Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 27.08.2009
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Landessozialgericht NRW, L 16 KR 58/09
Datum:
27.08.2009
Gericht:
Landessozialgericht NRW
Spruchkörper:
16. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
L 16 KR 58/09
Vorinstanz:
Sozialgericht Dortmund, S 44 KR 146/08
Sachgebiet:
Krankenversicherung
Rechtskraft:
rechtskräftig
Tenor:
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Dortmund
vom 20. Januar 2009 wird zurückgewiesen. Die Klage auf Krankengeld
wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch für das
Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht
zugelassen.
Tatbestand:
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Der derzeit inhaftierte Kläger macht gegen die Beklagte Ansprüche aus einer zuletzt im
August 2004 bestandenen Krankenversicherung geltend.
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Der am 00.00.1951 geborene Kläger war bis August 2004, zuletzt als Bezieher von
Arbeitslosenhilfe, nach § 5 Abs 1 Nr 2 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) in der
Fassung (idF) des Art 5 Nr 1 des Gesetzes zur Reform der Arbeitsförderung (AFRG)
vom 24.03.1997 (Bundesgesetzblatt (BGBl) I, 594) Pflichtmitglied der Beklagten. Nach
eigenen Angaben unterzog er sich in dieser Zeit zu Lasten der Beklagten am
03.12.2003 einer Knieoperation. Am 18.08.2004 wurde er aufgrund einer akuten
Alkoholintoxikation notfallmäßig im F Krankenhaus I behandelt (vgl. Schriftsatz der
Beklagten vom 29.05.2009). Am 27.08.2004 zog er sich nach eigenen Angaben auf dem
Gelände des Bahnhofs Hagen aufgrund eines Sturzes Hämatome an der Außenseite
des linken Oberschenkels (Untersuchungsbefund von Dr. K vom 29.08.2004 im
Polizeipräsidium I, Bericht vom 31.08.2004) zu. Am 28.08.2004 wurde er wegen des
Verdachts, ein Tötungsdelikt begangen zu haben, festgenommen. Haftbefehl gegen ihn
erging am 29.08.2004. Seit dieser Zeit ist er durchgehend inhaftiert. Voraussichtlicher
Entlassungstermin ist der 26.08.2016 (Haftbescheinigung der Justizvollzugsanstalt
(JVA) C vom 07.04.2009).
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Im Dezember 2007 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Kostenübernahme für
eine Knieoperation. Diesen Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 07.12.2007 in
der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.04.2008 unter Hinweis auf die
Beendigung seiner Mitgliedschaft zum 30.08.2004 ab.
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Gegen diese Entscheidung hat der Kläger am 24.04.2008 vor dem Sozialgericht (SG)
Dortmund Klage erhoben. Zur Begründung hat er die Auffassung vertreten, dass seine
Operation aus Dezember 2003 noch nicht abgeschlossen ("Teiloperation") und die
Beklagte deshalb weiterhin zur Leistung verpflichtet sei.
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Schriftsätzlich hat er erstinstanzlich beantragt,
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"festzustellen, dass die DAK zur abschließenden Behandlung verpflichtet ist."
7
Die Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Mit Urteil vom 20.01.2009 hat das SG die Klage abgewiesen und zur Begründung
ausgeführt, ein Leistungsanspruch des Klägers sei aufgrund der Beendigung seiner
Mitgliedschaft bei der Beklagten erloschen. Es komme nicht auf den Zeitpunkt der
Verletzung, sondern - mit Ausnahme des hier nicht vorliegenden Falls einer
unrechtmäßigen Leistungsverweigerung - ausschließlich auf den Behandlungszeitpunkt
an.
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Gegen diese dem Kläger am 17.02.2009 über seine damalige Bevollmächtigte
zugestellte Entscheidung hat er unter Vertiefung seines bisherigen Vorbringens am
25.02.2009 Berufung eingelegt. Ergänzend trägt er vor, der vom SG geprüfte Tatbestand
sei unzutreffend, denn es sei am 30.08.2004, mithin zu einem Zeitpunkt, zu dem er noch
bei der Beklagten versichert gewesen sei, eine Unfallmeldung erfolgt. Arbeitsunfähigkeit
habe ab 18.08.2004 vorgelegen. Er habe das Gefühl, die Beklagte wolle sich an ihm
"schadlos halten". Die Verletzungen seien bereits vor seiner Inhaftierung mehrfach
ärztlich festgestellt worden, so dass ihm seiner Meinung nach sowohl ein Anspruch auf
Behandlung als auch auf Krankengeld zustehe.
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Der Kläger beantragt schriftsätzlich,
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das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 20.01.2009 zu ändern und unter Aufhebung
des Bescheides vom 07.12.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom
11.04.2008 festzustellen, dass die Beklagte zur Behandlung seiner bestehenden
Kniebeschwerden und zur Zahlung von Krankengeld ab dem 18.08.2004 verpflichtet ist.
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Die Beklagte beantragt sinngemäß,
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die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom
20.01.2009 zurückzuweisen und die auf Gewährung von Krankengeld gerichtete Klage
abzuweisen.
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Sie erachtet die angefochtene Entscheidung für zutreffend. Soweit der Kläger im
Berufungsverfahren einen Anspruch auf Krankengeld erhoben habe, sei dem
entgegenzuhalten, dass dieser Anspruch ohnehin nach § 49 Abs 1 Nr 3a SGB V
aufgrund des damaligen Bezuges von Arbeitslosenhilfe geruht habe.
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Wegen der weiteren Einzelheiten der Sach- und Rechtslage sowie des Vorbringens der
Beteiligten wird auf den Inhalt der Prozess- und der Verwaltungsakten der Beklagten
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Bezug genommen, die ihrem wesentlichen Inhalt nach Gegenstand der mündlichen
Verhandlung gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
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Der Senat konnte auch ohne Teilnahme der ordnungsgemäß geladenen Beteiligten am
Termin zur mündlichen Verhandlung durch Urteil entscheiden. Der vom Kläger erst nach
Beendigung der mündlichen Verhandlung zum Verfahren gereichte Schriftsatz vom
27.08.2009 (Eingang bei Gericht am 31.08.2009), der undatierte Schriftsatz (Eingang bei
Gericht am 04.09.2009) sowie der Schriftsatz vom 05.09.2009 (Eingang bei Gericht am
08.09.2009) konnten allerdings bei der Entscheidung nicht mehr berücksichtigt werden,
weil bei ihrem Eingang das Urteil bereits verkündet war.
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Die zulässige Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG Dortmund vom
20.01.2009 ist nicht begründet. Die in der Berufungsinstanz erstmals erhobene und auf
Gewährung von Krankengeld gerichtete Klage ist unzulässig.
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Das angefochtene Urteil des SG Dortmund vom 20.01.2009 sowie der angefochtene
Bescheid der Beklagten vom 07.12.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 11.04.2008 sind inhaltlich zutreffend und entsprechen uneingeschränkt der
geltenden Rechtslage. Zur Vermeidung von Wiederholungen verweist der Senat
insoweit nach eigener Prüfung auf die zutreffenden Ausführungen im angefochtenen
Urteil (§ 153 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz -SGG-).
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Ergänzend ist lediglich darauf hinzuweisen, dass das SG zu Recht entgegen dem in der
Klageschrift gestellten Antrag die Klage als Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54
Abs 1 Satz 1 SGG) und nicht als Feststellungsklage (§ 55 Abs 1 SGG) ausgelegt hat.
Zwar kann angenommen werden, dass die Beklagte als Körperschaft des öffentlichen
Rechts sich nicht auf den Grundsatz der Subsidiarität der Feststellungsklage in Bezug
auf die eigentlich angestrebte Leistung berufen wird (siehe dazu Keller, in Meyer-
Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Auflage, § 55 Randnummer (Rn) 19c mit weiteren
Nachweisen (mwN)), dem Kläger ging es aber erkennbar stets um seine sofortige
Behandlung als Sachleistung der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV), da er sich
von der anstaltsinternen Krankenbehandlung offenbar nicht ausreichend versorgt sieht.
Dieses Begehren ist prozessual vorrangig durch eine kombinierte Anfechtungs- und
Verpflichtungsklage zu verfolgen.
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Ebenfalls zutreffend hat das SG für den hier maßgebenden Zeitraum ab Antragstellung
im Dezember 2007 einen Leistungsanspruch des Klägers gegen die Beklagte nach §§
2, 11 Nr 4, 27 Abs 1 Nrn 1 und 5 SGB V auf medizinische Behandlung zu deren Lasten
verneint. Der Kläger verkennt, dass es auf ein möglicherweise im August 2004 bereits
bestehendes medizinisch notwendiges Behandlungsbedürfnis aus
versicherungsrechtlichen Gründen gerade nicht ankommt. Maßgebend ist grundsätzlich
das konkrete Versicherungsverhältnis zum Zeitpunkt der - hier noch nicht erfolgten -
Erbringung der medizinischen Leistung. Ohne rechtliche Beanstandung haben Beklagte
und SG diesbezüglich ein Versicherungsverhältnis seit August 2004 und denkbare
nachgehende Leistungsansprüche aus der beendeten Versicherung verneint.
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Hinzu kommt, was der Kläger ebenfalls ersichtlich verkennt, dass seine ärztliche
Versorgung als Gefangener nach § 158 Abs 1 Satz 1 Strafvollzugsgesetz ( StVollzG)
abschließend sichergestellt ist. § 16 Abs 1 Nr 4 SGB V ordnet deshalb für Gefangene
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wie den Kläger ohnehin das Ruhen der Ansprüche auf die vom Kläger begehrte
Versicherungsleistung an.
Soweit der Kläger im Berufungsverfahren mit Schreiben vom 08.05.2009 erstmals
Ansprüche auf Zahlung von Krankengeld gerichtlich geltend gemacht hat, führt diese
Erweiterung der anhängigen Klage unabhängig von einer möglichen rügelosen
Einlassung der Beklagten (§ 99 Abs 2 SGG) zur Unzulässigkeit, da es an der für eine
Anfechtungs- und Verpflichtungsklage notwendigen Sachurteilsvoraussetzung eines
anfechtbaren Verwaltungsaktes fehlt (§ 54 Abs 1 Satz 1 SGG). Über einen
Krankengeldanspruch hat die Beklagte noch keine anfechtbare Entscheidung getroffen.
Der Kläger wäre aber gehalten gewesen, seinen Anspruch zunächst gegenüber der
Beklagten geltend zu machen, bevor er um gerichtlichen Rechtsschutz nachsucht.
Vorsorglich erlaubt sich der Senat in diesem Zusammenhang allerdings zur Vermeidung
überflüssiger Verwaltungsverfahren den Hinweis, dass der vom Kläger behauptete
Krankengeldanspruch schlechterdings materiell rechtlich ausgeschlossen erscheint und
ein entsprechender Antrag an die Beklagte keinerlei Aussicht auf Erfolg versprechen
dürfte.
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Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 183 und 193 SGG.
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Gründe, die Revision zum Bundessozialgericht zuzulassen, liegen nicht vor, § 160 Abs
2 SGG.
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