Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 28.11.2008

LSG NRW: wiedereinsetzung in den vorigen stand, berufungsfrist, sozialhilfe, billigkeit, belastung, rechtsgrundlage, rechtsmittelbelehrung, auflage, rechtskraft, sachleistung

Landessozialgericht NRW, L 20 B 117/08 SO NZB
Datum:
28.11.2008
Gericht:
Landessozialgericht NRW
Spruchkörper:
20. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
L 20 B 117/08 SO NZB
Vorinstanz:
Sozialgericht Dortmund, S 41 SO 20/07
Sachgebiet:
Sozialhilfe
Rechtskraft:
rechtskräftig
Tenor:
Auf die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers wird die
Nichtzulassung der Berufung im Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom
12.08.2008 aufgehoben. Im Übrigen wird die
Nichtzulassungsbeschwerde zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu
erstatten.
Gründe:
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Nach § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) bedarf die Berufung der
Zulassung in dem Urteil des Sozialgerichts oder auf Beschwerde durch Beschluss des
Landessozialgerichts, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes bei einer Klage,
die eine Geld- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft,
750,00 EUR nicht übersteigt. Dies gilt nicht, wenn die Berufung wiederkehrende oder
laufende Leistungen für mehr als ein Jahr betrifft (Satz 2 a.a.O.).
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Die Berufung bedurfte vorliegend nicht der Zulassung durch das Sozialgericht, da sie
wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr betrifft. Insoweit weist
die Beklagte zwar zu Recht darauf hin, dass Grundsicherungsleistungen nach dem
Vierten Kapitel des Sozialgesetzbuch 12. Buch - Sozialhilfe (SGB XII) gemäß § 44 Abs.
1 S. 1 SGB XII in der Regel für 12 Kalendermonate zu bewilligen sind. Mit dem
angefochtenen Bescheid vom 10.10.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 14.12.2006 hat die Beklagte, die im Übrigen Grundsicherungsleistungen gewährt,
Leistungen der Eingliederungshilfe hinsichtlich der Kosten des Internetanschlusses
aber ohne zeitliche Begrenzung abgelehnt. Entsprechend hat der Kläger monatliche
Leistungen für den Internetanschluss in Höhe von 29,93 EUR (zukunftsoffen - vgl. auch
Leitherer in Meyer-Ladewig u.a., SGG, 9. Auflage 2008, § 144 Rn. 21a) beantragt. Mithin
steht nicht lediglich die fiktive Möglichkeit eines Anspruchs für einen längeren Zeitraum
als ein Jahr in Rede (vgl. zu einer solchen Konstellation BSG, Beschluss vom
30.07.2008, B 14 AS 7/08 B).
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Gegenstand des Verfahrens sind demzufolge Leistungen der Eingliederungshilfe nach
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dem SGB XII seit Antragstellung (11.09.2006) bis zum Zeitpunkt der mündlichen
Verhandlung vor dem Senat. Der Senat folgt insoweit der ständigen Rechtsprechung
des Bundessozialgerichts (vgl. etwa BSG, Urteil vom 11.12.2007, B 8/9b SO 12/06 R =
SozR 4-3500 § 21 Nr. 1), wonach bei einer Leistungsablehnung zulässigerweise die
gesamte bis zum für die Tatsacheninstanz maßgeblichen Zeitpunkt verstrichene Zeit
Gegenstand des Verfahrens ist.
Es kann und muss daher offen bleiben, ob auch eine Zulassung der Berufung wegen
grundsätzlicher Bedeutung der Angelegenheit in Betracht käme. Die Berufung war
vielmehr auch ohne Zulassung durch das Sozialgericht statthaft.
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Die Entscheidung des Sozialgerichts über die Nichtzulassung war daher auf die
Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers aufzuheben. Das Verfahren über die
Nichtzulassungsbeschwerde ist nicht entsprechend § 145 Abs. 5 SGG als
Berufungsverfahren fortzusetzen. Ein Ausspruch des Senats über die Zulassung der
Berufung ist nicht erfolgt, so dass eine unmittelbare Anwendung der Vorschrift
ausscheidet. Der Senat folgt insoweit der Auffassung (vgl. etwa Landessozialgericht
Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 12.06.2008, L 9 KR 47/04 NZB m.w.N.), wonach es
in dieser Konstellation der gesonderten Einlegung der Berufung bedarf. Dem steht die
Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG, Urteil vom 03.06.2004, B 11 AL 75/03
R = NZS 2005, 333-334) nicht entgegen. Das Bundessozialgericht hat sich in der
angefochtenen Entscheidung lediglich - bejahend - mit der Frage auseinandergesetzt,
ob es an die Entscheidung des Berufungsgerichts über die Zulassungsbedürftigkeit der
Berufung bzw. deren Statthaftigkeit ohne Zulassung gebunden ist. Auch eine
entsprechende Anwendung des § 145 Abs. 5 Satz 1 SGG kommt nach Auffassung des
Senats nicht in Betracht (a.A. ohne nähere Begründung Leitherer, a.a.O., Rn. 46a). Auch
insoweit schließt der Senat sich der zitierten Rechtsprechung des Landessozialgerichts
Berlin-Brandenburg (a.a.O.) an. Auch im Interesse der Beteiligten bedarf es der
entsprechenden Anwendung nicht. Den Beteiligten steht es vielmehr in einer solchen
Konstellation offen, gegen das Urteil sogleich oder aber nach Aufhebung der
Nichtzulassungsentscheidung Berufung einzulegen (vgl. auch Leitherer, a.a.O., Rn. 46a
unter Verweis auf BVerwGE 89, 27). Dabei richtet sich die Berufungsfrist wegen der
unrichtigen Rechtsmittelbelehrung durch das Sozialgericht nach § 66 Abs. 2 S. 1 SGG
(vgl. hierzu etwa Leitherer, a.a.O., Rn. 46a); ggf. ist bei Versäumung der Berufungsfrist
auch die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach Maßgabe des § 67 SGG in
Betracht zu ziehen. Kosten sind dem Kläger durch die Beklagte nicht zu erstatten.
Insbesondere kommt eine entsprechende Verpflichtung nicht auf der Grundlage des §
193 SGG in Betracht. Eine Kostenbelastung der Beklagten entspräche nicht der
Billigkeit, da die unrichtige Sachbehandlung durch das Gericht, die in der fehlerhaften
Entscheidung über die Zulassungsbedürftigkeit der Berufung liegt, der Beklagten nicht
zugerechnet werden kann. Für eine Belastung der Staatskasse fehlt es an einer
Rechtsgrundlage (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, a.a.O., m.w.N.).
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 177 SGG.
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