Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 05.07.2007

LSG NRW: arbeitsunfall, unfallfolgen, wahrscheinlichkeit, datum, marokko, erwerbsfähigkeit, entschädigung, archiv, anerkennung, epilepsie

Landessozialgericht NRW, L 2 KN 28/07 U
Datum:
05.07.2007
Gericht:
Landessozialgericht NRW
Spruchkörper:
2. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
L 2 KN 28/07 U
Vorinstanz:
Sozialgericht Dortmund, S 23 KN 118/05 U
Sachgebiet:
Unfallversicherung
Rechtskraft:
nicht rechtskräftig
Tenor:
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Dortmund
vom 28.11.2006 wird zurückgewiesen. Die Beteiligten haben einander
auch im Berufungsverfahren keine Kosten zu erstatten. Die Revision
wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
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Streitig ist Gewährung von Verletztenrente wegen Arbeitsunfallfolgen.
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Der im Jahre 1934 geborene Kläger ist marokkanischer Staatsangehöriger. Er lebt in
Marokko. Er wurde am 01.06.1964 im deutschen Steinkohlenbergbau auf der Zeche D-
H N in H angelegt. Dort kehrte er zum 09.02.1968 ab. Am 05.05.1969 wurde er auf der
Zeche F G in F angelegt. Dort kehrte er zum 15.08.1970 ab.
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Für die Zeit seiner Beschäftigung auf der Zeche D-H N sind in das Verbandsbuch für
den 24.07.1975 ein Arbeitsunfall beim Transportieren von Panzerrinnen mit einer
Wunde am rechten Mittelfinger eingetragen. In der Jahrgangsliste der Zeche F G sind
Arbeitsunfälle am 13.08.1969 und am 25.06.1970 eingetragen. Zum Unfall am
13.08.1969 finden sich keine Eintragungen darüber, welche Verletzungen der Kläger
erlitten hat, ob ein Heilverfahren durchgeführt bzw. eine Arbeitsunfall anerkannt wurde.
Zum Unfall vom 25.06.1970 vermerkt der Durchgangsarztbericht, dass der Kläger bei
der Arbeit unter Tage mit dem linken Arm in eine Wettertür geraten sei. Es fänden sich
Prellungsfolgen am linken Handgelenk und der linken Schulter, die mit einem
Salbenverband behandelt worden sei.
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Im Rahmen eines von der Beklagten eingeleiteten Feststellungsverfahrens gab der
Kläger u.a. an, auf der Zeche D-H N einen Unfall mit der Verletzung des rechten
Zeigefingers und "in F" einen Unfall mit Schädelverletzung erlitten zu haben. Im
weiteren Verfahren teilte er mit, in der Zeit seiner Beschäftigung in H1 bzw. auf der
Zeche F G, vom 05.05.1969 bis 15.08.1969, am Kopf und an der Oberlippe verletzt
worden zu sein. In einer weiteren Auskunft gab er an, diese Verletzungen zwischen dem
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10.08.1970 und den 14.08.1970 erlitten zu haben. Er sei in einem Krankenhaus in H1
behandelt worden. Später hat er angegeben, den Unfall mit Kopfverletzung 1969 erlitten
zu haben und am 15.08.1970 dem Heilgehilfen gemeldet zu haben. Er leide an
Schädeltraumata, die durch seine alten Verletzungen "in F" verursacht worden seien. Er
teilte ferner mit, er selbst könne keine weiteren Angaben machen, auch an das genaue
Datum des Unfalls könne er sich nicht erinnern. Allein seine früheren Arbeitgeber wären
in der Lage, Auskunft über Zeugen bzw. ärztliche Maßnahmen zu geben. Er legte
ärztliche Atteste des Neurologen Dr. C aus P/Marokko vom 12.02.2001 sowie des
Allgemeinmediziners Dr. I aus P vom 23.03.2000 und 28.01.2005 vor. Dr. C teilte mit,
dass der Kläger seit Oktober 1997 wegen epileptischer Anfälle in Behandlung stehe.
Des Weiteren bestünden ein Hypertonus und Gedächtnisstörungen. Dr. I gab an, dass
der Kläger an einer traumatischen Epilepsie leide, die zahlreiche Schädeltraumata
infolge von Stürzen verursache. Hinzu kämen chronische Schmerzen im 3. Finger der
rechten Hand. Es handele sich um die Nachkrankheit einer Fraktur. Die Beklagte lehnte
mit Bescheid vom 11.04.2005 die Anerkennung und Entschädigung wegen Folgen des
Unfalls am 13.08.1969 ab. Ein Arbeitsunfall mit einer Schädelverletzung sei unter
diesem Datum nicht nachgewiesen. Ebenso wenig seien sonstige Arbeitsunfälle mit
Schädelverletzung nachgewiesen. Der eingelegte Widerspruch wurde mit
Widerspruchsbescheid vom 29.06.2005 zurückgewiesen.
Mit weiterem Bescheid vom 02.05.2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom
26.09.2005 lehnte die Beklagte die Anerkennung und Entschädigung wegen Folgen
des Arbeitsunfalls am 24.07.1965 ab. Der Arbeitsunfall - mit Wunde am rechten
Mittelfinger - habe nur geringfügige gesundheitliche Beeinträchtigungen hinterlassen.
Eine Minderung der Erwerbsfähigkeit messbaren Grades bestehe nicht. Dieser
Bescheid wurde bestandskräftig.
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Zur Begründung der gegen den Bescheid vom 11.04.2005 in Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 29.06.2005 zum Sozialgericht Dortmund (SG) erhobenen
Klage verweist der Kläger darauf, dass er aufgrund des Arbeitsunfalls vom 13.08.1969
krank geschrieben worden sei und anschließend nach Marokko zurückgekehrt sei.
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Die Beklagte hat die angefochtenen Entscheidung verteidigt.
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Mit Urteil vom 08.11.2006 hat das SG die Klage abgewiesen. Ein Arbeitsunfall mit
Schädelverletzung sei weder für den 13.08.1969 noch für einen anderen Zeitpunkt
nachgewiesen.
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Zur Begründung der dagegen eingelegten Berufung wiederholt der Kläger sein
Vorbringen. Er legt eine Bestätigung der Beklagten vom 20.02.1970 über die Meldung
eines Unfalls am 20.01.1970 vor.
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Die Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Sie verteidigt die angefochtene Entscheidung und hat mitgeteilt, dass zu einem Unfall
vom 20.01.1970 im Archiv der Bergbau-Berufsgenossenschaft keine Akten mehr
vorhanden seien.
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Für die Einzelheiten im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichts- und Verwaltungsakten
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der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
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Der Senat kann entscheiden, obwohl für den Kläger zum Termin niemand erschienen
ist. Der Kläger ist mit ordnungsgemäß erfolgter Ladung auf diese Möglichkeit
hingewiesen worden.
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Nach dem Vorbringen des Klägers in Bezug auf den Gegenstand dieses
Streitverfahrens geht der Senat davon aus, dass der Kläger geltend macht, das bei ihm
bestehende neurologische Anfallsleiden sei Folge von Schädelhirntraumata aufgrund
von Arbeitsunfällen, die er während seiner Untertagetätigkeit auf der Zeche F G in F in
der Zeit vom 05.05.1969 bis zum 15.08.1970 erlitten hat.
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Die zulässige Berufung ist nicht begründet.
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Zu Recht hat das SG die Klage abgewiesen. Ein Anspruch des Klägers auf
Verletztenrente besteht nicht. Es kann dahinstehen, ob noch das frühere Recht der
Reichsversicherungsordnung (RVO) oder bereits das Siebte Buch des
Sozialgesetzbuchs (SGB VII; vgl. Unfallversicherungs-Einordnungsgesetz, UVEG vom
07.08.1996, BGBl. I S 1254) anzuwenden ist, da sich dadurch für die Beurteilung des
streitigen Anspruchs keine - hier - bedeutsamen Unterschiede ergeben.
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Nach § 56 Abs 1 SGB VII haben Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines
Versicherungsfalls über die 26. Woche (§ 580 Abs 1 RVO: 13. Woche) nach dem
Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 vH gemindert ist, Anspruch auf Rente (§ 56
Abs 1 S 1 SGB VI). Ist die Erwerbsunfähigkeit infolge mehrerer Versicherungsfälle
gemindert und erreichen die Vom-Hundert-Sätze wenigstens 20, besteht für jeden, auch
für einen früheren Versicherungsfall, Anspruch auf Rente. Die Folgen eines
Versicherungsfalls sind nur zu berücksichtigen, wenn sie die Erwerbsfähigkeit um
wenigstens 10 vH mindern (§ 56 Abs 1 S 2 und 3 SGB VII).
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Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt. Die als Unfallfolgen geltend gemachten
Gesundheitsstörungen beruhen nicht mit Wahrscheinlichkeit zumindest auch auf dem
Arbeitsunfall vom 13.08.1969 oder einem anderen auf der Zeche F G in F in der Zeit
vom 05.05.1969 bis zum 15.08.1970 erlittenen Arbeitsunfall.
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Unfallfolgen sind Gesundheitsschäden, die zumindest mit Wahrscheinlichkeit
wesentlich durch den Arbeitsunfall und seine Folgen mitbedingt sind (u.a. BSG Urteil
vom 09.05.2006, B 2 U 1/05 R, SozR 4-2700 § 8 Nr 17). Als Folgen eines Arbeitsunfalls
sind alle Gesundheitsstörungen zu berücksichtigen und in die Bewertung
einzubeziehen, die mit Wahrscheinlichkeit unmittelbar oder mittelbar im Sinne
wesentlicher Teilursächlichkeit auf die bei dem Unfall erlittenen gesundheitlichen
Schäden zurückzuführen sind. Wahrscheinlich ist ein solcher Zusammenhang, wenn
unter Berücksichtigung aller maßgeblichen Tatsachen mehr dafür als dagegen spricht.
Die als Unfallfolgen in Betracht kommenden Gesundheitsstörungen müssen
nachgewiesen sein, das heißt sie müssen mit an Sicherheit grenzender, vernünftige
Zweifel ausschließender Wahrscheinlichkeit vorliegen.
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An einem solchen Nachweis fehlt es. Es finden sich keine Hinweise darauf, dass durch
den Arbeitsunfall am 13.08.1969 Gesundheitsschäden entstanden sind oder sich ein
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vorbestehendes Leiden verschlimmert hat. Insbesondere lässt sich nicht nachweisen,
dass der Kläger anlässlich dieses Unfalls solche Kopfverletzungen oder andere
Primärschäden erlitten hat, die Ursache für die heute bestehende traumatische
Epilepsie, den Hypertonus mit akustischen Phänomenen oder die Gedächtnisstörungen
sein können. Zwar lässt sich aufgrund der Mitteilung der Rechtsnachfolger des früheren
Arbeitgebers feststellen, dass der Kläger am 13.08.1969 einen Arbeitsunfall erlitten hat,
weitere Unterlagen, die geeignet wären, die vom Kläger behaupteten Unfallfolgen zu
beweisen, konnten jedoch - trotz der Ermittlungen der Beklagten - nicht gefunden
werden.
Der am 25.06.1970 erlittene Arbeitsunfall hat - nach dem Bericht des Durchgangsarztes
- lediglich zu Prellungsfolgen am linken Handgelenk und der linken Schulter geführt.
Dieser Befund steht auch im Einklang mit den Angaben im Durchgangsarztbericht, der
Kläger sei bei der Arbeit unter Tage mit dem linken Arm in eine Wettertür geraten. Eine
messbare MdE rufen die verbliebenen Folgen dieses Unfalls nicht mehr hervor.
Jedenfalls sind die heutigen Gesundheitsstörungen nicht vereinbar mit den
beschriebenen Unfallfolgen.
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Ein weiteres versichertes Unfallereignis, das die später aufgetretenen und behandelten
und jetzt für einen Rentenanspruch ins Feld geführten Gesundheitsstörungen wegen
epileptischer Anfälle, Hypertonus und Gedächtnisstörungen hervorgerufen haben
könnte, ist nicht erweislich. Zum Arbeitsunfall vom 20.01.1970 finden sich im Archiv der
Beklagten keine weiteren Akten mehr.
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Der Senat sieht sich nicht veranlasst, den Sachverhalt weiter aufzuklären. Medizinische
Unterlagen sind nicht mehr vorhanden. Dies erscheint aufgrund des Zeitablaufs
durchaus nachvollziehbar. Zudem hat der Kläger selbst mitgeteilt, für die Unfälle weder
Zeugen noch behandelnde Ärzte benennen zu können.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
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Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor, § 160 Abs 2 SGG.
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