Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 25.01.2001

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Landessozialgericht NRW, L 9 AL 110/99
Datum:
25.01.2001
Gericht:
Landessozialgericht NRW
Spruchkörper:
9. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
L 9 AL 110/99
Vorinstanz:
Sozialgericht Detmold, S 3 (9) AL 290/97
Nachinstanz:
Bundessozialgericht, B 7 AL 36/01 R
Sachgebiet:
Arbeitslosenversicherung
Rechtskraft:
nicht rechtskräftig
Tenor:
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts
Detmold vom 13. April 1999 geändert. Die Beklagte wird unter
Aufhebung des Bescheides vom 22. Juli 1997 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 28. November 1997 verurteilt, der
Klägerin Arbeitslosengeld vom 12. Juni bis 31. Dezember 1997 unter
Berücksichtigung der Leistungsgruppe A zu bewilligen. Die Beklagte hat
die der Klägerin in beiden Rechtszügen entstanden außergerichtlichen
Kosten zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
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Die Beteiligten streiten über die Höhe des der Klägerin zustehenden Arbeitslosengeldes
(Alg).
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Sie war zu Beginn des Jahres 1997 verheiratet und beitragspflichtig beschäftigt. Auf
ihrer Lohnsteuerkarte war die Steuerklasse V eingetragen. Seit März 1997 lebte sie von
ihrem Ehemann dauernd getrennt. Sie ließ deswegen Anfang April 1997 mit Wirkung
zum 01.05.1997 auf ihrer Lohnsteuerkarte die Steuerklasse IV ein tragen. Ihr
Arbeitsverhältnis endete auf Grund arbeitgeberseitiger Kündigung vom 02.05.1997 zum
08.06.1997.
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Die Klägerin meldete sich am 12.06.1997 arbeitslos und beantragte Alg. Die Beklagte
bewilligte ihr dieses mit Bescheid vom 22.07.1997 unter Berücksichtigung eines
wöchentlichen Arbeitsentgeltes von 470,00 DM, des allgemeinen Leistungssatzes und
der Leistungsgruppe D, die der Steuerklasse V entspricht. Die Klägerin erhob gegen
diesen Bescheid am 15.08.1997 Widerspruch mit der Begründung, ihr stünden die
Leistungen nach der Leistungsgruppe A zu, weil auf ihrer Lohnsteuerkarte die
Steuerklasse IV eingetragen sei. Die Beklagte wies den Widerspruch durch Bescheid
vom 28.11.1997 zurück. Sie führte zur Begründung aus, für die Zuordnung der
Leistungsgruppe sei nach § 113 Abs. 1 Arbeitsförder ungsgesetz (AFG) die
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Steuerklasse maßgebend, die zu Beginn des Kalenderjahres eingetragen sei. Bei
Ehegatten sei nach § 113 Abs 2 AFG ein Lohnsteuerklassenwechsel nur dann zu
berücksichtigen, wenn die neu eingetragenen Lohnsteuerklassen dem Verhältnis der
monatlichen Arbeitslöhne beider Ehegatten entsprächen, also zweckmäßig seien. Dies
sei bei der Klägerin nicht gegeben, weil ihr Ehemann über ein monatliches
Bruttoeinkommen in Höhe von ca. 4.000,00 DM und die Klägerin selbst über ein solches
in Höhe von 2.030,00 DM verfügten. In diesem Fall sei die Steuerklassenkombination
IV/IV nicht zweckmäßig. Das Alg sei daher weiterhin nach der Leistungsgruppe D zu
bemessen, die der Steuerklasse V entspreche (zugestellt am 01.12.1997).
Hiergegen richtet sich die am 09.12.1997 erhobene Klage. Die Klägerin hat zu deren
Begründung weiterhin vorgetragen, die Steuerklasse IV sei für sie zweckmäßig
gewesen. Der Wechsel habe auf einem sachlichen Grund beruht. Ihr Ehemann habe
keinen Unterhalt gezahlt.
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Die Klägerin hat beantragt,
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die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 22.07.1997 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 28.11.1997 zu verurteilen, ihr für die Zeit vom 12.06.1997
bis 31.12.1997 Arbeitslosengeld nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften zu
bewilligen.
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Die Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie hat die angefochtenen Bescheide für Rechtens gehalten.
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Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 13.04.1999 abgewiesen. Wegen der
Einzelheiten wird auf die Entscheidungsgründe verwiesen.
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Gegen das am 19.05.1999 zugestellte Urteil richtet sich die am 21.06.1999 eingelegte
Berufung. Die Klägerin verbleibt zu deren Begründung bei ihrer Auffassung, dass für
den Lohnsteuerklassen wechsel ein sachlicher Grund bestanden habe, weil ihr
Ehemann keine Unterhaltszahlungen geleistet habe. Demzufolge könne § 113 Abs. 2
Satz 2 AFG keine Anwendung finden. Es lägen keine objektiven Anhaltspunkte dafür
vor, dass der Steuerklassenwechsel aus Gründen der Manipulation zum Erreichen
eines höheren Algs erfolgt sei.
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Die Klägerin beantragt,
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das Urteil des Sozialgerichts Detmold vom 13.04.1999 zu ändern und nach dem
Klageantrag erster Instanz zu erkennen, mit der Maßgabe, dass Arbeitslosengeld nach
der Leistungsgruppe A beansprucht wird.
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Die Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Sie hält das angefochtene Urteil auch unter dem Gesichtspunkt, dass die
Lohnsteuerrichtlinien 1996 einen zweiten Steuerklassen wechsel zwischen Eheleuten
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anlässlich einer dauernden Trennung zulassen, für zutreffend.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
vorbereitenden Schriftsätze sowie der Verwaltungsakte der Beklagten - Stammnr.: ...
Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
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Entscheidungsgründe:
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Die zulässige Berufung der Klägerin ist begründet. Das angefochtene Urteil ist zu
ändern und der Klage stattzugeben. Die Klägerin hat für die Zeit vom 12.06. bis
31.12.1997 Anspruch auf höheres Alg nach der Leistungsgruppe A.
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Dass sie gemäß § 100 AFG einen Anspruch auf Alg dem Grunde nach hat, steht außer
Zweifel. Sie hat alle Anspruchsvoraussetzungen erfüllt.
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Die Beklagte hat dieses aber gemäß § 111 Abs 1 Nr 2 AFG nicht nur nach dem
allgemeinen Leistungssatz zu bemessen, sondern auch nach Abs 2 Satz 2 Buchst. a
dieser Vorschrift die Leistungssätze der Leistungsgruppe A entsprechend der
Lohnsteuerklasse IV zu berücksichtigen, weil kein Fall des § 113 Abs 2 AFG gegeben
ist. Das Bundessozialgericht (BSG) hat zwar in seiner Entscheidung vom 28.11.1985
(SozR 4100 § 113 Nr. 4) entschieden, dass sich eine Trennung der Eheleute und ein
Steuerklassenwechsel im laufenden Kalenderjahr bei erheblich differierendem
Einkommen nicht auf die Leistungsgruppenzuordnung nach § 111 Abs 2 AFG auswirke.
Eine Lohnsteuerklasse, deren Eintragung in der Lohnsteuerkarte des Arbeitnehmers bei
der Steuerbehörde nicht durchgesetzt werden könne, könne nicht den Leistungen nach
dem AFG zu Grunde gelegt werden. Gegenüber dieser Entscheidung ist in den
steuerrechtlichen Verhältnissen aber eine grundlegende Änderung eingetreten. Die
Beklagte hat in ihrer Berufungsstellungnahme bereits dargelegt, dass gegenüber den
bis 31.12.1995 geltenden Lohnsteuerrichtlinien (LStR) 1993 ab 01.01.1996
(Bundesanzeiger vom 29.11.1995, Nr. 224 a, 92, 93) eine wesentliche Änderung
eingetreten ist. Nach Nummer 109 Abs 2 Satz 2LStR 1996 ist anlässlich einer Trennung
der Eheleute auf Dauer nicht nur ein einmaliger Wechsel der Steuerklasse im laufenden
Kalenderjahr zulässig, sondern in Verbindung mit Abs 5 Satz 5 darüber hinaus eine
Änderung der Eintragung auf der Lohnsteuerkarte auch für den Fall, dass sich die
Ehegatten auf Dauer getrennt haben. In diesem Fall besteht also seit 01.01.1996 ein
durchsetzbarer Anspruch gegenüber dem Finanzamt, die Lohnsteuerklasse ausgerichtet
an den Einkommensverhältnissen des jeweiligen Ehegatten zu ändern. Damit ist
seitens der Finanzverwaltung anerkannt worden, dass die dauernde Trennung einen
objektiven und sachlich gerechtfertigten Grund darstellt, die Steuerklasse zu wechseln -
was die Beklagte und das Sozialgericht im vorliegenden Fall für die Klägerin zwar auch
als sinnvoll anerkannt, aber nicht für durchsetzbar angesehen haben. Der Senat hält es
unter diesen Umständen für gerechtfertigt, die vom BSG im Urteil zum
Steuerklassenwechsel zwischen neu verheirateten Ehegatten entwickelten Grundsätze
(BSG SozR 4100 § 113 Nr 2) auf den vorliegenden Fall zu übertragen (eben so Gagel,
AFG, Stand Januar 1998, § 113 Rn 66, 67). Das BSG hat dort ausgeführt, für den Fall,
dass sich eine von den Verhältnissen zu Beginn des Kalenderjahres abweichende
tatsächliche Veränderung ergebe, habe es der Regelung des § 113 Abs 2 AFG nicht
bedurft, und zwar auch nicht für Ehegatten. Denn insoweit folge allein daraus das
objektive Gebotensein der Änderung einer Steuerklassen eintragung, sofern dies das
Steuerrecht vorsehe. Derartige Änderungen von Steuerklassen seien nicht willkürlich
vollziehbar, sondern von Sachumständen abhängig, die zwar auch vom Willen der
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Beteiligten abhängig sein könnten, aber regelmäßig nicht mit dem Ziel der
Manipulierung eines zu erwartenden Alg-Bezuges verursacht würden. Ein derartiger
Sachverhalt werde daher bereits von § 113 Abs 1 AFG mit den sich daraus ergebenen
Folgen abgedeckt. So ist es auch im vorliegenden Fall. Die Klägerin hatte sich im März
1996 von ihrem Ehemann dauernd getrennt. Da dieser keine Unterhaltsleistungen
erbrachte, änderte sie Anfang April 1997 die Lohnsteuer klasse V zu ihren Gunsten in
die Klasse IV, um eine höhere monatliche Arbeitsentgeltauszahlung zu erreichen. Zu
dieser Zeit stand sie noch in einem ungekündigten Arbeitsverhältnis. Die Kündigung
erfolgte erst am 02.05. zum 08.06.1997. Angesichts dieser Umstände ist nicht
ersichtlich, dass der Lohnsteuerklassenwechsel aus Grün den der Manipulation erfolgt
ist. Er ist vielmehr sachlich sinnvoll und gerechtfertigt gewesen sowie im Hinblick auf die
steuerliche Seite als objektiv geboten anzusehen. Damit wird er aber nicht von den §
113 Abs 2 AFG erfasst, sondern von dessen Abs 1, so dass ihn die Beklagte trotz der
erheblichen Differenz zwischen den Einkommen der Ehegatten bereits ab
Antragstellung zu berücksichtigen und Alg-Leistungen gemäß § 111 Abs 2 S 2 Buchst. a
AFG nach der Leistungsgruppe A für die streitige Zeit zu erbringenden hat.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
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Der Senat hat die Revision gemäß 160 Abs 2 Nr 1 SGG zugelassen.
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