Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 28.02.2008

LSG NRW: bemessung der beiträge, beitragssatz, rentner, krankengeld, altersrente, feststellungsklage, arbeitsentgelt, krankenkasse, gefahr, eigentumsgarantie

Landessozialgericht NRW, L 5 KR 168/06
Datum:
28.02.2008
Gericht:
Landessozialgericht NRW
Spruchkörper:
5. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
L 5 KR 168/06
Vorinstanz:
Sozialgericht Köln, S 9 KR 358/05
Sachgebiet:
Krankenversicherung
Rechtskraft:
rechtskräftig
Tenor:
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Köln vom
29. August 2006 wird zurückgewiesen. Kosten sind auch im
Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
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Streitig ist, ob die Beklagte berechtigt ist, von der Altersrente der Klägerin Beiträge nach
dem vollen allgemeinen Beitragssatz zu erheben.
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Die Klägerin ist seit dem 01.04.2005 bei der Beklagten wegen des Bezugs von
Altersrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung in der Krankenversicherung der
Rentner pflichtversichert. Von den Rentenbezügen werden von der Beigeladenen
Beiträge zur Krankenversicherung auf der Grundlage des allgemeinen Beitragssatzes
der Beklagten einbehalten.
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Unter dem 18.04.2005 begehrte die Klägerin, Beiträge nach dem ermäßigten
Beitragssatz zu erheben. Sie verwies auf die Entscheidung des Bundessozialgerichts
(BSG) vom 25.08.2004 - B 12 KR 22/02 R - (= SozR 4-2500 § 243 Nr. 1), wonach
Beiträge nach dem ermäßigten Beitragssatz zu entrichten seien, wenn im Rahmen der
Altersteilzeit während einer Zeit der vollständigen Freistellung von der Arbeitsleistung
eine Beschäftigung gegen Arbeitsentgelt fortbestehe und der Anspruch auf Krankengeld
insofern ruhe. Deshalb, so die Klägerin, sei die bisherige Rechtsprechung des BSG zum
Beitragssatz der Rentner (Urteil vom 18.12.1984 - 12 RK 42/83 -) damit überholt.
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Mit Bescheid vom 30.06.2005 lehnte die Beklagte den Antrag ab, da der Beitrag
entsprechend der gesetzlichen Regelung nach dem allgemeinen Beitragssatz zu
bemessen sei. Den hiergegen eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit
Widerspruchsbescheid vom 30.11.2005 zurück. Die von der Klägerin genannte
Rechtsprechung betreffe nur arbeitnehmerähnliche Personen und sei wegen der
besonderen Regelungen der §§ 247 und 248 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch -
Gesetzliche Krankenversicherung - (SGB V) nicht auf pflichtversicherte Rentner
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übertragbar.
Am 27.12.2005 hat die Klägerin Klage vor dem Sozialgericht (SG) Köln erhoben und ihr
Begehren weiterverfolgt. Sie hat die Ansicht vertreten, die Entscheidung des BSG zur
Anwendung des ermäßigten Beitragssatzes bei Altersteilzeit sei auf die Altersrente zu
übertragen.
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Die Klägerin hat beantragt,
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die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 30.06.2005 in der Fassung des
Widerspruchsbescheides vom 30.11.2005 zu verurteilen, den Beitrag zur gesetzlichen
Krankenversicherung ab 01.04.2005 unter Zugrundelegung des ermäßigten
Beitragssatzes nach § 243 Abs. 1 SGB V neu festzusetzen.
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Die Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie hat im Wesentlichen auf die Begründung des Widerspruchsbescheides verwiesen.
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Durch Urteil vom 29.08.2006 hat das SG die Klage abgewiesen. Die von der Klägerin
genannte Entscheidung des BSG betreffe nur arbeitnehmerähnliche Personen und sei
aufgrund der besonderen, nicht verfassungswidrigen Regelungen der §§ 247 und 248
SGB V auf pflichtversicherte Rentner nicht übertragbar.
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Gegen das ihr am 05.10.2006 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 31.10.2006
Berufung eingelegt.
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Sie trägt vor, sie habe ebenso wie ein Versicherter in Altersteilzeit keinen Anspruch auf
Krankengeld, so dass es nicht gerechtfertigt sei, bei Rentnern Beiträge nach dem
allgemeinen Beitragssatz zu erheben.
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Die Klägerin beantragt,
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das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 29.08.2006 zu ändern und unter Aufhebung des
Bescheides der Beklagten vom 30.06.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 30.11.2005 festzustellen, dass ihr Krankenversicherungsbeitrag seit dem
01.04.2005 nach dem ermäßigten Beitragssatz zu bemessen ist.
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Die Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte und der Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen, der Gegenstand der
mündlichen Verhandlung gewesen ist.
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Entscheidungsgründe:
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Die zulässige Berufung ist unbegründet.
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Die Anfechtungs- und Feststellungsklage ist zulässig. Nach dem Inhalt des
maßgeblichen Begehrens hat die Klägerin auch von Anfang an bezüglich des
Beitragsschuldverhältnisses eine Anfechtungs- und Feststellungsklage (§ 54 Abs. 1, 55
Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG -) erhoben. Da die Beiträge aus der
Rente der Klägerin nicht von der Beklagten selbst, sondern von dem beigeladenen
Rentenversicherungsträger für die Beklagte einzuhalten sind (§ 255 Abs. 1 und Abs. 3
SGB V), kann die Klägerin eine verbindliche Entscheidung über die von ihr zu
tragenden Beiträge aus ihrer Rente nur durch eine Anfechtung des Bescheides der
Beklagten und eine Feststellungsklage erreichen (vgl. BSG SozR 4-2500 § 248 Nr. 1;
BSG SozR 4-2500 § 240 Nr. 7).
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Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom
30.06.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.11.2005 ist rechtmäßig,
denn für die Bemessung der Beiträge aus Renten der gesetzlichen Rentenversicherung
gilt der allgemeine Beitragssatz.
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Die Leistung der Beigeladenen an die Klägerin gehört als Rente aus der gesetzlichen
Rentenversicherung zu den beitragspflichtigen Einnahmen, §§ 226 Abs. 1 Nr. 2, 228,
237 SGB V. Die Festsetzung des von der Klägerin zu zahlenden Beitrages aus ihrer
Rente unter Zugrundelegung des - vollen - allgemeinen Beitragssatzes beruht auf § 247
SGB V. Danach gilt bei Versicherungspflichtigen für die Bemessung der Beiträge aus
Renten der gesetzlichen Rentenversicherung der allgemeine Beitragssatz ihrer
Krankenkasse. § 243 Abs. 1 1. Regelung SGB V, der die Anwendung des ermäßigten
Beitragssatzes regelt, sofern kein Anspruch auf Krankengeld besteht, kann hier nicht zur
Anwendung kommen. § 247 SGB V stellt insoweit nämlich die speziellere Vorschrift dar.
Dies ergibt sich schon daraus, dass für § 247 SGB V kein Anwendungsbereich
verbliebe, würde man bei pflichtversicherten Rentenbeziehern den ermäßigten
Beitragssatz nach § 243 SGB V zur Anwendung bringen. Dann nämlich hätte kein
Rentner - da hier regelmäßig kein Krankengeldanspruch besteht - den allgemeinen
Beitragssatz zu zahlen (vgl. Senatsurteil vom 23.04.2004 - L 5 KR 224/02 -).
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Auch das Urteil des BSG vom 25.08.2004 (a.a.O.) führt entgegen der Ansicht der
Klägerin zu keiner anderen Beurteilung. Denn diese Entscheidung betrifft ausschließlich
Beschäftigte, bei denen im Rahmen der Altersteilzeit während einer Zeit der
vollständigen Freistellung von der Arbeitsleistung eine Beschäftigung gegen
Arbeitsentgelt fortbesteht und bei denen ein besonderer Beitragssatz gemäß §§ 244 ff.
SGB V deshalb gerade nicht einschlägig ist (vgl. dazu ausdrücklich BSG a.a.O.).
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Die Regelung des § 247 SGB V verstößt entgegen der Auffassung der Klägerin auch
nicht gegen verfassungsrechtliche Vorschriften, insbesondere nicht gegen Art. 3
Grundgesetz (GG), wie das BSG in ständiger Rechtsprechung auch in jüngster Zeit
mehrfach entschieden hat (vgl. BSG SozR 4-2500 § 248 Nr. 1 m.w.N.; BSG SozR 4-
2500 § 240 Nr. 7). Wenn der Gesetzgeber sowohl in § 247 SGB V für die Rente als auch
in § 248 SGB V für Versorgungsbezüge und Arbeitseinkommen vorschreibt, dass bei
Versicherungspflichtigen für diese Einnahmen der allgemeine Beitragssatz gilt, ist dies
keine gleichheitswidrige Abweichung von den in den §§ 241 bis 243 SGB V
vorgegebenen Regelungen, die eine Differenzierung des Beitragssatzes gerade nach
dem Risiko der Inanspruchnahme von Krankengeld vorsehen. Insbesondere musste der
Gesetzgeber für Personen, die als Rentner nach § 5 Abs. 1 Nr. 11 SGB V
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versicherungspflichtig sind und als solche mangels versicherungspflichtiger
Beschäftigung keinen Anspruch auf Krankengeld erwerben können, nicht etwa als
Folge der Systematik der §§ 241 bis 243 SGB V den ermäßigten Beitragssatz ihrer
Krankenkasse festsetzen. Er konnte vielmehr für die versicherungspflichtigen Bezieher
einer Rente als Gruppe beitragsrechtliche Sonderregelungen vorsehen, wie er dies
auch in der Vergangenheit immer getan hat.
Seit Einführung der Krankenversicherung der Rentner (KVdR) im Jahre 1956 wurden
die Rentner beitragsmäßig als besondere Gruppe behandelt. Die jetzt geltende
Regelung stellt sich hinsichtlich der Geltung des allgemeinen Beitragssatzes als
Fortsetzung seit jeher bestehender besonderer Beitragsregelungen für
Versicherungspflichtige sowohl für die Beiträge aus der Rente als auch aus den
Versorgungsbezügen dar. Sie behandelt diejenigen, die als Versicherungspflichtige
eine Rente beziehen und damit im Wesentlichen die versicherungspflichtigen Rentner
als eine Gruppe und bestimmt für sie als Gruppe den Beitragssatz (vgl. BSG a.a.O.).
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Mit der Festlegung des allgemeinen Beitragssatzes wird den versicherungspflichtigen
Rentnern auch nicht eine systemwidrige besondere Last, der keine entsprechenden
Leistungen entsprächen, auferlegt. Dies wäre allenfalls zu erörtern, wenn die
Beitragseinnahmen aus der Gruppe der Rentner die Leistungsaufwendungen für die
Rentner überstiegen. Davon kann jedoch keine Rede sein. Die Beitragsdeckungsquote
von Leistungen in der KVdR ist vielmehr von ca. 70 v.H. im Jahre 1973 stetig gesunken
auf eine Quote von 50 v.H. im Jahre 2004 (vgl. dazu im Einzelnen BSG a.a.O.).
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Die Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 GG wird durch die Heranziehung der
Versicherten mit den vollen Beiträgen aus der Rente nicht verletzt. Das Vermögen als
solches ist durch Art. 14 Abs. 1 GG nicht gegen die Auferlegung öffentlich-rechtlicher
Geldleistungspflichten geschützt (vgl. BVerfGE 91, 207, 220), soweit es dadurch nicht zu
einer grundlegenden Beeinträchtigung der Vermögensverhältnisse kommt (vgl. BVerfGE
82, 159, 190). Diese Gefahr besteht bei der Erhebung von Beiträgen nach dem vollen
Beitragssatz aus der Rente nicht (vgl. BSG a.a.O.); dieses hat die Klägerin im Übrigen
auch nicht geltend gemacht.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
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Anlass zur Zulassung der Revision besteht nicht, da die Voraussetzungen gem. § 160
Abs. 2 SGG nicht erfüllt sind.
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