Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 06.06.2005

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Landessozialgericht NRW, L 19 (9) AL 151/04
Datum:
06.06.2005
Gericht:
Landessozialgericht NRW
Spruchkörper:
19. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
L 19 (9) AL 151/04
Vorinstanz:
Sozialgericht Aachen, S 8 AL 23/04
Nachinstanz:
Bundessozialgericht, B 7a AL 56/05 R
Sachgebiet:
Arbeitslosenversicherung
Rechtskraft:
nicht rechtskräftig
Tenor:
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Aachen
vom 02.07.2004 wird zurückgewiesen. Die Klägerin hat auch die Kosten
des Berufungsverfahrens zu tragen. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
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Streitig sind Ansprüche der Klägerin auf Auszahlung von Vermittlungsvergütungen.
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Die Klägerin betreibt unter anderem die Vermittlungen von Arbeitsverhältnissen und
Personaldienstleistungen. Sie beantragte die Auszahlung von Vermittlungsvergütungen
für die Vermittlung von Beschäftigungsverhältnissen der Arbeitnehmer G T, K H, N C, L
C1, G N, T M und E B. Alle Arbeitnehmer hatten von der Beklagten
Vermittlungsgutscheine erhalten. Sie wurde von der Firma K GmbH eingestellt.
Gegenstand dieses Unternehmens ist der Transport und die Zustellung von
Postsendungen. Alleingesellschafter und allein vertretungsberechtigter Geschäftsführer
der Klägerin und der Firma K GmbH war und ist O M1. Die Geschäftsadressen beider
Firmen waren zum damaligen Zeitpunkt identisch. Nach den Angaben des
Geschäftsführers waren in der K GmbH Anfang 2004 ca. 150 Mitarbeiter beschäftigt,
heute seien es über 500.
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Die Beklagte lehnte die Zahlung von Vermittlungsvergütungen mit Bescheiden vom
16.01.2004 (T) und Widerspruchsbescheid vom 29.01.2004, 26.08.2003 (H) und
Widerspruchsbescheid vom 15.10.2003, 20.01.2004 (C) und Widerspruchsbescheid
vom 10.02.2004, 05.02.2004 (C1) und Widerspruchsbescheid vom 17.02.2004,
14.08.2003 (N) und Widerspruchsbescheid vom 08.03.2004, 19.02.2004 (M) und
Widerspruchsbescheide vom 13.05.2004 sowie 29.03.2004 (B) und
Widerspruchsbescheid vom 03.05.2004 ab. Zur Begründung führte sie aus, es liege
keine Vermittlung im Sinne von § 421g Abs. 1 Satz 2 Sozialgesetzbuch Drittes Buch
(SGB III) in Verbindung mit § 296 Abs. 2 Satz 1 SGB III vor. Vermittlung bedeute, dass
ein Dritter als Vermittler zwischen dem Arbeitgeber und dem Arbeitnehmer zur
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Anbahnung eines Beschäftigungsverhältnisses tätig werde. Bei Personenidentität
zwischen Vermittler und Arbeitgeber liege daher keine Vermittlung vor.
Gegen die genannten Ablehnungsbescheide haben sich die vom Sozialgericht Aachen
gemäß § 113 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) verbundenen Klagen gerichtet. Die
Klägerin hat vorgetragen, aufgrund der Tatsache, dass es sich bei ihr und der K GmbH
um zwei verschiedene juristische Personen handele, liege eine Arbeitsvermittlung im
Sinne des § 296 SGB III vor. Sie sei gegenüber der Firma K GmbH Dritter. Für eine
Verweigerung der Zahlung gebe es keine Rechtsgrundlage. Sie habe Anspruch auf
Zahlung der betreffenden Vermittlungsvergütungen.
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Die Beklagte hat auf die Begründung der angefochtenen Entscheidungen verwiesen.
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Das Sozialgericht Aachen hat mit Urteil vom 02.07.2004 die Klagen abgewiesen. Zwar
sei der Rechtsweg zu den Sozialgerichten eröffnet, weil der Arbeitsvermittler sich durch
Durchsetzung seines Vergütungsanspruchs gegen die Arbeitsagentur wenden müsse.
Damit handele es sich um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit im Sinne des § 51 Abs. 1
Nr. 4 SGG. Die Klage sei aber nicht begründet, weil der Klägerin kein Anspruch nach §
421g Abs. 1 Satz 2 SGB III zustehe. Der Arbeitssuchende sei zur Zahlung der
Vergütung nach § 296 Abs. 3 SGB III nur verpflichtet, wenn infolge der Vermittlung des
Vermittlers der Arbeitsvertrag zustande gekommen sei. Diese Regelung entspreche
dem allgemeinen Maklerrecht des § 652 Abs. 1 Satz 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB),
wonach der Maklerlohn nur geschuldet werde, wenn der Vertrag infolge des
Nachweises oder infolge der Vermittlung des Maklers zustande gekommen sei. Soweit
sich aus den Regeln des SGB III nichts anderes ergebe, bestünden damit keine
Bedenken, die Vorschriften der §§ 652 ff. BGB auf die Arbeitsvermittlung anzuwenden.
Eine Vermittlungstätigkeit sei nicht gegeben, weil der vom Auftraggeber des Maklers
erstrebte Vertragsschluss nicht zwischen dem Auftraggeber und einem Dritten zustande
gekommen sei. Im vorliegenden Fall seien zwar Vermittler und Arbeitgeber
gesellschaftsrechtlich formell nicht verknüpft. Zwischen dem Alleingesellschafter und
allein vertretungsberechtigten Geschäftsführer der beiden Gesellschaften bestehe aber
Personenidentität. Naturgemäß beherrsche damit der Gesellschafter und
Geschäftsführer beide Gesellschaften zu 100%. Es entspreche dem Sinn und Zweck der
Vorschrift, nur echte Vermittlungstätigkeiten zu fördern.
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Gegen das ihr am 15.07.2004 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 26.07.2004
Berufung eingelegt. Das Urteil des Sozialgerichts könne keinen Bestand haben. Bei
allen vermittelten Arbeitslosen hätten die Voraussetzungen des § 421g Abs. 1 Satz 1
SGB III vorgelegen. Sie seien von der Klägerin vermittelt und von der K GmbH als
Vollzeit-Arbeitskräfte beschäftigt worden. Es lägen weder Ausschließungsgründe nach
§ 421g Abs. 3 SGB III noch solche nach § 297 SGB III vor. Die Grundsätze des
Maklerrechts der unechten oder echten Verpflichtung gingen über das SGB III hinaus
und fänden in diesem keine Stütze. Drehtüreffekten oder Mitnahmeeffekten sei
ausschließlich nach § 421g Abs. 3 SGB III zu begegnen. Maßgeblich müsse zudem das
Gesellschaftsrecht bleiben, das in den beiden Gesellschaften eigene
Rechtspersönlichkeiten und Wirtschaftssubjekte sehe.
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Der Geschäftsführer der Klägerin hat in der mündlichen Verhandlung ergänzend erklärt:
Da sich die Frage gestellt habe, wie der Mitarbeiterstamm der K GmbH verwaltet werde,
sei im März 2003 die Klägerin eingerichtet worden. Hintergrund dafür sei der
Dienstleistungsgedanke gewesen. Man habe für die K GmbH wie auch für fremde
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Firmen die Personalverwaltung übernehmen wollen. Inzwischen habe die Klägerin fünf
Mitarbeiter.
Die Klägerin beantragt,
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das Urteil des Sozialgerichts Aachen vom 02.07.2004 zu ändern sowie den Bescheid
der Beklagten vom 16.01.2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.01.2004,
dem Bescheid der Beklagten vom 26.08.2003 in Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 15.10.2003, dem Bescheid der Beklagten vom 20.01.2004 in Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 10.02.2004, dem Bescheid der Beklagten vom
05.02.2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.02.2004, dem Bescheid der
Beklagten vom 14.08.2003 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.03.2004,
dem Bescheid der Beklagten vom 19.02.2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 15.03.2004, dem Bescheid der Beklagten vom 29.03.2004 in Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 03.05.2004 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen,
der Klägerin die jeweilige Vermittlungsvergütung nach Maßgabe der gesetzlichen
Vorschriften zu zahlen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Prozessakte sowie die beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten, die in der
mündlichen Verhandlung vorgelegen haben, Bezug genommen.
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Entscheidungsgründe:
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Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Die angefochtenen Bescheide sind
rechtmäßig und verletzten die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 54
Sozialgerichtsgesetz -SGG-), weil sie keinen Anspruch gegen die Beklagte auf die
geltend gemachten Vergütungen hat. Es fehlt in allen hier zur Entscheidung stehenden
Fällen an der rechtlichen Voraussetzung einer Vermittlungstätigkeit der Klägerin.
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Nach § 421g Abs. 1 Satz 2 SGB III in der bis zum 31.12.2004 gültigen Fassung
verpflichtet sich die Agentur für Arbeit mit dem Vermittlungsgutschein, der an den
Arbeitsuchenden ausgestellt wird, den Vergütungsanspruch eines vom Arbeitnehmer
eingeschalteten Vermittlers, der den Arbeitnehmer in eine sozialversicherungspflichtige
Beschäftigung mit einer Arbeitszeit von mindestens 15 Stunden vermittelt hat, nach
Maßgabe der nachfolgenden, hier nicht entscheidungsrelevanten Bestimmungen zu
erfüllen. Nach § 421g Abs. 2 Satz 4 SGB III wird die Leistung aus dem
Vermittlungsgutschein unmittelbar an den Vermittler gezahlt. In dem Dreiecksverhältnis
Arbeitsuchender, Bundesagentur für Arbeit und Vermittler ermöglicht die Vorschrift, dass
sich der Vermittler unmittelbar an die Agentur für Arbeit wenden kann, obwohl es sich im
eigentlichen Sinn um einen Erfüllungsanspruch des Arbeitsuchenden gegenüber der
Agentur für Arbeit aus dem Vermittlungsgutschein handelt (vgl. hierzu Sozialgericht
Aurich, Urteil vom 26.03.2003, Az.: S 5 AL 60/02, Info also 2003,224; Rademacker in
Hauck/Noftz, Arbeitsförderung SGB III, 2005, 421g Rdz. 31; Knuse in Gagel, SGB III
Arbeitsförderung, 2005, 421g Rdz. 8; Rixen, Das neue Sozialrecht der
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Arbeitsvermittlung nach der Reform der Bundesanstalt für Arbeit (Neue Zeitschrift für
Sozialrecht - NZS, 2002, 466, 471).
Nach Auffassung des Senats setzt eine Vermittlungstätigkeit im Sinne von § 241g SGB
III voraus, dass Vermittler und Arbeitgeber, mit dem ein Beschäftigungsverhältnis des
Arbeitsuchenden angebahnt wird, nicht wirtschaftlich miteinander verflochten sind. Der
Vermittler muss im Verhältnis zum Arbeitgeber noch "Dritter" sein.
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Vermitteln inpliziert schon dem Wortsinn nach, dass der Vermittler bei seiner Tätigkeit
nicht in einen Interessenkonflikt mit den Partnern des Hauptvertrages - hier Abschluss
des Arbeitsvertrages zwischen dem Arbeitgeber und dem Arbeitsuchenden - gerät. Der
Begriff des Vermittelns setzt voraus, dass den Hauptvertragsparteien die Fähigkeit zur
selbständigen, voneinander unabhängigen Willensbildung bleibt (vgl. hierzu Dehner,
Die Entwicklung des Maklerrechts seit 1989, Neue Juristische Wochenschrift (NJW)
1991, 3254, 3259).
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Ein solcher Interessenkonflikt - und insofern lassen sich mangels anderer Anhaltspunkte
im SGB III die Grundsätze des Maklerrechts heranziehen - ist anzunehmen, wenn
Vermittler und zukünftige Arbeitgeber des Arbeitsuchenden wirtschaftlich miteinander
verflochten sind. Von einer wirtschaftlichen Verflechtung ist bei einem
Beherrschungsverhältnis zwischen beiden auszugehen, aufgrund dessen von einer
selbständigen voneinander unabhängigen Willensbildung nicht mehr gesprochen
werden kann (sog. echte Verflechtung: Bundesgerichtshof (BGH), Urteil vom
12.03.1998, Az.: III ZR 14/97, BGHZ 138, 170; SG Aurich, Urteil vom 26.03.2003, Az.: S
5 AL 60/02, Info also 2003, 224; SG Stralsund, Urteil vom 21.08.2003, Az.: S 4 AL 36/03;
zustimmend: Rademacker, a.a.O., § 421g Rdz. 23; Kruse in Gagel, SGB III
Arbeitsförderung 2005, § 421g Rdz. 8). Eine Verflechtung zwischen Vermittler und
Vertragspartner des Vermittelten liegt vor, wenn der Vermittler an der
Hauptvertragspartei rechtlich und wirtschaftlich in erheblichem Maß beteiligt ist.
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In Anwendung dieser Grundsätze kann zur Überzeugung des Senats von einer
Vermittlungstätigkeit der Klägerin nicht gesprochen werden. Zwar sind die Klägerin als
Vermittlerin und die K GmbH als Arbeitgeberin formell gesellschaftsrechtlich formell
selbständig, weil es sich jeweils um juristische Personen handelt (§ 13 GmbHG).
Zwischen dem Alleingesellschafter und allein vertretungsberechtigten Geschäftsführer
beider Gesellschaften, Herrn M1, besteht aber Personenidentität. Er beherrscht damit
als Gesellschafter und Geschäftsführer beide Gesellschaften. Wirtschaftlich gesehen
waren die Klägerin als Vermittlerin und die K GmbH als Arbeitgeberin identisch, so dass
es an den Voraussetzungen für eine Vermittlungstätigkeit und damit an der Leistung
eines Vergütungsanspruchs fehlt.
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Dass der Arbeitsuchende an einen Dritten zu vermitteln ist, entspricht auch dem
Schutzgedanken der Norm. Nach § 421g Abs. 3 SGB III ist der Anspruch auf Zahlung
der Vergütung in einer Reihe von Fallkonstellationen ausgeschlossen, in denen
Mitnahmeeffekte besonders naheliegen (vgl. hierzu Rademacker, a.a.O., § 421g Rdz.
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Vermittlers nur unter den dort genannten Voraussetzungen ausgeschlossen sein soll.
Mitnahmeeffekte treten auch dann auf, wenn Vermittler und Arbeitgeber als
Vertragspartner des vermittelten Arbeitsuchenden wirtschaftlich miteinander verflochten
sind.
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Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 193,197a Abs. 1 Satz 1 SGG, 154 Abs. 2
Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Die Klägerin macht einen Anspruch auf
Vergütung gegen die Beklagte geltend und ist damit nicht durch § 183 SGG privilegiert
(vgl. zum Einarbeitungszuschuss, BSG, Beschluss vom 22.09.2004, Az.: B 11 AL 33/03
R).
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Die Revision wird nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG zugelassen.
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