Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 08.12.2006

LSG NRW: zwangsarbeit, form, lettland, wartezeit, arbeiter, deckung, verpflegung, altersrente, stadt, verordnung

Landessozialgericht NRW, L 14 R 36/06
Datum:
08.12.2006
Gericht:
Landessozialgericht NRW
Spruchkörper:
14. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
L 14 R 36/06
Vorinstanz:
Sozialgericht Düsseldorf, S 54 (10) RJ 60/04
Sachgebiet:
Rentenversicherung
Rechtskraft:
rechtskräftig
Tenor:
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts
Düsseldorf vom 21.12.2005 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche
Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
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Streitig ist, ob der Kläger Anspruch auf Altersrente unter Berücksichtigung von
Versicherungszeiten im Ghetto Riga von September 1941 bis November 1943 nach den
Vorschriften des Gesetzes zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in
einem Ghetto (ZRBG) hat.
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Der am 00.00.1924 in C/Lettland geborene Kläger ist jüdischer Abstammung und lebt
seit 1946 in Palästina bzw. Israel. Er besitzt die israelische Staatsangehörigkeit. Vom
Regierungsbezirksamt in L als Entschädigungsbehörde wurde er mit Bescheid vom
08.03.1956 als Verfolgter des Nationalsozialismus im Sinne des § 1 des
Bundesentschädigungsgesetzes (BEG) anerkannt und wegen Schadens an Freiheit
entschädigt. Aus einem Schreiben der Claims Conference in Frankfurt vom 10.12.1996
geht hervor, dass dem Kläger von dort eine laufende Beihilfe sowie einmalige
Überbrückungszahlungen gewährt worden sind.
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Am 03.12.2002 beantragte der Kläger bei der Beklagten Regelaltersrente unter Hinweis
auf die Vorschriften des ZRBG. In einem von ihm unter dem 06.02.2003
unterschriebenen Antragsvordruck gab er u.a. an, von September 1941 bis November
1943 habe er bei der Reichsbahn in Riga/Lettland Transportarbeiten verrichtet. Der
Arbeitsverdienst sei ihm nicht erinnerlich. Die Frage nach der Entrichtung von Beiträgen
zur gesetzlichen Rentenversicherung bejahte er. Für die Zeit von Juni 1941 bis
September 1941 nannte er in dem Vordruck Sterne tragen und Zwangsarbeiten in Riga.
Die Frage in dem Fragebogen nach der Zugehörigkeit zum deutschen Sprach- und
Kulturkreis (dSK) verneinte der Kläger. In einem von ihm ebenfalls unter dem
06.02.2003 unterzeichneten Fragebogen gab der Kläger ergänzend an, die Tätigkeit bei
der Reichsbahn in Riga sei außerhalb des Ghettos erfolgt. Auf dem Weg zur und von
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der Arbeit seien sie von lettischer Miliz begleitet worden. Der Arbeitseinsatz sei freiwillig
durch eigene Bemühungen zu Stande gekommen, da er gehört habe, dass man junge
Männer zur Arbeit gesucht habe. Er habe sich gemeldet. Die Tätigkeit beschrieb er mit
Legen von Eisenbahnschienen, Lastarbeiten usw ... Er habe täglich 10 Stunden
gearbeitet und sei mit Coupons entlohnt worden. Die Frage nach dem Erhalt von
Barlohn verneinte er. Er habe am Arbeitsplatz Essen bekommen.
Die Beklagte zog vom Amt für Wiedergutmachung in Saarburg die den Kläger
betreffende Entschädigungsakte bei und nahm Kopien daraus zu ihren Akten. In einer
im Entschädigungsverfahren vorgelegten eigenen eidesstattlichen Versicherung vom
19.12.1953 hatte der Kläger u.a. ausgeführt, er sei etwa am 04.07.1941 auf die
Prefectura in Riga beordert worden. Sein Ausweis sei gegen einen Arbeitsausweis
umgetauscht worden und er habe in der Stadt Riga unter Aufsicht lettischer Miliz und
deutscher Soldaten bei der Enttrümmerung arbeiten müssen. Er habe einen Judenstern
auf der linken Brust tragen müssen. Mitte September 1941 sei er in das große Ghetto
Riga in der N Vorstadt umgezogen und habe dort in der N Str. 00 gewohnt. Er habe als
Transportarbeiter bei der deutschen Reichsbahn in Riga gearbeitet und sei in
bewachtem Trupp täglich dorthin und in das Ghetto zurückgebracht worden. Im
Dezember 1941 sei er in das kleine Ghetto, das sog. Arbeitslager Riga gekommen, wo
er in der C1 00 gewohnt habe. Seine Arbeit sei die gleiche wie die vorher gewesen.
Jetzt habe er einen zweiten Judenstern auf dem Rücken erhalten. Im November 1943
sei er zum Flugplatz Spilwe bei Riga gekommen und kaserniert worden. In einer
weiteren (undatierten) eidesstattlichen Versicherung ergänzte der Kläger seine frühere
Erklärung dahin, etwa im September 1942 sei er vom Arbeitslager Riga nach Mitau
geschickt worden, in der Zuckerrübenfabrik kaserniert und als Abfüller für Sirup
beschäftigt worden. Im März 1943 sei er aus Mitau zurück nach Riga gekommen und
habe wieder im kleinen Ghetto gewohnt. Seine Arbeit sei die gleiche wie vor der
Verschickung nach Mitau bei der deutschen Reichsbahn gewesen. In einer
eidesstattlichen Zeugenerklärung des T N1 vom 27.12.1954 führte dieser aus, er habe
den Kläger 1940 kennen gelernt, sehr bald nachdem er nach Riga übergesiedelt sei. Er
sei mit dem Kläger zunächst in das große Ghetto und dann in das kleine Ghetto Riga
gekommen. Im September 1942 sei man gemeinschaftlich nach Mitau geschickt worden,
wo sie in der Zuckerrübenfabrik gearbeitet hätten. Sie seien auch zusammen im März
1943 in das kleine Ghetto Riga zurückgekommen. Als er im September 1943 nach Lenta
verschickt worden sei, sei der Kläger noch im Arbeitslager Riga gewesen.
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Mit Bescheid vom 17.09.2003 lehnte die Beklagte die Gewährung einer
Regelaltersrente mit der Begründung ab, es seien keine auf die Wartezeit für die
begehrte Rente anrechenbaren Zeiten vorhanden. Die Voraussetzungen für eine
Anwendung des ZRBG lägen nicht vor, weil nicht glaubhaft sei, dass eine aus eigenem
Willensentschluss aufgenommene entgeltliche Beschäftigung in einem Ghetto ausgeübt
worden sei. Nach den der Beklagten vorliegenden geschichtlichen Erkenntnissen über
das Ghetto Riga hätten jüdische Arbeiter dort zwar ab 01.11.1941 tariflich entlohnt
werden müssen. Der gesamte Lohn sei aber vom jeweiligen Arbeitgeber dem
Finanzamt der Stadt Riga zur Deckung der Lebensmittelversorgung und anderer
Bedürfnisse der Ghettobewohner zu überweisen gewesen. Aufgrund dieser Tatsache
könne nicht davon ausgegangen werden, dass der Kläger für die von ihm geleistete
Arbeit eine Entlohnung erhalten habe und er in einem "freien" Arbeitsverhältnis
beschäftigt gewesen sei. Vielmehr ließen die Umstände darauf schließen, dass er im
Ghetto Riga unentgeltlich Zwangsarbeit habe verrichten müssen. Zwangsarbeiten
würden von den Vorschriften des ZRBG aber nicht umfasst.
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Der dagegen am 30.09.2003 erhobenen Widerspruch, der nicht begründet worden ist,
wurde von der Widerspruchsstelle der Beklagten mit Widerspruchsbescheid vom
15.01.2004 zurückgewiesen.
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Zur Begründung der am 18.02.2004 beim Sozialgericht Düsseldorf erhobenen Klage hat
der Kläger durch seinen Prozessbevollmächtigten vorgetragen, es werde bestritten,
dass es für die Frage der Entgeltlichkeit darauf ankomme, ob der Kläger Geldbeträge
bar ausgezahlt bekommen habe. Denn wenn der Arbeitgeber des Klägers, wie die
Beklagte dies vortrage, den erwirtschafteten Lohn dem Finanzamt der Stadt Riga zur
Deckung der Lebensmittelversorgung überwiesen habe, so habe der Kläger durch diese
Überweisung die ihm zustehenden Geldbeträge zur Deckung seines Lebensunterhalts
benutzt. Dass aus diesem Grunde der Entgeltcharakter der Zahlungen verloren gehen
solle, verschließe sich dem Verständnis des Prozessbevollmächtigten. Der Kläger
könne keine detaillierten Angaben mehr machen. Die Beklagte hat ihre getroffenen
Entscheidungen weiterhin für zutreffend gehalten. Das Gericht hat die bei der Claims
Conference/Frankfurt über den Kläger geführte Akte beigezogen. Im Zusammenhang mit
einem Antrag des Klägers auf Gewährung einer Beihilfe nach dem Article 2 Fund hatte
der Kläger am 08.08.1993 zu seinem Verfolgungsschicksal ausgeführt, er habe im Jahre
1942, als der deutsch/ russische Krieg ausgebrochen sei, in Riga geweilt. Dort sei er im
Ghetto interniert und zur Zwangsarbeit verschickt worden. Zuerst habe er Zwangsarbeit
zum Bau der deutschen Bahnen geleistetet und sei dann in ein Arbeitslager nach
Spilwa (1942) bei Riga überführt worden, wo er zwangsweise beim Ausbau des
dortigen Flughafens gearbeitet habe. Im Jahre 1943 sei er nach KZ Dachau deportiert
worden.
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Mit Urteil vom 21.12.2005 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen und zur
Begründung im Wesentlichen ausgeführt, die Voraussetzungen für die Gewährung einer
Regelaltersrente nach § 35 des Sechsten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB VI) sei
nicht erfüllt. Auf die allgemeine Wartezeit anrechenbare Pflichtbeitragszeiten seien nicht
gegeben. Die Klage könne nicht mit Erfolg auf die Vorschriften des ZRBG gestützt
werden. Nach § 1 Abs. 1 ZRBG gelte dieses Gesetz für Zeiten der Beschäftigung von
Verfolgten in einem Ghetto, die sich dort zwangsweise aufgehalten hätten, wenn die
Beschäftigung aus eigenem Willensentschluss zu Stande gekommen sei, gegen Entgelt
ausgeübt worden sei und das Ghetto sich in einem Gebiet befunden habe, dass vom
deutschen Reich besetzt oder diesem eingegliedert gewesen sei. Erforderlich aber auch
ausreichend sei dabei, dass ein freiwilliges und entgeltliches Beschäftigungsverhältnis
glaubhaft gemacht werde, d. h. überwiegend wahrscheinlich sei. An dem Vorbringen
des Klägers, von September 1941 bis November 1943 (ununterbrochen) einer
Beschäftigung in Riga nachgegangen zu sein, bestünden durchgreifende Zweifel. Im
Entschädigungsverfahren habe der Kläger, nach dem er zunächst ausgesagt habe, von
Mitte September 1941 bis November 1943 für die deutsche Reichsbahn in Riga
gearbeitet zu haben, in einer nicht datierten eidesstattlichen Versicherung ergänzend
angegeben, in September 1942 "vom Arbeitslager Riga nach Mitau" geschickt worden
zu sein, wo er (bis März 1943) in einer Zuckerrübenfabrik kaserniert und als Abfüller für
Sirup beschäftigt gewesen sei. Diese Angaben habe der damalige Zeuge T N1 in einer
eidesstattlichen Versicherung bestätigt. Das Vorbringen des Klägers im
Rentenverfahren stehe zu den im Entschädigungsverfahren geschilderten
Beschäftigungszeiträumen in Riga in deutlichem Widerspruch. Hinzu komme, dass der
Kläger gegenüber der Claims Conference am 08.08.1993 ausgesagt habe, (lediglich) in
den Jahren 1941 und 1942 in Riga gewesen zu sein, wo er "Zwangsarbeit zum Bau der
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deutschen Bahnen leisten" musste. Noch im Jahre 1942 habe er in Spilwe bei Riga
zwangsweise beim Ausbau des dortigen Flughafens arbeiten müssen. Dieses
Vorbringen sei wiederum weder mit den Erklärungen des Klägers im
Entschädigungsverfahren noch mit denen im Rentenverfahren in Einklang zu bringen.
Von den aufgezeigten Widersprüchen abgesehen, sei auch nicht überwiegend
wahrscheinlich, dass der Kläger einem freiwilligen Beschäftigungsverhältnis
nachgegangen sei.
Der Kläger habe nach Auffassung des Sozialgerichts in dem hier maßgeblichen
Zeitraum Zwangsarbeit geleistet. Insoweit verweist das Sozialgericht darauf, dass der
Kläger wiederholt angegeben habe, auf den Arbeitswegen bewacht worden zu sein.
Weiter führt das Sozialgericht aus, es sei nicht glaubhaft gemacht, dass der Kläger
entgeltlich tätig geworden sei. Der Kläger habe im Fragebogen am 06.02.2003
angegeben, er habe Coupons und Essen am Arbeitsplatz erhalten. Dies reiche allein für
die Glaubhaftmachung eines entgeltlichen Beschäftigungsverhältnisses nicht aus. Unter
Hinweis auf ein Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 07.10.2004 (Az.: B 13 RJ
59/03 R) führt das Sozialgericht aus, dass die Gewährung von Lebensmitteln am
Arbeitsplatz als bloße Unterhaltsgewährung keine Entgeltlichkeit begründe. Die
Coupons hätten ausweislich der Angaben im Schriftsatz des Prozessbevollmächtigten
des Klägers vom 12.09.2005 zur Selbstversorgung gedient. Auch die damaligen im
Reichskommissariat Ostland geltenden tarifrechtlichen Regelungen führten nicht dazu,
von einer Entgeltlichkeit der behaupteten Beschäftigung auszugehen. Die Existenz
entsprechender tarifrechtlicher Regelungen mache zum einen eine tatsächlich erfolgte,
tarifrechtlich vorgesehene Entlohnung nicht glaubhaft, da das Vorbringen des Klägers
selbst für eine Unentgeltlichkeit spreche. Zum anderen spreche ein Nichteinhalten von
tarifrechtlichen Regelungen durch die ehemaligen NS-Gewaltherrscher gegen eine
freiwillige und entgeltliche Beschäftigung im Sinne des Typus einer
sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung und für eine Beschäftigung in
Zwangsarbeit. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Entscheidungsgründe des
angefochtenen Urteils verwiesen.
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Gegen das am 16.01.2006 zugestellte Urteil hat der Kläger am 31.01.2006 Berufung
eingelegt, mit der er sein Begehren weiter verfolgt. Zur Begründung verweist sein
Prozessbevollmächtigter zunächst auf die Ausführungen im Verwaltungs- und
erstinstanzlichen Verfahren und trägt weiter vor, soweit das Sozialgericht hinsichtlich
der geltend gemachten Beschäftigungszeit ausführe, dass die im
Entschädigungsverfahren und im Verfahren vor der Claims Conference geltend
gemachten Zeiten von denen im Rentenverfahren nunmehr geltend gemachten Zeiten
abweichen würden, sei dies nicht unzutreffend. Der Kläger habe im Rentenverfahren
nicht auf die Angaben im Entschädigungsverfahren zurückgreifen können und aus
seiner Erinnerung heraus den Zeitraum von Juni 1941 bis November 1943 insgesamt
als Tätigkeit in Riga geltend gemacht. Aus den zeitnäheren Angaben im
Entschädigungsverfahren lasse sich der Werdegang, wie er sich tatsächlich gestaltet
habe, deutlich besser entnehmen als aus den 50 Jahre später gemachten Angaben aus
der Erinnerung heraus. Hinsichtlich der Freiwilligkeit des Arbeitsverhältnisses habe das
Sozialgericht den Vortrag im Entschädigungsverfahren darauf reduziert, dass der Kläger
im überwachten Trupp täglich zur Arbeit und zurück in das Ghetto gebracht worden sei.
Dass Arbeiter auf dem Weg von und zur Arbeit bewacht worden seien, sei nichts
ungewöhnliches. Im Verfahren sei nach Auffassung des Klägers hinreichend glaubhaft
gemacht, dass das Zustandekommen des Beschäftigungsverhältnisses eben nicht unter
Zwang erfolgt sei. Darüber hinaus habe der Kläger auch hinreichend glaubhaft gemacht,
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dass eine Entlohnung eines zwischen ihm und der Ghettoverwaltung zu Stande
gekommenen Arbeitsverhältnisses erfolgt sei, und zwar in Form von Couponzahlung.
Schließlich werde auch auf einen erheblichen Widerspruch der Argumentation des
Sozialgerichts hingewiesen, wonach nach der Verordnung des Generalkommissariats in
Riga über die Entschädigung jüdischer Arbeitskräfte im Generalbezirk Lettland vom
19.03.1942 Juden keinen Lohn hätten erhalten dürfen. Dies bedeute im Umkehrschluss
zunächst, dass vor diesem Zeitraum wohl Lohnzahlungen erfolgt seien, wie diese auch
vom Kläger geltend gemacht werde. Daraus folge, dass das Sozialgericht zunächst
ausführe, der Kläger hätte keinen Lohn erhalten und danach selbst auf die Verordnung
hinweise, wonach Juden zumindest für den Zeitraum davor entlohnt worden seien. Im
Übrigen komme es nach Auffassung des Klägers im Rahmen der Anspruchstheorie
darauf an, dass der Kläger im Rahmen des zwischen ihm und der Ghettoverwaltung
zustande gekommenen Beschäftigungsverhältnisses Anspruch auf einen Lohn gehabt
habe, der noch darüber hinaus in Form von Coupons ausgezahlt worden sei. Es habe
daher ein versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis bestanden und die geltend
gemachten Beitragszeiten seien daher anzuerkennen.
Der Kläger beantragt schriftsätzlich sinngemäß,
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das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 21.12.2005 abzuändern und die Beklagte
unter Aufhebung des Bescheides vom 17.09.2003 in der Fassung des
Widerspruchsbescheides vom 15.01.2004 zu verurteilen, ihm Altersrente unter
Berücksichtigung von Beitragszeiten im Ghetto Riga von September 1941 bis November
1943 nach Maßgabe des ZRBG sowie unter Anrechnung von Ersatzzeiten nach
Maßgabe des § 250 Abs. 1 Nr. 4 SGB VI zu zahlen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Sie ist weiterhin der Auffassung, bei den Arbeitsverrichtungen des Klägers im Ghetto
Riga habe es sich nicht um ein aus eigenem Willensentschluss zu Stande gekommenes
und gegen Entgelt ausgeübtes Beschäftigungsverhältnis gehandelt. Unter Hinweis auf
das Urteil des BSG vom 07.10.2004 (s.o.) trägt sie vor, eine Gegenleistung in Form von
z.B. guter Verpflegung reiche nicht als Entlohnung. Der eigene Vortrag des Klägers zur
Form der Entlohnung (Essen und Lebensmittelcoupons) lasse es nicht zu, hier von
einem Beschäftigungsverhältnis im Sinne von § 1 ZRBG auszugehen. Die Beklagte
folge auch nicht der vom Prozessbevollmächtigten des Klägers vertretenen
Anspruchstheorie. Die tatsächliche Zahlung von Entgelt sei vielmehr Voraussetzung für
ein versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis, worauf es auch bei Anwendung
des ZRBG ankomme.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakten, den der beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten sowie den der
vom Amt für Wiedergutmachung in Saarburg beigezogenen Entschädigungsakte Nr.
21458 und die von der Claims Conference in Kopie übersandten Unterlagen, die
Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, verwiesen.
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Entscheidungsgründe:
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Der Senat konnte die Sache verhandeln und entscheiden, obwohl weder der Kläger
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noch sein Prozessbevollmächtigter zum Termin erschienen sind. Der
Prozessbevollmächtigte ist mit der ordnungsgemäß erfolgten Terminsbenachrichtigung
(Empfangsbekenntnis vom 13.11.2006) auf diese zulässige Verfahrensweise (§§ 124
Abs. 1, 153 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz – SGG -) hingewiesen worden.
Die zulässige Berufung des Klägers ist nicht begründet. Der Kläger hat auch nach
Auffassung des Senats keinen Anspruch auf Altersrente gemäß §§ 35 ff. SGB VI bzw.
den Vorschriften des ZRBG. Insoweit wird zur Vermeidung von Wiederholungen gemäß
§ 153 Abs. 2 SGG zunächst auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils
verwiesen, denen sich der Senat anschließt. Das Vorliegen eines freiwillig
eingegangenen entgeltlichen Beschäftigungsverhältnisses ist auch nach Auffassung
des Senats nicht glaubhaft gemacht worden. Gemäß § 3 Abs. 1 Satz 2 des Gesetzes zur
Regelung der Wiedergutmachung nationalsozialischen Unrechts in der
Sozialversicherung (WGSVG) bzw. § 4 Fremdrentengesetz (FRG), die auch im Rahmen
der Vorschriften des ZRBG hergezogen werden können, ist eine Tatsache nur dann
glaubhaft gemacht, wenn ihr Vorliegen aus den Ergebnissen der Ermittlungen, die sich
auf sämtliche erreichbaren Beweismittel erstrecken sollen, überwiegend wahrscheinlich
ist, d. h., wenn nach einer Gesamtwürdigung aller Umstände mehr Faktoren für eine
Tatsache als gegen diese Tatsache sprechen. Hierbei gilt wie in allen anderen
Prozessordnungen auch im sozialgerichtlichen Verfahren der Grundsatz der objektiven
Beweislast, wonach die Folgen objektiver Beweislosigkeit bzw. Nichtfeststellbarkeit der
Tatsache zu Lasten desjenigen gehen, der aus einer Tatsache ein Recht (eine ihm
günstige Rechtsfolge) herleiten will. Vorliegend ist aufgrund der voneinander
abweichenden Angaben im Entschädigungsverfahren gegenüber der Claims
Conference und schließlich im Rahmen des Antrages nach dem ZRBG die behauptete
Tätigkeit bei der Reichsbahn in Riga für den im Rentenverfahren geltend gemachten
Zeitraum von September 1941 bis November 1943 nicht in ausreichendem Umfang
nachvollziehbar, wobei der Prozessbevollmächtigte des Klägers hinsichtlich des
Aufenthalts im Ghetto Riga im Berufungsverfahren nunmehr einräumt, dass die
Angaben im Rentenantrag unzutreffend sind. Insofern könnte als "übereinstimmende
Schnittmenge" der geltend gemachte Zeitraum einer Tätigkeit bei bzw. für die
Reichsbahn in Riga der Zeitraum September 1941 bis September 1942 herangezogen
werden, weil der Kläger diesen Zeitraum sowohl im Entschädigungsverfahren wie auch
in den Angaben gegenüber der Claims Conference zumindest insoweit
übereinstimmend beschrieben hat. Nicht mehr in Übereinstimmung zu bringen sind
hingegen seine Angaben im Entschädigungsverfahren bzw. später gegenüber der
Claims-Conference, wonach er sich ab September 1942 im Mitau aufgehalten habe und
dort in einer Zuckerrübenfabrik kaserniert gewesen sei bzw. ab 1942 nach Spilwa
verbracht und dort beim Ausbau des dortigen Flughafens herangezogen worden sei. Ob
und in welchem Zeitraum der Kläger 1943 nochmals bei der Deutschen Reichsbahn
eingesetzt worden ist, vermag der Senat aus den vorneinander abweichenden Angaben
nicht abzuleiten.
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Aber auch wenn man nunmehr zugunsten des Klägers einen Aufenthalt im Ghetto Riga
von September 1941 bis September 1942 und die vom Kläger beschriebene Tätigkeit
für die Reichsbahn zugrundelegt, hält es der Senat nicht für ausreichend glaubhaft im
Sinne einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit oder auch nur einer guten Möglichkeit,
dass es sich hierbei um ein freiwillig aufgenommenes auf einem eigenen
Willensentschluss beruhendes Beschäftigungsverhältnis gehandelt haben könnte.
Zwangsarbeit ist in Abgrenzung zur versicherungspflichtigen Beschäftigung die
Verrichtung von Arbeit unter obrigkeitlichem (hoheitlichem) bzw. gesetzlichem Zwang
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(BSG SozR 3 - 2200 § 1248 Nr. 15). Typisch ist dabei insbesondere die obrigkeitliche
Zuweisung von Arbeiten, ohne das die Arbeiter hierauf Einfluss haben. Eine verrichtete
Arbeit entfernt sich umso mehr vom Typus des Arbeits- bzw.
Beschäftigungsverhältnisses und nähert sich dem Typus der Zwangsarbeit an, wenn sie
durch hoheitliche Eingriffe überlagert wird, denen sich der Betroffene nicht entziehen
kann (vgl. BSG, Urteil vom 14.07.1999, B 13 RJ 71/99 R). Unabhängig von der Frage,
wie der Umstand der Bewachung von und auf dem Weg zur Arbeit in diesem
Zusammenhang zu bewerten ist, lässt allein die Beschreibung im
Entschädigungsverfahren durch den Kläger und den Zeugen N1 wonach er vom
"Arbeitslager" Riga aus zunächst bei der Eisenbahn arbeitete, dann nach Mietau in die
Zuckerrübenfabrik geschickt wurde und dann wieder zurück ins Arbeitslager Riga
musste, um von dort aus wieder bei der Bahn zu arbeiten, eine Annahme zugunsten des
Klägers, er habe Einfluss auf die Aufnahme bestimmter Tätigkeiten nehmen können,
recht fern erscheinen. Im Gesamtzusammenhang mit den Angaben gegenüber der
Claims Conference, wo der Kläger sämtliche Tätigkeiten als Zwangsarbeit bezeichnete
und hierbei insbesondere auch den Ausdruck verwendete "zur Zwangsarbeit
verschickt", im Zusammenhang mit dem Bau der Deutschen Bahn ausdrücklich von
"Zwangsarbeit leisten" sprach und außerdem noch erklärte, er sei danach (1942) in ein
Arbeitslager "überführt" worden, erscheint die Möglichkeit, dass der Kläger gleichwohl
die Tätigkeit beim Bau der Deutschen Bahn freiwillig aufgenommen haben könnte, nicht
als überwiegend wahrscheinlich, da jedenfalls nicht mehr für als gegen das Vorbringen
des Klägers spricht.
Gleiches gilt für die Entgeltlichkeit der behaupteten Beschäftigung ihm Ghetto. Im
Rentenantragvordruck hat der Kläger selbst angegeben, der Arbeitsverdienst sei im
nicht erinnerlich. In dem ergänzenden Fragebogen hat er unter dem gleichen Datum
angegeben, die Arbeit sei mit Coupons entlohnt worden und er habe am Arbeitsplatz
Essen bekommen. Auf Nachfrage des Sozialgerichts nach einer Konkretisierung dieser
Angaben hat sein Prozessbevollmächtigter auf das Alter des Klägers verwiesen und
darauf, dass dieser beim besten Willen zu den 60 bis 70 Jahre zurückliegenden
Ereignissen keine detaillierten Angaben mehr machen könne. Zwar hat der Senat dafür
Verständnis. Gleichwohl liegt nach allgemeinen Grundsätzen die Beweislast für die
anspruchsbegründenden Tatsachen beim Kläger. Nach der Entscheidung des BSG vom
07.10.2004 (s.o.), auf die bereits das Sozialgericht hingewiesen hat, reicht für die
Annahme eines versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses selbst der Erhalt
einer "guten Verpflegung" nicht aus. Selbst eine solche "gute Verpflegung" durch die am
Arbeitsplatz erhaltenen Lebensmittel und die Coupons ist aber durch die äußerst
allgemeinen Angaben des Klägers nicht glaubhaft gemacht. Letztlich kann das aber
dahinstehen, da bereits das Vorliegen einer freiwillig aufgenommenen Tätigkeit nach
Ansicht des Senats nicht in ausreichendem Umfang glaubhaft gemacht ist. Soweit der
Prozessbevollmächtigte des Klägers auf tarif- und lohnrechtliche Regelungen in Riga in
dem streitigen Zeitraum hinweist, bedarf es ebenfalls keiner näheren
Auseinandersetzung mit der von ihm angeführten "Anspruchstherorie", da bereits das
Tatbestandsmerkmal einer freiwillig aufgenommenen Beschäftigung nicht als glaubhaft
gemacht angesehen wird. Lediglich ergänzend verweist der Senat insoweit auf das
Urteil des LSG NRW vom 24.08.2005 (Az.: L 8 RJ 49/03) und den hierzu entgangenen
Beschluss des BSG vom 14.08.2006 (Az.: B 5 RJ 246/05 B), wonach allein durch die
Existenz tarifrechtlicher/ lohnrechtlicher Regelungen das Merkmal der Entgeltlichkeit im
Sinne von § 1 Abs. 1 Nr. 1 b ZRBG nicht erfüllt sein dürfte. Eines näheren Eingehens
auf die Argumentation des Prozessbevollmächtigten, es habe insoweit zwischen dem
Kläger und der Ghettoverwaltung ein Beschäftigungsverhältnis bestanden, bedarf es
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daher ebenso wenig wie zu der Auffassung, aus der Verordnung des
Generalkommissariats in Riga über die Entschädigung jüdischer Arbeitskräfte im
Generalbezirk Lettland vom 19.03.1942 sei im Umkehrschluss zu schließen, dass die
Juden jedenfalls vor dem Zeitraum bei einer entsprechenden Beschäftigung Lohn
erhalten hätten.
Da somit auf die Wartezeit anrechenbare Beitragszeiten als Versicherungszeiten auch
nach Auffassung des Senats nicht vorliegen, können auch keine Ersatzzeiten
berücksichtigt werden, da diese nur "Versicherten" zustehen (§ 250 SGB VI).
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Die Berufung des Klägers konnte daher keinen Erfolg haben.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
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Der Senat hat die Revision nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs.
2 Nr. 1 bzw. 2 SGG nicht erfüllt sind.
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