Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 21.04.2005

LSG NRW: eheähnliche gemeinschaft, schutz der ehe, eheähnliche lebensgemeinschaft, haushalt, wohnung, meinung, nacht, versorgung, zusammenleben, ausstattung

Datum:
Gericht:
Spruchkörper:
Entscheidungsart:
Vorinstanz:
Sachgebiet:
Tenor:
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Aktenzeichen:
Rechtskraft:
Landessozialgericht NRW, L 9 B 4/05 SO ER
21.04.2005
Landessozialgericht NRW
9. Senat
Beschluss
L 9 B 4/05 SO ER
Sozialgericht Düsseldorf, S 35 SO 23/05 ER
Sozialhilfe
rechtskräftig
Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des
Sozialgerichts Düsseldorf vom 22. Februar 2005 geändert. Die
Antragsgegnerin wird verpflichtet, dem Antragsteller zu 2) ab 07. Februar
2005 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts einschließlich der
angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung nach dem SGB II
vorläufig in Höhe von 150,00 Euro monatlich bis zum 31. Mai 2005 zu
zahlen. Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt. Die Antragsgegnerin trägt
1/3 der außergerichtlichen Kosten der Antragsteller.
Gründe:
I.
Die Beteiligten streiten über Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für
Arbeitsuchende - (SGB II).
Die Antragsteller (Ast) bezogen bis zum 30.11.2004 Leistungen zur Hilfe zum
Lebensunterhalt nach dem Bundessozialhilfegesetz und beantragten im Oktober 2004
Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Die Ast zu 1) ist die
Mutter der Kinder S (Ast zu 2, geb. am 23.01.1996) und D (Ast zu 3, geb. am 26.12.2001).
Als Vater der D ist F L (L.) unterhaltsverpflichtet und zahlt monatlich 111,00 Euro an die Ast
zu 1).
Mit einer anonymen Anzeige hatte die Antragsgegnerin (Ag) bereits im Oktober 2004 einen
Hinweis erhalten, dass L. mit der Ast zu 1) seit ihrem Einzug in die jetzige Wohnung dort
als Lebensgefährte lebe. Die Ag veranlasste daraufhin im November 2004 einen
Hausbesuch bei der Ast zu 1) durch den Besuchsdienst. Nach dessen Bericht ergaben sich
Anhaltspunkte dafür, dass sich L. bei der Ast zu 1) und den Kindern aufhalte. Die Ag erfuhr
ferner, dass in der Betriebskostenabrechnung für die Wohnung schon ab 01.01.2003 ein
Verbrauch für vier Personen anstelle von drei zugrundegelegt werde. Die Ag lehnte
daraufhin den Antrag der Ast mit Bescheid vom 13.12.2004 ab. Sie führte zur Begründung
aus, in der Bedarfsgemeinschaft lebe auch der Vater der Ast zu 3) - L. -. Sie gehe daher
davon aus, dass L. den Unterhalt der Bedarfsgemeinschaft sicherstellen könne und somit
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davon aus, dass L. den Unterhalt der Bedarfsgemeinschaft sicherstellen könne und somit
keine Bedürftigkeit gegeben sei.
Die Ast legten gegen diesen Bescheid Widerspruch ein und erhoben zwischenzeitlich
Klage zum Sozialgericht Düsseldorf - Az.: S 35 SO 24/05 -.
Sie beantragten am 07.02.2005 zudem den Erlass einer einstweiligen Anordnung zur
Zahlung von Hilfe zum Lebensunterhalt einschließlich Wohnkosten nach dem SGB II. Sie
führten zur Begründung aus, die Ast zu 1) und L. lebten nicht in einer eheähnlichen
Gemeinschaft. Da L. der Vater der Ast zu 3) sei, komme er nur öfter zu Besuch und bleibe
auch einmal über Nacht. Hieraus könne aber nicht auf das Bestehen einer eheähnlichen
Lebensgemeinschaft geschlossen werden. Da die Ast keine Leistungen mehr erhielten, sei
eine Eilentscheidung angezeigt.
Das Sozialgericht hat am 15.02.2005 Beweis erhoben zur Frage des Zusammenlebens
durch uneidliche Vernehmung des L ... Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird
auf die Sitzungsniederschrift Bezug genommen.
Es hat sodann mit Beschluss vom 22.02.2005 dem Antrag der Ast entsprochen und die Ag
im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, den Ast Leistungen nach dem SGB II ab
01.01.2005 vorläufig in Höhe von 80 % zu gewähren. Zur Begründung hat das SG
ausgeführt, die Ast hätten einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht, weil nicht von
dem Bestehen einer eheähnlichen Gemeinschaft auszugehen sei. Dies ergebe sich aus
der Aussage des Zeugen L., wonach ein Zusammenleben der Ast zu 1) und L. "auf Dauer
nicht gut gehen" würde. Darüber hinaus hat das Sozialgericht die Auffassung vertreten,
dass die Heranziehung der eheähnlichen Gemeinschaft im Rahmen der Überprüfung der
Hilfebedürftigkeit verfassungswidrig sein dürfte. Insbesondere im Verhältnis der
nichtehelichen Lebensgemeinschaft (zwischen einem Mann und einer Frau) und dem
gleichartigen Verhältnis zweier homosexueller Partner dürfte diese Regelung einen
Verstoß gegen das Gleichheitsgebot (Art. 3 Grundgesetz - GG) darstellen. Wegen der
Einzelheiten wird auf die Gründe verwiesen.
Gegen den am 25.02.2005 zugestellten Beschluss richtet sich die am 03.03.2005
eingelegte Beschwerde der Ag. Sie verbleibt aufgrund des Ergebnisses des Hausbesuchs
bei ihrer Auffassung, dass von dem Vorliegen einer eheähnlichen Gemeinschaft
auszugehen sei. Darüber hinaus könne auch keine Verfassungswidrigkeit der
Einbeziehung der eheähnlichen Gemeinschaft in die Überprüfung der Hilfebedürftigkeit
angenommen werden. Denn diese Regelung habe bereits unter der Geltung des BSHG
bestanden, damit Partner einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft nicht besser gestellt
würden als Ehegatten.
Das Sozialgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen (Beschluss vom 03.03.2005).
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Beschluss des Sozialgerichts Düsseldorf vom 22.02.2005 abzuändern und die Anträge
abzulehnen.
Die Antragsteller beantragen,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Sie halten den angefochtenen Beschluss für zutreffend und das Vorliegen einer
eheähnlichen Gemeinschaft zwischen der Ast zu 1) und L. nicht für gegeben.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
vorbereitenden Schriftsätze sowie der Verwaltungsakten der Antragsgegnerin - Az: 000
Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
II.
Die zulässige Beschwerde der Ag ist insoweit begründet, als die Ast zu 1) und 3) im Wege
der einstweiligen Anordnung keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des
Lebensunterhalts nach dem SGB II haben. Im Übrigen ist sie hinsichtlich des Ast zu 2)
unbegründet.
Die Ast zu 1) hat als erwerbsfähige Hilfsbedürftige ebenso wie die Ast zu 3) als ihr und des
L. leibliches Kind keinen Anspruch auf die Zahlung von Leistungen nach dem SGB II (Alg
II/Sozialgeld) im Wege der einstweiligen Anordnung nach § 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG, weil
sie bereits keinen Anordnungsanspruch, d.h. das Bestehen des materiellen Rechts auf Alg
II/Sozialgeld - Leistungen, das ohne vorläufige Regelung gefährdet sein könnte, glaubhaft
gemacht haben.
Gemäß § 7 Abs. 3 SGB II sind die Ast zu 1) (nach Nr. 1), die Ast zu 2) und 3) als deren im
Haushalt lebende minderjährige, unverheiratete Kinder (nach Nr. 4) sowie schließlich auch
L. (nach Nr. 3 b) in die Bedarfsgemeinschaft einzubeziehen, weil letzterer mit der Ast zu 1)
in eheähnlicher Gemeinschaft lebt. Sein Einkommen ist daher nach § 9 Abs. 2 Satz 1 SGB
II bei der Feststellung der Hilfebedürftigkeit der Ast zu 1) und zu 3) zu berücksichtigen.
Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts spricht auch bei einer im einstweiligen
Verfahren gebotenen summarischen Prüfung aufgrund der Sachlage schon mehr für das
Bestehen einer eheähnlichen Gemeinschaft als dagegen. Die eheähnliche Gemeinschaft
ist nach einhelliger gefestigter Rechtsprechung definiert als die Lebensgemeinschaft eines
Mannes und einer Frau, die auf Dauer angelegt ist, daneben keine weitere
Lebensgemeinschaft gleicher Art zulässt und sich durch innere Bindungen auszeichnet, die
ein gegenseitiges Einstehen der Partner füreinander begründen, also über die
Beziehungen einer reinen Haushalts- und Wirtschaftsgemeinschaft hinausgehen (BVerfGE
87, 234, 264; zuletzt wohl Beschluss vom 02.09.2004, 1 BvR 1962/04, m.w.N.).
Als wichtige Indizien für die Feststellung einer solchen eheähnlichen Gemeinschaft hat das
BVerfG die lange Dauer des Zusammenlebens, die Versorgung von Kindern und
Angehörigen im gemeinsamen Haushalt und die Befugnis, über Einkommen und
Vermögensgegenstände des anderen Partners zu verfügen, genannt (BVerfG, Urt. v.
17.11.1992, SozR 3-4100 § 137 Nr. 3). Hinsichtlich der Dauer des Zusammenlebens sind
wichtige Hinweistatsachen die Dauer und Intensität der Bekanntschaft vor Begründung der
Wohngemeinschaft, der Anlass für das Zusammenziehen, die konkrete Lebenssituation
während der streitgegenständlichen Zeit und die nach außen erkennbare Intensität der
gelebten Gemeinschaft (BVerwG v. 17.05.1996 - 5 C 16/96 - BVerwGE 98, 195-202), wobei
das BSG eine "Drei-Jahres-Grenze" (vgl. BSG SozR 3-4100 § 119 Nr. 15) des
Zusammenlebens nicht als zeitliche Mindestvoraussetzung für das Bestehen einer
eheähnlichen Gemeinschaft verstanden hat (BSG SozR 3-4300 § 144 Nr. 10; Spellbrink in
Eicher/Spellbrink, SGB II, 2005, § 7 Rdnr. 27).
Entgegen den Ausführungen des Sozialgerichts in seinem Nichtabhilfebeschluss sind
damit aber keineswegs "einzig zulässige" und abschließend aufgezählte Indizien für eine
eheähnliche Lebensgemeinschaft beschrieben, die zudem - wie vom SG durch numerative
Aufzählung suggeriert - kumulativ vorliegen müssen. Vielmehr sind damit für den
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Rechtsanwender nur die (maßgeblichen) Umstände mit individueller Bedeutung zur
Ausfüllung des unbestimmten Rechtsbegriffs "eheähnliche Gemeinschaft" erläutert. Diese
Indizien oder besser "Hinweistatsachen" können schon von ihrer Bedeutung und nach Sinn
und Zweck nicht abschließende Kriterien sein. Für die Beurteilung, ob eine eheähnliche
Gemeinschaft vorliegt, ist stets maßgebend, ob das "Gesamtbild" aller zu wertenden
Tatsachen die Annahme des Vorliegens einer solchen Gemeinschaft rechtfertigt (einhellige
Meinung: BVerwGE 98, 195 ff. = NJW 95, 2802; BVerfGE 87, 235 ff., 264, 265 = BSGSozR
3 - 4100 § 137 Nr. 3; Rothkegel, Sozialhilferecht, Teil III, Kapitel 13 Rn. 10 ff. = S. 324;
Grube/Wahrendorf, SGB XII, § 20 Rn. 11 ff.). Das SG verkennt auch, dass auch nicht
andeutungsweise festgelegt ist, für das Indiz einer längeren Dauer des Zusammenlebens
werde zwingend ein Zeitraum von drei Jahren vorausgesetzt. Die vom Sozialgericht zitierte
Literaturstelle (Hauck/Noftz, SGB III, Stand 2004, § 193 Anm. 4) verweist lediglich auf die
von der Bundesagentur für Arbeit zu § 193 Nr. 2 Abs. 3 SGB III in den Dienstanweisungen
geäußerte Meinung. Eine starre Grenze der Dauer des Zusammenlebens ist damit aber
nicht festgelegt. Vielmehr sind die Zeiträume entsprechend den Lebensgestaltungen
mehrgestaltig (vgl. insoweit Rothkegel, a.a.O., Rn. 11: Grube/Wahrendorf, a.a.O., Rn. 12).
Hiervon ausgehend hat die - hierfür beweispflichtige - Ag glaubhaft gemacht, dass mit
überwiegender Wahrscheinlichkeit zwischen der Ast zu 1) und L. eine eheähnliche
Gemeinschaft vorliegt. Die hiergegen gerichteten Einwände der Ast zu 1) sind insoweit
nicht plausibel und schlüssig. Nach den bekannten Umständen sprechen lediglich die
Existenz eines eigenen Kontos der Ast zu 1) gegen die Annahme einer Gemeinschaft
sowie der auf ihren Namen abgeschlossene Vertrag über eine Hausratversicherung. Im
Übrigen sprechen aber zahlreiche Hinweise für das Bestehen einer eheähnlichen
Gemeinschaft. Insoweit ist entgegen der Auffassung des Sozialgerichts zunächst einmal zu
berücksichtigen, dass die anderweitige polizeiliche Meldung des L. bei seiner Mutter nicht
gegen die Annahme einer Gemeinschaft spricht, sondern gerade dafür. Denn nach dem
Ergebnis der Nachfragen der Ag - von L. nicht in Zweifel gezogen - lebt die Mutter lediglich
in einer Einzimmerwohnung von ca. 45 qm. Angesichts dieses beschränkten
Wohnungsumfangs und eines für ihre persönliche Lebensgestaltung wegen des Alters
erforderlichen Raumbedarfs ist es als fast ausgeschlossen anzusehen, dass der 28 Jahre
alte L. dauerhaft tatsächlich bei ihr lebt. An dieser Beurteilung ändert auch nichts seine
Tätigkeit als Reisegewerbetreibender. Hierdurch mögen Abwesenheitszeiten auftreten. Es
ist aber schon nicht nachvollziehbar, weshalb die Ast zu 1) bezüglich der
Abwesenheitsdauer die abweichende Angabe gemacht hat, dass L. etwa 9 Monate im Jahr
unterwegs sei, während dieser nach seiner eigenen Zeugenaussage "nur im Sommer"
reist. Zudem ist ein dauerhaftes Wohnen des L. bei seiner Mutter schon nicht glaubhaft,
weil er sich um sein Kind kümmert und deswegen die Ast. zu 1) schon nach deren
Angaben häufiger besucht und auch "mal" über Nacht dort bleibt. Es ist dann nicht
wahrscheinlich, dass L. in dem Halbjahr der Anwesenheit und darüber hinaus auch
zeitweise im Sommer in der ohnehin zu engen Wohnung der Mutter mit dieser leben soll
und nicht in der größeren und angemessenen der Ast zu 1) und seines leiblichen Kindes.
Dass dort für seine regelmäßige Anwesenheit im Sinn eines Lebensaufenthalts gesorgt ist,
ist dem - wenn auch kurzen - Bericht des Besuchsdienstes der Ag zu entnehmen. Zum
einen verfügt die Wohnung danach über eine nach Meinung des Dienstes gehobene
Ausstattung. Selbst wenn die Ast zu 1) den Begriff "gehoben" nicht für aussagekräftig
ansieht und dieser Begriff auch aus Sicht des Senats interpretrationsbedürftig ist, kommt
damit doch zum Ausdruck, dass die Ausstattung vom ersten Anschein her offenbar nicht
allein mit Sozialhilfeleistungen angeschafft werden konnte. Zum anderen kommt als
wichtiges Indiz hinzu, dass sich geordnet in einer Hälfte des Schlafzimmerschranks
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Herrenbekleidung befunden hat und ein bezogenes und genutztes Doppelbett vorhanden
gewesen ist. Auch das Bad ist für L. eingerichtet, da er nach dem Bericht des
Außendienstes über die Angaben der Ast zu 1) bei seiner Reise seine Pflegeutensilien
mitnimmt, sie also ansonsten dort aufgestellt sind.
Dem regelmäßigen gemeinsamen Zusammenleben der Ast. zu 1) und des L. entspricht
auch der Umstand, dass für die Wohnung jedenfalls schon seit 01.01.2003 ein
Nebenkostenverbrauch für vier statt für drei Personen der Ast zu 1) in Rechnung gestellt
wird. Dass sich dieser lediglich aus dem zeitweisen Aufenthalt der Schwester ergeben
haben soll, ist nicht plausibel. Denn es ist nicht erklärbar, dass die Ast zu 1) von ihren
geringen Sozialhilfemitteln auch noch diese - sonst bei den Eltern lebend - insoweit
unterhalten und die Kosten nach der Umstellung der Abrechnung auf vier Personen
übernommen haben will. Dies ist nur unter dem Gesichtspunkt erklärbar, dass die Ast. zu 1)
doch über weitere Mittel als die Hilfeleistungen der Ag verfügt. Die Wohn- und damit auch
im Ansatz die wirtschaftlichen Umstände sprechen damit schon mehr für als gegen das
Bestehen einer eheähnlichen Gemeinschaft.
Für eine wesentliche innere Bindung spricht zunächst der Umstand der im Jahre 2001
geborenen gemeinsamen Tochter (Ast zu 3). Dieses Kind lebt durchgängig im Haushalt der
Ast zu 1) und wird auch ausschließlich dort von L. betreut und versorgt. Dieses Indiz der
gemeinschaftlichen Versorgung in nur einem Haushalt spricht ganz wesentlich auch im
Sinn der oben zitierten Rechtsprechung für das Bestehen der eheähnlichen Gemeinschaft.
Letztlich ist auch nicht unbeachtlich, dass dieses Erscheinungsbild der Ast zu 1) und des L.
nach außen das einer eheähnlichen Gemeinschaft gewesen ist, das zu einer anonymen
Anzeige geführt hat.
In Würdigung aller vorgenannten Umstände spricht damit das Gesamtbild für ein Vorliegen
einer eheähnlichen Gemeinschaft zwischen der Ast zu 1) und L., das durch ein Bestreiten
ihrer Existenz auch mit Rücksicht auf den insgesamt unglaubwürdigen Eindruck, den die
Ast zu 1) in der mündlichen Verhandlung am 21.04.2005 vor dem Senat gemacht hat, nicht
in Frage gestellt werden kann. Damit hat die Ag aber zu Recht angenommen, dass L. sein
Einkommen zur Deckung des Lebensbedarfs der Ast zu 1) einzusetzen hat. Diese sowie L.
haben hierzu während des bisherigen Verfahrens keine Angaben gemacht, so dass nicht
feststellbar ist, ob die Ast zu 1) hilfebedürftig ist. Die Ag ist zwar insgesamt für das
Vorliegen einer eheähnlichen Gemeinschaft und die fehlende Hilfsbedürftigkeit
beweispflichtig. Die Ast zu 1) als Hilfebedürftige muss auch keine Angaben zu Mit- und
Untermietern und deren Einkommen im Einzelnen machen. Für die Zwecke der
Grundsicherung für Arbeitsuchende reicht es aus, wenn sie ihre eigenen (Miet)Anteile
sowie ihr Einkommen angibt. Sie trägt aber das rechtliche Risiko dafür, dass entgegen ihrer
Angabe doch eine eheähnliche Lebensgemeinschaft vorliegt (vgl. BVerfG vom 02.09.2004
- 1 BvR 1962/04). Damit muss sich die Ast zu 1) die fehlende Feststellbarkeit ihrer
Hilfsbedürftigkeit entgegenhalten lassen, so dass sie das Bestehen eines
Leistungsanspruchs und damit auch eines Anordnungsanspruchs nicht glaubhaft gemacht
hat. Der Beschluss des Sozialgerichts ist mithin bereits aus diesem Grund betreffend die
Ast zu 1) aufzuheben.
Der Senat hat im Übrigen auch - entgegen der Auffassung des Sozialgerichts - keine
Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit von § 7 Abs. 3 Nr. 3 b) SGB II. Das Sozialgericht
übersieht bereits, dass das BVerfG in seiner grundlegenden Entscheidung vom 17.11.1992
(SozR 3 - 4100 § 137 Nr. 3) die eheähnliche Gemeinschaft und die Berücksichtigung deren
Einkommens in die Bedürftigkeitsprüfung des Hilfeempfängers zum Schutz und zur
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Verhinderung einer Ungleichbehandlung der Ehe als vertretbare, verfassungsgemäße
gesetzgeberische Entscheidung angesehen hat. Ausgangs- und Bezugspunkt einer
Verfassungsbetrachtung ist allein die Ehe und nicht die Beziehung von
Lebensgemeinschaften untereinander allgemein. Insoweit hat es das BVerfG dem
Gesetzgeber überlassen, welche Form von Lebensgemeinschaften zum Schutz der Ehe in
eine Bedarfs- und Einstandsgemeinschaft einzubeziehen sind. Die Berücksichtigung von
anderen Lebens-, Haushalts- und Wirtschaftsgemeinschaften - wie etwa Gemeinschaften
zwischen gleichgeschlechtlichen Partnern, die nicht Lebenspartner nach dem LPartG sind,
oder Verwandten - hat es nicht für erforderlich gehalten. Entgegen den allgemein
gehaltenen Behauptungen des Sozialgerichts zu deren Verbreitung und Häufigkeit, die
allein für sich genommen zudem keinen Aussagewert haben, ist auch nicht eine solche
Zunahme derer Existenz erkennbar, dass angesichts deren Gewichts über die Regelungen
des Partnerschaftsgesetzes hinaus die Pflicht des Gesetzgebers zum Handeln die einzig
denkbare Konsequenz und der gegenwärtige Rechtszustand überdies wegen eines
Verstoßes gegen Art. 3 GG verfassungswidrig wäre. Davon kann aber nicht die Rede sein.
Die Nichtberücksichtigung der eheähnlichen Gemeinschaft von Mann und Frau wäre im
Hinblick auf die dann alleinige Berücksichtigung der Ehe verfassungswidrig. Es gibt aber
keinen Grund, Einkommen und Vermögen von Eheleuten nicht zu berücksichtigen, so dass
unabhängig von einer Notwendigkeit der Erfassung anderer menschlicher Lebenformen
jedenfalls die Gleichbehandlung der eheähnlichen Gemeinschaft eines Mannes und einer
Frau - und ausschließlich darum geht es hier - vom Ansatz her auch nicht im Licht des Art. 3
GG verfassungwidrig sein kann.
Es bleibt vielmehr dabei, dass die Einbeziehung der eheähnlichen Lebensgemeinschaft in
die Bedarfs- und Einstandsgemeinschaft zum Schutz der Ehe, der gesetzlich in den
bisherigen §§ 122 BSHG, jetzt: 20 SGB XII, 137 Abs. 2 a AFG, ab 01.01.1998: § 193 SGB
III, 7 Abs. 3 Nr. 2 BSGB II zum Ausdruck gekommen ist, entsprechend den Ausführungen
des BVerfG verfassungsgemäß ist. Ausgehend von dieser Verfassungsmäßigkeit der
Einbeziehung der eheähnlichen Gemeinschaften in die Bedürftigkeitsberechnung wie bei
Eheleuten und einer Gleichstellung mit diesen, könnte sich nur die Frage stellen, ob auch
weitere Lebensgemeinschaften einzubeziehen wären. Deren Beantwortung liegt aber in
der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers und steht vorliegend nicht zur Diskussion. Denn
auf sie kommt es bei der vorliegenden Sach- und Rechtslage nicht an. Da die
Heranziehung der eheähnlichen Gemeinschaft verfassungsgemäß und nur zu prüfen ist, ob
die Ast zu 1) und L. eine solche bilden, andere Lebensgemeinschaften vorliegend nach
dem Sachverhalt nicht betroffen sind, sind die Ausführungen des Sozialgerichts insoweit
nicht entscheidungserheblich.
Auch die Ast zu 3) hat entgegen der Meinung des Sozialgerichts keinen
Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Sie ist zwar gemäß § 7 Abs. 3 Nr. 4 SGB II
Leistungsberechtigte, weil sie als minderjähriges, unverheiratetes Kind im Haushalt der Ast
zu 1) lebt. Sie ist als ca. 4 ½ -Jährige auch nach § 9 Abs. 1 SGB II hilfebedürftig und verfügt
nach den glaubhaften Angaben im Antrag über kein Vermögen. Somit kann sie ihren
Lebensunterhalt nicht selbst und auch nicht durch die Ast zu 1), die über kein Vermögen
oder Einkommen verfügt, sicherstellen. Als Elternteil ist nach § 9 Abs. 2 Satz 2 SGB II aber
insbesondere auch L. als Vater zur Unterhaltssicherung heranzuziehen. Da zu dessen
wirtschaftlichen Verhältnissen keine Angaben von ihm, der Ast zu 1) und keine sonstigen
Erkenntnisse vorliegen, gilt das hierzu oben zu Ast zu 1) Ausgeführte. Sie muss sich die
Nichtfeststellbarkeit entgegenhalten lassen, so dass auch die Ast zu 3) keinen
Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht und die Ag zu Recht den Antrag auch ihr
gegenüber abgelehnt hat.
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Die Beschwerde der Ag betreffend die Ast zu 1) und 3) gegen den angefochtenen
Beschluss ist daher begründet.
Im Übrigen ist die Beschwerde der Ag unbegründet und der angefochtene Beschluss im
Ergebnis zu bestätigen. L. hat sein Einkommen nicht zu Gunsten des Ast zu 2) einzusetzen,
so dass dieser einen Bedarf zur Deckung seines Lebensunterhalts hat und bedürftig ist.
Der Ast zu 2) ist gemäß § 7 Abs. 3 Nr. 4 SGB II Leistungsberechtigter, weil er als
minderjähriges, unverheiratetes Kind im Haushalt der Ast zu 1) lebt. Er ist auch nach § 9
Abs. 1 SGB II hilfebedürftig, weil er als Schüler seinen Lebensunterhalt nicht selbst - was
offensichtlich ist - und auch nicht durch die Ast zu 1) sichern kann. L. kann im Rahmen der
bestehenden Haushaltsgemeinschaft nicht herangezogen werden, da er mit dem Ast zu 2)
nicht verwandt oder verschwägert ist (vgl. § 9 Abs. 5 SGB II). Er ist weder dessen Vater
noch Stiefvater. L. ist auch nicht nach § 9 Abs. 2 Satz 3 SGB II leistungspflichtig. Denn
diese Vorschrift stellt allein eine Verteilungsregelung für den weiteren Bedarf bei mehreren
Personen der Bedarfsgemeinschaft dar, wenn auch nach dem Einsatz aller Mittel dieser
Bedarfsgemeinschaft ein Restbedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts verbleibt. Sie
begründet dagegen nicht selbst eine Stellung als Leistungsverpflichteter, sondern setzt
eine solche Einstandsverpflichtung voraus. Somit verbleibt lediglich die Ast zu 1) als Mutter
nach § 9 Abs. 2 Satz 2 SGB II leistungspflichtig, die den Bedarf des Ast zu 2) aber wegen
fehlenden eigenen Einkommens nicht sichern kann. Damit hätte der Ast zu 2) als
Hilfebedürftiger unter 14 Jahren einen Regelbedarf von 207,00 Euro monatlich zuzüglich
Kosten für Unterkunft und Heizung (ausweislich des Antrags 389,92 Euro) von anteilig
bezogen auf vier Personen monatlich 97,48 Euro - insgesamt also 304,48 Euro. Hierauf
muss er sich das ihm zustehende Kindergeld von 154,00 Euro anrechnen lassen, so dass
ein Bedarf von monatlich 150,48 Euro/gerundet (§ 41 Abs. 2 SGB II) 150,00 Euro verbleibt.
Der Senat hält es in diesem Zusammenhang für gerechtfertigt, den Leistungszeitraum auf
die Zeit vom 10.02.2005 (Antrag auf einstweilige Anordnung bei Gericht) bis zum
31.05.2005 festzulegen. Hinsichtlich des Beginns folgt er der bisherigen herrschenden
Auffassung der Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte zu Leistungen im Rahmen einer
einstweiligen Anordnung (vgl. statt anderer HessVGH FEVS 33, 108, 113, OVG NRW,
Beschluss vom 18.06.2002, 16 B 834/02). Da Alg II bzw. das Sozialgeld, das hier dem Ast
zu 2. zusteht, bis zu 6 Monaten bewilligt werden kann, folgt er der Auffassung der Ag und
nimmt wie das Sozialgericht eine Leistungspflicht bis 31.05.2005 an.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 177 SGG).