vorliegendem Falle habe die Beigeladene dagegen auf das
Gehalt verzichtet. Es sei im Übrigen ermessensfehlerhaft, wenn die Beklagte anders als
die andere Krankenkasse verfahre. Mit Bescheid vom 31.08.1998 berichtigte die
Beklagte den Bescheid vom 05.05.1998 bezüglich der Säumniszuschläge und hob
insoweit diesen Bescheid auf. Mit Widerspruchsbescheid vom 14.10.1998 wies sie den
Widerspruch im Übrigen unter Hinweis auf die Rechtsprechung vom BSG zurück.
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Im Klageverfahren hat der Kläger im wesentlichen sein Vorbringen aus dem
Verwaltungsverfahren wiederholt. Die Beigeladene zu 1) und 2) haben sich der
Auffassung der Beklagten angeschlossen, die Beigeladene zu 3) hat sich nicht
geäußert.
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Mit Urteil vom 17.01.2000 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Für die
Beitragspflicht sei nach der Rechtsprechung des BSG entscheidend, dass bei Fälligkeit
des Entgeltanspruches der Beitragsanspruch entstanden sei. Dabei sei zwischen dem
Schicksal des zivilrechtlichen Arbeitsentgeltanspruches und der öffentlich-rechtlichen
Beitragsforderung zu unterscheiden. Die Parteien des Arbeitsvertrages könnten zwar
über die zivilrechtlichen Ansprüche verfügen, nicht aber über den öffentlich-rechtlichen
Beitragsanspruch. Die Auffassung des Klägers führe im Übrigen dazu, dass die
betroffenen Arbeitnehmer im fraglichen Zeitraum versichert gewesen wären, ohne dass
insoweit Beiträge erhobenen worden wären. Wegen der Einzelheiten wird auf das Urteil
Bezug genommen.
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Mit seiner Berufung wiederholt der Kläger im Wesentlichen seinen bisherigen Vortrag.
Er weist darauf hin, dass die Frage, wie sich eine rückwirkender Gehaltsverzicht
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auswirke, vom BSG noch nicht entschieden worden sei. Die Auffassung des
Sozialgerichts führe zu unbilligen Ergebnissen. Wenn ein Arbeitnehmer auf Gehalt
verzichte, etwa um seinen Arbeitsplatz zu erhalten, sei es durch nichts gerechtfertigt,
von "fiktiven" Einnahmen Beiträge zu erheben. Soweit das SG darauf abgestellt habe,
dass Versicherungsschutz ohne Beitragsleistung bestanden hätte, sei dem entgegen zu
halten, dass auf Grund des Verzichts der Versicherungsschutz erloschen sei. Beide
Arbeitnehmer hätten von ihren Krankenkassen die Auskunft erhalten, dass bei einem
Gehaltsverzicht eine freiwillige Versicherung notwendig sei, um den
Versicherungsschutz aufrecht zu erhalten.
Der Kläger beantragt,
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das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 17.01.2000 zu ändern und die Bescheide
vom 05.05.1998 und 31.08.1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom
14.10.1998 aufzuheben, hilfsweise, die Revision zuzulassen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Die Beigeladene zu 2) schließt sich der Auffassung der Beklagten an, die übrigen
Beigeladenen haben sich nicht geäußert.
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Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte sowie der Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen, die Gegenstand der
mündlichen Verhandlung gewesen sind.
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Entscheidungsgründe:
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Die zulässige Berufung des Klägers ist nicht begründet. Das Sozialgericht hat mit
ausführlicher und überzeugender Begründung, der sich der Senat im vollem Umfang
anschließt (§ 153 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG)), die Verpflichtung des Klägers zur
Zahlung der geltend gemachten Gesamtsozialversicherungsbeiträge und
Säumniszuschläge bejaht.
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Der Vortrag des Klägers im Berufungsverfahren kann zu keiner anderen Beurteilung
führen. Zwar trifft es zu, dass das BSG in seiner neueren Rechtsprechung den Fall eines
nachträglichen Gehaltsverzichts noch nicht behandelt hat. Soweit der Kläger aber unter
Bezugnahme auf die Klageschrift auf das Urteil des BSG vom 18.11.1980 (SozR 2100 §
14 Nr. 7) verweist, übersieht er, dass sich das BSG mittlerweile von dem in der
damaligen Entscheidung zu Grunde gelegten Zuflussprinzip gelöst hat. Nach der
neueren Rechtsprechung des BSG (SozR 3-4100 § 160 Nr. 1; SozR 3-2200 § 385 Nr. 5;
SozR 3-2500 § 226 Nr. 2), die auch der Bundesgerichtshof (BGH) teilt (siehe zuletzt
BGH NJW 2000, 2993), besteht die Beitragspflicht und Fälligkeit der Beiträge
unabhängig davon, ob der Lohn für den fraglichen Zeitraum tatsächlich ausgezahlt wird.
Der Beitragsanspruch entsteht vielmehr zu dem in § 23 Abs. 1 Satz 2 Viertes Buch
Sozialgesetzbuch (SGB IV) bestimmten Zeitpunkt, wenn nur das Entgelt durch die
Arbeitsleistung "verdient" worden ist. Es ist deshalb unerheblich, auf Grund welchen
Tatbestands nachträglich die Lohnzahlung unterbleibt. Der Kläger irrt, wenn er meint,
das BSG verlange, dass das Arbeitsentgelt noch geschuldet werde. Das BSG hat
ausdrücklich entschieden, dass das nachträgliche Erlöschen des Lohnanspruchs durch
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Ablauf einer tariflichen Ausschlussfrist keinen Einfluss auf den darauf beruhenden
Beitragsanspruch habt (SozR 3-4100 § 160 Nr. 1; SozR 3-2200 § 385 Nr. 5). In der
zuletzt genannten Entscheidung hat das BSG auch ausgeführt, auch eine rückwirkende
Verringerung des Entgelts bringe die entstandene Beitragsforderung nicht zum
Erlöschen. Da somit ein entstandener Beitragsanspruch durch das Schicksal des
Entgeltanspruchs nicht berührt wird, ist auch der vollständige Verzicht auf Arbeitsentgelt
durch Erlassvertrag unerheblich. Es kann auch kein Unterschied machen, ob der
Anspruch auf Arbeitsentgelt durch einzel- oder kollektivvertragliche Vereinbarung
nachträglich erloschen ist.
Soweit der Kläger auf das Argument des Sozialgerichts, es habe anderenfalls
Versicherungsschutz ohne Beitragszahlung gewährt werden müssen, einwendet, dass
nach den den Arbeitnehmern erteilten Auskünften die Versicherungspflicht bei einem
Gehaltsverzicht erlösche und eine freiwillige Versicherung erforderlich sei, ist diese
Auffassung unzutreffend. Die Versicherungspflicht kann bei einem Gehaltsverzicht nur
für die Zukunft, nicht aber rückwirkend entfallen. Unzweifelhaft bestand im streitigen
Zeitraum das Beschäftigungsverhältnis der Beigeladenen fort und ebenso eindeutig
wurde das Entgelt bis zur Vereinbarung vom 17.10.1997 (genau: bis zum Eintritt der
Bedingungen in der Vereinbarung) geschuldet. Somit konnte die Beigeladene in dieser
Zeit auch ohne die tatsächliche Abführung von Beiträgen Versicherungsschutz von der
Beklagten verlangen. Die vom Kläger vertretene Auffassung würde im Übrigen dem
Prinzip widersprechen, dass entstandene Versicherungsverhältnisse nicht
rückabgewickelt werden sollen. Soweit der Beigeladenen zu 3) von der Beklagten eine
unzutreffende Auskunft erteilt worden sein sollte, kann der Kläger daraus nichts
herleiten, da bei einer fehlerhaften Beratung allenfalls Ansprüche der Beigeladenen zu
3) in Betracht kommen könnten.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
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Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor. Insbesondere hat der
Rechtsstreit im Hinblick auf die eindeutige Rechtsprechung des BSG keine
grundsätzliche Bedeutung.
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