Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 13.07.2007

LSG NRW: reformatio in peius, behörde, vollmacht, zustellung, verwaltungsakt, kommunikation, zugang, bekanntgabe, beteiligter, erinnerungsschreiben

Landessozialgericht NRW, L 20 B 16/07 AS
Datum:
13.07.2007
Gericht:
Landessozialgericht NRW
Spruchkörper:
20. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
L 20 B 16/07 AS
Vorinstanz:
Sozialgericht Duisburg, S 17 AS 190/06
Sachgebiet:
Grundsicherung für Arbeitssuchende
Rechtskraft:
rechtskräftig
Tenor:
Die Beschwerde der Kläger gegen den Beschluss des Sozialgerichts
Duisburg vom 04.12.2006 wird zurückgewiesen.
Gründe:
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I. Streitig ist, in welchem Umfang die Beklagte außergerichtliche Kosten der Kläger für
das erstinstanzliche Klageverfahren gemäß § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zu
erstatten hat.
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Mit Bescheid vom 14.03.2006 lehnte die Beklagte Leistungen für die Kläger nach dem
Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) mit der Begründung ab, es liege keine
Hilfebedürftigkeit im Sinne von § 9 Abs. 1 Nr. 2 SGB II vor. Mit Schreiben vom
29.03.2006 legten die Kläger am 31.03.2006 Widerspruch ein. Mit Schreiben vom
14.04.2006 (Eingang bei der Beklagten am 18.04.2006) zeigte die jetzige
Prozessbevollmächtigte die anwaltliche Vertretung der Kläger an und reichte eine
Vollmacht zu den Verwaltungsakten. Mit Bescheid vom 02.05.2006 hob die Beklagte
den Bescheid vom 14.03.2006 auf und bewilligte mit Bescheid vom 03.05.2006
Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Die genannten Bescheide wurden
unmittelbar an den Kläger zu 1) übersandt. Mit Schreiben vom 24.05.2006, das in dem
Verwaltungsvorgang der Beklagten nicht aufzufinden ist, erinnerte die jetzige
Prozessbevollmächtigte an die Erledigung des Widerspruchs.
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Mit Untätigkeitskläge vom 05.07.2006 begehrten die Kläger die Verbescheidung ihres
Widerspruchs. Die Kläger haben die Untätigkeitskläge am 11.08.2006 für erledigt erklärt
und beantragt,
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der Beklagten die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.
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Zur Begründung haben sie vorgetragen, trotz Vorlage einer Vollmacht im
Widerspruchsverfahren sei der Prozessbevollmächtigten ein Bescheid nicht übermittelt
worden. Da die Beklagte auch auf die Erinnerung mit Schreiben vom 24.05.2006 nicht
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reagiert habe, sei Klage geboten gewesen.
Das Sozialgericht hat der Beklagten mit Beschluss vom 04.12.2006 die
außergerichtlichen Kosten der Kläger zu einem Drittel auferlegt. Die Beklagte habe
Anlass zur Klageerhebung gegeben, weil sie den Abhilfebescheid nicht an die bereits
im Vorverfahren tätige Prozessbevollmächtigte übersandt habe. Allerdings überwögen
die Verursachungsbeiträge der Kläger, die den Erhalt des Widerspruchsbescheides
ihrer Prozessbevollmächtigten nicht mitgeteilt hätten.
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Mit ihrer Beschwerde vom 19.12.2006 machen die Kläger geltend, gemäß § 7 Abs. 1 S.
2 Verwaltungszustellungsgesetz (VwZG), § 13 Sozialgesetzbuch 10. Buch (SGB X)
hätten Zustellungen ausschließlich an die Bevollmächtigte erfolgen dürfen. Soweit der
Beklagten der Nachweis über die rechtzeitige Zustellung des Bescheides nicht gelinge,
habe sie die außergerichtlichen Kosten der Untätigkeitskläge zu tragen. Der
Bevollmächtigten sei der Änderungsbescheid erst im Klageverfahren übermittelt
worden. Ihrer Kostenminderungspflicht seien die Kläger durch die Erinnerung vom
24.05.2006 nachgekommen. Hätte die Beklagte hierauf reagiert und der
Bevollmächtigten den Änderungsbescheid übermittelt, wäre die Kläge vermeidbar
gewesen.
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Das Sozialgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen (Nichtabhilfebeschluss vom
25.01.2007).
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt des beigezogenen
Verwaltungsvorgangs der Beklagten sowie der Prozessakten verwiesen.
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II.
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Die zulässige Beschwerde der Kläger ist unbegründet.
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Gemäß § 193 Abs. 1 S. 3 SGG entscheidet das Gericht nach Erledigung der
Hauptsache über die außergerichtlichen Kosten auf Antrag der Beteiligten durch
Beschluss. Die Entscheidung, ob und in welchem Umfang die Beteiligten bei
Beendigung des Rechtsstreits einander Kosten zu erstatten haben, ist dabei unter
Berücksichtigung des Sach- und Streitsstandes zum Zeitpunkt der Erledigung nach
sachgemäßen Ermessen zu treffen, wobei den mutmaßlichen Erfolgsaussichten
Bedeutung zukommt. Zudem sind auch die Gründe für den Anlass der Klageerhebung
im Sinne des Veranlassungsprinzips zu berücksichtigen (vgl. Meyer-
Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8. Auflage 2005, § 193 RdNr. 12b ff., BSG, Beschluss
vom 16.05.2007, B 7b AS 40/06 R).
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Das Sozialgericht hat im Rahmen der Kostenentscheidung zutreffend darauf abgestellt,
welcher Beteiligter in welchem Umfang Veranlassung zur Klageerhebung gegeben hat.
Der Senat schließt sich auch der in der Kostenquotelung zum Ausdruck kommenden
Gewichtung der Verursachungsbeiträge an. Die Argumentation der
Prozessbevollmächtigten der Kläger verkennt, dass bei sichergestellter Kommunikation
zwischen den Klägern und ihrer Bevollmächtigten eine Klageerhebung von vornherein
nicht in Betracht gekommen wäre. Durch die Vorschrift des § 13 Abs. 3 S. 1 SGB X ist
die Behörde zwar grundsätzlich verpflichtet, sich an den Bevollmächtigten zu wenden.
Dies schließt allerdings eine Verständigung zwischen Beteiligten und ihren
Bevollmächtigten nicht aus.
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Der Senat weist im Übrigen darauf hin, dass § 37 Abs. 1 S. 2 SGB X - insoweit
abweichend von § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB X - der Behörde die Möglichkeit eröffnet, trotz
Bestellung eines Bevollmächtigten den Verwaltungsakt dem Adressaten selbst
bekanntzugeben. Die Zustellung des Abhilfebescheides ist hingegen nicht gesetzlich
angeordnet, so dass die Vorschrift des § 7 Verwaltungszustellungsgesetz keine
Anwendung findet. Eine vollständige Kostenfreistellung der Beklagten erscheint
gleichwohl nicht zwingend, weil sie auf das Erinnerungsschreiben der Bevollmächtigten
der Kläger vom 24.05.2006, dessen Zugang sie nicht bestritten hat, nicht reagiert hat
und es durchaus angemessen erscheint, bei Bestellung eines Bevollmächtigten und
Bekanntgabe des Verwaltungsakts an den Adressaten selbst dem Bevollmächtigten
zumindest eine Durchschrift zukommen zu lassen. Bei dieser Sachlage kann der Senat
dahinstehen lassen, ob im Rahmen der Beschwerde über eine (isolierte)
Kostenentscheidung das Verbot der reformatio in peius gilt.
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Die Beschwerdeentscheidung nach § 193 SGG enthält eine Kostenentscheidung nicht
(vgl. Meyer-Ladewig/Leitherer, a.a.O., RdNr. 17).
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 177 SGG.
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