Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 29.01.2007

LSG NRW: freistellung von der arbeit, berufliche eingliederung, beratung, kündigung, arbeitslosigkeit, verfügung, arbeitsförderung, training, ermessensausübung, ermächtigung

Landessozialgericht NRW, L 1 AL 27/05
Datum:
29.01.2007
Gericht:
Landessozialgericht NRW
Spruchkörper:
1. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
L 1 AL 27/05
Vorinstanz:
Sozialgericht Köln, S 14 AL 106/04
Sachgebiet:
Arbeitslosenversicherung
Rechtskraft:
nicht rechtskräftig
Tenor:
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Köln vom
23.02.2005 wird zurückgewiesen. Kosten sind auch im
Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht
zugelassen.
Tatbestand:
1
Streitig ist die Förderung der beruflichen Weiterbildung zum Anwendungsentwickler für
mySAP.com (ABAP).
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Der 1962 geborene Kläger ist ausgebildeter Datenverarbeitungskaufmann mit
langjähriger Berufspraxis und verfügt über Fachkenntnisse der Softwareentwicklung und
Systemadministration (Cobol, Java, PHP, C+, DB 2, DL, HDP/DC, OS 390, Windows
etc.) Zuletzt war er seit 1994 als Systementwickler bei der Firma H GmbH in C
beschäftigt. Am 25.03.2004 meldete er sich anlässlich einer persönlichen Vorsprache
bei der Beklagten arbeitssuchend, nachdem ihm am Vortag mündlich die bevorstehende
Kündigung und Freistellung vom Arbeitgeber mitgeteilt worden war. In der Zeit vom 27. -
28.03.2004 nahm der Kläger sodann an einem Wochenendseminar zum Thema
"Anwendungsentwickler für mySAP.com" teil. Nachdem er am Folgetag die schriftliche
Kündigung mit Wirkung zum 31.12.2004 unter Fortzahlung des Arbeitsentgelts erhalten
hatte, schloss er am 30.03.2004 mit der WBS Training AG einen entsprechenden
Fortbildungsvertrag über ein 8-monatiges Training beginnend mit dem 03.05.2004. Die
Fortbildungskosten betrugen 7.800,00 Euro.
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Den Antrag des Klägers vom 13.04.2004, ihm einen Bildungsgutschein auszustellen,
lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 19.04.2004 ab. Zur Begründung führte sie aus,
die für diese Ermessensleistung zur Verfügung stehenden begrenzten Mittel ließen
unter Berücksichtigung der regionalen Besonderheiten des Arbeitsmarktes im
Arbeitsamtsbezirk C1 und im Hinblick auf die individuellen Besonderheiten des
Einzelfalles eine Förderung des angestrebten Bildungsziels nicht zu. Den hiergegen am
14.05.2004 erhobenen Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom
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26.08.2004 als unbegründet zurück und führte zur Begründung aus, das ihr zustehende
Ermessen sei unter Berücksichtigung der Geschäftsanweisung vom 27.05.2003
rechtsfehlerfrei angewandt worden. Danach setze eine Förderung in der Regel voraus,
dass über einen angemessenen Zeitraum Vermittlungsbemühungen des Arbeitsamtes
wiederholt erfolglos geblieben und entsprechende Eigenbemühungen des Klägers
nachgewiesen worden seien. Im Hinblick auf den zeitlichen Ablauf seien diese
Voraussetzungen nicht erfüllt. Auch könne aus dem Bewerberprofil kein
Qualifizierungsdefizit festgestellt werden, das sich nur aus der Teilnahme an der
Maßnahme ausgleichen lasse.
Der Kläger hat hiergegen am 15.09.2004 beim Sozialgericht (SG) Köln Klage erhoben
und sein Begehren weiterverfolgt. Ergänzend hat er vorgetragen, dass die
Förderungsfähigkeit des Kurses nicht in Frage stehe, da alle anderen Teilnehmer
Leistungen erhalten hätten.
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Der Kläger hat beantragt,
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die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 19.04.2004 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 26.08.2004 zu verurteilen, unter Beachtung der
Rechtsauffassung des Gerichts über den Antrag des Klägers vom 06.04.2004 erneut zu
entscheiden.
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Die Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Zur Begründung hat sie auf die Ausführungen im angefochtenen Widerspruchsbescheid
verwiesen und ergänzend dargelegt, bei der Frage der Förderungsmöglichkeit sei nicht
entscheidend, ob eine andere Agentur für Arbeit die vom Kläger besuchte Maßnahme
gefördert habe.
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Durch Urteil vom 23.02.2005 hat das SG die Klage abgewiesen und zur Begründung
ausgeführt, die Weiterbildungsmaßnahme sei für den Kläger nicht notwendig im Sinne
des § 77 des Dritten Buches des Sozialgesetzbuches - Arbeitsförderung - (SGB III). Bei
der insoweit zu treffenden Prognoseentscheidung seien Fehler bei der Einschätzung
durch die Beklagte nicht zu erkennen gewesen.
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Gegen das ihm am 16.03.2005 zugestellte Urteil hat der Kläger am 18.04.2005 Berufung
eingelegt und ergänzend vorgetragen, er habe nach erfolgreichem Abschluss der
Weiterbildungsmaßnahme im Januar 2005 u.a. wegen der im Seminar erworbenen
Kenntnisse im Bereich SAP-ABAP eine neue Stelle gefunden.
Arbeitsvermittelungsbemühungen der Beklagten seien zu keinem Zeitpunkt erfolgt. Er
sei zuvor Spezialist für Programmiersprachen wie z.B. Cobol und andere gewesen, für
die es inzwischen keinen Markt mehr gebe, so dass die Fortbildung im SAP-Bereich für
ihn zwingend notwendig gewesen sei.
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Der Kläger beantragt,
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das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 23.02.2005 zu ändern und die Beklagte unter
Aufhebung des Bescheides vom 19.04.2004 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 26.08.2004 zu verurteilen, den Antrag des Klägers vom
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13.04.2004 auf eine Förderung der beruflichen Weiterbildung zum
Anwendungsentwickler für mySAP.com (ABAP) erneut unter Beachtung der
Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.
Die Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Sie schließt sich den Ausführungen im erstinstanzlichen Urteil an und verweist
ergänzend darauf, dass jede Agentur für Arbeit in ihrem Amtsbezirk in eigener
Zuständigkeit darüber entscheide, welche Bildungsziele für ihren Bezirk gefördert
würden, um einen gleichmäßigen Mittelabfluss über das Haushaltsjahr und die
effizienteste Verteilung der Mittel unter Berücksichtigung des regionalen Arbeitsmarktes
zu gewähren. Bei dem Bildungsstand und der Berufspraxis des Klägers könne zudem
ausgeschlossen werden, dass eine berufliche Eingliederung nur mittels der beruflichen
Weiterbildung voraussichtlich hätte realisiert werden können.
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Die den Kläger betreffende Leistungsakte der Beklagten ist beigezogen worden.
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Entscheidungsgründe:
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Die zulässige Berufung des Klägers ist unbegründet.
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Wie das SG zutreffend entschieden hat, ist der angefochtene Bescheid nicht
rechtswidrig. Der Kläger hat keinen Anspruch darauf, dass die Beklagte erneut im
Rahmen pflichtgemäßen Ermessens über seinen Antrag auf Förderung der beruflichen
Weiterbildung entscheidet.
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Das SG ist zu Recht davon ausgegangen, dass die begehrte Kostenübernahme allein
unter Berücksichtigung der als Leistung der aktiven Arbeitsförderung (§ 3 Abs. 5 SGB III)
im Ermessen der Agentur für Arbeit stehenden Förderung der beruflichen Weiterbildung
nach § 77 SGB II in Betracht kommt. Nach dieser in der Fassung vom 23.12.2002 (BGBl.
I 4607) anwendbaren Vorschrift können Arbeitnehmer bei beruflicher Weiterbildung
durch Übernahme der Weiterbildungskosten gefördert werden, wenn
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1.die Weiterbildung notwendig ist, um sie bei Arbeitslosigkeit beruflich einzugliedern,
eine ihnen drohende Arbeitslosigkeit abzuwenden oder weil bei ihnen wegen fehlenden
Berufsabschlusses die Notwendigkeit der Weiterbildung anerkannt ist,
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2.vor Beginn der Teilnahme eine Beratung durch die Agentur für Arbeit erfolgt ist und
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3.die Maßnahme und der Träger der Maßnahme für die Förderung zugelassen sind.
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Bei der durchgeführten Maßnahme handelte es sich um eine Weiterbildung im Sinne
der Vorschrift, denn der Kläger verfügte aufgrund seiner Ausbildung und Tätigkeit über
langjährige berufliche Erfahrungen ( vgl. BSG SozR 4-4300 § 77 Nr.2 m.w.N.). Der
Kläger war zwar wegen der Freistellung von der Arbeit bei Fortzahlung des
Arbeitsentgelts nicht arbeitslos (BSG SozR 2200 § 165 Nr.8). Wohl aber war er im
Hinblick auf die mit Wirkung zum 31.12.2004 ausgesprochene Kündigung von der
Arbeitslosigkeit bedroht (§ 17 SGB III). Zugunsten des Klägers kann auch unterstellt
werden, dass Maßnahme und Träger für die Förderung zugelassen waren (§§ 84, 85
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SGB III).
Ungeklärt ist aber, ob eine vorherige Beratung stattgefunden hat. Der Gesetzgeber hat
mit dem unverzichtbaren Erfordernis der vorherigen Beratung deutlich gemacht, dass
die Teilnahme an einer Maßnahme ohne vorherige Beratung schlechterdings nicht
sinnvoll ist. Dies gilt auch dann, wenn die Beratung etwa an Terminschwierigkeiten des
zuständigen Sachbearbeiters scheitert (B.Schmidt in Eicher/Schlegel, SGB III -
Kommentar - § 77 Rdnr. 51 m.w.N.). Mit der Notwendigkeit der Vorprüfung der
Maßnahme vor deren Beginn soll zudem verhindert werden, dass die Beklagte ohne
vorherige Kontrollmöglichkeit vor vollendete Tatsachen gestellt wird (Stratmann in
Niesel SGB III, § 77 Rdnr. 20). Diesem Gesichtspunkt kann in Fällen der vorliegenden
Art besondere Bedeutung zukommen, wenn der Antragsteller bereits den Vertrag mit der
Einrichtung geschlossen hat, bevor er sich mit der Beklagten in Verbindung setzt. Die
unterschiedlichen Angaben der Beteiligten zum Inhalt des Telefongesprächs des
Klägers am 01.04.2004 mit dem Arbeitsberater der Beklagten lassen einen sicheren
Rückschluss auf eine den gesetzlichen Erfordernissen Rechnung tragende Beratung
nicht zu. Dies kann aber letztlich dahin stehen. Gleichermaßen kann der Senat offen
lassen, ob - worauf das SG wesentlich abgestellt hat - die Maßnahme nicht notwendig
im Sinne des § 77 Abs. 1 Nr. 1 SGB III war, denn die Versagung der Förderung erweist
sich bereits aus anderen Gründen als rechtmäßig.
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Selbst wenn man zugunsten des Klägers die tatbestandlichen Voraussetzungen als
erfüllt ansähe, hätte er nicht schon allein deshalb einen Anspruch auf Förderung der
beruflichen Weiterbildung. Denn das Gesetz hat die Gewährung dieser Leistung in das
Ermessen der Beklagten gestellt. Der Kläger hat daher einen Rechtsanspruch nur
darauf, dass die zuständige Stelle der Agentur für Arbeit ihrer Pflicht zur
Ermessensbetätigung nachgekommen ist, mit ihrer Entscheidung die gesetzlichen
Grenzen des Ermessens nicht überschritten oder von dem Ermessen in einer dem
Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat (§§ 39
Abs. 1 des Ersten Buches des Sozialgesetzbuches - Allgemeiner Teil -SGB I, 54 Abs. 2
S.2 Sozialgerichtsgesetz -SGG-). Bei dieser eingeschränkten Überprüfung darf das
Gericht auch nicht eigene Ermessenserwägungen an die Stelle derjenigen der
Beklagten setzen (vgl. Niesel in Niesel a.a.O., § 7 Rdnr. 13 f). Davon ausgehend hat die
Beklagte den ihr vom Gesetzgeber eingeräumten Entscheidungsspielraum fehlerfrei und
pflichtgemäß konkretisiert.
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Nicht zu beanstanden ist, dass die Beklagte im Rahmen der Ermessensausübung
wesentlich auf Kriterien der Mittelbewirtschaftung abgestellt hat (vgl. Stratmann in
Niesel, SGB III, 3. Auflage, § 77 Rdnr. 5). Der Senat kann darin weder eine
Ermessensüberschreitung noch einen Ermessensfehlgebrauch sehen. Dabei hat die
Beklagte die Ablehnung mit ihren Ausführungen in den angefochtenen Bescheiden
insbesondere nicht ermessensfehlerhaft auf die Erschöpfung von Haushaltsmitteln
gestützt (Vgl. BSG, SozR 3 - 4100 § 55 a Nr. 1 zum Überbrückungsgeld). Die Beklagte
ist grundsätzlich berechtigt, Verteilungsspielräume selbst zu bestimmen (Stratmann in
Niesel, a.a.O., § 77 Rdnr. 2). Entsprechend ihrer Aufgabenstellung hat sie danach
berücksichtigt, dass die Inanspruchnahme der Leistungen durch den begünstigten
Personenkreis auch dann ständig möglich sein muss, wenn nicht so viele Mittel zur
Verfügung stehen, dass allen Anträgen entsprochen werden kann (BSG SozR 3 -4100 §
55 a Nr.1).
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Dass sich die Beklagte auf die ermessenslenkenden Weisungen im Rahmen der
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Geschäftsanweisung vom 27.05.2003 bezogen hat, ist weder formell noch inhaltlich zu
beanstanden. Zwar hat die Geschäftsanweisung keine Rechtsnormqualität und daher
keine bindende Wirkung für die Gerichte. Sie bewirkt aber eine Selbstbindung der
Beklagten und gibt dem Berechtigten den Anspruch auf Gleichbehandlung (vgl. Niesel
in Niesel, a.a.O., § 7 Rdnr. 9 m.w.N.).
Es ist auch sachgerecht, die Förderung u.a. davon abhängig zu machen, dass über
einen angemessenen Zeitraum Vermittlungsbemühungen der Agentur für Arbeit bzw.
Eigenbemühungen des Kunden erfolglos waren und ein Qualifikationsdefizit festgestellt
werden muss, das sich nur durch die Teilnahme an der Maßnahme ausgleichen lässt.
Diese Eingrenzung trägt dem in § 7 SGB III zum Ausdruck kommenden Grundsatz eines
zielgerichteten Einsatzes der zur Verfügung stehenden Mittel Rechnung. Gleichzeitig
verbleibt aber auch Raum für eine abweichende Beurteilung von Einzelfällen. Die
Beklagte hat daher in dem angefochtenen Widerspruchsbescheid zutreffend
berücksichtigt, dass der Kläger bereits am Tag nach der arbeitgeberseitigen Kündigung
mit Wirkung zum 31.12.2004 den Fortbildungsvertrag zu der von ihm selbst gewählten
Fortbildungsmaßnahme abgeschlossen hatte und zu diesem Zeitpunkt weder
Eigenbemühungen des Klägers noch Vermittlungsbemühungen der Agentur für Arbeit
erfolgen konnten. Auch ist sie zutreffend davon ausgegangen, dass die berufliche
Qualifikation des Klägers keine Ermessensgesichtspunkte für eine Förderung lieferte.
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Eine Verpflichtung zur Förderung kann - worauf die Beklagte zu Recht hingewiesen hat
- zudem nicht allein dadurch entstehen, dass andere Agenturen für Arbeit die
Weiterbildung zum gleichen Zeitraum gefördert haben. Die Ermessensentscheidungen
setzen jeweils eine Einzelfallprüfung unter Berücksichtigung der Zielsetzung der
Vorschrift voraus, so dass sich bereits aus diesem Grund eine Übertragbarkeit auf
andere Berechtigte verbietet.
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Schließlich kann der Kläger nicht mit dem Vortrag gehört werden, dass er nicht zuletzt
aufgrund der Bildungsmaßnahme zeitnah eine neue Stelle gefunden habe und die
Beklagte selbst offensichtlich von der Geeignetheit ausgegangen sei. Abgesehen
davon, dass der Erfolg der Teilnahme schon aus zeitlichen Gründen im Rahmen der
Bescheidung über den Widerspruch am 26.08.2004 keine Berücksichtigung finden
konnte, sind derartige eigene Ermessenserwägungen nicht von der eingeschränkten
Prüfungskompetenz des Gerichts erfasst. Entscheidend ist vielmehr, dass die
dargelegten Ermessenserwägungen der Beklagten - wie geschehen - den gesetzlichen
Rahmen nicht überschreiten.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
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Anlass, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs. 2 SGG) besteht nicht. Der Fall wirft keine
höchstrichterlich klärungsbedürftigen Rechtsfragen auf.
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