Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 26.06.2006

LSG NRW: aufschiebende wirkung, hauptsache, rücknahme, unterlassungsklage, aussetzung, vollziehung, vertreter, rechtsschutzinteresse, verwaltungshandeln, unterlassen

Landessozialgericht NRW, L 1 B 16/06 AS ER
Datum:
26.06.2006
Gericht:
Landessozialgericht NRW
Spruchkörper:
1. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
L 1 B 16/06 AS ER
Vorinstanz:
Sozialgericht Duisburg, S 17 AS 437/05 ER
Sachgebiet:
Grundsicherung für Arbeitssuchende
Rechtskraft:
rechtskräftig
Tenor:
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des
Sozialgerichts Duisburg vom 30.03.2006 wird zurückgewiesen. Kosten
sind auch im Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.
Gründe:
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I.
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Der Antragsteller wehrt sich im Wege des vorläufigen vorbeugenden Rechtsschutzes
gegen Meldeaufforderungen der Antragsgegnerin.
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Der Antragsteller bezog bis zum 31.12.2005 von der Stadt E Sozialhilfe. Die Leistungen
wurden eingestellt, weil der Antragsteller erwerbsfähig sei (Bescheid vom 21.03.2005 in
Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31.05.2005). Der Antragsteller beantragte
daraufhin am 17.05.2005 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem
Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II), die die Antragsgegnerin für die Zeit vom
17.05.2005 bis zum 31.07.2005 (Bescheid vom 01.06.2005) und die Zeit vom
01.08.2005 bis zum 31.01.2006 (Bescheid vom 13.07.2005) bewilligte. Dem Antrag
beigefügt waren Erklärungen, denen zufolge der Antragsteller sich aus religiösen und
gesundheitlichen Gründen dem Arbeitsmarkt ausdrücklich nicht zur Verfügung stellt.
Meldeaufforderungen der Antragsgegnerin vom 14.06.2005 zum 21.06.2005, vom
22.06.2005 zum 01.07.2005 und vom 19.07.2005 zum 27.07.2005 kam der Antragsteller
nicht nach. Seine gegen diese Meldeaufforderungen erhobenen Widersprüche hat die
Antragsgegnerin zurückgewiesen (Widerspruchsbescheide vom 03.01. und
04.01.2006). Im Hinblick auf die Meldeversäumnisse senkte die Antragsgegnerin unter
gleichzeitiger Änderung des Bescheides vom 13.07.2005 die dem Antragsteller
zustehende Leistung zur Sicherung des Lebensunterhaltes für die Zeit vom 01.10.2005
bis zum 31.12.2005 mit Bescheid vom 12.09.2005 in Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 05.01.2006 um 10 % und mit Bescheid vom 23.09.2005
in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.01.2006 um weitere 10 % der
Regelleistung, insgesamt also 69 EUR monatlich, ab.
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Am 04.07.2005 beantragte der Antragsteller beim Sozialgericht (SG) Duisburg, der
Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung den Versand weiterer
Meldeaufforderungen zu untersagen (S 17 AS 252/05 ER SG Duisburg). Diesen Antrag
nahm er im Termin zur mündlichen Verhandlung am 14.10.2005 zurück. Mit Schriftsatz
vom 15.10.2005 hat der Antragsteller diese Rücknahme widerrufen. Er habe infolge
einer Erkrankung (Desynchronisation des Schlaf-Wach-Rhythmus) zurzeit der
Verhandlung nicht über seine volle geistige Aufmerksamkeit verfügt. Der Antrag auf
Erlass einer einstweiligen Anordnung sei seine einzige wirksame Möglichkeit, sich
gegen die von der Antragsgegnerin ausgesprochenen rechtswidrigen und
unverhältnismäßigen Meldeaufforderungen zu wehren. Mit Schriftsatz vom 27.02.2006
hat der Antragsteller sein Begehren auf einstweiligen Rechtsschutz zudem auf eine
weitere Meldeaufforderung der Antragsgegnerin vom 23.02.2006 zum 06.03.2006
erweitert.
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Das SG hat zur Feststellung der Prozessfähigkeit des Antragstellers einen
Befundbericht des ihn behandelnden Arztes für Nervenheilkunde, Psychiatrie und
Psychotherapie Dr. Q vom 08.01.2006 eingeholt und die Anträge auf einstweiligen
Rechtsschutz zurückgewiesen (Beschluss v. 30.03.2006). Auf den Inhalt des
Befundberichtes und des Beschlusses wird Bezug genommen.
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Mit der Beschwerde trägt der Antragsteller weiterhin vor, es gehe ihm darum, der
Antragsgegnerin den Versand weiterer Meldeaufforderungen zu untersagen. Hierzu sei
in der Hauptsache allein die vorbeugende Unterlassungsklage, im einstweiligen
Rechtsschutz daher der Antrag einer einstweiligen Anordnung das geeignete Mittel.
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Die Antragsgegnerin tritt der Beschwerde entgegen. Sie trägt vor, der Antragsteller habe
seinen seinerzeitigen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz wirksam
zurückgenommen. Jedenfalls fehle es für den Erlass einer einstweiligen Anordnung
sowohl am Anordnungsanspruch als auch am Anordnungsgrund. Der Antragsteller habe
keine nachvollziehbaren Gründe dargelegt, die es unausweichlich erscheinen ließen,
über die Rechtmäßigkeit der ihm gegenüber ergangenen Meldeaufforderungen im
Wege des einstweiligen Rechtsschutzes zu entscheiden.
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Die Verwaltungsakten der Antragsgegnerin sind beigezogen worden.
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II.
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Der Senat kann entscheiden, ohne dem Antragsteller gemäß § 72 Abs. 1
Sozialgerichtsgesetz (SGG) einen besonderen Vertreter zu bestellen. Nach dem vom
SG eingeholten Befundbericht von Dr. Q bestehen keine hinreichenden Anhaltspunkte
dafür, dass der Antragsteller prozessunfähig ist.
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Die zulässige Beschwerde, der das SG nicht abgeholfen hat, ist unbegründet. Der
Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist unzulässig.
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Dem Antragsteller kommt es nach seinem eindeutigen erst- und zweitinstanzlichen
Vorbringen ausschließlich auf die Verpflichtung der Antragsgegnerin an, den Erlass
weiterer Meldeaufforderungen ihm gegenüber zu unterlassen. Hierfür ist in der
Hauptsache die vorbeugende Unterlassungsklage und im einstweiligen Rechtsschutz
der Antrag auf Erlass einer entsprechenden einstweiligen Anordnung die richtige Klage-
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bzw. Antragsart.
Für die Zulässigkeit dieses Antrags ist die Wirksamkeit der Rücknahme des
ursprünglichen Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ohne Bedeutung.
Denn auch durch eine wirksame Rücknahme wäre der Antragsteller an einem erneuten
Antrag mit demselben Inhalt nicht gehindert, zumal die Antragsgegnerin ihm
anschließend eine erneute Meldeaufforderung erteilt hat. Dementsprechend hat der
Antragsteller die Feststellung der Unwirksamkeit seiner Antragsrücknahme, für die im
Übrigen kein Rechtsschutzinteresse bestünde, nicht ausdrücklich begehrt.
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Die Zulässigkeit des Antrags scheitert allein daran, dass dem Antragsteller das hierfür
erforderliche qualifizierte Rechtsschutzbedürfnis (vgl. hierzu BVerwG, Urteil v.
07.05.1996, 1 C 10/95, DVBl. 1996, 1192, 1193 m.w.N.) fehlt. Dieses besondere
Zulässigkeitserfordernis ergibt sich bei vorbeugenden Unterlassungs- oder
Feststellungsklagen daraus, dass das Rechtsschutzsystem des Sozialgerichtsgesetzes
(SGG) grundsätzlich auf die nachträgliche Überprüfung von Verwaltungshandeln
ausgerichtet und der Antragsteller gegenüber Verwaltungsakten durch die Möglichkeit
insbesondere des Antrags auf Aussetzung der sofortigen Vollziehung (§ 86a Abs. 3 Satz
1 SGG) bzw. des Antrags auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung (§ 86b Abs. 1 Nr.
2 SGG) ausreichend geschützt ist. Vor diesem Hintergrund ist in der Hauptsache für
eine vorbeugende Unterlassungsklage nur ausnahmsweise dann Raum, wenn die
Verweisung auf den erst nach Erlass des Verwaltungsaktes möglichen Rechtsschutz
unzumutbar ist, z.B. weil ansonsten vollendete Tatsachen geschaffen würden. Da im
Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes nicht mehr gewährt werden kann als
aufgrund der Klage in der Hauptsache, gilt dieses Erfordernis des qualifizierten
Rechtsschutzbedürfnisses auch für den Antrag auf Erlass einer einstweiligen
Anordnung mit gleichem Inhalt.
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Dem Antragsteller ist es zuzumuten, sich auf den Rechtsschutz gegen ergangene
Meldeaufforderungen der Antragsgegnerin bzw. die im Falle eines Meldeversäumnisses
ohne wichtigen Grund erfolgende Absenkung gemäß § 31 Abs. 2 SGB II verweisen zu
lassen.
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Die Meldeaufforderung gemäß § 59 SGB II i.V.m. § 309 Drittes Buch Sozialgesetzbuch
(SGB III) begründet für den Antragsteller bzw. Leistungsempfänger nach dem SGB II
zunächst nur die Verpflichtung, zum vereinbarten Termin zu erscheinen. Hierdurch
treten keine unzumutbare Nachteile ein. Im Übrigen besteht trotz der fehlenden
aufschiebenden Wirkung von Rechtsbehelfen gegen Meldeaufforderungen (§ 336a Satz
1 Nr. 3 SGB III in entsprechender Anwendung) die Möglichkeit, die Aussetzung der
Vollziehung bzw. die Anordnung der aufschiebenden Wirkung nach Maßgabe der
bereits genannten Vorschriften zu beantragen. Zwar kann das Meldeversäumnis - bei
Vorliegen der weiteren Voraussetzungen - zur Absenkung des Arbeitslosengeldes II
führen (§ 31 Abs. 2 SGB II). Dem Antragsteller ist es jedoch ebenfalls zuzumuten, eine
solche Entscheidung der Antragsgegnerin abzuwarten und sich - da der Widerspruch
insoweit gemäß § 39 Nr. 1 SGB II ebenfalls keine aufschiebende Wirkung hat - auch
dagegen mit den genannten Möglichkeiten des einstweiligen Rechtsschutzes zu
wehren. Hierdurch kann der Eintritt irreparabler Nachteile in ausreichendem Maße
verhindert werden.
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Der Antragsteller kann das erforderliche qualifizierte Rechtsschutzbedürfnis für einen
vorbeugenden Unterlassungssantrag schließlich nicht auf die Mehr- oder gar Vielzahl
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der zu erwartenden Meldeaufforderungen stützen. Die Frage, ob eine
Meldeaufforderung rechtmäßig und im Falle eines Meldeversäumnisses die Absenkung
des Arbeitslosengeldes II statthaft ist, lässt sich nur nach Maßgabe des jeweiligen
Einzelfalles klären und ist einem abstrakten Unterlassungsausspruch nicht zugänglich.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.
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Diese Entscheidung kann nicht mit der Beschwerde angefochten werden (§ 177 SGG).
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