Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 08.11.2005

LSG NRW: nach den erfahrungen des lebens, zahlungseinstellung, schweigen, besitz, einkünfte, auflage, zugang, rechtskraft, verdacht, eingriff

Landessozialgericht NRW, L 19 B 82/05 AS ER
Datum:
08.11.2005
Gericht:
Landessozialgericht NRW
Spruchkörper:
19. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
L 19 B 82/05 AS ER
Vorinstanz:
Sozialgericht Köln, S 4 AS 56/05 ER
Sachgebiet:
Grundsicherung für Arbeitssuchende
Rechtskraft:
rechtskräftig
Tenor:
Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des
Sozialgerichts Köln vom 15.09.2005 wird zurückgewiesen.
Gründe:
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Die zulässige Beschwerde, der das Sozialgericht nicht abgeholfen hat (Beschluss vom
06.10.2005), ist unbegründet. Hierbei lässt der Senat die in Rechtsprechung und
Literatur uneinheitlich beantwortete Frage offen, ob eine vorläufige Zahlungseinstellung
nach §§ 40 Abs. 2 Satz SGB II i.V.m. 331 SGB III auch bei anfänglich rechtswidrigen
Bescheiden möglich ist. Denn vorliegend sprechen sowohl der Gesichtspunkt der
Erfolgsaussichten der Beschwerde zum Zeitpunkt des erledigenden Ereignisses als
auch das Veranlassungsprinzip dafür, die Antragsgegnerin mit den außergerichtlichen
Kosten der Antragsteller bei der Entscheidung nach § 193 Abs. 1 SGG zu belasten. Für
einen mutmaßlichen Erfolg der Beschwerde spricht bereits, dass das Vorliegen der
tatbestandlichen Voraussetzungen von § 331 SGB III zweifelhaft gewesen ist. Die
vorläufige Zahlungseinstellung setzt nach dieser Vorschrift die Kenntnis von Tatsachen
voraus, die kraft Gesetzes zum Ruhen oder zum Wegfall des Anspruchs führen. Aus
dem Gesetzeswortlaut ergibt sich, dass eine positive Kenntnis erforderlich ist. Ein bloßer
Verdacht genügt auch im Hinblick auf den nicht unerheblichen Eingriff in die Rechte des
Leistungsbeziehers nicht (Radüge in Hauck-Noftz, SGB III, Stand September 2005, §
331 Rdnr. 9). Ein entsprechender Kenntnisstand ist nicht stets mit dem Zugang der
Mitteilung eines Dritten erreicht; Informationen über die maßgeblichen Fakten müssen
vielmehr einen Sicherheitsgrad erreichen, der vernünftige, nach den Erfahrungen des
Lebens objektiv gerechtfertigte Zweifel schweigen lässt (Eicher in Eicher, Schlegel,
SGB III, Stand Juli 2005, § 331 Rdnr. 9 m.w.N.). Zum Zeitpunkt der Zahlungseinstellung
hatte die Antragsgegnerin jedoch keine Kenntnis in diesem Sinne von Einkünften oder
Vermögen der Antragsteller, welche ihre Hilfebedürftigkeit i.S. von § 9 SGB II
ausschließen und zu einer Aufhebung der Bewilligung führen könnten. Die
Antragsgegnerin wusste lediglich von dem Besitz der Antragsteller eines
Großbildfernsehers, einer Einbauküche und eines Computers. Sie kannte jedoch den
alleine ausschlaggebenden Wert der genannten Gegenstände nicht.
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Hinsichtlich des PKW, dessen Nutzung durch die Antragstellerin zu 2) beobachtet
worden war, kannte die Antragsgegnerin zum Zeitpunkt der vorläufigen
Zahlungseinstellung nicht einmal die Eigentumsverhältnisse. Ein verlässlicher Schluss
auf anspruchsausschließende Einkünfte der Antragsteller auf dieser Grundlage war erst
recht nicht möglich. Stellt die Antragsgegnerin auf dieser Grundlage die Zahlungen an
die Antragsteller vorläufig ein und trifft ihre Auffassung hinsichtlich Vermögen und
Einkünften nicht zu, zwingt sie Antragsteller, die wegen fortgestehender
Hilfebedürftigkeit auf Leistungen nach dem SGB II angewiesen sind, zur
Inanspruchnahme gerichtlichen Rechtsschutzes. Die Antragsgegnerin hat daher auch
nach dem Veranlassungsprinzip (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8. Auflage, §
193 Rdnr. 12b m.w.N.) die außergerichtlichen Kosten der Antragsteller zu tragen.
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Eine Beschwerde gegen diese Entscheidung an das Bundessozialgericht ist nach § 177
SGG nicht zulässig.
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