Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 17.08.2009

LSG NRW (diabetes mellitus, behandlung, pflege, diabetes, bescheinigung, heilmittel, sgg, therapie, aussicht, lasten)

Landessozialgericht NRW, L 16 B 26/09 KR
Datum:
17.08.2009
Gericht:
Landessozialgericht NRW
Spruchkörper:
16. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
L 16 B 26/09 KR
Vorinstanz:
Sozialgericht Köln, S 5 KR 1/09
Sachgebiet:
Krankenversicherung
Rechtskraft:
rechtskräftig
Tenor:
Die Beschwerde der Klägerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts
Köln vom 30.03.2009 wird zurückgewiesen.
Gründe:
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I. Die Klägerin begehrt Prozesskostenhilfe für ihr Klageverfahren vor dem Sozialgericht
Köln (SG), mit welchem sie einen Anspruch auf Kostenübernahme für eine
podologische Behandlung verfolgt.
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Die Klägerin beantragte unter Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung des Hautarztes
und Allergologen Dr. D, C, vom 27.05.2008 die Kostenübernahme für eine podologische
Behandlung. In dieser Bescheinigung hieß es: Die bei der Klägerin vorliegenden
multiplen Grunderkrankungen (AVK, CVI, Lyphmödeme, Polyzythämia vera,
Bewegungseinschränkung) machten eine podologische Behandlung notwendig. Die
Gefahr einer Selbstverletzung mit weiteren Ulcera sei dringend zu vermeiden. Die
podologische Behandlung sei medizinisch indiziert.
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Die Beklagte lehnte diesen Antrag durch Bescheid vom 16.07.2008
(Widerspruchsbescheid vom 10.12.2008) ab. Eine Verordnung und Abrechnung von
Kosten der medizinischen Fußpflege zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung
sei nach den Richtlinien des gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) lediglich bei
der Indikation "diabetisches Fußsyndrom" möglich.
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Mit ihrer dagegen beim SG erhobenen Klage macht die Klägerin geltend, die
podologische Behandlung sei zur Vermeidung einer Selbstverletzung dringend
geboten; bei "herkömmlicher" Behandlung bestehe wie im Fall eines Diabetes die
Gefahr einer Blutvergiftung.
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Das SG hat den Antrag der Klägerin auf Prozesskostenhilfe durch Beschluss vom
30.03.2009 abgelehnt, weil es der Klage an der hinreichenden Erfolgsaussicht fehle.
Nach Prüfung der bei den Akten befindlichen medizinischen Unterlagen sei die von der
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Beklagten vorgenommene Entscheidung nicht zu beanstanden. In den vom G-BA
erlassenen Richtlinien sei bei den bei der Klägerin vorliegenden Gesundheitsstörungen
eine podologische Behandlung zu Lasten der Solidargemeinschaft nicht vorgesehen.
Dagegen richtet sich die rechtzeitige Beschwerde der Klägerin. Sie meint, da sie an
offenen Beinen leide, sei eine Situation wie beim Diabetes mit der Gefahr einer
Blutvergiftung gegeben, so dass sie Anspruch auf medizinische Fußpflege habe.
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II. Die zulässige Beschwerde der Klägerin ist nicht begründet. Das SG hat zu Recht die
Gewährung von Prozesskostenhilfe abgelehnt.
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Die Bewilligung von Prozesskostenhilfe setzt gemäß § 73a Sozialgerichtsgesetz (SGG)
iVm § 114 Zivilprozessordnung (ZPO) voraus, dass das Rechtsmittel hinreichende
Aussicht auf Erfolg hat. Hinreichende Aussicht auf Erfolg besteht, wenn das Gericht den
Rechtsstandpunkt der Klägerin aufgrund der Sachverhaltsschilderung und der
vorliegenden Unterlagen für zutreffend oder zumindest für vertretbar hält und in
tatsächlicher Hinsicht von der Möglichkeit der Beweisführung überzeugt ist (vgl. Meyer-
Ladewig, SGG 9. Aufl., § 73 a Rdnr. 7 m.w.N.). Wird eine Rechtsfrage aufgeworfen, die
in der Rechtsprechung noch nicht geklärt, aber klärungsbedürftig ist, muss
Prozesskostenhilfe gewährt werden (vgl. Bundesverfassungsgericht, BVerfGE 81, 347;
BVerfG, Neue Juristische Wochenschrift, NJW 1997, 2102 f.), und zwar auch dann,
wenn das Gericht die Rechtsfrage ungünstig beurteilt (vgl. BGH NJW 1998,82; BGH
NJW 2000,2098).
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Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt. Die Klage bietet keine hinreichende
Aussicht auf Erfolg.
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Die Beklagte ist zwar nach § 27 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 i. V. m. § 32 Abs. 1 Fünftes Buch
Sozialgesetzbuch (SGB V) zur Gewährung von Krankenbehandlung der bei ihr
versicherten Klägerin verpflichtet. Der Behandlungs- und Versorgungsanspruch umfasst
auch Heilmittel wie die podologische Therapie, allerdings nur, soweit sie nicht nach §
34 SGB V ausgeschlossen sind. Ein solcher Ausschluss ergibt sich für die bei der
Klägerin bestehende Indikation aus den gemäß § 34 Abs. 5 i. V. m. Abs. 2 und § 92 Abs.
1 S. 2 Nr. 6, Abs. 6 SGB V erlassenen Heilmittelrichtlinien (HM-RL) des G-BA. Nach III
17 B. 1 der HM-RL sind Maßnahmen der podologischen Therapie (nur dann)
verordnungsfähige Heilmittel, wenn sie der Behandlung krankhafter Veränderungen am
Fuß infolge Diabetes mellitus (diabetisches Fußsyndrom) dienen. Hierzu zählen
Schädigungen der Haut und der Zehennägel bei nachweisbaren Gefühls- und/oder
Durchblutungsstörungen der Füße (Makro-, Mikroangiopathie, Neuropathie,
Angioneuropathie). Die podologische Therapie kommt nur in Betracht bei Patienten, die
ohne diese Behandlung (bereits eingetretener Schädigungen) unumkehrbare
Folgeschädigungen der Füße, wie Entzündungen und Wundheilungsstörungen,
erleiden würden. Diese Voraussetzungen liegen bei der Klägerin aber nicht vor.
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Über die in den HM-RL genannte Indikation des diabetischen Fußes hinaus enthält III
17 B einen Leistungsausschluss. Die Regelungen der HM-RL sind auch verbindlich.
Die vom G- BA beschlossenen HM-RL sind ebenso wie die übrigen auf der
Rechtsgrundlage des § 92 SGB V erlassenen Richtlinien nach der Rechtsprechung der
mit dieser Frage befassten Senate des Bundessozialgerichts (BSG) untergesetzliche
Rechtsnormen (BSG Sozialrecht (SozR) 3-2500 § 92 Nr. 6; BSG SozR 3-2500 § 103 Nr.
2; BSG SozR 3-2500 § 92 Nr. 7; BSG SozR 4-2500 § 37 Nr. 7). Der G-BA kann in den
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HM-RL prinzipiell einen normativ verbindlichen Katalog verordnungsfähiger Heilmittel
festlegen. Umstände des Einzelfalles allein können kein Absehen von den generellen
Konkretisierungen des Wirtschaftlichkeitsgebots in den Richtlinien des G-BA
rechtfertigen. Vielmehr ist hierfür eine generelle Fehlerhaftigkeit der Richtlinien, das
heißt ein Verstoß einzelner Bestimmungen gegen höherrangiges Recht, erforderlich
(BSG SozR 4-2500 § 37 Nr. 7; BSG SozR 4-2500 § 132a Nr. 3). Eine solche generelle
Fehlerhaftigkeit ist aber gerade nicht ersichtlich. Vielmehr hat das BSG die Fußpflege
grundsätzlich der Körperpflege und damit dem Verantwortungsbereich des Versicherten
selbst zugeordnet (BSG SozR 3-2500 § 27 Nr. 12) und lediglich für besondere
Ausnahmekonstellationen, wie bei einem diabetischen Fußsyndrom und einer davon
ausgehenden Gesundheitsgefährdung, eine Leistungspflicht der gesetzlichen
Krankenkassen eingefordert. Dem ist der G-BA mit den HM-RL in der hier anwendbaren
Fassung nachgekommen. Dieser hat podologische Leistungen auf den Ausnahmefall
des diabetischen Fußes begrenzt, wenn es zur Erreichung des therapeutischen
Zweckes einschließlich einer regelmäßigen sachkundigen Kontrolle auf beginnende
schädliche Veränderungen oder im Hinblick auf die Gefahren einer Fehlbehandlung
notwendig ist, die Fußpflege qualifiziertem medizinischem Personal vorzubehalten (vgl.
Senat, Beschluss vom 05.06.2008 - L 16 B 20/08 KR ER(juris)). Es ist nicht ersichtlich,
dass eine Indikation, wie sie bei der Klägerin gegeben ist, diesem Ausnahmefall
gleichzustellen wäre. Es liegt vielmehr auf der Hand, dass die von der Klägerin begehrte
medizinische Fußpflege der Körperpflege dient und nicht der Behandlung der in der
Bescheinigung vom 27.05.2008 aufgezählten Krankheiten. Auf die Behandlung von
Krankheiten zielt aber der Behandlungsanspruch nach § 27 SGB V.
Der behandelnde Arzt verkennt mit seiner Bescheinigung, dass III 17 B der HM-RL
podologische Maßnahmen ohnehin, abgesehen von der Indikation, nur dann als
verordnungsfähig einstuft, wenn sie der Behandlung bereits eingetretener krankhafter
Veränderungen am Fuß infolge Diabetes mellitus (diabetisches Fußsyndrom) dienen.
Hierzu zählen nach der HM-RL Schädigungen der Haut und der Zehennägel bei
nachweisbaren Gefühls- und/oder Durchblutungsstörungen der Füße (Makro-,
Mikroangiopathie, Neuropathie, Angioneuropathie). Auch ein ggf. "offenes Bein" vermag
mithin nicht den Anspruch auf medizinische Fußpflege zu begründen.
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Der Ausschluss der podologischen Behandlung zu Lasten der gesetzlichen
Krankenversicherung durch die Richtlinien verletzt nach alledem nicht den gesetzlichen
Anspruch der Klägerin auf Krankenbehandlung und Heilmittelversorgung.
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Dieser Beschluss ist gemäß § 177 SGG unanfechtbar.
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