Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 26.06.2003
LSG NRW: stationäre behandlung, nahrung, allein erziehende mutter, wohnung, körperpflege, pflegebedürftigkeit, auto, versorgung, rollstuhl, ernährung
Landessozialgericht NRW, L 16 P 95/00
Datum:
26.06.2003
Gericht:
Landessozialgericht NRW
Spruchkörper:
16. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
L 16 P 95/00
Vorinstanz:
Sozialgericht Köln, S 9 P 5/99
Sachgebiet:
Pflegeversicherung
Rechtskraft:
rechtskräftig
Tenor:
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts (SG)
Köln vom 09.05.2000, berichtigt durch Beschluss vom 13.10.2000,
geändert. Die Klage wird abgewiesen, soweit das SG der Klägerin
Pflegegeld für die Zeit vor dem 4.9.1998 und Pflegegeld der Stufe II für
die Zeit vor dem 1.2.2001 zuerkannt hat. Kosten haben die Beteiligten
einander in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten. Die Revision wird
nicht zugelassen.
Tatbestand:
1
Nachdem die beklagte Pflegekasse im Verlaufe des Rechtsstreits den Anspruch der
Klägerin auf Pflegeleistungen wegen erheblicher Pflegebedürftigkeit (Pflegestufe I) ab
dem 4.9.1998, den auf Leistungen wegen Schwerpflegebedürftigkeit (Stufe II) ab dem
1.2.2001 und den auf Leistungen der Pflegestufe III ab dem 20.8.2002 anerkannt, und
nachdem die Klägerin das Teilanerkenntnis der Beklagten angenommen hat, streiten
die Beteiligten noch, ob die Klägerin - der Verurteilung der beklagten Pflegekasse durch
das SG entsprechend - schon ab dem 1. Januar 1998 erheblich pflegebedürftig und ob
sie bereits ab dem 1. Juli 1998 schwerpflegebedürftig war.
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Die Klägerin ist am ...1939 geboren, geschieden und alleinlebend. Ihre Tochter, die am
...1959 geborene, alleinerziehende, nicht erwerbstätige Mutter eines Kindes, die vom
Senat beigeladene G.H., bezieht Sozialhilfe; sie wohnt nunmehr wenige Häuser von der
Mutter entfernt und hat deren Pflege übernommen.
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Die Klägerin leidet - so eine Bescheinigung von Dr. Sch ..., Oberarzt an der Klinik für
Neurologie des Universitätsklinikums B ..., vom 17.9.2001 - an ei ner seit 1991
progredienten cerebellären (das Kleinhirn betreffenden) Atro phie mit schwerer
körperlicher Ataxie, deutlicher Progredienz von 1998 bis 2001, weiterer
Verschlechterung der Hauptsymptome mit Dysarthrie (Artikulationsstörungen) und
ausgeprägten Koordinationsstörungen der Arme und Beine, ohne begleitende kognitive
Defizite, ohne Hinweise auf Aggravations- oder Simulationstendenzen und mit der
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Notwendigkeit, zum Gehen einen Rollstuhl bzw. einen Rollator zu benutzen. Vom 10.9.
bis zum 22.10.1996 hatte sich die Klägerin einer Rehabilitations-Maßnahme unterzogen
wegen: cerebellären Syndroms, Verdacht auf MS, Hypertonie, Hirnleistungsstörung,
Verdacht auf Polyarthrose und wegen Osteoporose.
Im April 1997 beantragte die Klägerin, ihr Pflegegeld zu gewähren. Sie lei tete den
Anspruch aus der Pflege durch ein im selben Ort ansässiges Ehepaar R. her, von dem
sie bei ihrer Untersuchung durch den Medizinischen Dienst der Krankenkasse (MDK)
am 4.7.1997 berichtete, er mache den Garten, sie die Haus arbeit und helfe ihr zweimal
wöchentlich beim Besteigen der Badewanne. Die Ärztin J ... T ... erklärte in ihrem
Gutachten vom 11.7.1997, die Klä gerin sei arbeitsunfähig entlassen worden, habe
jedoch ihre Arbeit als Buch halterin wieder aufgenommen, da sie sich eine Rente noch
nicht leisten könne; sie fahre mit dem Auto zum Dienst; außerhalb des Hauses sei die
Gehstrecke der Klägerin eingeschränkt; sie müsse sich beim Gehen wegen
Unsicherheit festhalten; sie könne sich aber ohne Hilfe umsetzen, Treppensteigen und
fahre mit dem Auto; mit einem Hilfsmittel sei die Klägerin nicht versorgt; bedarfs weise
erfolgten Praxisbesuche; die Klägerin brauche längere Zeit zum Anziehen und Knöpfen,
erledige aber die gesamte Körperpflege selbst - sie brauche aber zweimal wöchentlich
Hilfe beim Besteigen der Badewanne, was eine täglichen Zeitaufwand von einer Minute
ausmache; im Bereich der Ernährung bestehe kein Hilfebedarf: die Klägerin bereite ihre
Mahlzeiten selbständig zu, esse mit tags in der Kantine und wärme am Wochenende
vorgekochte Sachen auf; der Haupthilfebedarf liege im Bereich der Hauswirtschaft.
5
Die Beklagte entschied, dem Antrag der Klägerin könne nicht entsprochen wer den
(Bescheid vom 14.7.1997).
6
Im nachfolgenden Widerspruchsverfahren legte die Klägerin eine Bescheinigung des
Arztes für Allgemeinmedizin Dr. B ... vom 15.9.1997 vor, des Inhalts, daß die Klägerin
ihre Büroarbeit besser leisten könne als ihre Hausarbeit. Mit Schriftsatz vom 27.11.1997
teilte die Klägerin mit, ihr Haupthilfebedarf liege nicht in der Hauswirtschaft; daher sei
auch eine Änderung der Pflege person erforderlich geworden; bisher sei eine
Berufstätigkeit zugrundgelegt worden, die nun nicht mehr gegeben sei. Im April 1998
übermittelte die Kläge rin der Beklagten ein von ihr und ihrer Tochter, G.H.
unterzeichnetes, nach Vordruck ausgefülltes Pflegetagebuch für die Zeit vom 16. bis
zum 22.3.1998: hier ist im Bereich der Mobilität - neben 60 Minuten für einen nicht näher
bezeichneten Behördengang am 16. und 40 Minuten für einen Arztbesuch am 17.3.1998
- für jeden Tag 15 Minuten Hilfebedarf angegeben unter der Rubrik "Gehen/Bewegen im
Haus" und (für fünf Tage) mit dem Zusatz "Krankengymna stik"; im Bereich der
Ernährung finden sich für jeden Tag je drei Einträge zu 10 Minuten für mundgerechte
Nahrungszubereitung; im Bereich der Körperpflege sind neben täglich 10 Minuten für
die Hilfe beim Kämmen - mit dem Zusatz "ex trem starke Schweißbildung" für jeden
Morgen und jeden Abend je 20 Minuten für die Verrichtung des Duschens angesetzt,
sieht man davon ab, daß für den 21.3.1998 35 Minuten für Hilfe beim Baden vermerkt
sind.
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Am 5.8.1998 machte Dr. Schn ... vom MDK bei der Klägerin einen Hausbesuch. Er teilte
in seinem Gutachten vom 17.8.1998 nach Anhörung der Klägerin mit: die Klägerin habe
die Tür selbst geöffnet und berichtet, daß ihr zum 24.9.1997 von ihrem Arbeitgeber
fristlos gekündigt worden sei, nachdem dieser eine 1990 ausgesprochene Kündigung
nach Kündigungsschutzklage habe zurückneh men müssen; ein
Arbeitsgerichtsrechtsstreit sei noch anhängig; sie sei seit dem 23.9.1997 arbeitsunfähig,
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Mobbing am Arbeitsplatz ausgesetzt gewesen und befürchte, durch eine Vergiftung
durch einen Stoff am Arbeitsplatz krank ge worden zu sein; sie sei versorgt mit Brille und
Rollator; die Pflege erfolge zweimal täglich durch die Tochter G., die in der
Nachbarschaft wohne; sie ha be eine weitere Zunahme der Gleichgewichtsstörungen
bemerkt und könne schlechter laufen; vor zwei Monaten sei sie noch Auto gefahren;
krankengymna stische Übungen mache sie zZt nicht; den Hausarzt Dr. B ... suche sie al
le zwei Monate in Begleitung auf; jeweils einmal im Jahr die Drs. H ... und M ... und alle
6 Monate den Augenarzt Dr. H ... Dr. Schn ... be fand: innerhalb der Wohnung sei die
Klägerin mit Festhalten geh- und stehfä hig; außerhalb wegen Sturzgefahr (zuletzt
12/97) nur in Begleitung und mit Rollator; es bestünden feinmotorische Störungen vor
allen Dingen im Bereich der linken Extremität; die Klägerin sei reaktiv depressiv
verstimmt; sie habe einen Grundpflegebedarf von täglich 15 Minuten; im Bereich der
Körperpflege habe sie keinerlei Hilfebedarf: der von ihr im Pflegeprotokoll angegebene
Hilfebedarf sei so nicht nachvollziehbar; glaubhaft sei aber, daß sie wegen Gang- und
Standsicherheit nicht allein duschen könne, was allerdings durch einen Duschhocker
behoben werden könne (wozu - Anm. des Gerichts - die Be vollmächtigten der Klägerin
später, mit Schreiben vom 21.12.1998 mitgeteilt haben, es sei kein Duschstuhl
eingerichtet worden, es sei vielmehr an der Ba dewanne ein Haltegriff montiert worden);
zuzubilligen seien der Klägerin täglich 2 Minuten Hilfebedarf für den Transfer zur
Badewanne, 5 Minuten für Hilfe beim An- und Auskleiden, täglich 2 Minuten für das
zweimal monatliche Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung und dreimal täglich
Hilfe beim mundgerechten Zubereiten der Nahrung; dieser Hilfebedarf sei wegen der
fein motorischen Störungen plausibel, aber mit der von der Klägerin angegebenen Zeit
von täglich 10 Minuten nicht nachvollziehbar, da die Pflegerichtlinien (BRi) insoweit
eine Richtzeit von 2 bis 3 Minuten pro mundgerechtem Zuberei ten (einer Hauptmahlzeit
einschließlich Vorbereiten eines Getränks) vorsähen.
Die Klägerin wandte dagegen mit Schriftsatz vom 7.9.1998 ein, der Zeitvor gabe von
einer Minute beim Duschen/Baden könne nicht einmal ein gesunder Mensch gerecht
werden; der MDK habe die medizinisch notwendigen Krankengymna stikübungen, die
sie nur unter Aufsicht und aus eigenen Mitteln angeschafft habe, nicht berücksichtigt;
man mache es sich zu einfach, festzustellen, daß diese zZt nicht durchgeführt würden;
seit Dezember 1997 werde die notwendige Pflege kostenlos von einer Pflegeperson
durchgeführt, die eigens zu diesem Zweck von W ... nach R ... gezogen sei; da es sich
um eine allein erziehende Mutter handle, die für ihren Lebensunterhalt selbst
aufkommen müs se, sei eine Rentenversicherung notwendig; die erbrachte
Pflegeleistung liege deutlich über 14 Stunden; durch einen weiteren Unfall am
26.8.1998 sei sie noch zusätzlich in ihren Restfunktionen beeinträchtigt. Dazu reichte
die Klä gerin zu den Akten:
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- eine Bescheinigung des Arztes für Allgemeinmedizin Dr. B ... vom 10.11.1997 über
eine Distorsion am rechten Handgelenk vom 13.10.1997 mit endgradig schmerzhafter
Bewegungseinschränkung vor, - einen Bericht des St ...-Krankenhauses S ... über eine
stationäre Behandlung der Klägerin vom 24.11. bis zum 9.12.1998 wegen einer LWK-
Fraktur ("Patientin soll 6 Wochen nicht sitzen"),
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- eine schriftliche Empfehlung von Dr. B ... vom 1.12.1998, die Klä gerin zu versorgen mit
Haushaltshilfe, Rollstuhl, Toilettensitzerhöhung, Hal tegriffen und Badewannenlifter -
sowie einen Arztbrief der Neurologischen Klinik und Poliklinik B ... über eine stationäre
Behandlung der Klägerin vom 16.9. bis zum 7.10.1998, in dem es heißt, die Aufnahme
sei zur Verlaufskontrolle bei deutlicher Ver schlechterung der cerebellären Symptomatik
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seit ca. einem Jahr erfolgt; es bestünden eine klinisch progrediente Gangataxie,
Dysarthrie und generalisier te Fallneigung; eine Höherstufung der Klägerin erscheine
dringlich, sie sei nicht mehr in der Lage, sich selbst zu versorgen; krankengymnastische
und lo gopädische Betreuung sollten ambulant fortgeführt werden.
Die Widerspruchsstelle der Beklagten wies den Widerspruch der Klägerin mit
Widerspruchsbescheid vom 28.12.1998 mit Hinweis auf die Feststellungen des MDK
zurück.
12
Die Klägerin hat am 14.1.1999 durch den sie vertretenden Verband Klage erho ben und
geltend gemacht, es liege ein solcher Muskelschwund vor, daß sie den Rollator kaum
noch benutzen könne; ihr stünden Leistungen nach Pflegstufe II zu.
13
In einem nach Vordruck der TKK für die Zeit vom 1.1. bis zum 7.1.1999 geführ ten
Pflegetagebuch wies die Tochter der Klägerin jedem Tag jeweils dreimal täglich 5
Minuten für mundgerechtes Zubereiten, 10 Minuten für Hilfe bei der Aufnahme der
Nahrung und 10 Minuten für Hilfe beim Gehen/Bewegen im Haus zu; sie führte weitere
Zeiten unter der Rubrik Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung an - an drei
Tagen mit dem Hinweis "Zahnarzt", einmal mit dem Hinweis "Röntgen" -, für das
Aufstehen und Zu-Bett-Gehen jeweils täglich 5 Minuten, für`s morgendlich
Ankleiden 10 und für abendliche Hilfe beim Auskleiden je weils 5 Minuten. Im Bereich
der Körperpflege finden sich nun immer derselbe Hilfebedarf von täglich 5 Minuten für
die Zahnpflege, jeweils 5 Minuten für morgendliches und abendliches Rasieren und
neben 10 Minuten für morgendliches - weitere 5 Minuten für abendliches Kämmen; die
Hilfe beim Duschen weicht täglich 30-minütiger morgendlicher Hilfe beim Baden und
abends 10-minütiger Hilfe bei der Teilwäsche, sieht man davon ab, daß für den Morgen
des Neujahrstags statt Baden 15 Minuten Hilfe bei der Ganzkörperwäsche ausgewiesen
sind.
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Dr. Schn ... führte in seinem nach Untersuchung der Klägerin und Anhörung von Mutter
und Tochter am 8.1.1999 erstellten Gutachten vom 3.3.1999 und mit einer
Zusatzäußerung vom 22.3.1999 aus, die Klägerin sei jetzt versorgt mit Rollator,
Rollstuhl, Badewannenlifter, Haltegriffen in Wanne und Toiletten sitzerhöhung; es sei zu
einer Verschlechterung des Gangbildes gekommen; Gehen sei nur noch mit dem
Rollator möglich; freies Gehen sei nur kurzfristig mög lich; die Klägerin benötig Hilfe
beim Aufstehen, beim Waschen des Unterkör pers, beim Baden und Anziehen des
Unterkörpers; das Gesicht könne selber ge waschen werden; es erfolge mundgerechte
Vorbereitung der Nahrung; nach Rück sprache mit dem Hausarzt werde deutlich, daß
hinsichtlich Koordinationsmög lichkeit und Gangataxie in den letzten eineinhalb Jahren
eine deutliche Ver schlechterung eingetreten sei; es werde daher Pflegestufe I seit
Dezem ber 1998 empfohlen; im Einzelnen sei ein Grundpflegebedarf von 66 Minuten
anzunehmen (wird ausgeführt).
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Die Beklagte gewährte der Klägerin daraufhin mit Bescheid vom 31.3.1999 Pfle gegeld
der Stufe I ab dem 1.1.1999.
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Das SG hat einen Bericht von Dr. B ... erbeten. Dr. B ... hat seiner Antwort vom
11.3.1999 beigefügt: - Arztbriefe der Internistin K ... vom 5. u 19.12.1997 - Arztbrief der
Nervenärzte Drs. H ... pp vom 18.5.1998 - Arztbrief der Orthopäden Drs. M ... vom
5.1.1999 - Arztbrief des St ...-Krankenhauses S ... über die stationäre Behandlung der
Klägerin vom 24.11. bis zum 9.12.1998.
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Alsdann hat das SG die praktische Ärztin R ... aus T ... zur Sachver ständigen bestellt.
Die Ärztin hat die Klägerin einen Fragebogen ausfüllen lassen, den diese mit Datum
des 30.5.1999 unterzeichnet hat. Die Sachverstän dige hat die Klägerin am 31.5.1999
untersucht. Sie hat in ihrem Gutachten vom 15.11.1999 ausgeführt, sämtliche von der
Klägerin genutzte Räume seien auf einer Ebene; in den Keller gehe sie nicht mehr; es
handle sich um eine schleichende Entwicklung mit Verschlimmerung im Sommer 1998;
bis dahin habe die Klägerin die Füße, wenn auch schleppend, Stufen hochheben
können; seither könne sie die Treppe nicht mehr überwinden; in diesen Zusammenhang
falle die Erhöhung der Grundpflege auf wenigstens 120 Minuten täglich; sie betrage laut
beigefügtem Bogen 169 Minuten (einschließlich eines Hilfebedarfs von täglich 45
Minuten für Hilfe bei der Aufnahme der Nahrung und von wöchentlich 70 Mi nuten für
einen Arztbesuch); wenigstens 46 Minuten Grundpflegebedarf habe be standen, seit die
Klägerin auf den Rollstuhl- bzw. Rollatorgebrauch innerhalb der Wohnung angewiesen
sei (Ende 1997), und mindestens 120 Minuten seit Som mer 1998 mit Verlust der
Treppengehfähigkeit.
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Die Beklagte hat dem Gutachten der Sachverständigen eine Stellungnahme des Dipl-
med. O ... und der Frau L ... vom MDK vom 17.2.2000 entgegengehalten.
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Das SG Köln hat die Beklagte mit Urteil vom 9. Mai 2000, berichtigt durch Be schluß
vom 13.10.2000, dem Antrag der Klägerin entsprechend unter Aufhebung des
Bescheides vom 14.7.1997 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom
28.12.1998 verurteilt, der Klägerin Pflegegeld der Stufe I ab 1.1.1998 und Pflegegeld der
Stufe II ab 1.7.1998 nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmun gen zu zahlen. Das SG
ist den Ausführungen der Sachverständigen R ... gefolgt.
20
Die Beklagte hat gegen das Urteil - ihr zugestellt am 15.6.2000 - am 6.7.2000 Berufung
eingelegt. Sie trägt vor: die Feststellungen der Sachverständigen und des SG seien
nicht schlüssig, insofern als der Wechsel von der Pflegestu fe I zur Stufe II mit dem
Verlust der Treppengehfähigkeit begründet werde, während diese nur im
Zusammenhang mit den gesetzlich definierten "Verrichtun gen im Ablauf des täglichen
Lebens" von Bedeutung und deshalb hier ohne Be lang sei, weil die Klägerin in ihrem
Einfamilienhaus alles Notwendige auf ei ner Ebene erreiche; auch könne ein
Hilfebedarf beim "Verlassen und Wiederauf suchen" nicht berücksichtigt werde, weil die
Klägerin Dr. B ... bis zum Sommer 1998 selbst habe aufsuchen können. weil sie seither
von ihm aufgesucht werde und weil weiterer Bedarf insoweit nicht ersichtlich sei; i.ü.
habe selbst der Hausarzt bestätigt, daß der MDK alle funktionalen Einschränkungen der
Klägerin durchaus hinreichend berücksichtigt habe.
21
Mit Datum des 17.9.2001 bescheinigte Oberarzt Dr. Sch ... von der Klinik und Poliklinik
für Neurologie des Universitätsklinikums B ..., die Klägerin sei dort zuletzt vom 9.2. bis
zum 24.2.2001 wegen ihrer seit 1991 progredienten cerebellären Atrophie stationär
untersucht worden; es sei eine weitere Ver schlechterung der Hauptsymptome mit
Dysarthrie und ausgeprägten Koordina tionsstörungen der Arme und Beine
anzunehmen.
22
Am 5.3.2002 hat Dr. H ... vom MDK die Klägerin untersucht. Er hat in seinem Gutachten
vom 11.3.2002 ausgeführt: neben dem Hilfebedarf im Bereich der Hauswirtschaft von
täglich 81 Minuten sei nun ein Grundpflegebedarf von 154 Minuten anzunehmen (54
Minuten Körperpflege, 44 Minuten Ernährung und 56 Minuten Mobilität einschließlich 26
23
Minuten Transfer); empfohlen werde, die Pflegestufe II seit Februar 2001 anzunehmen,
weil für diese Zeit ein At test vorliege, das Progredienz bescheinige.
In der Sitzung vom 27.6.2002 hat der Senat die mit Beschluss vom 4.7.2002 bei
geladene Tochter der Klägerin - unbeeidigt - als Zeugin zum Hilfebedarf der Mutter
gehört. Auf den Inhalt der Sitzungsniederschrift Bezug genommen.
24
C. B ...-M ... vom MDK ist in einem weiteren Gutachten vom 17.10.2002 nach
Untersuchung der Klägerin am 2.10.2002 zu dem Ergebnis gelangt, der Hil febedarf der
Klägerin habe sich durch eine Humerusfraktur rechts, die ab dem 20.8. 2002
Krankenhausbehandlung notwendig gemacht habe, weiter erhöht und erreiche jetzt mit
263 Minuten Grundpflege die Pflegestufe III.
25
In der mündlichen Verhandlung am 27.3.2003 hat der Senat Dr. B ... zum Hilfebedarf der
Klägerin - unbeeidigt - als Zeugen gehört. Wegen seiner Be kundungen wird auf den
Inhalt der Sitzungsniederschrift verwiesen. In der Sitzung vom 27.3.2003 hat die
Klägerin beantragt, Dr. Sch ... nach § 106 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG), hilfsweise
nach § 109 SGG zum Hilfebedarf zu hören. Der Senat hat die Beweiserhebung nach §
109 SGG mit Beschluss vom sel ben Tage von der Zahlung eines Kostenvorschusses
bis zum 30.4.2003 abhängig gemacht. Die Klägerin hat den Vorschuß nicht eingezahlt
und den Antrag am 14.5.2003 zurückgenommen.
26
Die Beklagte und Berufungsklägerin beantragt,
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das Urteil des SG Köln vom 9.5.2000, berichtigt durch Beschluss vom 13.10.2000, zu
ändern und die Klage abzuweisen, soweit das SG der Klägerin Pflegegeld für die Zeit
vor dem 4.9.1998 und im übrigen Pflegegeld der Stufe II für die Zeit vor dem 1.2.2001
zuerkannt hat.
28
Die Klägerin und Berufungsbeklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
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Sie hält die Feststellungen der Sachverständigen R ... für zutreffend.
30
Die Beigeladene schließt sich dem Antrag der Klägerin an. Sie weist darauf hin, daß es
nach den Krankenhausaufenthalten ihrer Mutter Ende 1998 zu einer ganz gravierenden
Verschlechterung der Situation gekommen sei.
31
Wegen des Sachverhalts im übrigen wird auf den Inhalt der vorbereitenden Schriftsätze
in beiden Rechtszügen verwiesen. Außer der Streitakten haben vorgelegen und sind
Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen: ein Band Verwaltungsakten der
Beklagten sowie die Akte S 23 (4) P 29/01 SG Köln = L 3 B 5/02 P betreffs des
Rechtsstreits der Beigeladenen mit der Beklagten wegen der Entrichtung von Beiträgen
zur Rentenversicherung aus der Pflegever sicherung aufgrund der Pflege der Mutter (§
44 des Sozialgesetzbuches (SGB) XI).
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Entscheidungsgründe:
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Die Berufung der Beklagten ist begründet. Die Klägerin war vor dem 4. Septem ber 1998
nicht erheblich pflegebedürftig und sie war vor dem 1. Februar 2001 nicht
schwerpflegebedürftig iS der §§ 14 und 15 des SGB XI. Auf die Berufung der Beklagten
war daher das der Klägerin gleichwohl entsprechende Leistungen zubilligende Urteil
34
des SG zu ändern und die Klage der Klägerin insoweit ab zuweisen.
I.
35
Wenn die Ärzte der Neurologischen Klinik und Poliklinik B ...in ihrem Arzt brief über die
stationäre Behandlung der Klägerin vom 16.9. bis zum 7.10.1998 eine Höherstufung der
Klägerin für dringlich geboten erklären, weil sie nicht mehr in der Lage sei, sich zu
Hause allein zu versorgen, so greift dies zu kurz. Die Krankheit der Klägerin hatte
unbestritten schon damals einen bekla genswert schnellen und ungünstigen Verlauf
genommen und insbesondere ihren Haushalt konnte die Klägerin seinerzeit sicherlich
schon nicht mehr allein bewältigen. Leistungen aus der Pflegeversicherung werden
jedoch auch bei Vor liegen erheblichster Erkrankungen nur unter den Voraussetzungen
der §§ 14, 15 ff SGB XI gewährt, zu denen es u.a. gehört, daß der Hilfebedarf bei den in
§ 14 Abs 4 SGB XI im Grundsatz abschließend aufgeführten gewöhnlichen und re
gelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens be steht.
Dabei erfordert die Einstufung in die Pflegestufe I (erhebliche Pfle gebedürftigkeit)
neben einem Hilfebedarf im Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung (§ 14 Abs 4 Nr
4 SGB XI), daß der Zeitaufwand, den ein Familienan gehöriger oder eine andere, nicht
als Pflegekraft ausgebildete Pflegeperson für die erforderlichen Leistungen der
Grundpflege benötigt (§ 14 Abs 4 Nr 1 - 3 SGB XI - will heißen für die Körperpflege, die
Ernährung ohne Kochen und für - im wesentlichen häusliche - Mobilität), täglich im
Wochendurchschnitt mehr als 45 Minuten beträgt ( § 15 Abs 3 Nr 1 SGB XI). Einen
solchen Hilfebe darf hatte die Klägerin vor dem 4.9.1998 nicht. Dies steht zur
Überzeugung des Senats aufgrund der Feststellungen des MDK fest. Diese werden
nicht nur durch die Ausführungen des damals schon die Klägerin behandelnden Arztes
für Allgemeinmedizin Dr. B ..., sondern auch durch die damaligen eigenen Ein
lassungen der Klägerseite bestätigt, während demgegenüber die Ausführungen der vom
SG hinzugezogenen Sachverständigen R ... in vielen Punkten nicht überzeugen
konnten.
36
Es ist zwar nicht entscheidend, aber, weil auf Selbständigkeit auch insoweit hinweisend,
Anhaltspunkt für die Bemessung des Hilfebedarfs bei den o.a. Ver richtungen, daß die
Klägerin nach eigenen Angaben noch bis September 1997 als Finanzbuchhalterin
gearbeitet hat und bis ca. Juni 1998 noch mit dem eigenen Auto selbst gefahren ist. Die
Versorgung mit dem Rollator scheint zwischen den Hausbesuchen des MDK vom
4.7.1997 und 5.8.1998 erforderlich geworden zu sein, die mit dem Rollstuhl zwischen
den MDK-Besuchen vom 5.8.1998 und jenem vom 8.1.1999, zu dem der MDK erstmals
erhebliche Pflegebedürftigkeit der Klä gerin hat feststellen können. Jedenfalls hat Dr. B
... bei seiner Verneh mung vor dem Senat am 27.3.2003 bekundet, die Klägerin sei bis
ins Jahr 1998 noch selbst zu ihm in die Praxis gekommen; erst ab dem 4.9.1998, seinem
er sten wegen des vorangegangenen Unfalls notwendigen Hausbesuch, habe sie ihn
nicht mehr in der Praxis aufsuchen können.
37
Wann die Tochter der Klägerin, um deren Versorgung durch die Pflegekasse die Mutter
sich sorgt, erstmals als Pflegeperson ihrer Mutter wesentlich in Er scheinung getreten
ist, hat der Senat auch nach Anhörung der Tochter nicht mit Gewißheit feststellen
können. Die später beigeladene Tochter hat am 27.6.2002 vor dem Senat - sich ständig
widersprechend - behauptet, sie wohne seit Dezember 1997, nein 1998 in R ..., habe
zuvor in W ... ge wohnt und sei schon seit Anfang 1997 jeden Tag mit dem Auto zur
Mutter gefah ren, manchmal auch zwei Tage nicht und auch nicht schon, bevor die
Mutter bis September 1997 zur Arbeit gefahren sei, dann aber dreimal täglich. Die Kläge
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rin selbst hingegen, die zunächst nur das Ehepaar R. als Pflegepersonen ange geben
hatte, hat die Hilfe ihrer nach Auskunft des Meldeamtes ab dem 1.12.1997 von W ...
nach R ... abgemeldeten Tochter erstmals mit Schreiben vom 27.11.1997 aktenkundig
gemacht, mit der merkwürdig indirekten Formulierung, es sei eine Änderung der
Pflegeperson erforderlich geworden, und ohne darzulegen, daß sich auch eine
Änderung ihres bisherigen Hilfebe darfs ergeben hätte, also der bis dahin geschilderten
Hilfe in Haus und Gar ten sowie zweimal wöchentlich beim Besteigen der Badewanne.
Selbst anhand der Angaben, die Mutter und Tochter im Pflegetagebuch für die Zeit vom
16. bis zum 22.3.1998 gemacht haben, ergibt sich indes, mißt man die Angaben an
objektivierbaren Gegebenheiten und am Recht des SGB XI, nicht annähernd das
Vorliegen eines Grundpflegebedarfs von regelmäßig täglich mehr als 45 Minuten.
Danach müßte zunächst alles, was aaO zur Mobilität angegeben ist, unberücksichtigt
bleiben, denn in die o.a. Verrichtungen sind nicht ein bezogen Krankengymnastik im
Haus (vgl. Bundessozialgericht (BSG) in SozR 3-3300 § 14 Nr 9) und Verrichtungen, die
nicht mit gewisser Regelmäßigkeit wenigstens einmal pro Woche anfallen (vgl. BSG in
SozR 3-3300 § 14 Nr 10 und § 15 Nr 11). Von der im Pflegetagebuch behaupteten
täglich 30-minütigen Hilfe beim mundgerechten Zubereiten der Nahrung könnten - unter
Mitberücksichtigung der Richtlinien der Spitzenverbände der Pflegekassen (BRi) -
höchstens die dann im MDK-Gutachten vom 17.8.1998 von Dr. Schn ... angesetzten 6
Minuten berücksichtigt werden, gehört doch zur Verrichtung der mundgerechten Zuberei
tens der Nahrung nicht etwa das der hauswirtschaftlichen Versorgung zuzurech nende
Kochen (§ 14 Abs 4 Nr 4 SGB XI), sondern nur die letzten der Nahrungs aufnahme
vorhergehenden Maßnahmen wie Zerkleinern, Trennen nicht eßbarer Be standteile,
Herauslösen von Knochen pp (vgl. BSG Urt.v. 19.2.98 B 3 P 5/97 R; v. 31.8.00 B 3 P
14/99 R). Für die dann auch von Dr. Schn ... akzeptierte Hilfe beim Kämmen sehen die
BRi Orientierungswerte von 1 bis 3 Minuten vor; der von Dr. Schn ... zugrundgelegte
Mittelwert von 2 Minuten hätte nur über schritten werden können, wenn insoweit
besondere Erschwernisse erkennbar ge worden wären. Selbst wenn man aber mit der
Sachverständigen Dr. R ... im Gutachten vom 15.11.1999 von einem Hilfebedarf von
täglich 3 x 3 Minuten für das mundgerechte Zubereiten der Nahrung und von 2 x 2
Minuten für das Kämmen ausgehen und das Vorliegen eines solchen Bedarfs auch
schon für die Zeit vor dem 4.9.1998 bejahen würde, fehlte es zur Einstufung in die
Pflegestufe I an einem weiteren Grundpflegebedarf von täglich mehr als 32 Minuten.
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Dieser wurde jedenfalls bis zum 4.9.1998 durch den auch nach den Darlegungen der
Klägerseite damals allenfalls verbleibenden Bedarf beim Waschen/Duschen/ Baden
nicht erreicht. Soweit die Klägerin und ihre Tochter im Pflegetagebuch wegen "extrem
starker Schweißbildung" behaupten, die Tochter helfe der Mutter mit Ausnahme eines
Badetages jeden Morgen und jeden Abend 20 Minuten beim Du schen, kann dies als
Notwendigkeit nicht erkannt werden, denn der Hilfebedarf der Klägerin resultierte
insoweit nach ihren eigenen Darlegungen im wesentli chen aus der Sturzgefahr, also
insbesondere der Notwendigkeit von Hilfe beim Einstieg und Ausstieg, und daneben
soll nicht die vollständige Übernahme, sondern nur eine Teilbeteiligung am
Waschvorgang erforderlich gewesen sein, wofür damals allein und allenfalls die von Dr.
Schn ... schon am 5.8.1998 beobachteten feinmotorischen Störungen vor allem im
Bereich der linken Extre mität verantwortlich gemacht werden konnten. Zudem hat die
Klägerin demgegen über noch mit Datum des 30.5.1999 in dem Vordruck, den sie die
Sachverständi ge Dr. R ... hat ausfüllen lassen, lediglich 15-minütige Hilfe beim Baden
gegen 8 Uhr 30 und 5 Minuten Hilfe beim Waschen gegen 19 Uhr angegeben.
Jedenfalls bis zum 3.9.1998 hält daher auch der Senat allenfalls das für erfor derlich,
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was Dr. Schn ... vom MDK selbst im späteren Gutachten vom 3.3.1999 noch für
ausreichend erachtet hat: nämlich einmal täglich 5 Minuten Hilfe bei der Teilwäsche des
Oberkörpers neben einmal täglich 20 Minuten Hilfe beim Ba den, nachdem er zuvor, im
zeitnahen Gutachten vom 17.8.1998 die Angaben der Klägerin zum Duschen/Baden für
nicht nachvollziehbar und Hilfe beim Transfer sowie die Versorgung mit einem
Duschhocker für ausreichend erklärt hat, die die Klägerin nach Montierung eines
Haltegriffs in der Badewanne und wohl auch, weil sie einen Badelifter bevorzugte, für
entbehrlich gehalten hat. Das Gutachten der Sachverständigen Dr. R ... hier im übrigen
zu erörtern er übrigt sich, denn diese hat ihre Annahme von erheblicher
Pflegebedürftigkeit in ihren auf der Untersuchung vom 31.5.1999 gründenden
Feststellungen allein damit begründet, daß ein Grundpflegebedarf von mindestens 46
Minuten anzuneh men sei, "seit sie auf den Rollstuhlgebrauch (handschriftlich ohne
Namenszei chen geändert in "Rollator") innerhalb der Wohnung angewiesen sei". Ein
sol cher Umstand ist aber nicht einmal gleichbedeutend mit dem Vorliegen eines
Grundpflegebedarfs im Sinne des Gesetzes von auch nur einer Minute; das be darf
vielmehr der Darlegung im Einzelnen.
Konnte danach bis jedenfalls zum 4.9.1998 von Pflegebedürftigkeit i.S. der §§ 14,15
SGB XI nicht ausgegangen werden, so hat dies der die Klägerin behan delnde Dr. B ...
bestätigt, und Dr. B ... ist derjenige, der außer der Klägerin und ihrer Tochter mit den hier
fraglichen Umständen am ehesten vertraut ist. Dr. B ... hat schon in seiner Äußerung
vom 11.3.1999 er klärt, dem Gutachten des MDK sei nichts hinzuzufügen; seit dem
20.11.1998 sei eine deutliche Verschlechterung eingetreten. Dr. B ... hat am 27.3.2003
vor dem Senat noch einmal sein Einverständnis mit der Einschätzung des MDK erklärt,
und sein Hinweis auf die Notwendigkeit von Hausbesuchen ab dem 4.9.1998 war es,
der die Beklagte bewogen hat, ihr Anerkenntnis von erhebli cher Pflegebedürftigkeit auf
Vorschlag des Senats auf diesen Zeitpunkt vor zuverlegen.
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II.
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Ebensowenig konnte sich der Senat davon überzeugen, daß die Klägerin vor dem
1.2.2001 schwerpflegebedürftig geworden wäre. Dies hätte u.a. vorausgesetzt, daß
zuvor schon regelmäßig ein Grundpflegebedarf von mindestens zwei Stunden täglich im
Wochendurchschnitt angefallen wäre (§ 15 Abs 3 Nr 2 SGB XI). Dies läßt sich weder
durch das Gutachten der Sachverständigen R ... noch durch die Bekundungen des die
Klägerin behandelnden Arztes Dr. B ... belegen, und einer solche Annahme ständen die
eigenen Angaben der Klägerin entgegen! Dabei geht auch der Senat durchaus davon
aus, daß der Zustand der Klägerin, wie er durch die Unfälle und
Krankenhausbehandlung am Ende des Jahres 1998 geprägt und evident geworden war
und zur Gewährung von Pflegegeld der Stufe I geführt hat, weitere Verschlechterung
erfahren hatte. Was die Frage der Einstufung in die Pflegestufen anbetrifft ist aber das,
was dabei für die Sachverständige R ... von entscheidender Bedeutung gewesen ist, -
darauf weisen Berufungs klägerin und MDK mit Recht hin - tatsächlich ohne jeden
Belang. Zwar gehört das Treppensteigen zu den nach § 14 Abs 4 Nr 3 SGB XI
berücksichtigungsfähi gen Grundpflegeverrichtungen, es ist jedoch im Fall der Klägerin
zur Bewälti gung der o.a. weiteren Verrichtungen nicht erforderlich gewesen, und
solcher Art Hilfe ist in die Feststellung des hier maßgeblichen Hilfebedarfs nur in soweit
einbezogen, als die Hilfe beim Treppensteigen in Zusammenhang mit den anderen
häuslichen Verrichtungen oder mit den existenzsichernden außerhäusli chen
Verrichtungen notwendig wird (BSG Urt.v. 29.4.99 B 3 P 7/98 R = SozR 3-3300 § 14 Nr
10). Die Sachverständige selbst hat dazu in ihrem Gutachten vermerkt, die Klägerin
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bewohne ebenerdig ein Einfamilienhaus; sämtliche von der Klägerin genutzten Räume
seien auf einer Ebene. Die Tatsache, daß die Klägerin Treppen zu besteigen nicht mehr
in der Lage war, konnte hier schließlich auch nicht Hinweis und Anhalt dafür sein, daß
ihre Selbständig keit im Hinblick auf die hier maßgeblichen weiteren Verrichtungen
weiter ein geschränkt gewesen wäre als bisher angenommen. Das hat auch die
Sachverstän dige R ... nicht dargelegt.
Maßgeblich für die spätere Zuerkennung der Pflegestufe II ab dem 1.2.2001 wa ren
denn in erster Linie auch der im MDK-Gutachten des Dr. H ... vom 11.3.2002 zuerkannte
neue Hilfebedarf von 35 Minuten bei der Aufnahme der Nahrung und daneben der
erweiterte Transferbedarf (Gehen und Stehen) von 26 Minuten.
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Was das Hinzutreten eines Hilfebedarfs bei der Aufnahme der Nahrung anbe trifft, so
hatte die Klägerin bereits im Vordruck der Sachverständigen am 30.5.1999 behauptet,
sie müsse dreimal täglich 5 Minuten (= 105 Minuten wö chentlich) gefüttert werden. Die
Sachverständige R ... ist in ihrem Gutach ten vom 15.11.1999 darüber und über die
Orientierungswerte der BRi ohne jeg liche Begründung hinausgegangen und hat
insoweit statt des behaupteten täg lichen Hilfebedarfs von 15 Minuten einen solchen
von täglich 45 Minuten an gesetzt. Die Sachverständige hat es dabei nicht einmal für
notwendig erach tet, die grundsätzliche Erforderlichkeit von Hilfe bei der Aufnahme der
Nah rung zu erörtern. Es finden sich in ihrem Gutachten allenfalls Bemerkungen wie die,
daß die Klägerin das Schreibgerät und zeitweilig auch eine Kaffee tasse nicht halten
kann, nicht aber eine konkrete Darlegung, inwieweit die Klägerin ihrer Auffassung nach
regelmäßig Hilfe bei der Aufnahme der Nahrung braucht. Dabei bestand nicht nur
insoweit zur Erörterung vermehrt Anlaß, weil die verschiedentliche Darstellung des
Hilfebedarfs durch die Klägerin und ih re Tochter auch bei Berücksichtigung eines
veränderten Gesundheitszustandes mitunter kaum nachvollziehbar ist.
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So hatte die Aufnahme der Nahrung betreffend Dr. B ... im Gutachten vom 15.9.1997
festgehalten, die Klägerin frühstücke und esse zu Mittag in der Kantine ...; Dr. Schn ...,
dem damals wie erörtert, die feinmotorischen Stö rungen schon bekannt waren, weiß im
Gutachten vom 17.8.1998 nur zu berichten, daß die Tochter die Mahlzeiten zubereite; im
Pflegetagebuch für die Zeit vom 1.1. bis zum 7.1.1999 wird dann erstmals neben einem
Hilfebedarf für das mundgerechte Zubereiten auch ein solcher für die Aufnahme der
Nahrung (von dreimal täglich 5 Minuten) geltend gemacht, während im Gutachten des
Dr. Schn ... vom 3.3.1999, der Mutter und Tochter am 8.1.1999 gehört hatte, wiederum
nur das mundgerechte Zubereiten erwähnt und berücksichtigt ist. Nachdem nun Dr. H ...
der Klägerin im Gutachten vom 11.3.2002 einen Hilfebe darf von täglich 35 Minuten für
die Aufnahme der Nahrung und die Pflegestu fe II schon ab Februar 2001 zugebilligt
hatte, hat die Tochter der Klägerin bei ihrer Vernehmung durch den Senat am 27.6.2002
- und hier ohne wenn und aber - erklärt "sie koche die Mahlzeiten, essen könne ihre
Mutter allein, d.h. sie müsse es ihr mundgerecht zubereiten, sie schneide die Brote klein,
Trinken könne sie auch allein, mit großen Schwierigkeiten könne sie sich ein Getränk
einschütten."
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Die Sachverständige R ... hat ferner und auch nur u.a. nicht erläutert, wel che
Gegebenheiten es rechtfertigen, daß die Klägerin selbst im Vordruck vom 30.5.1999 im
Bereich Waschen/Duschen/Baden einen Hilfebedarf von 5 Minuten für tägliche Hilfe
beim Waschen um 19 Uhr anführt sowie einen weiteren von 15 Minuten für tägliches
Baden um 8 Uhr 30, während die Sachverständige eine Notwendigkeit von täglich 10
Minuten Hilfe beim Waschen und 30 Minuten beim Baden sieht. Daß die behauptete
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tatsächliche Hilfe nicht ausreichend sein könnte, hat die Sachverständige nicht
dargelegt. Hilfe für Arztbesuche (nach dem Gutachten 70 Minuten wöchentlich) hätte die
Sachverständige schließlich überhaupt nicht berücksichtigen dürfen, denn die Klägerin
suchte schon damals nicht regelmäßig wenigstens einmal wöchentlich den Arzt auf;
insbesondere nicht ihren Hausarzt Dr. B ..., der seit dem 4.9.1998 bei ihr Hausbesuche
macht, wie er dies am 27.3.2003 vor dem Senat bekundet hat, und wie dies die Tochter
ähnlich schon in der Sitzung vom 27.6.2002 erklärt hatte. Soweit die Mutter im Vordruck
vom 30.5.1999 Hilfebedarf (7 x wöchentlich je 20 Minuten) auch unter der Rubrik
"Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung (z.B. Arzt besuche, Krankengymnastik)"
geltend gemacht hat, kann dies also nicht auf das Verlassen der Wohnung zwecks
regelmäßigen Arztbesuchs zielen, und auch die Krankengymnastik fand nach
Darlegungen im Gutachten von Frau R ... nach wie vor nur im häuslichen Bereich statt.
Selbst diese eigenen Darlegungen der Klägerin vom 30.5.1999 rechtfertigen we gen
dieses und weiteren nicht berücksichtigungsfähigen Hilfebedarfs eine frü here
Einstufung in die Pflegestufe II nicht annähernd. Von der 1379 Minuten wöchentlichen
Grundpflegebedarfs, die die Klägerin sich aaO zugeschrieben hat, könnten die von der
Klägerin angeführten 105 min für dreimal tägliches mundgerechtes Zubereiten allenfalls
mit dem vom MDK nach den BRi angenommen Wert von 9 Minuten täglich
berücksichtigt werden; die Notwendigkeit des ange blich darüber hinausgehenden
Zeitbedarfs ist angesichts des o.a. Verständnis ses des Begriff des mundgerechten
Zubereitens in der Rechtsprechung des BSG irreal. Irreal ist auch der Ansatz von
jeweils 350 Minuten wöchentlich für das Gehen und Stehen. Auch diese Begriffe sind
nach der Rechtsprechung des BSG einschränkend zu interpretieren, nämlich dahin daß
auch diese Verrichtun gen nur insoweit zu berücksichtigen sind, als es um Hilfe in
Zusammenhang mit den anderen häuslichen Verrichtungen sowie mit den
existenzsichernden außer häuslichen Verrichtungen geht (Urt.v. 29.4.99 B 3 P 7/98 R =
SozR 3-3300 § 14 Nr 10). In Betracht kamen hier also nur die Transferleistungen, die
notwendig waren, um der Klägerin das Waschen/Duschen/Baden zu ermöglichen und
die die Sachverständige R ... mit täglich 10 Minuten (vielleicht auch zweimal 10 Minu
ten) berücksichtigt hat, und für die Dr. H ... der Klägerin im Gutachten vom 11.3.2002 26
Minuten zugebilligt hat.
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Bereinigt nur um diese Gesichtspunkte ergibt sich also aus der Darstellung der Klägerin
vom 30.5.1999, auch wenn man es beim Ansatz von wöchentlich 105 Minuten fürs
Füttern beläßt, ein täglicher Grundpflegebedarf der dem von Dr. Schn ... im Gutachten
vom 3.3.1999 angenommenen Bedarf von 66 Minuten Grundpflege nahekommt.
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Eine der Klägerin günstigere Sicht der Dinge konnte trotz vereinten Bemühens des
Senats und der Bevollmächtigten der Klägerin auch Dr. B ... nicht ab gewonnen werden.
Er hat am 27.3.2003 vor dem Senat erklärt, er stimme den Aussagen des genannten
MDK-Arztes Dr. H ... auch zu, daß eine Verschlechte rung, die die Pflegestufe II
begründen könnte, jedenfalls für Anfang 2001 vertreten werden könne; für die Jahre
1999 und 2000 jedoch vermöge er nicht zu sagen, daß sich der Gesundheitszustand
gegenüber den vorherigen Feststel lungen signifikant verändert habe ...
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Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 193 Abs 1 und 4 des Sozialge
richtsgesetzes (SGG) unter Berücksichtigung der Tatsache, daß einem dem be
rücksichtigungsfähigen Hilfebedarf nach nicht annähernd gerechtfertigten Lei
stungsantrag eine dem berücksichtigungsfähigen Hilfebedarf nach nicht annä hernd
gerechtfertigte Klage gefolgt ist, während die Beklagte belegbaren Ver änderungen des
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maßgeblichen Hilfsbedarfs stets angemessen Rechnung getragen hat.
Es bestand kein Anlaß, die Revision zuzulassen, denn weder hat die Rechts sache
grundsätzliche Bedeutung (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) noch weicht das Urteil von einer
Entscheidung des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichts höfe des
Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) ab und beruht auf dieser
Abweichung (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG).
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