Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 27.09.2010
LSG NRW (deutschland, kläger, bundesrepublik deutschland, polen, sohn, einreise, erkrankung, familie, ehefrau, aufenthalt)
Landessozialgericht NRW, L 8 R 490/10 B
Datum:
27.09.2010
Gericht:
Landessozialgericht NRW
Spruchkörper:
8. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
L 8 R 490/10 B
Vorinstanz:
Sozialgericht Dortmund, S 6 R 4/09
Sachgebiet:
Rentenversicherung
Rechtskraft:
nicht rechtskräftig
Tenor:
Die Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss des Sozialgerichts
Dortmund vom 6.5.2010 wird zurückgewiesen.
Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe:
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I.
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Der Kläger begehrt Prozesskostenhilfe (PKH) und Beiordnung von Rechtsanwalt P für
das Klageverfahren gegen den Bescheid der Beklagten vom 31.1.2008 in der Gestalt
des Widerspruchsbescheides vom 13.5.2009, mit dem er die Vormerkung seiner in
Polen zurückgelegten Versicherungszeiten nach Art. 4 Abs. 2 des deutsch-polnischen
Sozialversicherungsabkommens vom 9.10.1975 (DPSVA 1975) erreichen will.
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Der am 00.00.1945 geborene Kläger, Inhaber des Vertriebenenausweises A, reiste am
10.1.1991 aus Polen nach Deutschland ein. Sein Legitimationsbuch weist eine
Beschäftigung bis zum 31.12.1990 sowie Zeiten der ambulanten Krankenbehandlung
bzw. Hausbesuche u.a. für die Monate November und Dezember 1990 aus.
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Am 8.12.2000 gab der Kläger in einer formularmäßigen Erklärung an, er habe den
Entschluss zur Einreise nach Deutschland am 1.6.1989 gefasst. Seine verspätete
Wohnsitznahme in Deutschland in der Zeit vom 1.1. bis 30.6.1991 begründete er wie
folgt: "Einerseits hat unser Sohn das Abi 1990 gemacht und andererseits musste ich
Vermögenssachen regeln." Unter dem entsprechenden Absatz findet sich der
formularmäßige Hinweis: "Zur Überprüfung der Angaben in diesem Abschnitt bitte
beifügen: Aufnahmebescheid des Bundesverwaltungsamtes oder polnischer
Aussiedlerpass sowie sämtliche Unterlagen, die die Hinderungsgründe belegen
können. (z.B. ärztliche Atteste über plötzlich eingetretene Erkrankungen usw.)"
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Auf Nachfrage der Beklagten gab der Kläger am 21.4.2001 in einer frei formulierten
Erklärung an: Er habe den Übernahmeantrag für die ganze Familie am 28.7.1988
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Erklärung an: Er habe den Übernahmeantrag für die ganze Familie am 28.7.1988
gestellt. Die Übernahmegenehmigung habe man am 2.12.1988 erhalten. Seine Ehefrau,
er selbst und die beiden Söhne seien im Juni 1989 nach dem Schulende nach Unna
Massen gekommen. Sein jüngerer Sohn habe gerade die 8. Klasse der Volksschule
beendet. Sein Sohn K habe das Technikum in Polen besucht und noch 1 ½ Jahre zum
Abschluss benötigt. Man habe ihnen in Unna Massen im Durchgangslager geraten, für
diesen Zeitraum nach Polen zurückzufahren und den älteren Sohn den Abschluss
machen zu lassen. Daraufhin habe er mit seiner Frau entschieden, dass diese mit dem
jüngeren Sohn L in Deutschland bleiben solle, während er mit J zurückfahre. Nach
Abschluss des Technikums von K seien beide nach Deutschland gekommen.
Mit Bescheid vom 21.4.2005 merkte die Beklagte die in Polen zurückgelegten und nach
dem Fremdrentengesetz (FRG) berücksichtigungsfähigen Zeiten im Versicherungskonto
des Klägers vor.
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Am 13.12.2007 beantragte der Kläger - anwaltlich vertreten - die Überprüfung des
Bescheides vom 21.4.2005. Er habe aus familiären Gründen nicht zum 1.1.1991
einreisen können. Er habe seinen damals noch in der Ausbildung befindlichen Sohn
begleiten müssen, sei jedoch zum Zeitpunkt der geplanten Ausreise wegen eines
Beinbruchs reiseunfähig gewesen. Zwar sei seine Ehefrau bereits mit einem anderen
Sohn am 1.6.1989 nach Deutschland eingereist. Die Einreise der gesamten Familie sei
aufgrund der politischen und sozialen Situation damals absolut unmöglich und
ausgeschlossen gewesen.
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Die Beklagte lehnte eine Änderung des Bescheides vom 21.4.2005 ab (Bescheid v.
31.1.2008). Der Kläger sei am 10.1.1991 bereits zum zweiten Mal nach Deutschland
eingereist. Daher seien Hinderungsgründe nicht zu prüfen.
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Mit dem Widerspruch trug der Kläger vor: Die Übersiedlung der ganzen Familie nach
Deutschland sei noch im Jahr 1990 geplant gewesen. Er habe jedoch im Herbst 1990
einen komplizierten Beinbruch erlitten. Hinzu seien Infektionen gekommen. Zeitweise
habe er sich überhaupt nicht bewegen dürfen, von einer Reise ins Ausland ganz zu
schweigen. Die Übersiedlung sei daher erst am 9.1.1991 möglich gewesen. Hinzu seien
noch weitere Hindernisse verwaltungsrechtlicher Natur gekommen.
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Mit Widerspruchsbescheid vom 14.5.2009 wies die Beklagte den Widerspruch im
Wesentlichen aus den Gründen des angefochtenen Bescheides zurück.
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Mit der Klage wiederholt der Kläger seinen Vortrag aus dem Widerspruchsverfahren und
trägt vor, er könne wegen des lange zurückliegenden Zeitpunkts seiner Erkrankung
keine ärztliche Bescheinigung über den Verlauf seiner Behandlung mehr beibringen.
Seine Ehefrau habe kurz vor dem Stichtag am 1.1.1991 nach Deutschland übersiedeln
können. Nur er selbst habe noch einige Zeit warten müssen, bis er überhaupt reisefähig
gewesen sei. Mit Schriftsatz vom 2.9.2009 trägt er nunmehr vor, er sei 1989 nur nach
Deutschland gekommen, um seine Frau und den jüngeren Sohn zu begleiten. Wie
ursprünglich geplant, sei er sodann zu seinem Sohn K zurückgefahren, der seine
Ausbildung in Polen habe abschließen wollen.
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Mit Beschluss vom 6.5.2010 hat das Sozialgericht (SG) Dortmund den Antrag des
Klägers auf Bewilligung von PKH und Beiordnung von Rechtsanwalt P abgelehnt. Die
Voraussetzungen des Art. 27 Abs. 4 des deutsch-polnischen
Sozialversicherungsabkommens vom 8.12.1990 (DPSVA 1990) seien im Hinblick auf
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die Erklärungen des Klägers im Verwaltungsverfahren nicht erfüllt. An diesen
Erklärungen müsse der Kläger sich festhalten lassen.
Gegen diesen Beschluss hat der Kläger Beschwerde erhoben. Er trägt vor: Seiner
Erklärung vom 8.12.2000 sei "keine abschließende Bedeutung beizumessen". Er habe
"offensichtlich" nur einen der Gründe für seine verspätete Einreise nach Deutschland
mitgeteilt. Er sei ein sehr familiärer Mensch und die Belange seines Sohnes hätten
damals, im Jahre 1990, im Jahre 2000 und auch heute noch für ihn mental im
Vordergrund gestanden. Zu den genauen Umständen seiner verspäteten Einreise sei er
nicht gefragt worden. Eine umfassende Beschreibung der Situation aus dem Jahre
1990/91 hätte den Rahmen des damals ausgefüllten Fragebogens gesprengt.
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II. Die zulässige Beschwerde ist unbegründet. Das SG hat den Antrag des Klägers auf
Bewilligung von PKH und Beiordnung von Rechtsanwalt P zu Recht abgelehnt.
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Nach § 73a Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) i.V.m. § 114 Satz 1
Zivilprozessordnung (ZPO) erhält ein Beteiligter, der nach seinen persönlichen und
wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder
nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag PKH, wenn die beabsichtigte
Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.
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Hinreichende Erfolgsaussichten bestehen dabei zum einen, wenn die Entscheidung in
der Hauptsache von der Beantwortung einer schwierigen, bislang ungeklärten
Rechtsfrage abhängt, zum anderen, wenn eine entscheidungserhebliche Tatsache
zwischen den Beteiligten strittig ist und keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass eine
Beweisaufnahme mit hoher Wahrscheinlichkeit zu Lasten des Antragstellers ausgehen
würde (statt aller: BVerfG, Beschluss v. 8.12.2009, 1 BvR 2733/06, NJW 2009, 2010,
1129 m.w.N.).
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Nach diesen Maßstäben lassen sich hinreichende Erfolgsaussichten für die
beabsichtigte Rechtsverfolgung gegenwärtig nicht feststellen.
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1. Rechtsgrundlage für den Anspruch auf Vormerkung rentenrechtlicher Zeiten ist § 149
Abs. 5 Satz 1 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI). Da der Kläger Vertriebener
i.S.v. § 1 Buchst. a) Fremdrentengesetz (FRG) ist, hat die Beklagte die nach Maßgabe
dieses Gesetzes vorzumerkenden Daten im Versicherungskonto des Klägers
gespeichert. Ein Anspruch auf Vormerkung der polnischen Versicherungszeiten des
Klägers gemäß Art. 4 Abs. 2 DPSVA 1975 i.V.m. Art. 2 Abs. 1 des
Zustimmungsgesetzes zum DPSVA 1975 besteht demgegenüber nur dann, wenn
dieses Abkommen auf den Kläger Anwendung findet. Die Voraussetzungen hierfür sind
in Art. 27 Abs. 2 bis 4 DPSVA 1990 geregelt, der aufgrund von Anhang II der VO (EG)
Nr. 883/04 i.d.F. Anhang B. der VO (EG) Nr. 988/2009 v. 16.9.2009 (ABl. L 284 v.
30.10.2009, S. 43) weiterhin anzuwenden ist.
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a) Nach Art. 27 Abs. 3 Satz 1 DPSVA 1990 erwerben Ansprüche und Anwartschaften in
der Rentenversicherung nach dem DPSVA 1975 für die bis zur Einreise zurückgelegten
Versicherungszeiten Personen, die vor dem 1.1.1991 nach Deutschland eingereist sind,
bis zu diesem Zeitpunkt die Verlegung des Wohnorts nach Deutschland beantragt
haben und sich seither ununterbrochen hier aufgehalten haben, sofern sie im Zeitpunkt
des Versicherungsfalles, spätestens vom 30.6.1991 an, in Deutschland wohnen.
Versicherte, die - wie der Kläger - zwar bereits 1989 nach Deutschland eingereist, dann
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jedoch nach Polen zurückgekehrt sind, um zu einem späteren Zeitpunkt ihren Wohnort
nach Deutschland zu verlegen, werden von Art. 27 Abs. 3 Satz 1 DPSVA 1990
demgegenüber nicht erfasst.
b) Außerdem begünstigt Art. 27 Abs. 4 Satz 1 DPSVA 1990 auch solche Personen, die
vor dem 1.7.1991 ihren Wohnort nach Deutschland verlegt haben, wenn die Verlegung
des Wohnorts vor dem 1.1.1991 aus Gründen unterblieben ist, die diese Personen nicht
zu vertreten haben. "Wohnort" bedeutet in Bezug auf die Bundesrepublik Deutschland
den Ort des gewöhnlichen Aufenthalts, wobei es sich um einen unbefristeten
rechtmäßigen Aufenthalt handeln muss (Art. 1 Nr. 10 DPSVA 1990). Zur Bestimmung
des Wohnortes ist daher die Definition des "gewöhnlichen Aufenthaltes" in § 30 Abs. 3
Satz 1 Erstes Buch Sozialgesetzbuch heranzuziehen (BSG, Urteil v. 30.9.1993, 4 RA
49/92, SozR 3-6710 Art. 1 Nr. 1). Danach hat jemand seinen gewöhnlichen Aufenthalt
dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass er an diesem Ort
nicht nur vorübergehend verweilt, d.h. wenn der Schwerpunkt der Lebensverhältnisse
dort liegt und der Aufenthalt nicht auf Beendigung angelegt, sondern zukunftsoffen ist
(BSG a.a.O.).
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c) Die Beklagte trägt insoweit vor, die Rückkehr des Klägers nach Polen im Anschluss
an seine erste Einreise in die Bundesrepublik Deutschland im Jahr 1990 führe dazu,
dass der Grund des "verspäteten erneuten zweiten Zuzugs" nicht mehr beachtlich sei.
Soweit darin die Rechtsauffassung zum Ausdruck kommen sollte, die Anwendung von
Art. 27 Abs. 4 DPSVA 1990 sei immer schon dann ausgeschlossen, wenn der
Versicherte bereits vor dem 1.1.1991 vorübergehend (insbesondere ohne Begründung
eines gewöhnlichen Aufenthaltes) nach Deutschland eingereist, dann jedoch (ebenfalls
vorübergehend) nach Polen zurückgekehrt, erschließt sich dies für den Senat aus
Wortlaut und Regelungssystematik des Art. 27 Abs. 2 bis 4 DPSVA 1990 nicht ohne
weiteres. Aus Sicht des Senates spricht mehr dafür, den Umstand der vorherigen
Einreise im Einzelfall bei der Prüfung zu berücksichtigen, ob die verspätete Begründung
des gewöhnlichen Aufenthaltes "nicht zu vertreten" im Sinne des Art. 27 Abs. 4 Satz 1
DPSVA 1990 ist.
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d) Auf dieser Grundlage lässt sich gegenwärtig nicht feststellen, dass der Kläger vor
dem 10.1.1991 seinen gewöhnlichen Aufenthalt und damit seinen Wohnort in
Deutschland genommen hat. Dementsprechend kommt es für den Erfolg der Klage in
erster Linie darauf an, ob er die Verlegung seines Wohnortes nach dem 31.12.1990
nicht zu vertreten hat.
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2. Wann ein Versicherter die Verlegung des gewöhnlichen Aufenthalts nach dem
31.12.1990 i.S.v. Art. 27 Abs. 4 DPSVA 1990 "nicht zu vertreten" hat, ist - soweit
ersichtlich - bislang höchstrichterlich nicht geklärt. Die Beantwortung dieser Rechtsfrage
wirft jedoch keine grundsätzlichen Probleme auf, die die Bewilligung von PKH für das
vorliegende Verfahren rechtfertigen würden. Es ist vielmehr - entsprechend dem
allgemeinen Verständnis auch in anderen Bereichen der Rechtsordnung - davon
auszugehen, dass der Versicherte alle solchen Umstände nicht zu vertreten hat,
hinsichtlich derer ihn kein Verschulden trifft bzw. die durch ein sozialadäquates
Verhalten entstanden sind (vgl. statt aller: BSG, Urteil v. 26.7.2007, B 13 R 8/07 R, SozR
4-2600 § 58 Nr. 9). Weder dem DPSVA 1990 selbst noch der Denkschrift der
Bundesregierung zum Abkommen (BT-Drucks. 12/470 S. 23 f.) lassen sich
Anhaltspunkte für eine abweichende Lesart des Begriffs "nicht zu vertreten" im Rahmen
des Sozialversicherungsabkommens entnehmen. Dementsprechend hat die Deutsche
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Verbindungsstelle - UV - in ihrem Rundschreiben Nr. VB 106/91 v. 5.12.1991 als
typische Beispiele für Umstände, die der Versicherte nicht zu vertreten hat, eine
verzögerte Sachbearbeitung beim Bundesverwaltungsamt oder eine plötzliche
Erkrankung angeführt (Ziff. 4 des Rundschreibens).
3. In tatsächlicher Hinsicht ist zwar zwischen den Beteiligten strittig, ob der Kläger durch
eine plötzliche Erkrankung (und damit einen Umstand, den er gegebenenfalls nicht zu
vertreten hätte) an einer Verlegung des Wohnorts vor dem 1.1.1991 gehindert worden
ist. Nach dem gegenwärtigen Stand des Verfahrens spricht jedoch eine hohe
Wahrscheinlichkeit dafür, dass die Beweisaufnahme des SG insoweit zu Lasten des
Klägers ausgehen wird.
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a) Dem polnischen Legitimationsbuch des Klägers lässt sich lediglich eine ambulante
Krankenbehandlung in den Monaten November und Dezember 1990 entnehmen.
Welche Erkrankung bestanden und inwiefern diese den Kläger gegebenenfalls an einer
Ausreise aus Polen noch im Jahr 1990 gehindert hat, ergibt sich daraus hingegen nicht.
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b) Der Kläger hat für seine Behauptung, er habe wegen einer Fraktur mit
anschließenden Komplikationen nicht vor dem 1.1.1991 seinen gewöhnlichen
Aufenthalt nach Deutschland begründen können, keinerlei Beweis angeboten. Er hat
sich vielmehr darauf beschränkt vorzutragen, er könne wegen des lange
zurückliegenden Zeitpunkts seiner Erkrankung keine ärztliche Bescheinigung über den
Verlauf seiner Behandlung mehr beibringen. Auch im Übrigen hat er keinen
Zeugenbeweis angetreten. Die weiter behaupteten "Hindernisse verwaltungsrechtlicher
Natur" hat er in keiner Weise konkretisiert.
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c) Ansatzpunkte für Ermittlungen von Amts wegen sind derzeit, nicht zuletzt angesichts
der erheblichen Widersprüche im Vorbringen des Klägers, nicht erkennbar.
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aa) Der Kläger hat am 8.12.2000 angegeben, er sei nochmals nach Polen
zurückgekehrt, weil sein Sohn dort die Schule abschließen sollte und er selbst
Vermögenssachen zu regeln hatte. Zu einer Erkrankung hat er nichts vorgetragen,
obwohl auf die Notwendigkeit bzw. Möglichkeit der Vorlage ärztlicher Atteste über
plötzlich eingetretene Erkrankungen in dem betreffenden Abschnitt des Formulars
ausdrücklich hingewiesen worden ist. Wenn der Kläger hierzu nun mitteilen lässt, er sei
ein familiärer Mensch und die Belange seines Sohnes hätten für ihn mental im
Vordergrund gestanden, so vermag dies schon deshalb nicht zu überzeugen, weil er
zusätzlich die Regelung von Vermögenssachen und damit einen nicht seinen Sohn
betreffenden Verzögerungsgrund, nicht jedoch etwaige gesundheitliche
Beeinträchtigungen angegeben hat.
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bb) Der weitere Vortrag, das am 8.12.2000 ausgefüllte Formular habe nicht genug Platz
für die Angabe sämtlicher Hinderungsgründe für eine rechtzeitige Ausreise enthalten, ist
auch deshalb unschlüssig, weil der Kläger auf ausdrückliche Nachfrage der Beklagten
am 21.4.2001 in einer frei formulierten Erklärung ausführlich den Schulabschluss des
älteren Sohnes als Grund für die Rückkehr nach Polen dargestellt, jedoch auch hier
eine etwaige Erkrankung mit keinem Wort erwähnt hat.
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cc) Das übrige Vorbringen des Klägers enthält gleichfalls widersprüchliche und
miteinander unvereinbare Angaben. So hat er 2001 ausführlich dargelegt, dass
zunächst die gesamte Familie 1989 nach Deutschland eingereist, dass er jedoch in
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Unna Massen dahingehend beraten worden sei, zunächst mit seinem älteren Sohn nach
Polen zurückzukehren, um diesem dort den Schulabschluss zu ermöglichen. 2007 hat
er demgegenüber vorgetragen, die Einreise der gesamten Familie nach Deutschland
bereits 1989 sei "aufgrund der politischen und sozialen Situation damals absolut
unmöglich und ausgeschlossen gewesen". Im Klageverfahren hat er zunächst mitgeteilt,
seine Ehefrau sei "kurz vor dem Stichtag 1.1.1991" nach Deutschland übergesiedelt.
Nach neuestem Stand seines Vortrags ist nunmehr wieder von einer Übersiedlung der
Ehefrau im Jahr 1989 die Rede, wobei der Kläger lediglich zur Begleitung mitgefahren
sein und die Rückkehr nach Polen von vornherein geplant haben will.
dd) Solange der Kläger nicht seiner prozessualen Verantwortung und Wahrheitspflicht
entspricht und die Gründe seiner Ausreiseverhinderung eingehend, schlüssig und
widerspruchsfrei vorträgt, bestehen keine Anhaltspunkte für die Annahme, eine etwaige
Beweisaufnahme werde zu seinen Gunsten ausfallen. Sollte sich nicht feststellen
lassen, dass die Verlegung des Wohnorts vor dem 1.1.1991 aus Gründen unterblieben
ist, die er nicht zu vertreten hatte, ginge dies nach allgemeinen Grundsätzen der
objektiven Beweislast zu seinen Ungunsten.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 127 Abs. 4 ZPO.
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