Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 07.04.2000
LSG NRW: treu und glauben, ablauf der frist, verjährung, avg, versicherungsträger, hinweispflicht, altersrente, ermessen, beratungspflicht, rechtskraft
Landessozialgericht NRW, L 14 RA 58/98
Datum:
07.04.2000
Gericht:
Landessozialgericht NRW
Spruchkörper:
14. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
L 14 RA 58/98
Vorinstanz:
Sozialgericht Aachen, S 8 RA 57/98
Nachinstanz:
Bundessozialgericht, B 4 RA 54/99 R
Sachgebiet:
Rentenversicherung
Rechtskraft:
rechtskräftig
Tenor:
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Aachen
vom 30.10.1998 wird zurückgewiesen. Die Beklagte hat der Klägerin die
außergerichtlichen Kosten für das Berufungsverfahren zu erstatten. Die
Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
1
Die Beteiligten streiten über den Beginn der Regelaltersrente wegen Vollendung des
65. Lebensjahres. Hierbei geht es um die Frage, ob die Regelaltersrente auch für Zeiten
zu zahlen ist, die länger als vier Jahre vor dem Jahr der Antragstellung liegen.
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Die Klägerin ist am ... geboren. Sie hat zuletzt für die Zeit vom 01.01.1977 bis
31.12.1977 12 Pflichtbeiträge zur Rentenversicherung entrichtet. Die Klägerin
beantragte erstmalig am 15.12.1997 Regelaltersrente. In der Anlage zu diesem Antrag
begehrte sie die rückwirkende Nachzahlung dieser Rente ab 01.11.1989 im "Rahmen
des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs". Mit dem hier streitgegenständlichen
Bescheid vom 24.03.1998 gewährte die Beklagte der Klägerin Regelaltersrente ab
01.01.1993. In der Anlage 10, S. 2, heißt es: "Der Rentenbeginn 01.01.1993 bestimmt
sich unter Beachtung der vierjährigen Leistungsausschlußfrist des § 44 SGB X". Den
hiergegen am 14.04.1998 erhobenen Widerspruch wies die Beklagte durch
Widerspruchsbescheid vom 22.06.1998 zurück. Auf die Gründe wird verwiesen.
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Mit der am 21.07.1998 beim SG Aachen erhobenen Klage hat die Klägerin ihr Begehren
auf Gewährung der Regelaltersrente bereits ab dem 01.11.1989 weiterverfolgt.
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Das Sozialgericht hat mit Urteil vom 30.10.1998 den Bescheid vom 24.03.1998 in der
Fassung des Widerspruchsbescheides vom 22.06.1998 abgeändert und die Beklagte
verurteilt, der Klägerin Altersrente ab dem 01.01.1992 zu zahlen. Die weitergehende
Klage hat es abgewiesen. Das Sozialgericht hat seine Entscheidung im wesentlichen
damit begründet, daß die Beklagte die am 01.01.1992 in Kraft getretene Beratungspflicht
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gemäß § 115 Abs. 6 des Sechsten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB VI) verletzt
habe und sie die Klägerin im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruches so zu
stellen habe, als hätte diese im Januar 1992 die Rente beantragt. Dann hätte die Rente
gemäß § 99 Abs. 1 Satz 2 SGB VI am 01.01.1992 begonnen. Die Rückwirkung der
Rentennachzahlung sei entgegen der Auffassung der Beklagten nicht durch § 44 Abs. 4
SGB X auf die nicht von der Verjährung erfaßten letzten vier Jahre vor dem Jahr der
Geltendmachung beschränkt. Die Verneinung der Anwendung von § 44 Abs. 4 SGB X
sei nicht auf Fälle mit Anwendung des bis zum 31.12.1991 geltenden Rechts des AVG
beschränkt. Zwar habe sich die Rechtslage insoweit geändert, als an die fristgemäße
Rentenantragstellung gravierendere Folgen geknüpft würden, doch habe sich die
Interessenlage nicht wesentlich geändert. Deshalb könne der Versicherungsträger sich
bei Vorliegen der Voraussetzungen eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruches
nicht auf den Ablauf der Frist des § 99 Abs. 1 Satz 1 SGB VI berufen. Die Entscheidung
der Kammer stehe in Übereinstimmung mit den Urteilen des Bundessozialgerichts
(BSG) vom 22.10.1996 - 13 RJ 17/96 - und - 13 RJ 23/95 -.
Nicht rechtswidrig sei der Bescheid, soweit die Leistung der Rente für die Zeit vor dem
01.01.1992 abgelehnt worden sei. Für diese Zeit liege keine einen sozialrechtlichen
Herstellungsanspruch auslösende Pflichtverletzung der Beklagten vor, weil die Beklagte
keine konkrete Beratungspflichten sondern lediglich die Hinweispflicht aus § 115 Abs. 6
SGB VI, die am 01.01.1992 in Kraft getreten sei, verletzt habe.
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Gegen das ihr am 20.11.1998 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 11.12.1998
Berufung eingelegt.
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Zur Begründung trägt sie vor, sie habe mit dem angefochtenen Bescheid der Verletzung
ihrer Hinweispflicht Genüge getan. Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts habe
sie bei der rückwirkenden Erstfeststellung der Regelaltersrente der Klägerin den in § 44
Abs. 4 SGB X zum Ausdruck gekommenen Rechtsgedanken beachten müssen und die
Rente lediglich für vier Kalenderjahre rückwirkend, also ab 01.01.1993 gewähren
dürfen. Die Beklagte stützt sich dabei auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts
im Urteil vom 09.09.1986 - 11a RA 28/85 - und vom 21.01.1987 - 1 RA 27/86 -. Nach
diesen Entscheidungen, die nach Auffassung der Beklagten zutreffend sind, verkörpere
die Bestimmung des § 44 Abs. 4 SGB X einen allgemeinen Rechtsgedanken des
Inhalts, Leistungen nicht über vier Jahre hinaus rückwirkend zu gewähren. Die Vorschrift
des § 44 Abs. 4 SGB X sei nicht nur unmittelbar dann zu beachten, wenn ein
rechtswidriger belastender Bescheid eines Sozialleistungsträgers rückwirkend
abgeändert werden müsse, vielmehr finde der Rechtsgedanke entsprechende
Anwendung auf sonstiges hohheitliches Verwaltungshandeln. Dies gelte insbesondere
im Rahmen einer Kompensation nach den Grundsätzen des sozialrechtlichen
Herstellungsanspruches infolge unrichtiger oder unvollständiger Beratung. Es mache
aus der Sicht des Berechtigten keinen gravierenden Unterschied, ob er der Adressat
eines rechtswidrigen Ablehnungsbescheides gewesen sei oder unrichtig beraten
worden sei. Wie der 11a-Senat des BSG richtig festgestellt habe, sei der unrichtig
beratene Berechtigte keinesfalls schutzwürdiger als der Adressat eines rechtswidrigen
Ablehnungsbescheides. Die Rechtsähnlichkeit der Fallgruppen erfordere daher die
Gleichbehandlung, die durch die entsprechende Anwendung von § 44 Abs. 4 SGB X auf
den sozialrechtlichen Herstellungsanspruch erreicht werde. Dieser Rechtsprechung des
11a-Senates des BSG sei auch der 1. Senat des BSG gefolgt, der darauf hingewiesen
habe, daß der Herstellungsanspruch "auf gesetzlich zulässige Amtshandlungen
beschränkt ist, bei der nachträglichen Leistungsgewährung sind deshalb auch die
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gesetzlichen Ausschlußfristen zu beachten." Übertrage man die zitierte Rechtsprechung
des BSG auf die Verletzung der Hinweispflicht nach § 115 Abs. 6 SGB VI, deren
Verletzung nach den Gesichtspunkten des sozialrechtlichen Herstellungsanspruches
kompensiert werde, sei auch hier der Rechtsgedanke des § 44 Abs. 4 SGB X zu
beachten. Die davon abweichende Rechtsprechung des 13. Senats des BSG in seinem
Urteil vom 23.10.1996 - 13 RJ 17/96 - halte sie nicht für zutreffend. Außerdem sei
materiell-rechtlicher Hintergrund der Ausführungen des 13. Senates des BSG der
Umstand, daß nach dem Recht der Reichsversicherungsordnung bzw. des
Angestelltenversicherungsgesetzes (RVO/AVG) anders als nach § 99 Abs. 1 SGB VI
der Antrag auf Altersrente wegen Vollendung des 65. Lebensjahres nicht
anspruchsbegründendes Merkmal in dem Sinne war, daß eine verspätete
Antragstellung zu einem späteren Rentenbeginn (ab Antragsmonat) geführt hatte. Selbst
wenn das vom Sozialgericht Aachen herangezogene Urteil des 13. Senates des BSG
für die vom AVG und RVO bestimmte Rechtslage zutreffend gewesen wäre, so habe
jedenfalls für die Rechtslage nach dem SGB VI, das für sämtliche Versicherungsrenten
den Antrag als materielle Anspruchsvoraussetzung vorsehe, diese Entscheidung keine
Bedeutung mehr. Hingegen müßten die von ihr zitierten Entscheidungen beachtet
werden.
Die Beklagte hat schriftsätzlich beantragt,
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das Urteil des Sozialgerichts Aachen vom 30.10.1998 abzuändern und die Klage in
vollem Umfang abzuweisen,
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hilfsweise die Revision zuzulassen.
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Die Klägerin hat schriftsätzlich beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Sie ist der Auffassung, das angefochtene Urteil entspreche der Sach- und Rechtslage.
Die von der Beklagten angeführten BSG-Urteile (11a RA 28/85 und 1 RA 27/86) seien
auf den vorliegenden Fall der Leistungsgewährung nicht anwendbar.
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Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung ohne mündliche
Verhandlung einverstanden erklärt.
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Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Inhalt der Streit- und Verwaltungsakten, der
Gegenstand der Beratung gewesen ist, Bezug genommen.
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Entscheidungsgründe:
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Im Einvernehmen mit den Beteiligten konnte der Senat gemäß § 124 Abs. 2 SGG ohne
mündliche Verhandlung entscheiden.
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Die Berufung der Beklagten ist nicht begründet. Das Sozialgericht hat zu Recht die
Beklagte verurteilt, der Klägerin bereits ab dem 01.01.1992 die Altersrente zu zahlen.
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Die am ... geborene Klägerin beantragte erstmalig am 15.12.1997 die Bewilligung von
Regelaltersrente. Nach der gesetzlichen Regelung über den Rentenbeginn hätte die
Klägerin Regelaltersrente erst ab Dezember 1997 beanspruchen können. Gemäß § 99
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Abs. 1 Satz 1 SGB VI wird eine Rente aus eigener Versicherung von den
Kalendermonat an geleistet, zu dessen Beginn die Anspruchsvoraussetzungen für die
Rente erfüllt sind, wenn die Rente bis zum Ende des dritten Kalendermonats nach
Ablauf des Monats beantragt wird, in dem die Anspruchsvoraussetzungen erfüllt sind.
Bei späterer Antragstellung wird eine Rente aus eigener Versicherung nach § 99 Abs. 1
Satz 2 SGB VI von dem Kalendermonat an geleistet, in dem die Rente beantragt wird,
hier also im Hinblick auf den Rentenantrag vom 15.12.1997 ab Dezember 1997. Wenn
jedoch der Versicherungsträger eine Pflicht zur Beratung aus § 115 Abs. 6 SGB VI
verletzt hat und die Versicherte deshalb die rechtzeitige Antragstellung versäumt hat, so
hat der Versicherungsträger die Versicherte so zu behandeln, als hätte sie den
Rentenantrag früher gestellt. Dementsprechend hat die Beklagte das grundsätzliche
Vorliegen der Voraussetzungen eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruches aus §
115 Abs. 6 SGB VI anerkannt und der Klägerin rückwirkend unter Bezugnahme auf die
Ausschlußfrist des § 44 Abs. 4 SGB X ab 01.01.1993 Altersruhegeld gewährt.
Wie das Sozialgericht zutreffend entschieden hat, konnte sich die Beklagte bei ihrer
Entscheidung jedoch nicht auf den Ausschlußtatbestand des § 44 Abs. 4 SGB X
stützen. Die Rechtsmeinung der Beklagten wird zwar durch die Entscheidungen des
Bundessozialgerichts vom 09.09.1986 - 11a RA 28/85 und vom 21.01.1987 - 1 RA 27/86
- (SozR 1300 § 44 Nrn. 24 und 25) gestützt, in denen ausgeführt wird, § 44 Abs. 4 SGB
X gelte auch in den Fällen, in denen die rückwirkende Gewährung vorenthaltener
Leistungen auf einem sozialrechtlichen Herstellungsanspruch beruht. Diese
Entscheidungen beziehen sich jedoch auf die Zulassung zur Nachentrichtung von
Beiträgen, die anschließend zu höheren Renten geführt hat.
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Diesen Entscheidungen folgt der Senat im vorliegenden Fall nicht. § 44 Abs. 4 SGB X
enthält keinen allgemeinen, die Verjährungsvorschrift des § 45 Abs. 1 SGB I
verdrängenden Grundgedanken, die rückwirkende Erbringung von Leistungen
durchweg auf vier Jahre zu begrenzen. Dies hat bereits das Bundessozialgericht in
seiner Entscheidung vom 26.05.1987 - 4a RJ 49/86 - (BSGE 62, 10) und in seiner
Entscheidung vom 22.06.1994 - 10 RKg 32/93 - (SozR 3 - 1200 § 45 Nr. 4) dargelegt.
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Wie das Bundessozialgericht in seiner Entscheidung 4a RJ 49/86 vom 26.05.1987
ausgeführt hat, unterscheidet sich § 44 Abs. 4 Satz 1 SGB X in seiner Gestaltung und
seinen Wirkungen grundlegend von den Verjährungsvorschriften des § 45 Abs. 1 SGB I.
§ 44 Abs. 4 Satz 1 SGB X enthält eine materiell-rechtliche Einschränkung des
nachträglich bewilligten Anspruchs auf Sozialleistungen, deren Wirkung über die
Verjährung hinausgeht und einer Ausschlußfrist entspricht. Dies bedeutet, daß
Leistungsträger und Gerichte die Vorschrift, wenn deren Voraussetzungen gegeben
sind, ohne weiteres anzuwenden haben, daß der Leistungsträger keine Einrede zu
erheben braucht und vor allem, daß gegen die Anwendung der Vorschrift weder der
Einwand der unzulässigen Rechtsausübung noch ein Verstoß gegen Treu und Glauben
geltend gemacht werden kann. Wenn § 44 Abs. 4 Satz 1 SGB X stärker in die sozialen
Rechte des Versicherten eingreift als die Verjährungsbestimmungen des SGB I bedarf
es besonderer Prüfung, ob die Vorschrift "analogiefähig" ist. Die Annahme, § 44 SGB X
enthalte einen allgemeinen Rechtssatz, entzöge, wie das BSG ausgeführt hat, überdies
dem in § 45 SGB I geregelten Rechtsinstitut der Verjährung weitgehend seine
Bedeutung. Sie verwehrt in Leistungsfällen dem Leistungsträger sein Recht, von der
Einrede der Verjährung im Einzelfall nach pflichtgemäßem Ermessen abzusehen.
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Wie das BSG in der genannten Entscheidung vom 26.05.1987 aaO ausgeführt hat, greift
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§ 44 SGB X in bestandkräftige Bescheide zugunsten des Bürgers ein. "Die Vier-Jahres-
Schranke kann in diesem Zusammenhang als ein Teilstück weiterbestehender
Bestandskraftwirkung des rechtswidrigen und daher aufzuhebenen Verwaltungsaktes
verstanden werden." Die Ausschlußfrist des § 44 ist vorgesehen für Fälle, in denen
bereits ein Bescheid vorliegt, der rückwirkend zu korrigieren ist (vgl. BSG Urteil vom
22.10.1996 - 13 RJ 17/96 -, SozR 3-1200 § 45 Nr. 6). Anders ist es in den Fällen wie
dem vorliegenden, in dem die Beratungspflicht aus § 115 Abs. 6 SGB VI verletzt wurde.
Beim Herstellungsanspruch aufgrund des § 115 Abs. 6 SGB VI liegt kein Fall vor, der
dem § 44 Abs. 1 oder 48 SGB X zu vergleichen ist, weil durch die Entscheidung des
Versicherungsträgers, eine Leistung zu erbringen, nicht korrigierend in ein bindend
abgeschlossenes Verfahren eingegriffen wird, sondern erstmalig eine Leistung erbracht
wird und zwar unter Nichtbeachtung der Ausschlußfrist des § 99 Abs. 1 Satz 2 SGB VI.
Der rückwirkenden Leistungserbringung steht die Ausschlußfrist des § 99 Abs. 1 Satz 2
SGB VI als materielle Ausschlußfrist nicht mehr entgegen (vgl. BSG Urteil vom
09.12.1997 - 8 RKn 1/97 - SozR 3-2600 § 115 Nr. 2). Der rückwirkenden
Leistungserbringung steht auch kein bindender Bescheid entgegen, in dessen
Bestandskraft zugunsten des Bürgers rückwirkend eingegriffen werden soll. Eine
Analogie zu § 44 Abs. 4 SGB X, die die Anwendung der Verjährungsvorschrift des § 45
SGB I ausschließt, in Fällen, in denen rückwirkend in bestandskräftige Bescheide
eingegriffen wird, bietet sich deshalb nicht an. Vielmehr spricht die Systematik dafür, in
Fällen, in denen durch den Herstellungsanspruch des § 115 Abs. 6 SGB VI der
Versicherte so gestellt wird, als stehe der Geltendmachung des Rentenanspruchs keine
Ausschlußfrist aus § 99 Abs. 1 Satz 2 SGB VI entgegen, den Wirkungsbereich des § 45
SGB I nicht weiter einzuschränken als sich aus dem Gesetz ergibt (vgl. für die
Rechtslage vor Inkrafttreten des § 99 SGB VI BSG Urteile - 4a RJ 49/86 - 13 RJ 17/96
aaO.).
Wie das SG im angefochtenen Urteil zu Recht ausgeführt hat, ist der Entscheidung des
13. Senats des BSG vom 22.10.1996 - 13 RJ 17/96 - nicht zu entnehmen, daß die
Nichtanwendbarkeit der Ausschlußfrist des § 44 Abs. 4 SGB X nur für das Recht der
RVO und nicht für das Recht des SGB VI gelten soll. Auch aus der Entscheidung des
BSG vom 30.07.1997 - 5 RJ 64/95 -, in der sich der 5. Senat des BSG ausdrücklich dem
Urteil des 13. Senats vom 22.10.1996 - 13 RJ 17/96 - anschließt, daß die
Verjährungsvorschrift des § 45 SGB I nicht durch die Ausschlußfrist des § 44 Abs. 4
SGB X verdrängt werden soll, ist nicht zu entnehmen, daß das BSG einen Unterschied
machen wollte, je nach dem, ob es sich um Zeiten vor Inkrafttreten des § 99 SGB VI
handelt oder um Zeiten, in denen die Ausschlußfrist des § 99 Abs. 1 Satz 2 SGB VI
aufgrund des Herstellungsanspruches des § 115 Abs. 6 SGB VI unbeachtlich ist. Wie
das BSG in den obengenannten Entscheidungen vom 26.05.1987 - 4a RJ 59/86 - und
vom 22.10.1996 - 13 RJ 17/96 - hält auch der Senat eine analoge Anwendung des § 44
Abs. 4 SGB X in Fällen, in denen nicht korrigierend in bestandskräftige Bescheide
eingegriffen wird, nicht für gerechtfertigt. Damit gilt beim Herstellungsanspruch des §
115 Abs. 6 SGB VI, soweit dadurch die Ausschlußfrist des § 99 Abs. 1 Satz 2 SGB VI
unbeachtlich geworden ist, nach wie vor § 45 SGB I, der die Verjährung regelt. Insoweit
gibt es keine gesetzliche Ausschlußfrist. Die Verjährung tritt allerdings nur ein, wenn
eine entsprechende Einrede erhoben wird. Diese liegt im Ermessen des
Sozialleistungsträgers. Im vorliegenden Fall hat die Beklagte ausdrücklich nicht die
Einrede der Verjährung erhoben. Die Berufung auf die Ausschlußfrist des § 44 Abs. 4
SGB X enthält nicht die konkludente Erhebung der Einrede der Verjährung, da diese
Einrede eine Ermessensentscheidung ist.
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Da die Beklagte die Einrede der Verjährung nicht erhoben hat, ist ohne weitere Prüfung
die Entscheidung des Sozialgerichts zu bestätigen gewesen.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
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Der Senat hat die Revision zugelassen gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 2 SGG, weil der Senat
von den Entscheidungen des Bundessozialgerichts vom 09.09.1986 - 11a RA 28/85 -
und vom 21.01.1987 - 1 RA 27/86 - abgewichen ist.
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