Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 12.04.2002
LSG NRW: befreiung von der versicherungspflicht, bemessung der beiträge, beitragspflicht, steuer, zwangsmitgliedschaft, familie, rendite, eltern, sozialstaatsprinzip, eugh
Landessozialgericht NRW, L 13 RA 22/99
Datum:
12.04.2002
Gericht:
Landessozialgericht NRW
Spruchkörper:
13. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
L 13 RA 22/99
Vorinstanz:
Sozialgericht Köln, S 8 (6) RA 46/97
Nachinstanz:
Bundessozialgericht, B 12 RA 3/02 R
Sachgebiet:
Rentenversicherung
Rechtskraft:
nicht rechtskräftig
Tenor:
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Köln vom
14. Januar 1999 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind
auch im zweiten Rechtszug nicht zu erstatten. Die Revision wird
zugelassen.
Tatbestand:
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Streitig sind die Versicherungs- und Beitragspflicht in der Rentenversicherung.
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Der am.1959 geborene Kläger ist seit dem 01.09.1986 bei dem Beigeladenen zu 2) als
Angestellter beschäftigt. Bis zum 30.11.1999 war er Mitglied der Beigeladenen zu 1) und
sodann bis zum 31.05.2000 Mitglied der Beigeladenen zu 3). Seit dem 01.06.2001 ist er
Mitglied der Beigeladenen zu 4). Er ist geschieden und Vater von vier in den Jahren
1985, 1986, 1990 und 1993 geborenen Kindern. Seine geschiedene Ehefrau war von
1984 bis 1996 nicht erwerbstätig; seit 1997 war sie geringfügig beschäftigt.
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Im August 1996 wandte der Kläger sich gegen die Beitragserhebung zur gesetzlichen
Rentenversicherung, weil diese nicht mit dem Grundgesetz (GG) vereinbar sei.
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Die Beklagte lehnte es mit Bescheid vom 01.10.1996/Widerspruchsbescheid vom
09.01.1997 ab, auf die Erhebung von Pflichtbeiträgen zu verzichten. Sie wies darauf hin,
dass der Kläger nach § 1 Nr. 1 des sechsten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB VI)
als eine Person, die gegen Arbeitsentgelt beschäftigt sei, versicherungspflichtig in der
gesetzlichen Rentenversicherung sei und gemäß § 162 Nr. 1 SGB VI Beiträge zu
entrichten habe.
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Hiergegen hat der Kläger am 05.02.1997 Klage zum Sozialgericht (SG) Köln erhoben,
mit der er hilfsweise die Verminderung der von ihm zur Rentenversicherung entrichteten
Beiträge begehrt hat. Zur Begründung hat er eine Verletzung seiner Grundrechte aus
Art. 2 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1, Art. 6 Abs. 1 und Art. 14 GG sowie einen Verstoß gegen die
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Kompetenznorm des Art. 74 Nr. 12 GG und gegen die Regeln der Finanzverfassung
gerügt. Desweiteren hat er Art. 59 ff. und Art. 85 ff. des Vertrages zur Gründung der
Europäischen Gemeinschaft (EGVtr) für verletzt gehalten.
Das SG hat die Klage mit Urteil vom 14.01.1999 abgewiesen:
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Der Kläger sei als versicherungspflichtiger Arbeitnehmer nach § 1 Nr. 1 i.V.m. den §§
153 ff. SGB VI zur Beitragsentrichtung verpflichtet. Eine Verletzung seiner Grundrechte
liege nicht vor. Art. 3 Abs. 1 GG sei nicht tangiert, weil keine willkürliche
Ungleichbehandlung gegeben sei, denn der Kläger sei als Beitragszahler mit anderen
Beitragszahlern und nicht mit den gegenwärtigen Rentnern zu vergleichen. Ein Verstoß
gegen Art. 6 Abs. 1 GG liege nicht vor, weil der Schutzbereich von Ehe und Familie
nicht betroffen sei. Es gebe auch keinen Auftrag des Bundesverfassungsgerichts
(BVerfG), die vom Kläger gerügte verfassungswidrige Benachteiligung der Familien im
Steuer- und Sozialversicherungsrecht auf eine bestimmte Weise abzubauen. Art. 14
Abs. 1 GG sei nicht verletzt, weil die Auferlegung von Geldleistungspflichten
grundsätzlich nicht an dieser Vorschrift zu messen sei, denn das Vermögen als solches
unterfalle nicht ihrem Schutz. Das Sozialstaatsgebot des Art. 20 Abs. 1 GG sei nicht
verletzt, denn dieses stelle nur eine Staatszielbestimmung dar. Ebenfalls nicht verletzt
seien die Grundsätze der Finanzverfassung und die Kompetenznorm des Art. 74 Abs. 1
Nr. 12 GG. Die Gesetzgebungskompetenz für das SGB VI und die Beitragserhebung
beruhe auf dieser Vorschrift. Ihrer Anwendung stehe nicht die Rechtsnatur der Beiträge
entgegen, weil diese nach wie vor keine Sonderabgabe i.S.d. Finanzverfassung,
sondern Sozialversicherungsbeiträge darstellten. Schließlich verstoße die
Beitragspflicht nicht gegen das Recht der europäischen Gemeinschaft, weil die
Rentenversicherungsträger keine Unternehmen seien.
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Der Kläger hat gegen das ihm am 13.03.1999 zugestellte Urteil, dessen
Rechtsmittelbelehrung ausführt, es könne nur dann mit der Berufung angefochten
werden, wenn diese nachträglich zugelassen werde, am 18.03.1999 Beschwerde gegen
die Nichtzulassung des Rechtsmittels und am 10.06.1999 ausdrücklich Berufung
eingelegt.
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Er trägt im wesentlichen vor:
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Art. 3 Abs. 1 GG sei verletzt, weil seine Generation steigende Abgabelasten zu tragen
habe, selbst aber nicht mehr mit einer auskömmlichen Alterssicherung rechnen dürfe.
Damit indiziere der intertemporale Vergleich einen Gleichheitsverstoß, denn mit
Belastungsgleichheit sei auch eine Gleichheit in der Zeit gemeint.
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Ein weiterer Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG liege darin, dass er im Vergleich zu
Kinderlosen benachteiligt werde, denn er leiste mit der Erziehung der Kinder zusätzlich
zu seinen monetären Beiträgen noch bestandssichernde Leistungen für das
Rentensystem, ohne dass diesen auch nur annähernd wertentsprechende
Gegenleistungen gegenüberstünden. Durch Art. 6 GG sei dem Gesetzgeber der
Verfassungsauftrag erteilt worden, die Transferausbeutung der Familien in den
Sozialsystemen mit jedem Gesetzgebungsschritt ein Stück weiter abzubauen. Zur
Erfüllung dieses Verfassungsauftrags habe der Gesetzgeber jedoch noch nichts
unternommen, sondern die Situation der Eltern im Rentenrecht per Saldo noch
verschlechtert.
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Art. 14 GG sei verletzt, weil seine, des Klägers, Steuer- und Beitragslast inzwischen
erdrosselnde Wirkung erreicht habe. Sein selbst erarbeitetes frei verfügbares
Einkommen werde zu mehr als der Hälfte konfisziert.
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Durch die Zwangseingliederung in die gesetzliche Rentenversicherung werde Art. 2
Abs. 1 GG verletzt. Eine solche Zwangsmitgliedschaft sei nach der Rechtsprechung des
BVerfG nur dann möglich, wenn der Einzelne hierdurch nicht unnötig in Anspruch
genommen werde. Dies sei im Hinblick auf die katastrophalen Systemperspektiven der
gesetzlichen Rentenversicherung nicht mehr der Fall.
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Das SG habe auch nicht überzeugend dargelegt, warum die Kompetenznorm des
Grundgesetzes und die Regeln der Finanzverfassung nicht verletzt seien. Dies sei im
Hinblick auf die Prüfung der Verletzung der allgemeinen Handlungsfreiheit erheblich,
denn nur ein mit der verfassungsmäßigen Ordnung materiell und formell in Einklang
stehendes Gesetz dürfe die Handlungsfreiheit zulässig beschränken. Die
versicherungsfremden Leistungen der gesetzlichen Rentenversicherung führten aber
dazu, dass es zu einer Konkurrenzsituation zur Steuer komme und damit typischerweise
ein Konflikt mit den Regeln der Finanzverfassung drohe. Der Gesetzgeber mißbrauche
die Beitragsfinanzierung gezielt, um Abgabenwiderstände zu unterlaufen.
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Auch das Sozialstaatsprinzip sei verletzt. Durch die Rentenformel werde die
Lohnspreizung zwischen gering Verdienenden und besser Verdienenden weiter
verschärft.
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Schließlich verkenne das SG im Hinblick auf die Vereinbarkeit der Beitragserhebung mit
europäischem Recht den europarechtlichen Unternehmensbegriff. Die deutsche
Rentenversicherung sei eben gerade nicht solidarisch und verdiene daher keine
europarechtliche Privilegierung.
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Nach der Entscheidung des BVerfG vom 03.04.2001, 1 BVR 1629/94 in BVerfGE 103,
242 ff. hat der Kläger ergänzend vorgetragen: Dieses Urteil sei übertragbar auf die
gesetzliche Rentenversicherung. Es sei festzustellen, dass er als vierfacher Vater für die
aus demographischen Gründen notwendige Rentenabsenkung in gleicher Weise
mithaften müsse wie kinderlose Beitragszahler. Das BVerfG habe insbesondere die
Bedeutung eines zeitnahen Ausgleichs zwischen Eltern und Kinderlosen herausgestellt.
Es komme hinzu, dass drei seiner vier Kinder vor dem 01.01.1993 geboren seien und für
diese nur jeweils ein Jahr Kindererziehungszeiten zu berücksichtigen seien.
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Schließlich sei er aufgrund seiner Scheidung durch den Versorgungsausgleich von den
geringeren Kindererziehungszeiten im Versicherungsverlauf seiner ehemaligen Ehefrau
betroffen.
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Der Kläger beantragt,
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das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 14. Januar 1999 zu ändern,
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den Bescheid der Beklagten vom 01.10.1996 in der Fassung des
Widerspruchsbescheides vom 09.01.1997 aufzuheben und festzustellen, dass er
Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung nicht, hilfsweise in geringerer Höhe zu
tragen hat,
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die Beklagte, hilfsweise die Beigeladenen zu 1, 3 und 4 zur Erstattung der
Arbeitnehmeranteile der Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung ab August 1996
zu verurteilen,
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hilfsweise das Verfahren gemäß Artikel 100 Grundgesetz auszusetzen und die Sache
dem Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung über die Verfassungsmäßigkeit der
Beitragspflicht vorzulegen,
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hilfsweise eine Vorabentscheidung des EuGH zu der Frage einzuholen, ob die
gesetzliche Beitragspflicht mit Artikel 59 ff., Artikel 85 ff. insbesondere Artikel 90 des
EWG-Vertrages vereinbar ist.
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Die Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend und führt ergänzend aus, der
Gesetzgeber sei nicht dazu verpflichtet, die Leistung der Kindererziehung in der
gesetzlichen Rentenversicherung in einer bestimmten Weise zu honorieren. Etwas
anderes ergebe sich auch nicht aus dem Urteil des BVerfG vom 03.04.2001 (aaO).
Insoweit sei auf die strukturellen Unterschiede zwischen Pflegeversicherung und
Rentenversicherung hinzuweisen. Anders als in der Pflegeversicherung, bei der eine
Honorierung von Erziehungsleistungen maßgeblich nur auf der Finanzierungsseite
erfolgen könne, sei dies bei der Rentenversicherung auch auf der Leistungsseite
möglich und im übrigen auch angezeigt. Ein solcher effektive Familienlastenausgleich
finde in der gesetzlichen Rentenversicherung bereits statt. So könnten für die Erziehung
eines Kindes insgesamt bis zu sechs Entgeltpunkte gut geschrieben werden.
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Die Beigeladenen haben keinen Antrag gestellt.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakten sowie der Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen; diese
haben vorgelegen und waren ihrem wesentlichen Inhalt nach Gegenstand der
mündlichen Verhandlung.
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Entscheidungsgründe:
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Die Berufung ist zulässig. Da die Rechtsmittelbelehrung des angefochtenen Urteils
fehlerhaft ist, ist nach § 66 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) eine Berufungsfrist von
einem Jahr eröffnet. Damit ist die Berufungsfrist gewahrt.
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Die Berufung ist jedoch unbegründet. Der Kläger ist sowohl der Beklagten als auch den
Beigeladenen zu 1), 3) und 4) als Einzugsstellen (§§ 28d, h des vierten Buches des
Sozialgesetzbuches - SGB IV -) gegenüber beitragspflichtig zur gesetzlichen
Rentenversicherung. Seine Versicherungspflicht folgt aus § 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI, denn
er ist gegen Arbeitsentgelt beschäftigt. Versicherungsfreiheit (§ 5 SGB VI) oder eine
Befreiung von der Versicherungspflicht (§ 6 SGB VI) liegen nicht vor. Die Höhe der zu
zahlenden Beiträge ergibt sich aus den §§ 153 ff. SGB VI.
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Die Befürchtung des Klägers, er werde keine angemessene Altersvorsorge erhalten, ist
zwar angesichts der demographischen Entwicklung nicht unbegründet. Hieraus bereits
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folgt jedoch nicht, dass die Beitragserhebung zur gesetzlichen Rentenversicherung
verfassungswidrig ist oder dass gar die solidarische Rentenversicherung als solche
gegen die Verfassung verstößt. Vielmehr ist es zur Überzeugung des Senats eine
permanente Aufgabe des Gesetzgebers, das System der solidarischen Versicherung zu
erhalten. Nichts anderes folgt auch aus dem Urteil des BVerfG vom 03.04.2001 (aaO).
Die der Beitragserhebung zugrunde liegenden Vorschriften sind jedenfalls derzeit
weder formell noch materiell verfassungswidrig.
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1. Insbesondere liegt keine Verletzung der Grundrechte aus Art. 2 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1
und Art. 14 GG vor. Insoweit nimmt der Senat im wesentlichen auf das Urteil des
Bundessozialgerichts (BSG) vom 11.10.2001 (B 12 KR 19/00 R) Bezug und schließt
sich diesen Ausführungen nach eigener Prüfung an.
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Im einzelnen ist hervorzuheben:
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a) Art. 2 Abs. 1 GG ist nicht verletzt. Der Schutzbereich dieser Vorschrift ist berührt,
wenn der Gesetzgeber durch die Anordnung einer Zwangsmitgliedschaft in die
allgemeine Handlungsfreiheit eingreift. Das Grundrecht der allgemeinen
Handlungsfreiheit ist jedoch nur in den Schranken des Art. 2 Abs. 1 Halbsatz 2 GG
gewährleistet und nicht verletzt, wenn die es beschränkenden Eingriffsnormen
verfassungsgemäß sind. Dies ist der Fall. Der Gesetzgeber hatte sowohl zur Einführung
als auch bei der Aufrechterhaltung der Versicherungspflicht die formelle und materielle
Gesetzgebungskompetenz. Diese beruht auf Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG n.F. - (früher Art.
74 Nr. 12 GG; der bisherige Text wurde ersetzt, Gesetz vom 27.10.1994, BGBl. I S.
3146).
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Die Beitragserhebung verstößt auch nicht gegen die Grundsätze der Finanzverfassung
(Art 104 a ff. GG). Sozialversicherungsbeiträge sind keine Sonderabgaben i.S.d.
Rechtsprechung des BVerfG (vgl. Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen -
LSG NRW - vom 22.10.2001, L 3 RA 38/99 mwN).
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Schließlich ist auch das Sozialstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1 GG) nicht verletzt. Dieses
enthält den Auftrag an den Gesetzgeber, soziale Sicherungssysteme gegen die
Wechselfälle des Lebens zu schaffen. Zwangsmitgliedschaft und Zwangsbeiträge sind
insofern erforderlich, weil der Schutz in gleicher Weise nicht durch ein anderes, milderes
Mittel gewährleistet werden kann. Insoweit ist auch zu berücksichtigen, dass im Hinblick
auf die erzielbare "Rendite" nicht allein auf die Altersrente abgestellt werden kann.
Vielmehr deckt die gesetzliche Rentenversicherung auch die Risiken der verminderten
Erwerbsfähigkeit (§ 43 SGB VI) sowie des Todes (durch Hinterbliebenenrenten, §§ 46 ff.
SGB VI) ab. Gleiches gilt für die Gewährung von Heilverfahren (§ 15 SGB VI) u.ä.
Leistungen.
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b) Die Beitragspflicht des Klägers verstößt auch nicht gegen den allgemeinen
Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG. Der Schutzbereich dieser Vorschrift ist verletzt,
wenn wesentlich Gleiches ungleich behandelt wird, ohne dass es hierfür sachliche
Gründe gibt.
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Insofern können auch nach Auffassung des Senats nicht die jetzigen Beitragszahler mit
den jetzigen Rentenempfängern verglichen werden. Zwar ist nicht sicher gestellt, dass
die zukünftige Rentnergeneration die gleiche "Rendite" erzielt, wie die jetzige. Eine
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uneingeschränkte "Gleichbehandlung in der Zeit" kann aus Art. 3 Abs. 1 GG jedoch
nicht hergeleitet werden (vgl. Urteil des BSG vom 11.10.2001, B 12 KR 19/00 R).
c) Auch das Grundrecht aus Art. 14 Abs. 1 GG wird durch die Beitragserhebung nicht
verletzt. Wie bereits das SG ausgeführt hat, ist das Vermögen als solches kein Eigentum
i.S.d. Grundrechts (vgl. u.a. BVerfGE 95, 267, 300). Art. 14 Abs. 1 GG schützt auch nicht
vor der staatlichen Auferlegung von Geldleistungspflichten. Eine Verletzung des
Eigentumsrechts liegt erst dann vor, wenn der Betroffene übermäßig belastet ist und
seine Vermögensverhältnisse so grundlegend beeinträchtigt sind, dass die
Geldleistungspflichten eine erdrosselnde Wirkung haben. Davon kann bei dem
Beitragssatz zur gesetzlichen Rentenversicherung nicht ausgegangen werden kann.
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2. Schließlich verstößt die Heranziehung des Klägers zu Rentenversicherungsbeiträgen
auch nicht gegen Art. 3 Satz 1 i.V.m. Art. 6 Abs. 1 GG. Art. 6 Abs. 1 GG verpflichtet den
Staat, Eingriffe in die Familie zu unterlassen und enthält desweiteren eine
wertentscheidende Grundsatznorm, die die Pflicht des Staates begründet, Ehe und
Familie zu schützen und zu fördern (vgl. Urteil des BVerfG vom 03.04.2001, aaO.,
mwN.). In Verbindung mit Art. 3 Satz 1 GG ergibt sich hieraus die Verpflichtung,
Personen mit und ohne Kinder gleich zu behandeln.
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Hiervon ausgehend verletzt die Auferlegung einer Beitragspflicht auch für diejenigen,
die Kinder betreuen und erziehen, nicht Art. 6 Abs. 1 i.V.m. Art. 3 Abs. 1 GG, wie das
BVerfG bereits in der Entscheidung zur Pflegeversicherung ausgeführt hat (Urteil vom
03.04.2001 aaO).
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Allerdings hat das BVerfG für die gesetzliche Pflegeversicherung entschieden, dass Art.
3 Abs. 1 i.V.m. Art. 6 Abs. 1 GG dadurch verletzt ist, dass die Betreuung und Erziehung
von Kindern bei der Bemessung der Beiträge keine Berücksichtigung findet.
Kindererziehende Beitragszahler müssen nach dieser Entscheidung aktuell, d.h.
während der Erziehung und den damit verbundenen Belastungen entlastet werden. Die
Bedeutung der Entscheidung sei, so das BVerfG, auch für andere Zweige der
Sozialversicherung zu prüfen. Es stellt sich also die Frage, ob die vom Kläger zu
entrichtenden Beiträge wegen der Aufwendungen, die er für seine vier Kinder zu
erbringen hat, aus Verfassungsgründen aktuell zu hoch sind. Die vom BVerfG für die
sog. solidarische Pflegeversicherung aufgezeigten Gesichtspunkte sind nach
Auffassung des Senats jedoch nicht ohne weiteres auf den Bereich der gesetzlichen
Rentenversicherung zu übertragen. Zwar ist auch die Rentenversicherung, wie die
Pflegeversicherung umlagefinanziert (§ 153 Abs. 1 SGB VI). Damit ist auch die
Rentenversicherung darauf angewiesen, dass heute Kinder geboren und großgezogen
werden, um später als Beitragszahler die Leistungen zu finanzieren. Damit leisten auch
hier Versicherte, die Kinder erziehen, einen systemerhaltenden Beitrag, der über die
finanzielle Beitragsleistung hinaus geht.
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Die Pflegeversicherung ist jedoch, wie die Krankenversicherug eine
Risikoversicherung, während die gesetzliche Rentenversicherung sich durch das
Prinzip der Teilhabeäquivalenz auszeichnet. Die Rentenanwartschaften unterliegen
dem Eigentumsschutz, die zur Risikoversicherung geleisteten Beiträge aber nicht.
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Es besteht die Gefahr, dass das Äquivalent im Umlageverfahren nicht hergestellt
werden kann: Um die wirtschaftliche Situation der Rentenversicherung nicht zu
gefährden, müssten Kinderlose höhere Beiträge zahlen. Zugleich würde die
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Beitragsrendite der Kinderlosen gesenkt und die der Erziehenden erhöht. Die von einem
Kinderlosen zu erwartende Rentenleistung stünde dann nicht mehr in einem
angemessenen Verhältnis zu den von ihm aufgewendeten Beiträgen.
Bei der Pflegeversicherung ist es nicht möglich, die Kindererziehung leistungsrechtlich
zu honorieren. Ein Ausgleich könnte also nur auf der Beitragsseite erfolgen. Dies ist bei
der gesetzlichen Rentenversicherung anders. Ihr Leistungsrecht genügt entgegen der
Ansicht des Klägers den Anforderungen, die das BVerfG in seiner Rechtsprechung,
insbesondere im Urteil vom 07.07.1992 (1 BVL 51/96) aufgestellt hat. Insofern ist der
Gesetzgeber verpflichtet worden, den Mangel, der in dem durch Kindererziehung
bedingten Nachteil bei der Altersversorgung liegt, über die Regelung des
Hinterbliebenen- und Erziehungszeitengesetzes (HEZG) und des Gesetzes über
Leistungen der gesetzlichen Rentenversicherung für Kindererziehung an Mütter der
Geburtsjahrgänge vor 1921 (RVKLG) hinaus zu berücksichtigen. Diesem Auftrag ist der
Gesetzgeber durch die zeitliche Ausdehnung der Kindererziehungszeiten für Kinder mit
einem Geburtsdatum ab dem 01.01.1992 nachgekommen (so Entscheidung des BVerfG
vom 29.03.1996, 1 BVR 1238/95).
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Eine verfassungswidrige Benachteiligung des Klägers ergibt sich auch nicht daraus,
dass drei seiner vier Kinder vor dem Stichtag 01.01.1992 geboren wurden. Entgegen
der Ansicht des Klägers ist diese Stichtagsregelung nicht verfassungswidrig. Eine
entsprechende Regelung hat das BVerfG bereits in der sog.
Trümmerfrauenentscheidung (Urteil vom 07.07.1992, 1 BvL 50/87, BVerfGE 87, 1) für
verfassungsgemäß gehalten. Danach ist es dem Gesetzgeber grund sätzlich nicht durch
Art. 3 Abs. 1 GG verwehrt, zur Regelung bestimmter Lebenssachverhalte Stichtage zu
bestimmen, obwohl diese Regelung unvermeidlich gewisse Härten mit sich bringt. Die
Wahl des Zeitpunkts muss sich zwar am gegebenen Sachverhalt orientieren. Insofern
kann aber auch der Umstand mangelnder Finanzierbarkeit bei der Wahl des Stichtags
berücksichtigt werden.
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Nach Auffassung des Senats kann im System der gesetzlichen Rentenversicherung die
Ungleichbehandlung der Familien auch steuerrechtlich gelöst werden. So ist
beispielsweise das Problem der sogenannten Fremdlasten durch den Gesetzgeber
ebenfalls entsprechend gelöst worden.
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Nach allem konnte sich der Senat nicht von der Verfassungswidrigkeit der
Beitragserhebung zur gesetzlichen Rentenversicherung überzeugen, so dass eine
Vorlage an das BVerfG nach Art. 100 Abs. 1 GG nicht in Betracht kam.
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Das Verfahren war auch nicht auszusetzen, um nach Art. 234 EGVtr eine
Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EUGH) zur Auslegung von Normen
des Gemeinschaftsrechts einzuholen. Die Anordnung der Versicherungspflicht verstößt
nach der ständigen Rechtsprechung des BSG (vgl. Urteil vom 11.10.2001, B 12 KR
19/00 R, mwN) nicht gegen die für öffentliche Unternehmen geltenden
Wettbewerbsregeln des EGVtr (Art. 90, 85 ff).
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Der Senat teilt auch nicht die Ansicht des Klägers, dass die gesetzliche
Rentenversicherung nicht mehr solidarisch sei. Damit verdient sie auch weiterhin die
"europarechtliche Priveligierung".
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Da die Beitragspflicht des Klägers zur gesetzlichen Rentenversicherung nicht zu
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beanstanden ist, hat er keinen Anspruch auf Erstattung der Arbeitnehmeranteile der
Beiträge zur Rentenversicherung ab August 1996.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
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Der Senat hat die Revision nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG zugelassen, weil die
Rechtssache insbesondere unter Berücksichtigung der Entscheidung des BVerfG vom
03.04.2001 (aaO) grundsätzliche Bedeutung hat.
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