Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 11.08.2004
LSG NRW: lehrer, versicherungspflicht, training, musik, anweisung, kreis, berufsbild, freizeit, nachahmung, unterricht
Landessozialgericht NRW, L 8 RA 15/04
Datum:
11.08.2004
Gericht:
Landessozialgericht NRW
Spruchkörper:
8. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
L 8 RA 15/04
Vorinstanz:
Sozialgericht Köln, S 2 RA 90/03
Nachinstanz:
Bundessozialgericht, B 12 RA 14/04 R
Sachgebiet:
Rentenversicherung
Rechtskraft:
nicht rechtskräftig
Tenor:
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Köln vom
26.02.2004 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind
zwischen den Beteiligten nicht zu erstatten. Die Revision wird
zugelassen.
Tatbestand:
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Streitig ist, ob die Klägerin als Aerobic-Trainerin der Versicherungspflicht in der
Rentenversicherung unterliegt.
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Die 1966 geborene Klägerin ist seit dem 01.11.2001 in drei bis fünf verschiedenen
Studios als Aerobic-Trainerin tätig. Ihre fachliche Kompetenz erwarb die Klägerin auf
autodidaktische Weise und in Wochenendseminaren. Aufgrund ihres Antrags auf
Feststellung des Versicherungsstatus bestimmte die Beklagte mit Bescheid vom
04.11.2002 die Versicherungspflicht gem. § 2 S. 1 Ziff. 1 des sechsten Buches des
Sozialgesetzbuches (SGB VI).
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Die Klägerin legte Widerspruch ein, mit dem sie vortrug, sie entwerfe kein individuelles
Trainingsprogramm für die bis zu 30 Teilnehmer, es sei nur ihre Aufgabe, das Training
zu überwachen.
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Die Beklagte wies mit Widerspruchsbescheid vom 17.06.2003 den Widerspruch zurück.
Zur Begründung führte sie aus, es handele sich bei der Klägerin nicht um eine
Fitnesstrainerin, sondern um eine Aerobic-Trainerin. Dieser Personenkreis unterliege
wie ein Tanzlehrer der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung.
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Hiergegen hat die Klägerin am 17.07.2003 Klage erhoben. Sie hat zur Begründung
vorgetragen, sie sei nicht Lehrerin im Sinne des Gesetzes. Ihre beruflichen Tätigkeiten
ließen sich in drei überschneidende Bereiche aufgliedern, nämlich musikgestütztes
Bewegungstraining, Fitness- und Krafttraining sowie Training der Ausdauer und
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Schnellkraft. Bei der Durchführung der Kurse beschränke sie sich auf deren
Organisation und begleite die Übungsstunden mit allgemeinen Anweisungen an die
jeweils betreute Gruppe. Eine pädagogisch orientierte Vorbereitung und Durchführung
der Trainingsstunden, eine mentale Unterstützung oder Motivation sei nicht ihr Auftrag;
dies könne sie auch nicht bieten, weil sie dafür nicht ausgebildet sei. Es liege keine
Wissens- und Kenntnisvermittlung im Sinne des Gesetzes vor.
Die Klägerin hat beantragt,
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den Bescheid der Beklagten vom 04. November 2002 in der Fassung des
Widerspruchsbescheides vom 17. Juni 2003 aufzuheben.
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Die Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Die Beklagte hat die Ansicht vertreten, Aufgabe eines Aerobic-Trainers sei es, eine
bestimmte Reihenfolge von Bewegungsabläufen vorzubereiten, eine passende Musik
auszuwählen und die Bewegungsabläufe und Schrittfolgen den Teilnehmern
vorzuführen. Letztlich sei bei der versicherungsrechtlichen Beurteilung nicht auf die
Tätigkeitsbezeichnung, sondern allein auf die Tätigkeitsmerkmale und Inhalte
abzustellen. Die Klägerin gehöre zu dem versicherungspflichtigen Personenkreis nach
§ 2 Abs. 1 Ziff. 1 SGB VI.
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Die Klägerin hat dem Gericht zur Stützung ihres Vortrages mehrere Programme der
Fitnesscenter überreicht, in denen sie tätig ist (für die Einzelheiten wird auf Bl. 15 - 26
der Prozessakte verwiesen). Danach hat sie z. B. Kurse in Callanetics, Dance-Aerobic
und Wirbelsäulen-Gymnastik gegeben und einen Stundenlohn von zumindest 25,60
Euro erzielt.
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Mit Urteil vom 26.02.2004 hat das Sozialgericht Köln die Klage abgewiesen. Es hat zur
Begründung ausgeführt, die Klägerin gehöre zu dem Personenkreis der Lehrer nach § 2
S. 1 Ziff. 1 SGB VI. Sie mache sich zumindest Grundgedanken über das, was sie in den
jeweiligen Kursen an Bewegungsabläufen anbiete. Bei Kursgebühren von zumindest 25
Euro pro Monat sei es selbstverständlich, wenn sie die Bewegungsabläufe im groben
überwache. Dies ergebe sich auch aus den Anpreisungen der Kurse. Es spiele dabei
keine Rolle, dass die Teilnehmer die Kurse freiwillig besuchten und keine Zertifikate
erhielten.
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Gegen das ihr am 09.03.2004 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 29.03.2004
Berufung eingelegt. Sie hat zur Begründung vorgetragen, die von ihr geleiteten Fitness-
Kurse hätten nur das Ziel des gemeinsamen Sporttreibens. Der Kunde bezahle nur für
ein motivierendes Umfeld, es müsse nicht erst eine besondere Sportart erlernt werden.
Es werde nur motiviert, sich zu bewegen, kein Wissen vermittelt. Selbst wenn der
Kursleiter Anweisungen im Hinblick auf die Bewegung gebe, so diene dies nur der
schon aus den allgemeinen Vertragsverpflichtungen folgenden Verantwortung,
Verletzungen zu vermeiden, oder aber es handele sich um die Anweisung, synchron zur
Musik oder zu anderen Teilnehmern Bewegungen auszuführen.
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Die Klägerin beantragt,
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das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 26.02.2004 zu ändern und die Beklagte zu
verurteilen, den Bescheid vom 04. November 2002 in der Fassung des
Widerspruchsbescheides vom 17. Juni 2003 aufzuheben.
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Die Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Sie ist der Auffassung, dass ihre Bescheid rechtmäßig seien.
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Hinsichtlich weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Akten der Beklagten und der Prozessakten Bezug genommen. Die Akten waren
Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
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Entscheidungsgründe:
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Die zulässige Berufung ist nicht begründet.
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Zu Recht haben die Beklagte und das Sozialgericht die Versicherungspflicht der
Klägerin als selbständige Lehrerin im Bereich der gesetzlichen Rentenversicherung der
Angestellten festgestellt, die im Zusammenhang mit ihrer selbständigen Tätigkeit keinen
versicherungspflichtigen Arbeitnehmer beschäftigt.
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Gemäß § 2 S. 1 Ziff. 1 SGB VI sind u. a. versicherungspflichtig Lehrer, die im
Zusammenhang mit ihrer selbstständigen Tätigkeit keine versicherungspflichtigen
Arbeitnehmer beschäftigen.
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Mit der herrschenden Auffassung in der Literatur (KassKomm-Gärtner § 2 Rdnr. 8 SGB
VI; Verbandskommentar Anm. 3 zu § 2 SGB VI) und der ständigen Rechtsprechung des
Bundessozialgerichts (BSG) (vgl. zuletzt Urteil vom 12. Oktober 2000 B 12 RA 2/99 R in
SozR 3-2600 § 2 Nr. 5) geht der erkennende Senat davon aus, dass nach § 2 S. 1 Nr. 1
SGB VI die Begriffe des Lehrers und Erziehers im weiten Sinne zu verstehen sind. Die
Tätigkeit des Lehrers umfasst danach jede Vermittlung von Kenntnissen und
Fähigkeiten des Lehrers, gleich auf welchem Gebiet. Besondere Anforderungen sind
weder an die Vorkenntnisse und Fähigkeiten oder die Art der Vermittlung noch an die
vermittelten Kenntnisse und Fähigkeiten zu stellen. Vermittelt werden können sowohl
Kenntnisse auf dem Gebiet der Wissenschaft und Theorie als auch Fähigkeiten auf
praktischem Gebiet im beruflichen wie im privaten Bereich (Sport, Freizeitgestaltung
jeder Art). Auch knüpft die Versicherungspflicht nach § 2 S. 1 Nr. 1 SGB VI nicht an ein
durch eine Ausbildungsordnung geregeltes Berufsbild an.
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Unter Würdigung aller vorliegender Unterlagen und Aussagen gehört die Klägerin zum
Kreis der versicherungspflichtigen Lehrer. Sie hat durch Kopien der Programme der von
ihr durchgeführten Kurse der verschiedenen Studios dies selbst belegt. So bietet das
Wellness-Gesundheitsstudio in L u.a. eine Betreuung durch den Diplomsportlehrer und
seine ausgebildeten Trainer, die gelenk- und wirbelsäulenschonendes Training
garantieren, an. Das Studio P-sports preist alle angebotenen Kurse mit dem Leitsatz
"Schluss mit Rückenproblemen" an. Das Kursangebot des GoFit vom Freizeit- und
Breitensport der TSV Bayer 04 Leverkusen hat eine Kursbeschreibung für Aerobic so
zusammengefasst: "Schrittkombination zur Förderung der Kondition und
Bewegungsdynamik." Unter Dance Aerobic ist ausgeführt: "Klassische Aerobicschritte
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werden mit verschiedenen Tanztechniken verbunden."
Gerade Kurse wie Callanetics, Dance-Aerobic und auch Rückentraining sind mit
Übungen verbunden, die sauber ausgeführte Bewegungsabläufe nötig machen,
ansonsten verlieren sie ihre Wirkung. Es ist senatsbekannt, dass ein Rückentraining ein
unangeleiteter Fitnesscenterbesucher nicht verrichten könnte, wenn er nicht dazu
Anleitung und Hilfe erfährt. Würde die Klägerin nicht zumindest erklären und anweisen,
möglicherweise auch eingreifen, hätte der Kurs keinen Sinn. Dies setzt zwangsweise
voraus, dass die Klägerin über die reine Einweisung im Bereich eines Fitnessstudios
hinaus eine im weitesten Sinne lehrende Funktion hat. Die Klägerin muss sich
zumindest Grundgedanken darüber machen, was sie in ihren jeweiligen Kursen an
Bewegungsabläufen anbietet; sie führt die Übungen vor und organisiert die Kurse.
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Dafür, dass in den einzelnen Kursen nicht nur Begleitung, sondern Anweisung gesucht
wird, sprechen auch die Kosten von zumindest 25 Euro der jeweiligen Kurse.
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Es spielt dabei keine Rolle, dass die Kursteilnehmer freiwillig am Unterricht teilnehmen
und keinerlei Prüfungen abzulegen haben oder Zertifikate erhalten. Ausschlaggebend
ist allein die pauschale Wissensvermittlung. Und dies geschieht durch eine Kursleitung.
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Die entgegenstehende Auffassung, wonach ein selbstständiger AerobicTrainer nicht
Lehrer im Sinne des § 2 S. 1 Nr. 1 SGB VI sei (vgl. SG Berlin vom 20. Oktober 2003 -S
18 RA 6860/02), hält der Senat nicht für überzeugend. Die Aufgabe eines Aerobic-
Trainers beschränkt sich gerade nicht auf das Vorführen von Bewegungsabläufen und
die Aufforderung der Kursteilnehmer zur Nachahmung. Vielmehr erlernen die
Kursteilnehmer gezielt Schrittkombinationen und Bewegungsabläufe und werden in die
Lage versetzt, ihre Muskelpartien systematisch zu trainieren.
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Auf Grund der Ausführungen des BSG im Urteil vom 12. Oktober 2000 (a.a.O.) hat der
Senat auch keine Bedenken, dass die Einbeziehung der selbstständigen Lehrer in die
gesetzliche Rentenversicherung verfassungsgemäß ist.
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Die Kostenentscheidung beruht auf der Regelung des § 193 SGG und entspricht dem
Ausgang des Rechtstreits.
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Wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache hat der Senat die Revision
gegen dieses Urteil zugelassen, § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG. Es bedarf der
höchstrichterlichen Klärung, ob ein Aerobic-Trainer Lehrer im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 1
SGB VI ist.
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