Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 21.05.2008
LSG NRW: vollrente, arbeitsentgelt, teilrente, erlass, kasuistik, verwaltungsakt, stadt, vergünstigung, versuch, betrug
Landessozialgericht NRW, L 13 R 162/07
Datum:
21.05.2008
Gericht:
Landessozialgericht NRW
Spruchkörper:
13. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
L 13 R 162/07
Vorinstanz:
Sozialgericht Köln, S 11 R 11/07
Nachinstanz:
Bundessozialgericht, B 5a R 76/08 R
Sachgebiet:
Rentenversicherung
Rechtskraft:
rechtskräftig
Tenor:
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Köln
vom 10.08.2007 wird zurückgewiesen. Die Beklagte trägt die
außergerichtlichen Kosten des Klägers auch im zweiten Rechtszug. Die
Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
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Streitig ist, ob die Beklagte zu Recht die Altersrente (AR) des Klägers für die Monate
August und November 2005 wegen Überschreitens der Hinzuverdienstgrenze neu
berechnet hat und die Erstattung von 752,40 EUR verlangen kann.
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Der am 00.00.1941 geborene Kläger bezog ab Vollendung des 60. Lebensjahres AR
wegen Vollendung des 60. Lebensjahres für Versicherte, die als Schwerbehinderte
anerkannt sind oder die berufsunfähig oder erwerbsunfähig sind. Mit Bescheid vom
28.7.2004 war der monatliche Zahlbetrag dieser Rente ab 1.7.2004 auf 1134,20 EUR
festgesetzt worden. Dieser Bescheid enthielt u.a. den Hinweis darauf, dass die
Hinzuverdienstgrenze 1/7 der monatlichen Bezugsgröße - bei Beginn der laufenden
Zahlung 345,00 EUR - betrage.
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Zwischen Juni und November 2005 wurde der Kläger bedarfsweise als so genannter
Abendhausmeister (Vertretung nach Bedarf) im Rathaus der Stadt C beschäftigt. Im Juni
2005 wurde er an zwei Tagen eingesetzt und erhielt dafür 152,66 EUR, vom 22.8 bis
3.9.2005 arbeitete an sieben Tagen und erhielt dafür insgesamt 725,90 EUR, wovon
408,95 EUR auf den Monat August und 309,83 EUR auf den Monat September 2005
entfielen. Im November 2005 wurde der Kläger zwischen dem 5.11. und 30.11.2005 an
10 Arbeitstagen eingesetzt und erhielt dafür 630,15 EUR. In den Monaten Juli und
Oktober 2005 kam es zu keinem Arbeitseinsatz des Klägers.
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Nachdem die Beklagte von der Beschäftigung des Klägers erfahren hatte, holte sie eine
Auskunft von der Stadt C1 ein. Mit Bescheid vom 29.5.2006 (abgesandt am 14.6.2006)
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berechnete sie die AR des Klägers neu. In der Anlage 10 zu diesem Bescheid "
Ergänzende Begründungen und Hinweise" führte sie aus: Der Rentenbescheid vom
28.7.2004 werde hinsichtlich der Rentenhöhe mit Wirkung ab 1.8.2005 nach § 48 SGB
X aufgehoben; die entstandene Überzahlung in Höhe von 752,40 EUR (Anlage eins) sei
vom Kläger nach § 50 SGB X zu erstatten. Die zweimalige im Jahr zulässige
Überschreitung der Hinzuverdienstgrenzen könne im Einzelfall des Klägers für die
Monate August und November 2005 nicht angewandt werden. Von der Möglichkeit des
zweimaligen Überschreitens könne immer dann Gebrauch gemacht werden, wenn der
Hinzuverdienst die maßgeblich Hinzuverdienstgrenze des Vormonats überschreite.
Maßgebend könne eine Hinzuverdienstgrenze nur dann sein, wenn auch im Vormonat
tatsächlich ein im Rahmen des § 34 Abs. 2 SGB VI zu berücksichtigender
Hinzuverdienst - unabhängig von dessen Höhe - vorhanden sei. Das sei beim Kläger in
den Monaten Juli und Oktober 2005 nicht der Fall gewesen. Somit liege ein
unzulässiges Überschreiten der Hinzuverdienstgrenzen vor.
Dagegen erhob der Kläger am 19.7.2006 Widerspruch und machte geltend: Er halte die
Kürzung der Rente nicht für zutreffend; ein zweimaliges Überschreiten der
Mindestverdienstgrenze sei unschädlich.
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Mit Widerspruchsbescheid vom 15.12.2006 wies die Beklagte den Widerspruch als
unbegründet zurück: Bescheidkorrektur und Rückforderung seien aus § 48 und § 50
SGB X gerechtfertigt. Dem Kläger habe in den Monaten August und November 2005
wegen Überschreitens der Hinzuverdienstgrenze lediglich die AR in Höhe von zwei
Dritteln der Vollrente zugestanden. Auf Vertrauen könne sich der Kläger nicht berufen.
Ein atypischer Fall, der eine Ermessensausübung erforderlich machen würde, liege
nicht vor.
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Mit der am 15.01.2007 beim Sozialgericht Köln (SG) erhobenen Klage hat der Kläger
sein Begehren weiterverfolgt. Er hat die Ansicht vertreten, es liege ein unschädliches
zweimaliges Überschreiten der Hinzuverdienstgrenze vor. Außerdem könne er für sich
Vertrauensschutz in Anspruch nehmen, weil die gesetzliche Regelung äußerst
kompliziert sei und er sich auf die korrekte Lohnabrechnung durch seine Arbeitgeberin
habe verlassen dürfen.
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Das SG hat mit Urteil vom 10.8.2007 den Bescheid vom 29.5.2006 in Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 15.12.2006 aufgehoben. Zur Begründung hat es im
Wesentlichen ausgeführt: Da der Kläger die Hinzuverdienstgrenze lediglich in den
Monaten August 2005 sowie November 2005 überschritten habe, profitiere er von der
Ausnahmeregelung des § 34 Abs. 2 S. 2 SGB VI und habe somit Anspruch auf die AR in
voller Höhe. Für die Auffassung der Beklagten, wonach die Regelung des § 34 Abs. 2 S.
2 SGB VI nur Anwendung finden könne, wenn ein Rentenbezieher auch in den
jeweiligen Vormonaten - also den Monaten, die dem Monat, in indem er die
Hinzuverdienstgrenze überschreitet, vorausgegangen sind - ein Hinzuverdienst erzielt
haben müsse, gebe es weder im Gesetz noch in der Rechtsprechung oder Literatur eine
Grundlage.
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Die Auffassung der Beklagten würde auch zu systemwidrigen Konsequenzen führen.
Zum einen dürfte nämlich nach der Auffassung der Beklagten ein Rentenbezieher im
ersten Monat seiner Nebenbeschäftigung niemals ein Verdienst erzielen, welcher über
der Hinzuverdienstgrenze liegt. Zum anderen hätte die Auffassung der Beklagten zur
Folge, dass derjenige, der mindestens vier Monate in einem jeden Jahr hinzu verdient
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und dabei in zwei Monaten die Hinzuverdienstgrenze überschreitet, besser gestellt wäre
als derjenige, der lediglich in zwei Monaten in einem jeden Jahr hinzu verdient habe
und dabei die Hinzuverdienstgrenze ebenso überschreitet. Dass dies von dem
Gesetzgeber gewollt sein könnte, sei nicht ersichtlich.
Gegen das ihr am 30.8.2007 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 26.9.2007 Berufung
eingelegt. Sie meint, aus Sinn und Zweck der Regelung und dem von ihr
angenommenen so genannten Vormonats-Prinzip, welches durch die Rechtsprechung
des BSG anerkannt sei, folge, dass die Nichtberücksichtigung des Überschreitens der
Hinzuverdienstgrenze in zwei Monaten nur im Ausnahmefall dann in Betracht komme,
wenn ein Hinzuverdienst die im Vormonat eingehaltene Hinzuverdienstgrenze
überschreite. Deshalb könne ein unschädliches Überschreiten der
Hinzuverdienstgrenze im ersten Monat der Beschäftigung nie möglich sein. Die
Möglichkeit des zweimaligen Überschreitens der Hinzuverdienstgrenze bedeute keine
generelle "Freischussmöglichkeit".
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Die Beklagte beantragt,
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Das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 10.8.2007 aufzuheben und die Klage
abzuweisen.
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Der Kläger beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Weshalb ein Verdienst, der zufällig im
ersten Monat der Beschäftigung zur Überschreitung der Hinzuverdienstgrenze führe,
anders zu beurteilen sein solle, als eine Überschreitung der Hinzuverdienstgrenze im
zweiten Monat der Beschäftigung, sei nicht nachvollziehbar.
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Wegen der weiteren Einzelheiten der Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Streitakten und der Verwaltungsakten der Beklagten, der Gegenstand der mündlichen
Verhandlung gewesen ist, Bezug genommen.
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Entscheidungsgründe:
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Die zulässige Berufung der Beklagten ist nicht begründet.
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Zutreffend hat das SG den Bescheid vom 29.5.2006 und den Widerspruchsbescheid
vom 15.12.2006 aufgehoben, denn diese sind rechtswidrig. Zu Unrecht hat die Beklagte
mit den angefochtenen Bescheiden nach § 48 SGB X den AR-Bescheid vom 28.7.2004
hinsichtlich der Rentenhöhe teilweise aufgehoben und die AR in den Monaten August
und November 2005 lediglich als Teilrente geleistet. Der Kläger hat auch in den
genannten Monaten Anspruch auf die AR als Vollrente, so dass auch keine
Überzahlung eingetreten ist und kein Rückforderungsanspruch der Beklagten besteht.
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Nach § 48 Abs. 1 S. 1 SGB X ist, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen
Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen
haben, eine wesentliche Änderung eintritt, der Verwaltungsakt mit Wirkung für die
Zukunft aufzuheben. Nach § 48 Abs. 1 S. 2 SGB X ist der Verwaltungsakt mit Wirkung
vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse u.a. aufzuheben, soweit nach
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Antragstellung oder Erlass des Verwaltungsaktes Einkommen oder Vermögen erzielt
worden ist, das zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs geführt haben würde
(Nr. 3).
Ein Anspruch auf eine AR besteht gemäß § 34 Abs. 2 S. 1 SGB VI vor Vollendung des
65. Lebensjahres nur, wenn die Hinzuverdienstgrenze nicht überschritten wird (negative
Anspruchsvoraussetzung). Grundsätzliches Ziel dieser Hinzuverdienstgrenze ist es zu
verhindern, dass der Versicherte durch Rente und Hinzuverdienst ein höheres
Gesamteinkommen erzielen kann als vor dem Rentenbezug (vgl. BT-Drucksache
13/2590 S. 20). Die Hinzuverdienstgrenze wird nach Satz 2 nicht überschritten, wenn
das Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen aus einer Beschäftigung oder selbständigen
Tätigkeit oder vergleichbares Einkommen im Monat die in Absatz 3 genannten Beträge
nicht übersteigt, wobei ein zweimaliges Überschreiten um jeweils einen Betrag bis zur
Höhe der Hinzuverdienstgrenze nach Absatz 3 im Laufe eines jeden Kalenderjahres
außer Betracht bleibt.
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Die Hinzuverdienstgrenze bei einer AR als Vollrente betrug im Jahre 2005 gemäß § 34
Abs. 3 SGB VI 350 EUR (1/7 der monatlichen Bezugsgröße), bei einer AR als Teilrente
das 23,3 fache des aktuellen Rentenwerts (§ 68 SGB VI), vervielfältigt mit der Summe
der Entgeltpunkte (§ 66 Abs. 1 Nr. 1 - 3 SGB VI) der letzten drei Kalenderjahr vor Beginn
der ersten AR, mindestens jedoch mit 1,5 Entgeltpunkten. Im Falle des Klägers ist sie
von der Beklagten für die streitige Zeit zutreffend mit 768,83 EUR berechnet worden.
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In den Monaten August und November 2005 hat das Arbeitsentgelt des Klägers die
Hinzuverdienstgrenze einer AR als Vollrente überschritten. Hierdurch wird indes keine
wesentliche Änderung im Sinne des § 48 Abs. 1 SGB X bedingt, weil gemäß § 34 Abs.
2 S. 2 zweiter Halbsatz ein zweimaliges Überschreiten um jeweils einen Betrag bis zur
Höhe der Hinzuverdienstgrenze nach Abs. 3 im Laufe eines jeden Kalenderjahres
außer Betracht bleibt.
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Die zitierten Voraussetzungen des zweiten Halbsatzes sind nach dem Wortlaut der
Vorschrift erfüllt. Im Kalenderjahr 2005 hat der Kläger die maßgebliche
Hinzuverdienstgrenze lediglich in den beiden Kalendermonaten August und November
überschritten. Weder Wortlaut der Vorschrift noch Sinn und Zweck der Regelung unter
Berücksichtigung der Gesetzgebungsmaterialien (vgl. Fraktionsentwurf-RRG zu § 34 in
BT-Drucks 11/4124 S 161; siehe dazu auch Niesel in Kasseler Kommentar, § 34 SGB
VI RdNr 20; Klattenhoff in Hauck, SGB VI, § 34 RdNr 11 Fußnote 37) geben eine
Handhabe für die von der Beklagten gewählte einschränkende Auslegung. Das
Überschreiten der Hinzuverdienstgrenze in den Monaten August und November 2005
hat deshalb auch hier außer Betracht zu bleiben und kann deshalb keine wesentliche
Änderung im Sinne des § 48 Abs. 1 SGB X begründen.
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Dem Versuch der Rentenversicherungsträger, den Anwendungsbereich der
Ausnahmevorschrift des § 34 Abs. 2 S. 2 , zweiter Halbsatz SGB VI einzuengen, ist das
BSG bereits im Urteil vom 31.1.2002 ( B 13 RJ 33/01 R = SozR 3-2600 § 34 Nr.4)
überzeugend entgegengetreten. Danach ist es der Verwaltung nicht gestattet, solange
das Gesetz ein zweimaliges Überschreiten der Hinzuverdienstgrenzen bis zum
Doppelten durch Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen vorsieht, diese Möglichkeit nur
auf abhängig Beschäftigte und bei diesen nur auf den Hinzuverdienst durch
Sonderzahlungen zu beschränken. Wie ferner bereits das LSG Baden-Württemberg in
dem von der Beklagten zitierten Urteil vom 24.8.2007 ( L 4 R 5630/06 ( Blatt 9 des
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Umdrucks)) zutreffend ausgeführt hat, stellt der Wortlaut des § 34 Abs. 2 S. 2 SGB VI
ebenso wenig darauf ab, dass ein Überschreiten nur dann möglich sei, wenn auf eine
maßgebliche Hinzuverdienstgrenze des Vormonats zurückgegriffen werden könne.
Der erkennende Senat lässt insoweit offen, ob dem Urteil des BSG vom 6.2.2007 ( B 8
KN 3/06 R = SozR 4-2600 § 96a Nr 9) zu folgen ist, wonach die auch hier streitige
Vergünstigung, in zwei Monaten des Kalenderjahres trotz Überschreitens der
Hinzuverdienstgrenze keine (weitere) Rentenminderung hinnehmen zu müssen, bei
gleich bleibenden Einkünften nicht in Anspruch genommen werden könne. Ein solcher
Sachverhalt liegt hier nämlich nicht vor, weil das Arbeitseinkommen des auf Abruf tätig
gewordenen Klägers ein schwankendes war. Soweit das BSG im Urteil vom 6.2.2007
(aaO) das von den Rentenversicherungsträgern geschaffene so genannte "
Vormonatsprinzip" aufgreift, lassen die Ausführungen des BSG die von der Beklagten
gezogenen Schlüsse jedenfalls nicht zu. Das BSG führt unter Randziffer 32 der
Entscheidung aus: "Wird die im jeweiligen Vormonat unterschrittene Grenze im Laufe
des Jahres erstmals überschritten und das Doppelte dieser Grenze eingehalten, wird
ihm (dem Versicherten) die Rente in derselben Höhe auch für diesen Monat
weitergezahlt und die erste Möglichkeit des privilegierten Überschreitens verbraucht. "
Das BSG stellt - entsprechend dem Wortlaut des Gesetzes - auf das Überschreiten der
Hinzuverdienstgrenze des Vormonats ab. Eine gesetzliche Hinzuverdienstgrenze
besteht aber unabhängig davon, ob überhaupt ein Hinzuverdienst erzielt wird. Die
Hinzuverdienstgrenze von 350 EUR bestand im Juli 2005 und wurde, weil kein
Arbeitsentgelt erzielt wurde, ebenso eingehalten wie bei jedem Arbeitsentgelt zwischen
Null EUR und dem genannten Grenzbetrag, und wurde im August 2005 erstmals vom
Arbeitseinkommen des Klägers überschritten. Die Beklagte macht dagegen aus dem
Überschreiten der Hinzuverdienstgrenze ein Überschreiten des Hinzuverdienstes des
Vormonats und folgert daraus, dass im Vormonat ebenfalls ein Hinzuverdienst erzielt
worden sein müsse. In der Konsequenz dieser Annahme der Beklagten würde im Monat
des Rentenbeginns bzw. im Monat des erstmaligen oder erneuten Zusammentreffens
von Rente und Hinzuverdienst ein Überschreiten immer den Anspruch auf die Vollrente
mindern oder entfallen lassen (vgl. LSG Baden-Württemberg a.a.O. m.w.N.). Ein so
verstandenes Vormonatsprinzip lässt sich aber weder aus der gesetzliche Regelung
noch aus der Entscheidung des BSG vom 6.2.2007 (aaO) herleiten (vgl. zur Kritik am
"Vormonatsprinzip" auch Cirsovius, ZFSH/SGB 2007, 648,654; ders., in Brackmann,
Handbuch der Sozialversicherung - Gesetzliche Rentenversicherung, § 34 SGB VI Anm.
3.1.2).
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Die Beklagte konnte auch keinen Wertungsgesichtspunkt anführen, der für ihre
Auslegung hätte sprechen können. Sie verweist, wenn sie im angefochtenen Bescheid
davon spricht, "im Einzelfall des Klägers könne die zweimal im Jahr zulässige
Überschreitung der Hinzuverdienstgrenzen nicht angewandt werden" eher lapidar auf
die Konsequenz einer von ihr bzw. den Rentenversicherungsträgern entwickelten, aber
nicht im Gesetz angelegten Kasuistik. Mit welcher sachlichen Rechtfertigung - außer
einer von der Beklagten verlangten Konkordanz mit ihrer Kasuistik - der Kläger in den
Monaten August und November 2005 keinen Anspruch auf die Vollrente gehabt haben
soll, weil er zufällig in den jeweiligen Vormonaten kein Arbeitsentgelt erzielt hat,
erschließt sich nicht. Es zeigt sich vielmehr, dass gerade beim Kläger, der nicht nach
exakter vorheriger Festlegung sondern nach Bedarf der Arbeitgeberin und auf Abruf tätig
geworden ist, ein Fall nicht zu planenden und schwankenden Hinzuverdienstes
gegeben ist, dem die Überschreitungsregelung des § 34 Abs. 2 SGB VI Rechnung
tragen sollte. Dass das Nichterzielen von Hinzuverdienst in den Vormonaten nach der
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Auffassung der Beklagten zur Rentenminderung oder zum Rentenwegfall in den
Folgemonaten führen würde, wäre mithin keine zufällige und deshalb möglicherweise
hinzunehmende Konsequenz einer allgemeinen und nicht jeden Fall gleich
befriedigend lösenden gesetzlichen Regelung in einem atypischen Fall, sondern allein
Folge der restriktiven Auslegung der Beklagten. Denn nach dem Wortlaut des Gesetzes
ist das Überschreiten der Hinzuverdienstgrenze, wie oben ausgeführt, auch im Falle des
Klägers unbeachtlich.
Weil erst durch die vom Gesetzeswortlaut abweichende Auslegung der Beklagten eine
Ungleichbehandlung gegenüber einem vergleichbaren Rentenempfänger eintreten
würde, der auch in den Monaten vor den beiden Überschreitungen der
Hinzuverdienstgrenze erzielt hat, würde die Auslegung der Beklagten zur Überzeugung
des Senats nicht nur zu einer der Beklagten nicht zustehenden Korrektur des Gesetzes
(vgl. dazu BSG, Urteil vom 31.1.2002 a.a.O. ) sondern auch zu einer Verletzung des
allgemeinen Gleichheitssatzes (Art 3 Abs. 1 GG) führen.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
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Der Senat hat die Revision zugelassen, weil er der Sache grundsätzliche Bedeutung
beimisst.
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