Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 21.03.2001
LSG NRW: arbeitslosenhilfe, wechsel, kaufmännischer angestellter, arbeitslosigkeit, bevölkerung, beratung, steuerpflicht, arbeitsentgelt, ergänzung, einfluss
Landessozialgericht NRW, L 12 AL 114/00
Datum:
21.03.2001
Gericht:
Landessozialgericht NRW
Spruchkörper:
12. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
L 12 AL 114/00
Vorinstanz:
Sozialgericht Dortmund, S 35 AL 96/99
Nachinstanz:
Bundessozialgericht, B 7 AL 46/01 R
Sachgebiet:
Arbeitslosenversicherung
Rechtskraft:
nicht rechtskräftig
Tenor:
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts
Dortmund vom 17. Mai 2000 abgeändert und die Klage abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind einander in beiden Instanzen nicht zu
erstatten. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
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Umstritten ist, ob dem Kläger Arbeitslosenhilfe nach der Leistungsgruppe D oder C zu
zahlen ist.
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Der am ...1972 geborene Kläger verrichtete nach seiner im Jahr 1993 abgebrochenen
Lehre verschiedene Aushilfstätigkeiten und bezog wiederholt Leistungen von der
Beklagten. Vom 20.11.1995 bis 15.12.1996 war er als kaufmännischer Angestellter
beschäftigt. Auf seinen Antrag vom 12.12.1996, bewilligte ihm die Beklagte
Arbeitslosengeld ab 16.12.1996 nach der Leistungsgruppe C. Der Kläger war
verheiratet und hatte ein Kind. Auf seiner Lohnsteuerkarte war die Steuerklasse III
eingetragen. Seit dem 15.06.1997 bezog der Kläger Arbeitslosenhilfe ebenfalls nach
Leistungsgruppe C. In seinen persönlichen Verhältnissen hatte sich nichts geändert.
Auch zu Beginn des Jahres 1998 war die Lohnsteuerklasse III auf der Steuerkarte des
Klägers eingetragen. Mit Bescheid vom 11.03.1998 wurde die Bewilligung für die Zeit
vom 16.01.1998 - 08.03.1998 unterbrochen, da der Kläger einen Umzug verspätet
gemeldet hatte.
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Aufgrund eines Antrages vom 10.02.1998 wurde der Eintrag auf der Lohnsteuerkarte
1998 des Klägers mit Wirkung ab 01.03.1998 in die Steuerklasse V geändert. Grund
hierfür war die Arbeitsaufnahme der Ehefrau des Klägers ab 27.01.1998 und seine
eigene fortbestehende Arbeitslosigkeit. Dem Kläger wurde daraufhin ab 09.03.1998
Arbeitslosenhilfe nach Leistungsgruppe D gewährt. Eine eingetretene Überzahlung
wurde zurückgefordert.
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Am 22.06.1998 nahm der Kläger erneut eine Beschäftigung auf, während der Ehefrau
zum 31.07.1998 gekündigt wurde. Im Juli 1998 verdiente der Kläger 2.773,33 DM brutto
monatlich, seine Ehefrau 2.426,66 DM. Im Hinblick auf die Arbeitslosigkeit seiner
Ehefrau ab August 1998 und der eigenen Arbeitsaufnahme beantragte der Kläger am
05.08.1998 einen erneuten Wechsel der Steuerklasse. Mit Wirkung ab 01.09.1998
wurde bei ihm die Steuerklasse III eingetragen.
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Aufgrund eines Unfalles Ende August 1998 wurde das Arbeitsverhältnis des Klägers
zum 31.08.1998 gekündigt. Am 01.09.1998 beantragte er die Wiederbewilligung von
Arbeitslosenhilfe. Mit Bescheid vom 23.10.1998 wurde dem Kläger ab 01.09.1998
Arbeitslosenhilfe wieder bewilligt, allerdings nicht entsprechend der eingetragenen
Lohnsteuerklasse III nach der Leistungsgruppe C, sondern nach der Leistungsgruppe D,
die der Steuerklasse V entspricht. Die Leistung belief sich auf wöchentlich 174,09 DM
bzw. 24,87 DM täglich. Nach der Leistungsgruppe C hätte er Anspruch auf 287,91
DM/Woche bzw. 41,13 DM/Tag gehabt, also auf 16,26 DM mehr pro Tag. In der
Folgezeit wies der Kläger die Beklagte darauf hin, dass er ihre Rechtsauffassung nicht
teile.
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Mit Bescheid vom 19.04.1999 wurde dem Kläger mitgeteilt, der Steuerklassenwechsel
ab 01.09.1998 von V nach III sei unzweckmäßig gewesen, da nach dem zu
berücksichtigenden Einkommen der Ehegatten die Steuerklassen IV/IV die
zweckmäßigsten gewesen seien. Es verbleibe daher bei der Einstufung nach
Steuerklasse V, also einer Leistung nach Leistungsgruppe D. - Hiergegen legte der
Kläger Widerspruch ein mit der Begründung, die Wahl der Steuerklasse III sei für ihn
zweckmäßig gewesen, weil er ab 22.06.1998 wieder in Arbeit gewesen, seine Ehefrau
aber zum 01.08.1998 arbeitslos geworden sei. Ihm sei geraten worden, dass immer der
die Steuerklasse III haben sollte, der einer Beschäftigung nachgehe. - Diesen
Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 31.05.1999 zurück und
führte aus: Die Neueintragung der Steuerklassen ab 01.09.1998 sei nicht sinnvoll
gewesen, da die zu berücksichtigenden Gehälter fast gleich gewesen seien und damit
die günstigere Einstufung der Ehegatten jeweils die Steuerklasse IV/IV gewesen sei.
Änderungen der Lohnsteuerklassen der Ehegatten seien nach § 137 Abs. 4
Sozialgesetzbuch 3. Buch (SGB III) nur zu berücksichtigen, wenn sie entweder dem
Verhältnis der monatlichen Entgelte entprächen oder sich durch die neu eingetragenen
Klassen ein Arbeitslosengeld ergebe, das geringer sei als das Arbeitslosengeld, das
sich ohne Wechsel der Lohnsteuerklassen ergäbe. Im Ergebnis führe dies dazu, dass
die mittlerweile arbeitslos gewordene Ehefrau ebenso wie der Kläger Arbeitslosenhilfe
nach der Leistungsstufe D erhalte.
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Hiergegen hat der Kläger am 01.07.1999 Klage vor dem Sozialgericht Dortmund
erhoben. Er begehrt die Zahlung von Arbeitslosenhilfe nach der Leistungsgruppe C
anstelle der Leistungsgruppe D. Zur Begründung hat er vorgetragen: Seine Ehefrau
habe am 27.01.1998 eine Tätigkeit aufgenommen und man habe deshalb zum
01.03.1998 die Steuerklassen gewechselt. Am 22.06.1998 habe er wieder eine Tätigkeit
aufgenommen, während seiner Ehefrau zum 31.07.1998 gekündigt worden sei und ihre
Arbeitslosigkeit absehbar gewesen sei. Deshalb habe er sich wieder für die
Steuerklasse III und seine Frau für die Steuerklasse V entschieden. Es sei nicht
voraussehbar gewesen, dass er zum Zeitpunkt des Wirksamwerdens des
Steuerklassenwechsels erneut arbeitslos werden würde. Ein erneuter
Steuerklassenwechsel sei danach nicht mehr möglich gewesen.
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Zu Beginn des Jahres 1999 war auf der Steuerklasse des Klägers weiterhin die
Steuerklasse III eingetragen. Zum 01.09.1999 hat die Ehefrau des Klägers wieder eine
Tätigkeit aufgenommen. Aus diesen Grunde haben die Eheleute erneut ihre
Lohnsteuerkarten ändern lassen. Ab den 01.09.1999 hat der Kläger die Steuerklasse V,
seine Ehefrau die Lohnsteuerklasse III. Er hat daraufhin gegenüber dem Sozialgericht
erklärt, dass er die erhöhte Zahlung nach Leistungsgruppe C lediglich bis zum
31.08.1999 begehre.
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Vor dem Sozialgericht hat der Kläger sinngemäß beantragt,
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die Bescheide vom 23.10.1998 und 19.04.1999 in der Fassung des
Widerspruchsbescheides vom 31.05.1999 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen,
ihm für die Zeit vom 01.09.1998 bis zum 31.08.1999 Arbeitlosenhilfe nach der
Leistungsgruppe C anstelle der Leistungsgruppe D zu gewähren.
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Die Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Die Beklagte hat an ihrer bisher vertretenen Rechtsauffassung festgehalten. Sie hat
darauf hingewiesen, es sei nach dem Gesetz durchaus möglich, dass zwei Ehegatten
Arbeitslosenhilfe nach der Leistunggruppe D erhielten.
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Mit Urteil vom 17.05.2000 hat das Sozialgericht der Klage statt gegeben und die
Beklagte verurteilt, dem Kläger ab 01.09.1998 Leistungen nach der Leistungsgruppe C
zu zahlen. Zur Begründung hat es ausgeführt: Aufgrund des am 01.09.1998 zu
berücksichtigenden Einkommens der Ehegatten sei die zweckmäßige
Lohnsteuerkombination diejenige nach IV/IV gewesen. Der Lohnsteuerklassenwechsel
zum 01.09.1998 sei daher nicht zweckmäßig gewesen. § 137 Abs. 4 SGB III greife somit
nicht ein. Lägen die Möglichkeiten der Berücksichtigung des Steuerklassenwechsels
nicht vor, müsse auf den Grundsatz zurückgegriffen werden, dass sich die Zuordnung
nach der Lohnsteuerklasse richte, die zu Beginn des Kalenderjahres, in dem der
Anspruch entstanden sei, auf der Lohnsteuerkarte des Arbeitslosen eingetragen
gewesen sei. Für den Kläger sei der Anspruch am 16.12.1996 entstanden. Zum
Jahresbeginn 1996 sei auf seiner Lohnsteuerkarte die Steuerklasse III eingetragen
gewesen. Diese Steuerklasse sei deshalb auch für die Bewilligung der Arbeitslosenhilfe
ab dem 01.09.1998 zu berücksichtigen.
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Gegen dieses ihr am 29.05.2000 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 27.06.2000
Berufung eingelegt und zur Begründung vorgetragen: Sie folge dem Sozialgericht
insoweit, als dieses festgestellt habe, dass die Voraussetzungen des § 137 Abs. 4 SGB
III für die Berücksichtungsfähigkeit des Lohnsteuerklassenwechsels zum 01.09.1998
nicht vorlägen. Die Auffassung des Sozialgerichtes, dass dann auf § 137 Abs. 3 SGB III
zurückzugreifen sei, sei jedoch unzutreffend. Das Sozialgericht habe übersehen, dass
der Kläger bereits zum 01.03.1998 einen Lohnsteuerklassenwechsel vorgenommen
habe, der nach § 137 Abs. 4 SGB III zu berücksichtigenden gewesen sei. Dann müsse
aber folgerichtlich der Steuerklassenwechsel zum 01.09.1998 unberücksichtigt bleiben,
weil weder die neu eingetragenen Lohnsteuerklassen zu diesen Zeitpunkt dem
Verhältnis der monatlichen Arbeitsentgelte beider Ehegatten entsprächen noch sich
aufgrund des Wechsels von der Lohnsteuerklasse V zurück zur Lohnsteuerklasse III
eine geringere Leistung ergeben habe. Sie verbleibe bei der Ansicht, dass es der
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Gesetzgeber durchaus akzeptiere, wenn beide Ehegatten Arbeitslosenhilfe nach der
Leistungsgruppe D erhielten.
Die Beklagten beantragt,
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das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 17.05.2000 zu ändern und die Klage
abzuweisen.
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Der Kläger beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Der Kläger hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Ergänzend weist er daraufhin: §
137 Abs. 4 SGB III wolle ungerechtfertigte Manipulationen des Leistungsbeziehers
verhindern. Ein solcher Leistungsmissbrauch sei hier erkennbar nicht gegeben. Der
Kläger habe sich lediglich falsch entschieden. Sinn und Zweck der Vorschrift könne es
nicht sein, den Leistungsempfänger, der einen unzweckmäßigen Steuerklassenwechsel
vornehme, noch zusätzlich da durch zu bestrafen und finanziell zu benachteiligen, dass
man beide Ehepartner in die Leistungsgruppe D eingruppiere. Gerade weil ein Fall des
Leistungsmissbrauches ersichtlich nicht vorliege, müsse mit dem Sozialgericht gemäß §
137 Abs. 3 SGB III auf die Steuerklasse zurückgegriffen werden, die zu Beginn
desjenigen Jahres eingetragen gewesen sein, in dem der Anspruch entstanden sei.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte und der den Kläger betreffenden Verwaltungsakte der Beklagten Bezug
genommen. Diese Akten waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
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Entscheidungsgründe:
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Die Berufung ist zulässig. Es wird insbesondere die Berufungssumme von 1.000,00 DM
nach § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Sozialgerichts gesetz (SGG) erreicht. Gestritten wird um
höhere Arbeitlosenhilfe für ein Jahr. Die Differenz zwischen den Leistungsgruppen D
und C betrug zu Beginn am 01.09.1998 16,26 DM pro Tag. Die Berufung ist auch form-
und fristgerecht eingelegt worden.
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Die Berufung ist ferner begründet. Das Sozialgericht hat die angefochtenen Bescheide
zu Unrecht aufgehoben, denn dem Kläger steht höhere Arbeitslosenhilfe nach der
Leistungsgruppe C nicht zu. Der Widerspruchsbescheid vom 31.05.1999 gibt vielmehr
die Rechtslage zutreffend wieder, so dass die hiergegen gerichtete Klage abzuweisen
war.
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Die Höhe der Arbeitslosenhilfe richtet sich gemäß § 198 Abs. 1 S. 2 SGB III i. V. m. §
137 SGB III nach der Steuerklasse, die auf der Lohnsteuerkarte des Antragstellers
eingetragen ist. Hierbei ist der Steuerklasse III die Leistungsgruppe C und der
Steuerklasse V die Leistungsgruppe D zugeordnet, § 137 Abs. 2 SGB III. Nach § 137
Abs. 3 richtet sich die Zuordnung grundsätzlich nach der Steuerklasse, die zu Beginn
des Kalenderjahres, in dem der Anspruch entstanden ist, auf der Lohnsteuerkarte des
Arbeitslosen eingetragen war. Dies war hier im Falle des Klägers die Steuerklasse III,
also die Leistungsgruppe C, denn zu Beginn des Anspruchjahres war die Steuerklasse
III beim Kläger eingetragen. Die Leistungsbewilligung ab dem 16.12.1996 an den Kläger
nach Leistungsgruppe C entsprach somit den gesetzlichen Vorschriften.
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Eine einmal zuerkannte Leistungsgruppe ist jedoch nicht für die gesamte Dauer des
Anspruches verbindlich. Insbesondere Änderungen der Steuerklasse können zu einer
Änderung der Leistungsgruppe führen. So sieht § 137 Abs. 3 S. 2 SGB III vor, dass
Änderungen der eingetragenen Lohnsteuerklasse mit Wirkung des Tagesberücksichtigt
werden, an dem erstmals die Voraussetzungen für die Änderung vorliegen. Für eine
Änderung der Steuerklassen unter Ehegatten gibt es jedoch in § 137 Abs. 4 SGB III eine
Sonderregelung. Haben Ehegatten die Lohnsteuerklassen gewechselt, so werden die
neu eingetragenen Lohnsteuerklassen gemäß § 137 Abs. 4 S. 1 SGB III von dem Tage
an berücksichtigt, an dem sie wirksam werden, wenn 1. die neu eingetragenen
Steuerklassen dem Verhältnis der monatlichen Arbeitsentgelte beider Ehegatten
entsprechen oder
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2. sich aufgrund der neu eingetragenen Lohnsteuerklassen eine Arbeitslosenhilfe ergibt,
die geringer ist, als die Arbeitslosenhilfe, die sich ohne den Wechsel der
Lohnsteuerklassen ergäbe.
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Ein Wechsel der Lohnsteuerklassen ist jedoch, was vom Sozialgericht nicht beachtet
worden ist, nicht erstmals zum 01.09.1998 erfolgt, sondern bereits zum 01.03.1998. Der
Wechsel zum 01.09.1998 war somit nicht der erste, sondern der zweite. Um beurteilen
zu können, ob der Wechsel ab 01.09.1998 beachtlich ist, muss man also auch den vom
Sozialgericht vernachlässigten Wechsel zum 01.03.1998 in die Überlegungen
einbeziehen. Zum 01.03.1998 hat der Kläger von der Steuerklasse III zur Steuerklasse V
gewechselt. Ob dieser Wechsel steuerrechtlich sinnvoll war, bedarf hier keiner
Diskussion, weil der Wechsel bereits nach § 137 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 SGB III beachtlich
war, weil sich hierdurch für den Kläger eine niedrigere Arbeitslosenhilfe ergab. Die
Arbeitslosenhilfe ist in Leistungsgruppe D (Steuerklasse V) niedriger als in
Leistungsgruppe C (Steuerklasse III). Der Anspruch veringerte sich von täglich 41,77
DM auf 25,17 DM. Die Beklagte war somit gehalten, den Wechsel gemäß § 137 Abs. 4
S. 1 Nr. 2 SGB III zu beachten, ohne dass es darauf ankam, ob die neu eingetragenen
Steuerklassen dem monatlichen Arbeitsentgelt beider Ehegatten entsprachen.
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Erst vor diesem Hintergrund kann der erneute Wechsel zum 01.09.1998 gem. § 137
SGB III auf seine Beachtlichkeit hin geprüft werden. Beim Eingang der
Änderungsmitteilung musste die Beklagte also den Wechsel in die Steuerklasse V zum
01.03.1998 als beachtlich zu Grunde legen und prüfen, ob nunmehr der Wechsel in die
Steuerklasse III zum 01.09.1998 ebenfalls nach § 137 Abs. 4 S. 1 SGB III beachtlich
war. Ein Wechsel der Steuerklassen unter Ehegatten ist hiernach nur unter zwei
Kriterien beachtlich: 1.Die neu eingetragenen Steuerklassen müssen dem Verhältnis
der monatlichen Arbeitsentgelte beider Ehegatten entsprechen.
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Dies ist nicht der Fall. Im Juli 1998 haben beide Ehegatten Arbeitseinkommen aus nicht
selbstständiger Tätigkeit erzielt, und zwar die Ehefrau in Höhe von 2.426,66 DM, der
Kläger in Höhe von 2.773,33 DM jeweils brutto. Bei diesen Einkommensverhältnissen
wäre die Lohnsteuerklassenkombination IV/IV am zweckmäßigsten, weil sie zu dem
geringsten Lohnsteuerabzug geführt hätte. Bei den Lohnsteuerklassen IV/IV wäre nach
den 1998 geltenen Steuertabellen für den Kläger 324,41 DM Lohnsteuer angefallen, für
die Ehefrau 218,16 DM. Bei der Lohnsteuerklasse III für den Kläger und der
Lohnsteuerklasse V für die Ehefrau hätte der Kläger dagegen überhaupt keine Steuern
zahlen müssen, die Ehefrau aber 644,50 DM. Die getroffene Wahl führte also zu einer
um 101,93 DM höheren Steuerpflicht und entsprach damit nicht dem Verhältnis der
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monatlichen Arbeitsentgelte der Eheleute. Um bei einen Verdienst des Ehemannes von
2.800,00 DM brutto im Monat für diesen die Steuerklasse III zu wählen, hätte die Ehefrau
nicht mehr als 1.431,00 DM verdienen dürfen (vgl. Herofski/Altehoefer, Kommentar zum
Lohnsteuerrecht, Stand Juli 2000, § 38 b EStG, Rdnr. 52 nebst anliegender Tabelle;
Luchterhand, Gesamt-Abzugs-Tabelle ab 01.01.1998 zum Ablesen der Abzüge für die
Lohnsteuer). Zu Recht haben daher Beklagte und Sozialgericht festgestellt, dass der
Lohnsteuerklassenwechsel, den der Kläger zum 01.09.1998 vorgenommen hat, nicht
zweckmäßig war. Daran ändert sich auch nichts dadurch, dass der Kläger mit seinem
Verhalten einer in der Bevölkerung weit verbreiteten Ansicht gefolgt ist, dass immer der
die günstigste Steuerklasse haben soll, der arbeitet. Diese Ansicht ist aber nur dann
richtig, wenn die Ehefrau nicht berufstätig ist und auch keine Lohnersatzleistungen wie
Arbeitslosenhilfe erhält, denn auch diese richtet sich nach dem zuvor erzielten
Arbeitsverdienst. Deshalb war der Lohnsteuer klassenwechsel zum 01.09.1998 selbst
dann steuerrechtlich unzweckmäßig, wenn die angenommenen tatsächlichen
Voraussetzungen (Arbeit Ehemann, Arbeitslosigkeit Ehefrau) eingetreten wären. 2.
Auch die zweite Alternative des § 137 Abs. 4 S. 1 SGB III trifft für den Kläger nicht zu, da
sich aufgrund der neu eingetragenen Lohnsteuerklasse III nicht eine geringere
Arbeitslosenhilfe ergäbe als vorher, sondern eine höhere. Der Leistungssatz nach
Leistungsgruppe C hätte gegenüber der Leistungsgruppe D um DM 16,26 täglich höher
gelegen.
Ist aber der Steuerklassenwechsel unbeachtlich, dann verbleibt es bei der
vorhergehenden Einstufung. Die Auffassung des Sozialgerichtes, es komme dann auf
die bei Beginn des Anspruchs maßgebliche Steuerklasse an, kann nur für Fälle gelten,
in denen keine zwischenzeitliche Änderungen zu berücksichtigen waren. Das Zitat des
Sozialgerichts (vgl. Gagel, SGB III, Kommentar, § 137 Rdnr. 5 - 7, 55) geht daher fehl.
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Nach dem eindeutigen Wortlaut des Gesetzes ist zur Überzeugung des Senats keine
andere Entscheidung zulässig. Insbesondere ist es nicht möglich, auf den Inhalt der
Vorgängervorschrift des § 113 Abs. 2 AFG, die bis zum 31.12.1997 Geltung hatte,
lückenfüllend zurückzugreifen. Nach dieser Vorschrift war bei einer unzweckmäßigen
Steuerklassenwahl die "richtige" maßgebend. Dies wäre hier bei Steuerklasse IV/IV
immerhin die Leistungsgruppe A gewesen, die zwar finanziell schlechter als
Leistungsgruppe C, aber besser als Leistungsgruppe D ist. Die Vorschrift des § 113
Abs. 2 AFG hat im SGB III keinen Niederschlag gefunden. Bei § 137 Abs. 4 SGB III,
gültig ab 01.01.1998, handelt es sich um eine völlig neue Vorschrift, die im bisherigen
Recht kein Vorbild hatte. Der Senat geht davon aus, dass es sich um eine bewusste
Neuregelung handelt, bei der durchaus finanzielle Gründe und Gründe der
Vereinfachung mitgespielt haben mögen. Für den Senat ergeben sich keine
Anhaltspunkte dass Fälle wie der vorliegende nicht gesehen worden sein sollen. Diese
Fälle gab es immerhin auch schon unter der Geltung des § 113 Abs. 2 AFG, der
nunmehr durch § 137 Abs. 4 SGB III abgeändert worden ist. Der Senat wendet diese
Fassung an und sieht für eine lückenfüllende Ergänzung durch Rechtsprechung etwa im
Sinne der Auffassung des Sozialgerichtes oder des früheren § 113 Abs. 2 AFG keinen
Raum. Zwar ist zuzugeben, dass die Fassung des § 137 Abs. 4 SGB III primär unter den
Gesichtspunkt der Missbrauchsbekämpfung eingeführt worden ist und eine solche dem
Kläger nicht unterstellt werden kann. Er ist vielmehr einer in der Bevölkerung weit
verbreiteten Handlungsweise gefolgt, die sich zudem durch die Ereignisse in den
Verhältnissen der Ehegatten im August 1998 überholt hat. Der Kläger selbst behauptet
aber nicht, er sei zu seinem Verhalten durch eine falsche Beratung durch die Beklagte
veranlasst worden. Der Senat hält es nicht für zulässig, das Gesetz in Fällen der
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Möglichkeit eines Missbrauches anders auszulegen als in Fällen, in denen ein solcher -
wie hier - eindeutig verneint werden kann.
Auch das Argument des Klägers, es könne nicht sein, dass beide Ehegatten Leistungen
nach Leistungsgruppe D erhalten, überzeugt nicht. Zwar ist dies nicht der Normalfall,
jedoch ist diese Möglichkeit nach dem Gesetz nicht ausgeschlossen. Die
Gesetzesformulierung, dass Änderungen immer berücksichtigt werden, die für den
Leistungsempfänger zu einer niederigen Leistung führen, Änderungen, die zu einer
höheren Leistung führen, dagegen nur, wenn sie steuerlich zweckmäßig sind, spricht
vielmehr dafür, dass die vorliegende Fallgestaltung durchaus gesehen und bewusst in
Kauf genommen worden ist.
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Der Senat hält das Ergebnis auch nicht für dermaßen ungerecht, dass an eine Anrufung
des Bundesverfassungsgerichtes zu denken gewesen wäre. Immerhin beruht die
Steuerklassenwahl auf einer freien Willensentscheidung der Eheleute, auf die die
Beklagte keinen Einfluss hat und die hier auch nicht durch eine unzutreffende Beratung
beeinflusst worden ist. Zudem war es dem Kläger unbenommen, nachdem er den
Bescheid vom 23.10.1998 erhielten und die Folgen seines Wechsels erkennbar wurden,
zumindest für das Jahr 1999 durch Eintragung der Steuerklassen IV/IV die Wirkungen
des § 137 Abs. 4 Nr. 1 SGB III herbeizuführen. Die Folgen seiner eigenen
Fehlentscheidung hätte er dann jedenfalls auf 4 Monate begrenzen können.
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Der Berufung der Beklagte konnte somit der Erfolg nicht versagt bleiben. Das Urteil des
Sozialgerichtes war abzuändern und die Klage abzuweisen.
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Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 183, 193 SGG.
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Der Senat hat die Revision zugelassen, weil er der Auslegung des § 137 Abs. 4 S.1
SGB III grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 160 Abs. 2 Ziffer 1 SGG zugemessen
hat.
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