Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 09.06.2005
LSG NRW: prozessvertretung, unterrichtung, form, arbeitslosenversicherung, ausnahmefall, zivilprozessordnung, datum, rechtskraft
Landessozialgericht NRW, L 9 B 83/04 AL
Datum:
09.06.2005
Gericht:
Landessozialgericht NRW
Spruchkörper:
9. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
L 9 B 83/04 AL
Vorinstanz:
Sozialgericht Detmold, S 9 AL 27/04
Sachgebiet:
Arbeitslosenversicherung
Rechtskraft:
rechtskräftig
Tenor:
Auf die Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Sozialgerichts
Detmold vom 14. Juni 2004/15.07.2004 geändert. Dem Kläger wird
Rechtsanwalt H I, in Q ohne Einschränkungen beigeordnet.
Gründe:
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I.
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Der in Q wohnhafte Kläger hat im erstinstanzlichen Verfahren die Bewilligung von
Prozesskostenhilfe (PKH) und Beiordnung seines gleichfalls in Q ansässigen
Bevollmächtigen beantragt. Mit dem angefochtenen Beschluss vom 14.06.2004 i.d.F.
des Beschlusses vom 15.07.2004 hat das Sozialgericht Detmold (SG) dem Antrag
entsprochen und dem Kläger PKH ab Antragstellung unter Beiordnung des
Rechtsanwalts I zu den Bedingungen eines in E ansässigen Rechtsanwalts bewilligt.
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Gegen den ihm am 04.08.2004 zugestellten berichtigten Beschluss hat der Kläger am
06.08.2004 Beschwerde erhoben, soweit die Beiordnung nur zu den Bedingungen
eines in E ansässigen Rechtsanwaltes erfolgt ist. Er macht geltend, es sei ihm nicht
zumutbar, statt eines Fachanwalts für Sozialrecht in Q einen Rechtsanwalt in E
aufzusuchen, nur weil sich das zuständige Sozialgericht in Detmold befinde. Die
Anwendung des § 126 Abs. 1 Satz 1 Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte
(BRAGO) sei in sozialrechtlichen Verfahren schon deshalb ausgeschlossen, weil die
Norm sich nur auf am Gerichtsort zugelassene Anwälte beziehe, ein Zulassungszwang
vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit aber nicht bestehe.
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II.
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Die zulässige Beschwerde, der das SG nicht abgeholfen hat (Nichtabhilfebeschluss
vom 06.08.2004), ist begründet. Das SG war nicht berechtigt, den
Prozessbevollmächtigten des Klägers nur zu den Bedingungen eines in E ansässigen
Rechtsanwalts beizuordnen. Vielmehr ist eine unbeschränkte Beiordnung
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auszusprechen.
Nach § 73a Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) i.V.m. § 121 Abs. 2 Satz 1 der
Zivilprozessordnung (ZPO) wird einem Beteiligten auf Antrag ein zur Vertretung bereiter
Rechtsanwalt seiner Wahl beigeordnet, wenn die Vertretung durch einen Rechtsanwalt
erforderlich erscheint. Die Regelung des § 121 Abs. 2 ZPO, derzufolge ein nicht bei dem
Prozessgericht zugelassener Rechtsanwalt nur beigeordnet werden kann, wenn
dadurch weitere Kosten nicht entstehen, findet in sozialgerichtlichen Verfahren keine
unmittelbare Anwendung, weil eine Zulassung von Rechtsanwälten bei Sozialgerichten
nicht vorgesehen ist. Zwar ist der in dieser Vorschrift zum Ausdruck kommende
Gedanke, dass durch die Beiordnung eines Anwaltes keine unnötigen Kosten
verursacht werden dürfen, auch in sozialgerichtlichen Streitverfahren zu
berücksichtigen. Aufgrund der Besonderheiten des sozialgerichtlichen Verfahrens wird
er jedoch - mit weiteren Einschränkungen - nur in besonderen Fallgestaltungen
diskutiert werden können (vgl Hennig, Sozialgerichtsgesetz, § 73a SGG Rdnr 48 für den
Fall, dass der beizuordnende Rechtsanwalt weder am Wohnort des Beteiligten noch am
Gericht seinen Sitz hat).
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Ein derartiger Ausnahmefall ist hier nicht gegeben, wie sich aus den sonstigen
Wertungen des SGG ergibt. So wird regelmäßig davon auszugehen sein, dass die
Zuziehung eines am Wohnort des Beteiligten ansässigen Rechtsanwaltes durch einen
an einem auswärtigen Gericht klagenden oder verklagten Beteiligten eine Maßnahme
der zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung i.S.d. § 193 Abs 2
SGG ist (zu § 91 Abs 2 ZPO: BGH, Beschluss vom 16.10.2002 - VII ZB 30/02 - FamRZ
2003, 441-444). Diese muss dann auch von der Bewilligung der PKH erfasst sein.
Gerade in sozialrechtlichen Angelegenheiten sind für eine sachgemäße gerichtliche
Prozessvertretung regelmäßig eine detaillierte Tatsachenkenntnis des
Bevollmächtigten, mehrfache Rücksprachen im Hinblick auf eventuelle medizinische
Begutachtungen und die wirtschaftlichen und rechtlichen Aspekte der
Rechtswahrnehmung erforderlich. Die Klärung der hiermit zusammenhängenden
Fragen kann zumeist nur in einem persönlichen Gespräche erfolgen, ohne dass die
häufig finanziell und gesundheitlich eingeschränkten Kläger weitere Mühen zur
Unterrichtung seines Bevollmächtigen auf sich nehmen müssen.
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Zu berücksichtigen ist auch, dass die Sozialgerichtsbezirke - wie insbesondere
derjenige des SG Detmold - häufig weiträumig sind. Es ist ausdrücklich vorgesehen,
dass die Folgen großer Gerichtsbezirke für Rechtssuchende mit der Durchführung von
auswärtigen Gerichtstagen gemildert werden können (§ 7 Abs. 1 Satz 4 SGG; § 110
Abs. 2 SGG). Die befürchteten Mehrkosten der Prozessvertretung durch einen
auswärtigen Rechtsanwalt in Form von Terminsreisekosten und Abwesenheitsgelder
können so vermieden oder gemindert werden. Schließlich ist zu erwägen, dass der
Prozessbevollmächtigte des Klägers zu der immer noch relativ geringen Anzahl der auf
das Sozialrecht spezialisierten Rechtsanwälte gehört und es dem Kläger grundsätzlich
ermöglicht werden muss, an seinem Wohnort einen Fachanwalt zu beauftragen.
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Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde angefochten werden (§ 177 SGG).
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