Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 06.10.2004

LSG NRW: arbeitslosenhilfe, arbeitsentgelt, arbeitslosenversicherung, bedürftigkeit, bemessungszeitraum, umkehrschluss, gerichtsakte, drucksache, aussetzung, fürsorgeleistung

Landessozialgericht NRW, L 12 AL 267/03
Datum:
06.10.2004
Gericht:
Landessozialgericht NRW
Spruchkörper:
12. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
L 12 AL 267/03
Vorinstanz:
Sozialgericht Dortmund, S 30 AL 126/03
Sachgebiet:
Arbeitslosenversicherung
Rechtskraft:
nicht rechtskräftig
Tenor:
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Dortmund
vom 10.11.2003 wird zurückgewiesen. Die Klage gegen den Bescheid
vom 20.02.2004 wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch
im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht
zugelassen.
Tatbestand:
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Umstritten ist die Höhe der dem Kläger zu gewährenden Arbeitslosenhilfe ab
20.02.2003.
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Der am 00.00.1944 geborene Kläger war zuletzt bis 31.12.2000 als
Zurichtigungsarbeiter versicherungspflichtig beschäftigt. Während seiner Beschäftigung
bei der Firma L GmbH war ihm auch eine Weihnachtszuwendung gezahlt worden. Der
Kläger bezog Arbeitslosengeld vom 01.01.2001 bis zu dessen Erschöpfung am
19.02.2003. Der Gewährung von Arbeitslosengeld lag zuletzt ein gerundetes
wöchentliches Bemessungsentgelt von 550,00 Euro zu Grunde. Bei der Berechnung
des Arbeitslosengeldes hatte die Beklagte das in der Zeit vom 01.01.2000 bis
30.11.2000 erzielte Arbeitsentgelt in Höhe von 49.837,13 DM inklusive des gezahlten
Weihnachtsgeldes in Höhe von 4.467,00 DM berücksichtigt.
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Am 06.02.2003 beantragte der Kläger die Gewährung von Anschlussarbeitslosenhilfe.
Mit Bescheid vom 17.02.2003 bewilligte die Beklagte dem Kläger ab 20.02.2003
Arbeitslosenhilfe unter Berücksichtigung der jährlichen Anpassung gem. § 138
Sozialgesetzbuch (SGB III) nach einem gerundeten wöchentlichen Bemessungsentgelt
von 500 Euro, wobei sie das dem Arbeitslosengeld zu Grunde gelegte Arbeitsentgelt um
die Einmalzahlung reduziert hatte. Unter Berücksichtigung eines wöchentlichen
Anrechnungsbetrages von 2,17 Euro für Zinseinnahmen gewährte sie dem Kläger
Arbeitslosenhilfe in Höhe von wöchentlich 194,74 Euro (Leistungssatz wöchentlich:
196,91 Euro).
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Gegen den Bewilligungsbescheid legte der Kläger fristgerecht Widerspruch ein und
führte zur Begründung aus, die vorgenommene Berechnung sei deshalb fehlerhaft, weil
das Bemessungsentgelt nicht um die Einmalzahlung Weihnachtsgeld zu reduzieren sei.
Von der Einmalzahlung seien Beiträge zur Arbeitslosenversicherung abgeführt worden
und demnach sei dieses Weihnachtsgeld mit in die Bemessungsgrundlage auch für die
Arbeitslosenhilfe einzubeziehen. Diesen Widerspruch wies die Beklagte mit
Widerspruchsbescheid vom 14.04.2003 unter Hinweis auf die geltende Gesetzeslage
zurück.
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Hiergegen hat der Kläger am 22.04.2003 Klage vor dem Sozialgericht Dortmund
erhoben und zur Begründung auf seine bisherigen Ausführungen verwiesen. Er hat
seine Klage auf die Nichtberücksichtigung der Einmalzahlung Weihnachtsgeld
beschränkt und ausdrücklich vorgetragen, dass er sich gegen die Anrechnung von
Zinsen und deren Berechnung nicht wende.
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Vor dem Sozialgericht hat der Kläger beantragt,
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die Beklagte unter Änderung des Bescheides vom 17.02.2003 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 14.04.2003 zu verurteilen, ihm ab dem 20.02.2003 eine
höhere Arbeitslosenhilfe unter Berücksichtigung der bezogenen Einmalzahlungen zu
gewähren.
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Die Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Die Beklagte hat an ihrer im Verwaltungsverfahren vertretenen Rechtsauffassung
festgehalten.
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Mit Urteil vom 10.11.2003 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Es hat
ausgeführt: Die Berechnung der Arbeitslosenhilfe des Kläger entspreche den
gesetzlichen Vorgaben. Die Nichtberücksichtigung von Einmalzahlungen verstoße auch
nicht gegen verfassungsrechtliche Grundsätze. Das Sozialgericht hat sich auf das Urteil
des Bundessozialgerichtes (BSG) vom 05.06.2003 - B 11 AL 67/02 R - gestützt.
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Gegen dieses dem Kläger am 17.11.2003 zugestellten Urteil richtet sich die am
26.11.2003 eingegangene Berufung. Der Kläger hält an seiner Auffassung fest, dass
das Weihnachtsgeld als Einmalzahlung auch in das Bemessungsentgelt für die
Arbeitslosenhilfe einfließen müsse, da er hierfür Beiträge zur Arbeitslosenversicherung
entrichtet habe. Der Gesetzgeber sei auch bei der Gestaltung von steuerfinanzierten
Versorgungsleistungen nicht frei in seiner Regelungsbefugnis, sondern gemäß Art. 2
Grundgesetz (GG) an die verfassungsmäßige Ordnung und damit auch an den
allgemeinen Gleichheitssatz des Artikel 3 Abs. 1 GG gebunden. Deshalb erfordere eine
Ungleichbehandlung, die sich allein im System von steuerfinanzierten Leistungen
auswirke, wegen Artikel 3 Abs. 1 GG in gleicher Weise eine Rechtfertigung wie eine
Ungleichbehandlung, die das System der beitragsfinanzierten Leistungen betreffe. Dem
stehe auch nicht die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 24.05.2000 - 1
BvL 1/98 - entgegen. Gegenstand des dortigen Verfahrens sei die Arbeitslosenhilfe nicht
gewesen. Der Kläger sieht sich durch einen Vorlagebeschluss des Sozialgerichts
Dortmund an das Bundesverfassungsgericht vom 23.03.2001 - S 5 AL 304/00 - und
einen Aufsatz von Gagel in NZS 2000, 591, 592 bestätigt. Die Ungleichbehandlung
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könne nicht dadurch gerechtfertigt werden, dass ein Anspruch auf Arbeitslosenhilfe nur
bestehe, wenn das Tatbestandsmerkmal der Bedürftigkeit erfüllt sei. Auch unter
Berücksichtigung dieses Umstandes hänge die Höhe der Arbeitslosenhilfe
entscheidend vom bisherigen beitragspflichtigen Arbeitsentgelt ab. § 200 SGB III
verweise auf das Bemessungsentgelt, nachdem das Arbeitslosengeld zuletzt bemessen
worden sei. Diese enge Verknüpfung gebiete es, die Einmalzahlungen auch bei der
Arbeitslosenhilfe zu berücksichtigen. Der Kläger hat angeregt, dass Verfahren
auszusetzen und dem Bundesverfassungsgericht mit folgender Frage vorzulegen: Ist §
200 Abs. 1 SGB III in der Fassung des Einmalzahlungs-Neuregelungsgesetzes vom
21.12.2000 mit dem Grundgesetz vereinbar, soweit einmalig gezahlte Arbeitsentgelte
bei der Bemessung der Arbeitslosenhilfe unberücksichtigt bleiben?
Während des Berufungsverfahrens ist dem Kläger mit Bescheid vom 20.02.2004 für die
Zeit vom 20.02. bis 29.02.2004 Arbeitslosenhilfe nach einem Bemessungsentgelt von
485 Euro in Höhe von 195,86 Euro pro Woche zu erkannt worden. Zinseinnahmen
wurden nicht mehr berücksichtigt. Seit dem 01.03.2004 bezieht der Kläger
Altersruhegeld.
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Der Kläger beantragt,
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das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 10.11.2003 zu ändern und die Beklagte
unter Änderung des Bescheides vom 17.02.2003 in der Fassung des
Widerspruchsbescheides vom 14.04.2003 sowie unter Abänderung des Bescheides
vom 20.02.2004 zu verurteilen, dem Kläger Arbeitslosenhilfe vom 20.02.2003 bis
29.02.2004 unter Berücksichtigung der Einmalzahlungen zu gewähren.
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Die Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen und hinsichtlich des Bescheides vom 20.02.2004 die
Klage abzuweisen.
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Die Beklagte hält das angefochtene Urteil für zutreffend und verweist auf die bereits vom
Sozialgericht zitierte BSG-Entscheidung vom 05.06.2003 und auf Entscheidungen des
erkennenden Senats.
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Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte und der den Kläger betreffenden Verwaltungsakte der Beklagten Bezug
genommen. Diese Akten waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
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Entscheidungsgründe:
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Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Das Sozialgericht hat zutreffend
entschieden, dass die Arbeitslosenhilfe ohne Berücksichtigung der Einmalzahlungen
Weihnachtsgeld (Jahressonderzuwendung) zu gewähren ist.
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Das Arbeitslosengeld des Klägers ist gemäß § 134 Abs. 1 SGB III in der ab 01.01.2001
gültigen Fassung bereits unter Berücksichtigung der im Bemessungszeitraum (hier:
01.01.2000 bis 30.11.2000) tatsächlich gezahlten Jahressonderzuwendung in Höhe von
4.467 DM berechnet worden (49.837,13 DM./. 47,8 Wochen = 1.042,61 DM = gerundet
1.040,00 DM). Nach diesem Bemessungsentgelt ist dem Kläger auch ab 01.01.2001
Arbeitslosengeld bewilligt worden.
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Der Anspruch auf Anschlussarbeitslosenhilfe, insbesondere das hierfür zugrunde
zulegende Bemessungsentgelt richtet sich nach § 200 Abs. 1 SGB III. Hiernach ist
Bemessungsentgelt für die Arbeitslosenhilfe das Bemessungsentgelt, nach dem das
Arbeitslosengeld zuletzt bemessen worden ist, vermindert um den Betrag, der auf
einmalig gezahltem Arbeitsentgelt beruht. Die Beklagte hat diese Vorschrift zutreffend
angewendet.
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Vermindert man das Bemessungsentgelt von 49.837,13 DM um die Einmalzahlung in
Höhe von 4.467,00 DM, ergibt sich ein Bemessungsentgelt von 45.370,13 DM, woraus
sich bezogen auf den 20.02.2003 ein Bemessungsentgelt von 501,45 Euro (gerundet
500 Euro) ergibt. Wegen der Berechnung im Einzelnen wird auf die nachvollziehbare
Darstellung auf Seite 2 drittletzter Absatz des Widerspruchsbescheides vom 14.04.2003
Bezug genommen. Nach genau diesem Bemessungsentgelt in Höhe von 500 Euro ist
die Arbeitslosenhilfe des Klägers berechnet worden.
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Durchgreifende verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Vorschrift des § 200 Abs. 1
SGB III bestehen zur Überzeugung des Senats entgegen der Auffassung des Klägers
nicht. Dies hat der Senat bereits in der Vergangenheit in Übereinstimmung mit der
Rechtsprechung des BSG entschieden. Er hält an dieser Auffassung fest (vgl. Urteil des
Senats vom 11.04.2001 - L 12 AL 116/00 -, vom 17.04.2002 - L 12 AL 86/01 -, vom
21.08.2002 - L 12 AL 40/02 - und vom 03.03.2004 - L 12 AL 87/03 -; Urteil des BSG vom
05.06.2003 - B 11 AL 67/02 R - m. w. N. auf die Rechtsprechung des BSG).
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Die unter Berufung auf den allgemeinen Gleichheitssatz des Artikel 3 Abs. 1 GG gegen
die Bemessung der Arbeitslosenhilfe unter Nichtberücksichtigung von einmalig
gezahltem Arbeitsentgelt gezahlten Bedenken (Gagel, NZS 2000, 591 und SozSich
2001, 241; SG Dortmund vom 23.03.2001 - S 5 AL 304/00 - in info-also 2001, 81)
überzeugen nicht und können sich insbesondere nicht auf die Entscheidung des
Bundesverfassungsgerichts vom 24.05.2000 stützen. Die Gegenmeinungen
berücksichtigen nicht ausreichend, dass die Arbeitslosenhilfe, anders als das
Arbeitslosengeld, durch Steuern finanziert wird und dem Gesetzgeber in diesem Bereich
der Sozialleistungen ein größerer Spielraum zuzubilligen ist. Ausdrücklich hat das
Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss vom 24.05.2000 entschieden, dass der
Gleichheitssatz gebiete, einmalig gezahltes Arbeitsentgelt bei der Berechnung von
kurzfristigen beitragsfinanzierten Lohnersatzleistungen zu berücksichtigen, wenn es zu
Sozialversicherungsbeiträgen herangezogen werde. Im Umkehrschluss kann dies daher
für die steuerfinanzierte Arbeitslosenhilfe nicht gelten. Zwar liegt insoweit eine
Ungleichbehandlung verschiedener Gruppen von Arbeitslosen vor, diese ist jedoch
gerechtfertigt, weil die Arbeitslosenhilfe durch Steuermittel finanziert wird und
Bedürftigkeit voraussetzt. Sie ist eine staatliche Fürsorgeleistung und rechtfertigt
insoweit, dem Gesetzgeber bei der Ausgestaltung eine Regelungsbefugnis zu
überlassen (vgl. BT-Drucksache 14/4371 S. 13; weitere Nachweise und Begründungen
finden sich in der bereits zitierten Entscheidung des Bundessozialgerichts vom
05.06.2003 am Ende des Urteils).
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Die Berufung konnte somit keinen Erfolg haben.
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Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 183, 193 SGG.
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Der Senat hat die Revision nicht zugelassen, da die hierfür in § 160 Abs. 2 Ziffern 1 und
30
2 SGG aufgestellten Voraussetzungen nicht erfüllt sind. Insbesondere weicht der Senat
nicht von der Rechtsprechung des BSG ab. Von der Aussetzung des Verfahrens oder
einer Vorlage an das Bundesverfassungsgericht hat der Senat abgesehen, da er die
diesbezügliche Auffassung des SG Dortmund und von Gagel in Übereinstimmung mit
der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts nicht teilt.