Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 14.08.2009

LSG NRW (höhe, anpassung, kläger, ermittlung, aussicht, heizung, beschwerde, empfänger, prüfung, gestaltungsspielraum)

Landessozialgericht NRW, L 19 B 25/09 AS
Datum:
14.08.2009
Gericht:
Landessozialgericht NRW
Spruchkörper:
19. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
L 19 B 25/09 AS
Vorinstanz:
Sozialgericht Köln, S 19 AS 117/08
Sachgebiet:
Grundsicherung für Arbeitssuchende
Rechtskraft:
rechtskräftig
Tenor:
Die Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss des Sozialgerichts
Köln vom 09.01.2009 wird zurückgewiesen.
Gründe:
1
Die Beklagte bewilligte dem Kläger für die Zeit vom 01.09.2007 bis zum 31.08.2008
Grundsicherungsleistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II)
zunächst in Höhe von monatlich 709,90 Euro (Bescheide vom 23.08.2007 und
25.01.2008) und erhöhte diese Leistung ab dem 01.07.2008 auf 713,90 Euro sowie ab
dem 01.09.2008 im Hinblick auf die vom Kläger ab diesem Zeitpunkt zu zahlende
höhere Miete (Änderungsbescheide vom 17.05.2008 und 25.07.2008). Sämtliche
Widersprüche gegen diese Bescheide blieben erfolglos (Widerspruchsbescheid vom
21.08.2008).
2
Das hiergegen angerufene Sozialgericht Köln hat Prozesskostenhilfe mit Beschluss
vom 09.01.2009 abgelehnt, weil die Beklagte den gesetzlich vorgesehenen Regelsatz
sowie die tatsächlich aufgewendeten Unterkunftskosten bewilligt habe und für eine
Verfassungswidrigkeit der gesetzlichen Bestimmungen insoweit keinen Anhalt bestehe.
3
Die dagegen gerichtete Beschwerde ist zulässig, aber nicht begründet.
4
Nach § 73 a Sozialgerichtsgesetz (SGG) i.V.m. §§ 114, 115 Zivilprozessordnung (ZPO)
erhält ein Beteiligter, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen
die Kosten der Prozessführung nicht aufbringen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe,
wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und
nicht mutwillig erscheint. Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht gegeben.
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Das Sozialgericht hat die hinreichende Aussicht auf Erfolg vorliegend zutreffend
verneint. Die Prüfung der Erfolgsaussicht dient nicht dazu, die Rechtsverfolgung oder
Rechtsverteidigung selbst in das Nebenverfahren der Prozesskostenhilfe
vorzuverlagern und dieses an die Stelle des Hauptsacheverfahrens treten zu lassen.
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Das Prozesskostenhilfeverfahren will den Rechtsschutz, den der Rechtsstaatsgrundsatz
erfordert, nicht selbst bieten, sondern zugänglich machen. Deshalb darf und muss sich
das Gericht mit einer vorläufigen Prüfung der Erfolgsaussichten begnügen (BVerfG
Beschluss vom 07.05.1997 - 1 BvR 296/94 = NJW 1997, 2745). Der Erfolg braucht also
nicht gewiss zu sein, er muss aber nach den bisherigen Umständen eine gewisse
Wahrscheinlichkeit für sich haben. Prozesskostenhilfe kann verweigert werden, wenn
ein Erfolg in der Hauptsache zwar nicht schlechthin ausgeschlossen ist, die
Erfolgschance aber nur eine entfernte ist (BSG Beschluss vom 17.02.1998 - B 13 RJ
83/97 R = SozR 3-1750 § 114 Nr. 5; BVerfG Beschluss vom 14.04.2003 - 1 BvR 1998/02
= NJW 2003, 296; BVerfG Beschluss vom 29.09.2004 - 1 BvR 1281/04 = NJW-RR 2005,
140). Ausgehend von seinem Sachvortrag wendet sich der Kläger im erstinstanzlichen
Verfahren vorrangig gegen die Höhe der bewilligten Regelleistung nach § 20 SGB II.
Die Beklagte hat die Regelleistung jedoch entsprechend den gesetzlichen Vorgaben
nach § 20 Abs. 2 Satz 1 SGB II i.d.F. ab dem 01.07.2008 (BGBl. I, 1102) für den
Zeitraum vom 01.11.2008 bis zum 30.04.2009 zutreffend auf 351,00 EUR festgesetzt.
Durchgreifende verfassungsrechtliche Bedenken gegen die gesetzlich festgeschriebene
Höhe der Regelleistung für Alleinstehende ab dem 01.07.2008 bestehen zur
Überzeugung des Senats nicht.
7
Nach der gefestigten Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ist der Ansatz eines
Regelsatzes von 345,00 EUR für Alleinstehende ab dem 01.05.2005 sowie das
Verfahren zur Ermittlung der Regelleistung verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
Das Bundessozialgericht hat mehrfach unter kritischer Auseinandersetzung mit
Stimmen in der Literatur, die von einer Verfassungswidrigkeit des § 20 Abs. 2 SGB II
ausgehen, entschieden, dass die Regelleistung für Alleinstehende von 345,00 EUR ab
dem 01.01.2005 mit der Verfassung vereinbar ist (siehe Zusammenfassung der
Rechtsprechung in BSG Vorlagebeschluss vom 27.01.2009 - B 14/11b AS 9/07 R = juris
Rn 25 mit weiteren Rechtsprechungsnachweisen). Nach der Konzeption des Art. 1 GG
und des Art. 20 Abs. 1 GG ist es in erster Linie Aufgabe des Gesetzgebers, die Höhe
des verfassungsrechtlich gesicherten Existenzminimums auszugestalten. Das
verfassungsrechtlich durch Sozialleistungen zu sichernde Existenzminimum ist nicht
exakt bezifferbar, sondern es ist Aufgabe des Gesetzgebers, dieses einzuschätzen,
wobei er nicht nur die Wertordnung des Grundgesetzes, sondern auch die jeweiligen
gesamtwirtschaftlichen Rahmenbedingungen zu berücksichtigen hat (vgl. BSG
Vorlagebeschluss vom 27.01.2009 - B 14/11b AS 9/07 R = juris Rn 25; Urteil vom
22.04.2008 - B 1 KR 10/07 R = juris Rn 31). Der Gesetzgeber hat den ihm von
Verfassungs wegen zustehenden Gestaltungsspielraum nicht überschritten, als er die
Regelleistung zur Sicherung des Lebensunterhalts nach § 20 Abs. 2 SGB II für
Alleinstehende ab dem 01.01.2005 mit 345,00 EUR festgesetzt hat. Die Regelleistung
nach § 20 Abs. 2 SGB II ist in ein Gesamtleistungssystem integriert, das sich nicht in der
Gewährung der Regelleistung nach § 20 SGB II erschöpft, sondern auch die Kosten für
Unterkunft und Heizung nach § 22 SGB II, Mehr- und Sonderbedarfe nach § 21, 23 SGB
II, den Zuschlag nach § 24 SGB II, die Leistungen zur Eingliederung in Arbeit nach §§
14 ff SGB II, die Einbeziehung der Hilfebedürftigen in den Schutz der gesetzlichen
Sozialversicherung sowie die Möglichkeit, in Ausnahmefällen Leistungen nach dem
SGB XII beziehen zu können, mitumfasst. Es existiert kein Rechtsanspruch auf ein
bestimmtes inhaltliches Verfahren bzw. Verfahrensergebnis zur Ermittlung der
Regelleistung. Es liegt im Gestaltungsermessen des Gesetzgebers, dass er das sog.
Statistikmodell der Bedarfsbemessung zugrunde gelegt hat (vgl. BSG Vorlagebeschluss
vom 27.01.2009 - B 14/11b AS 9/07 R = juris Rn 25 mit weiteren
8
Rechtsprechungsnachweisen). Der Senat schließt sich insofern der Rechtsprechung
des Bundessozialgerichts an.
Ebenso ist das in § 20 Abs. 4 SGB II vorgesehene Verfahren der Anpassung der
Regelleistung, das sich am Renteneckwert orientiert, nach der Rechtsprechung des
Bundessozialgerichts dem Grunde nach verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden
(BSG Urteile vom 27.02.2008 - B 14/7b AS 32/06 R = juris Rn 36f; vom 27.01.2009 - B
14/7b AS 14/07 R = juris Rn17 und vom 22.04.2008 - B 1 KR 10/07 R = juris Rn 48).
Zwar hat das Bundessozialgericht die vom Gesetzgebers gewählte Anknüpfung der
Anpassung an die Änderung des aktuellen Rentenwertes als sachwidrig angesehen
(BSG Urteil vom 27.02.2008 - B 14/7b AS 32/06 R = juris Rn 36 mit
Literaturnachweisen), jedoch eine Verfassungswidrigkeit des Anpassungsmechanismus
verneint. Der Gesetzgeber durfte eine Anpassungsregelung wählen, die eine
Anpassung der Regelleistung analog zur Änderung des aktuellen Rentenwertes in der
gesetzlichen Rentenversicherung bis zu einer mit statistischen Methoden
durchgeführten Neubemessung bei Vorliegen einer aktuelleren Einkommens- und
Verbrauchsstichprobe gewährleistet. Zum einen stellt die Verweisung in § 20 Abs. 4
Satz 2 SGB II auf § 28 Abs. 3 Satz 5 SGB XII sicher, dass die Bemessung des
Regelsatzes überprüft und ggf. weiterentwickelt wird, sobald die Ergebnisse einer
neuen Einkommens- und Verbrauchsstichprobe vorliegen. Zum anderen kann ein
Anspruch auf einen bestimmten Mechanismus oder zeitlichen Turnus der Anpassung
aus Art. 1 GG i.V.m. Art. 20 GG nicht abgeleitet werden, wobei dem Gesetzgeber auch
hinsichtlich der Anpassung der Regelsätze ein Gestaltungsspielraum einzuräumen ist.
Die Orientierung an der Entwicklung des aktuellen Rentenwertes spiegelt annähernd
die auch für die Bemessung der Leistungen nach dem SGB II zu beachtende allgemeine
Einkommensentwicklung wider.
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Der Gesetzgeber hat seiner Beobachtungspflicht nach § 20 Abs. 4 Satz 2 SGB II genügt,
insofern er die Regelsatzbemessung an Hand der Ergebnisse der Einkommens- und
Verbrauchsstichprobe 2003 überprüft und die Regelsatzverordnung (BGBl. I, 2657) mit
Wirkung zum 01.01.2007 entsprechend geändert hat (vgl. BR-Drucks. 635/06). Nach
dem Ergebnis der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe 2003 ist keine Erhöhung der
Regelleistung, sondern nur eine Änderung der Zusammensetzung der
regelsatzrelevanten Anteile der jeweiligen Einzelpositionen der Einkommens- und
Verbrauchsstichprobe erforderlich gewesen. Des weiteren ist die Regelleistung
entsprechend den Vorgaben des § 20 Abs. 4 Satz 1 SGB II zum 01.07.2007 auf 347,00
EUR (0,54 %) und zum 01.07.2008 auf 351,00 EUR (1,1 %) erhöht worden. Allein aus
der Tatsache, dass die Höhe der Dynamisierung der Regelleistung in den Jahren 2005
bis 2008 nicht der Preissteigerungsrate (vgl. Verbrauchspreisindex des Statistischen
Bundesamtes unter
ww.destatis.de/jetspeed/portal/cms/Sites/destatis/Internet/DE/Content/Statisitk)
entsprochen hat, lässt sich die Verfassungswidrigkeit des Regelsatzes nicht ableiten.
Aus Art. 1 GG i.V.m. Art. 20 GG kann eine grundrechtlich geschützte Position auf eine
kontinuierliche Anpassung der Regelleistung nach einem bestimmten Mechanismus,
nämlich Ausgleich der Inflationsrate, nicht abgeleitet werden (BSG Urteil vom
27.02.2008 - B 14/7b AS 32/06 R = juris Rn 36; Spellbrink, Ist Hartz IV bedarfsdeckend?
Verfassungsrechtliche Problem der Regelleistung gem. § 20 SGB II, ArchsozArb 2008, 4
(18)). Es sind keine konkreten Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die Regelleistung
von 351,00 EUR ab dem 01.07.2008 im Hinblick auf die Inflationsrate in den Jahren
2005 bis 2008 trotz der erfolgten Anpassung auf Dauer nicht mehr das von Art. 1 GG
geforderte existenzsichernde Niveau sichert (vgl. LSG NW Beschluss vom 21.04.2009 -
10
L 7 B 93/09 AS). Dabei hat der Senat berücksichtigt, dass nach den Angaben des
Statistischen Bundesamtes Deutschland
(ww.destatis.de/jetspeed/portal/cms/Sites/destatis/Internet/DE/Content/Statisitk) die
Verbrauchspreise im Jahr 2005 im Vergleich zum Vorjahr um 1,5 %, im Jahr 2006 um
1,6 %, im Jahr 2007 um 2,3 % sowie im Jahr 2008 um 2,6% gestiegen sind und im Jahr
2007 eine Anpassung der Regelleistung um 0,54 % und im Jahr 2008 um 1,1 % erfolgt
ist. Die Höhe der Inflationsrate in den Monaten Juli 2007 (2,0 %) und Juli 2008 (3,3 %)
genügt allein nicht, um ein Unterschreiten des nach Art. 1 GG zu sichernden
Existenzminimums anzunehmen, zumal auch die übrigen Leistungen des SGB II,
insbesondere die Übernahme der tatsächlichen Kosten für Unterkunft und Heizung nach
§ 22 SGB II in die Wertung miteinzubeziehen sind.
Ebenfalls lässt sich die Verfassungswidrigkeit der Höhe der Regelleistung nach der
Rechtsprechung des Bundessozialgerichts nicht aus einem Verstoß gegen den
allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG herleiten. Zwar werden die Empfänger
von Leistungen nach dem SGB II gegenüber denen nach dem SGB XII insofern ungleich
behandelt, als sie trotz identischer Höhe der Regelleistung durch die Regelung des § 5
Abs. 2 Satz 1 SGB II von den ergänzenden Leistungen nach dem Dritten Kapitel des
SGB XII ausgeschlossen sind. Diese Ungleichbehandlung ist bei Erwachsenen jedoch
sachlich gerechtfertigt, da die Empfänger von Leistungen der Grundsicherung für
Arbeitssuchende grundsätzlich noch erwerbsfähig i.S.d. § 8 SGB II sind. Der ggf etwas
knapper ausfallende Leistungsrahmen des SGB II lässt sich typisierend mit dem
Umstand rechtfertigen, dass der erwachsene und erwerbsfähige Leistungsempfänger
nach dem SGB II tatsächlich noch in der Lage ist, seinen Lebensunterhalt durch
Erwerbseinkommen zu verdienen bzw. seinen Lebensunterhalt durch zusätzliche
Aufnahme bezahlter Arbeiten zu steigern. Die Sozialhilfe stellt dagegen eine
Residualkategorie dar, die Menschen in Anspruch nehmen müssen, die sich
grundsätzlich nicht mehr durch Erwerbstätigkeit selbst helfen können (vgl. BSG
Vorlagebeschluss vom 27.01.2009 - B 14/11b AS 9/07 R = juris Rn 38).
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In Hinblick auf die gefestigte Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zur
Verfassungsgemäßheit des Verfahrens zur Ermittlung der Regelleistung und des
Anpassungsmechanismus des § 20 Abs. 4 SGB II ist die Erfolgschance des Verfahrens
nur eine entfernte, auch wenn das Bundesverfassungsgericht - 1 BvR 1523/08 - eine
Verfassungsbeschwerde gegen den Beschluss des Bundessozialgerichts vom
15.04.2008 - B 14/11b AS 41/07 B -, der die Höhe der Regelleistung für Alleinstehende
im Jahr 2005 betrifft , angenommen hat (so auch LSG Berlin-Brandenburg Beschluss
vom 04.05.2009 - L 25 B 2243/08 AS PKH). Deshalb ist vorliegend zur Überzeugung
des Senats eine hinreichenden Erfolgsaussicht nicht gegeben (siehe auch LSG NW
Beschlüsse vom 11.03.2009 - L 20 B 10/09 SO -, vom 09.07.2009 - L 20 B 22/09 SO -,
vom 21.04.2009 - L 7 B 93/09 AS -, vom 29.06.2009 - L 7 B 404/08 AS - , vom
25.05.2009 - L 6 AS 4/09 -; a. A. LSG NW, Beschluss vom 29.05.2009 - L 12 B 31/09
SO).
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Soweit der Kläger höhere Unterkunftskosten mit der Begründung reklamiert, er müsse
seine Wohnung auch tagsüber mit elektrischem Licht beleuchten, bietet die Klage schon
deshalb keine Aussicht auf Erfolg, weil die Kosten der Haushaltsenergie mit Ausnahme
der auf die Heizung entfallenden Anteile nach § 20 Abs. 1 SGB II nicht zu den Kosten
der Unterkunft zählen.
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Die Beschwerde ist daher zurückzuweisen.
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Die Nichterstattungsfähigkeit der Kosten des Beschwerdeverfahrens folgt aus einer
entsprechenden Anwendung des § 127 Abs. 4 ZPO.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
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