Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 16.04.2010

LSG NRW (kläger, streitwert, beschwerde, gkg, höhe, sgg, schaden, ernte, antrag, hauptsache)

Landessozialgericht NRW, L 1 B 16/09 AL
Datum:
16.04.2010
Gericht:
Landessozialgericht NRW
Spruchkörper:
1. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
L 1 B 16/09 AL
Vorinstanz:
Sozialgericht Aachen, S 10 AL 73/08
Sachgebiet:
Arbeitslosenversicherung
Rechtskraft:
rechtskräftig
Tenor:
Auf die Beschwerde der Beklagten wird der Beschluss des
Sozialgerichts Aachen vom 12.02.2009 geändert. Der Streitwert wird auf
58.000 Euro festgesetzt. Im Übrigen wird die Beschwerde
zurückgewiesen. Kosten sind im Beschwerdeverfahren nicht zu
erstatten.
Gründe:
1
Der Kläger betreibt Erdbeerplantagen.
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Mit Bescheid vom 21.03.2008 und Widerspruchsbescheid vom 30.05.2008 schloss die
Beklagte den Kläger vom "Saisonarbeitnehmerverfahren" i.S.d. § 284 Abs. 4 SGB III
aus. Hiergegen hat der Kläger am 02.07.2008 Klage erhoben und beantragt, " 1. den
Bescheid der Beklagten vom 21.3.2008 in Form des Widerspruchsbescheides vom
30.5.2008 aufzuheben, 2. die Beklagte zu verpflichten, dem Kläger Saisonarbeitskräfte
für die bereits laufende Ernte 2008 zuzuweisen, hilfsweise für den Fall, dass der
Rechtsstreit sich in der Hauptsache durch Beendigung der Ernte erledigen sollte
festzustellen, dass der Bescheid vom 21.3.2008 in Form des Widerspruchsbescheides
vom 30.5.2008 und die damit einhergehende Versagung der Zuweisung von
Saisonarbeitskräften rechtswidrig waren."
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Mit Bescheid vom 17.09.2008 hat die Beklagte den angefochtenen Bescheid
aufgehoben. Anschließend hat sie sich zur Tragung der Kosten für das Klageverfahren
verpflichtet. Mit Schriftsatz vom 21.10.2008 hat der Kläger beantragt festzustellen, dass
der angefochtene Bescheid rechtswidrig und die Beklagte verpflichtet war, ihm
osteuropäische Saisonarbeitskräfte im Rahmen des dafür existierenden
Vermittlungsverfahrens für die gesamte Ernte des Jahres 2008 bereits mit Erntebeginn
zuzuweisen. Der Kläger hat das Feststellungsinteresse mit einer Wiederholungsgefahr
und damit begründet, dass er beabsichtige, gegenüber der Beklagten
Amtshaftungsansprüche geltend zu machen. In einem Erörterungstermin am 30.01.2009
hat die Beklagte im Wege eines vom Kläger angenommenen Anerkenntnisses erklärt,
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dass der angefochtene Bescheid rechtswidrig war.
Zum Streitwert hat der Kläger wie folgt vorgetragen:
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"In der ersten Erntephase hätten 7 ha Erdbeeren geerntet werden sollen. Aufgrund der
fehlenden Saisonarbeitskräfte konnten diese Flächen nicht abgeerntet werden. Nach
einer telefonischen Vorabinformation eines landwirtschaftlichen Sachverständigen ist in
diesem Jahr bisher ein durchschnittlicher Ertrag von 18.000 Euro pro ha erzielt worden.
Dies ergibt einen Ertragsschaden in Höhe von 126.000 Euro. Hiervon sind Ersparnisse
in Höhe von 25.000 Euro abzuziehen. Diese begründen sich damit, dass keine
Erntehelfer bezahlt werden mussten. Hinsichtlich der zweiten und dritten Erntephase ist
damit zu rechnen, dass ebenfalls Ernteeinbußen hingenommen werden müssen, da die
Pflanzen unmittelbar vor der Ernte nicht derart gepflegt werden konnten, wie es im
Optimalfall und bei Anwesenheit der Erntehelfer der Fall gewesen wäre. Nach Angaben
des Sachverständigen ist insbesondere hinsichtlich der zweiten Erntephase (5 ha) mit
Ertragseinbußen von ca. 3.000 Euro pro ha zu rechnen. Dies ergibt einen bisher zu
beziffernden Schaden von 15.000 Euro.
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Wir regen daher an, den Streitwert des Verfahrens vorläufig auf 116.000 Euro
festzusetzen."
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Die Beklagte ist diesen Darlegungen erstinstanzlich nicht entgegengetreten.
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Mit Beschluss vom 12.02.2009 hat das Sozialgericht Aachen den Streitwert auf 116.000
Euro festgesetzt. Dieser Betrag ergebe sich aufgrund der nachvollziehbaren
Darlegungen hinsichtlich der Höhe des dem Kläger entstandenen Schadens und
aufgrund des Umstandes, dass auch seitens der Beklagten keinerlei Einwände
hiergegen erhoben worden seien.
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Gegen diese Entscheidung richtete sich die am 03.07.2009 erhobene Beschwerde der
Beklagten. Die Beklagte meint, das Verfahren biete keine genügenden Anhaltspunkte
zur Bestimmung der Höhe des Streitwertes, weshalb dieser gemäß § 52 Abs. 2 GKG mit
5.000 Euro festzusetzen sei. Der Streitwert könne nicht aufgrund des vom Kläger
geltend gemachten und bisher nicht nachgewiesenen wirtschaftlichen Schadens
bestimmt werden. Dieser sei lediglich pauschal behauptet und nicht ausreichend belegt.
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Der Kläger hat zum Beleg der Höhe des Streitwertes ein Schreiben von Dr. agr. B -
Sachverständigenbüro für Landwirtschaft und Gartenbau - vorgelegt, in dem dargelegt
wird, dass der dem Kläger entstandene Schaden den Betrag von 100.000 Euro
übersteige.
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Der Senat entscheidet in der Besetzung mit drei Berufsrichtern, weil die Rechtssache
aufgrund der erforderlichen Schätzung des Streitwertes besondere Schwierigkeiten
tatsächlicher Art aufweist (§§ 197a Abs.1 S. 1 SGG, 66 Abs. 6 Satz 2 GKG).
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Die Beschwerde ist zulässig.
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Gehören in einem Rechtszug - wie hier - weder der Kläger noch der Beklagte zu den in
§ 183 SGG genannten Personen, werden gem. § 197a Abs. 1 S. 1 SGG Kosten nach
den Vorschriften des GKG erhoben. Der Beschluss des Sozialgerichts über den
Streitwert kann gemäß 68 Abs. 1 Satz 1 GKG mit der Beschwerde angefochten werden,
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weil der Wert des Beschwerdegegenstandes 200,00 Euro übersteigt.
Die Beschwerde ist fristgerecht eingelegt. Gemäß § 68 Abs. 1 Satz 3 GKG ist die
Beschwerde nur zulässig, wenn sie innerhalb der in § 63 Abs. 3 Satz 2 GKG bestimmten
Frist eingelegt wird. Hiernach ist die Beschwerde innerhalb von 6 Monaten, nachdem
die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich
anderweitig erledigt hat, zu erheben. Nach dem das Verfahren am 30.01.2009 endgültig
erledigt wurde (§ 101 Abs. 2 SGG), konnte die Beschwerde bis zum 30.07.2009
eingelegt werden.
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Die Beschwerde ist teilweise begründet. Das Sozialgericht hat den Streitwert zu Unrecht
auf 116.000 Euro festgesetzt. Der Streitwert beträgt 58.000 Euro.
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Gemäß § 52 Abs. 1 GKG ist der Streitwert, soweit nichts anderes bestimmt ist, nach der
sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach
Ermessen zu bestimmen. 52 Abs. 3 GKG ist nicht einschlägig. Betrifft der Antrag des
Klägers eine bezifferte Geldleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt, ist
nach dieser Vorschrift deren Höhe maßgebend. Der Kläger hat eine Anfechtungs- und
Verpflichtungsklage bzw. (nach Erledigung des Rechtsstreites in der Hauptsache
insoweit) eine Fortsetzungsfeststellungsklage erhoben, so dass sein Antrag keine
bezifferte Geldleistung betrifft. Der angefochtene Verwaltungsakt ist auch nicht auf eine
bezifferte Geldleistung gerichtet.
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Die Bedeutung der Sache i. S. d. § 52 Abs. 1 GKG ist in Verfahren, in denen es - wie
hier - unmittelbar oder mittelbar um finanzielle Interessen geht, in der Regel
gleichzusetzen mit dem wirtschaftlichen Wert, den der Rechtsstreit für den klagenden
Beteiligten hat (LSG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 21.07.2008 - L 5 B 154/08;
LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 10.12.2007 - L 10 B 39/06 KA; Hartmann,
Kostengesetze, 40. Auflage, § 52 GKG Rdnr. 12). In Verfahren, in denen es um die
Möglichkeit geht, einen Geschäftsbetrieb fortzuführen, ist der Festsetzung des
Streitwertes der bei normalem Geschäftsbetrieb erzielbare Unternehmensgewinn zu
Grunde zu legen (für die Erlaubnis zur gewerblichen Arbeitnehmerüberlassung vgl. LSG
Bayern, Beschluss vom 13.12.2006 - L 9 B 823/06 AL ER - sowie LSG Niedersachsen-
Bremen, Beschluss vom 26.02.2003 - L 8 AL 336/02 ER). Der Streitwert einer
Feststellungsklage ist grundsätzlich niedriger als der einer Leistungsklage, es sei denn,
die Feststellungsklage ist der Sache nach einer Leistungsklage gleichwertig (LSG
Bayern, Beschluss vom 15.7.2005 - L 3 B 154/05 KA; BSG, Beschluss vom 5.10.1999 -
B 6 Ka 24/98 R).
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Das Sozialgericht ist grundsätzlich zutreffend davon ausgegangen, dass der
Bestimmung des Wertes des Streites die Angaben des Klägers zur Schadenshöhe
zugrunde gelegt werden können. Es handelt sich um plausible Darlegungen, denen die
Beklagte bis zum Erlass des angefochtenen Beschlusses nicht entgegen getreten ist.
Der Kläger hat die Darlegungen im Beschwerdeverfahren weiter substantiiert. Aus den
Ausführungen des Sachverständigen Dr. B, der von der Landwirtschaftskammer
Nordrhein-Westfalen öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger ist, ergibt
sich, dass der dem Kläger durch den Ausschluss von der Vermittlung der ausländischen
Arbeitskräfte entstandene Schaden deutlich über 100.000 Euro liegt.
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Allerdings hat das Sozialgericht verkannt, dass das Verfahren in der Hauptsache nicht
auf die Zahlung der als Streitwert festgesetzten Summe gerichtet war, sondern zunächst
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als Anfechtungs- und Verpflichtungsklage sowie anschließend als
Fortsetzungsfeststellungsklage geführt wurde. Ob dem Kläger aufgrund der
rechtswidrigen Entscheidung der Beklagten tatsächlich die genannte Summe
entgangen bzw. ein Schaden in der genannten Höhe entstanden ist, hängt von
zahlreichen weiteren Faktoren ab, bei deren Bestimmung die Rechtswidrigkeit der
zunächst angefochtenen Entscheidung nur ein - wenn auch wesentliches - Element ist.
Andererseits fehlt es angesichts der genannten plausiblen Darlegungen des Klägers zur
Höhe des entgangenen Gewinns nicht völlig an nachvollziehbaren Anhaltspunkten zum
entstandenen Schaden (so aber der Sachverhalt bei LSG Niedersachsen-Bremen,
Beschluss vom 26.2.2003 - L 8 AL 336/02 ER). Der Senat hält es daher für
angemessen, den Streitwert auf die Hälfte des vom Kläger behaupteten entgangenen
Gewinns festzusetzen (zur insoweit vergleichbaren Halbierung des Streitwertes bei
Feststellungsklagen vergl. auch LSG Bayern, Beschluss vom 17.5.2005 - L 3 B 154/05
KA).
Dem Antrag der Beklagten, das Gutachten über die Schadenshöhe abzuwarten, das im
selbständigen Beweisverfahren beim Landgericht Aachen (7 OH 6/09) mit
Beweisbeschluss vom 23.06.2009 angeordnet wurde, war nicht stattzugeben. Eine
Beweiserhebung zur Ermittlung der nach § 52 Abs. 1 GKG für die Bestimmung des
Streitwertes maßgebenden Merkmale ist unzulässig (LSG Nordrhein-Westfalen,
Beschluss vom 25.02.2004 - L 16 B 93/03 KR ER; LSG Schleswig-Holstein, Beschluss
vom 21.07.2008 - L 5 B 154/08). Zudem kann eine Beschwerde gegen die Festsetzung
der Höhe des Streitwertes nicht damit begründet werden, dass im Beschwerdeverfahren
nun die wirtschaftliche Bedeutung der Angelegenheit genau ermittelt werden konnte.
Selbst wenn dies zuträfe, führte dies nicht zur Fehlerhaftigkeit des angefochtenen
Beschlusses, wenn dieser seinerseits auf plausiblen Darlegungen eines Beteiligten
beruht, die durch aktenkundige Unterlagen bestätigt werden (LSG Schleswig-Holstein,
Beschluss vom 21.07.2008 - L 5 B 154/08).
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 68 Abs. 3 GKG.
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Der Beschluss ist nicht mit der Beschwerde anfechtbar (§ 177 SGG).
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