Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 05.06.2008

LSG NRW: zahlungsunfähigkeit, auszahlung, stundung, insolvenz, erstellung, bedingung, kopie, fortdauer, verzicht, zahlungseinstellung

Landessozialgericht NRW, L 9 AL 114/07
Datum:
05.06.2008
Gericht:
Landessozialgericht NRW
Spruchkörper:
9. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
L 9 AL 114/07
Vorinstanz:
Sozialgericht Münster, S 15 AL 62/06
Sachgebiet:
Arbeitslosenversicherung
Rechtskraft:
nicht rechtskräftig
Tenor:
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts
Münster vom 13.09.2007 geändert. Die Klage wird abgewiesen. Kosten
sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht
zugelassen.
Tatbestand:
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Die Klägerin begehrt von der Beklagten höheres Arbeitslosengeld (Alg) unter
Berücksichtigung des Weihnachtsgeldes für Dezember 2004.
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Sie meldete sich am 03.06.2005 bei der Beklagten arbeitslos und beantragte die
Gewährung von Alg. Seit dem 01.02.1984 war die Klägerin bei der Fa. X & Co. KG in C
als Angestellte in der CAD-Gradierung beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis wurde
arbeitgeberseitig wegen Insolvenz der Arbeitgeberin am 01.07.2005 zum 30.10.2005
beendet. Weihnachtsgeld für das Jahr 2004 wurde der Klägerin nicht gezahlt. Sie erhielt
von der Beklagten Alg ab dem 01.07.2005 für 960 Tage in Höhe eines täglichen
Leistungssatzes von 16,44 Euro auf der Basis eines täglichen Bemessungsentgelts von
52,12 Euro (Bescheid vom 19.07.2005). Hierbei berücksichtigte die Beklagte das der
Klägerin von der damaligen Arbeitgeberin tatsächlich gezahlte Entgelt für die Zeit vom
01.07.2004 bis 30.06.2005.
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Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin am 12.08.2005 Widerspruch ein. Sie machte
geltend, die Beklagte habe bei der Berechnung des Alg das Weihnachtsgeld für 2004
nicht berücksichtigt. Zwar habe sie das Weihnachtsgeld i. H. v. 1.281,00 Euro nicht
erhalten. Ihren Anspruch darauf habe die ehemalige Arbeitgeberin jedoch anerkannt.
Auf das ihr tariflich zustehende Weihnachtsgeld habe sie auch nicht verzichtet, sondern
dies ihrer ehemaligen Arbeitgeberin lediglich gestundet. Ihr entsprechendes Schreiben
an die ehemalige Arbeitgeberin vom 24.02.2005 fügte die Klägerin bei und führte
ergänzend aus, sie habe rechtzeitig, um den Eintritt der Verjährung zu verhindern, die
frühere Arbeitgeberin aufgefordert, das Weihnachtsgeld in der ihr zustehenden Höhe
abzurechnen.
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Mit Widerspruchsbescheid vom 03.03.2006, der Klägerin zugestellt am 06.03.2006, wies
die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Das tariflich festgelegte
Weihnachtsgeld sei im Dezember 2004 fällig gewesen. Es sei zwar an die Klägerin
nicht ausgezahlt worden. Jedoch habe die frühere Arbeitgeberin mit Schreiben vom
02.08.2005 einen Anspruch auf Auszahlung ausdrücklich anerkannt. Das
Weihnachtsgeld gelte jedoch erst dann als zugeflossen, wenn eine Auszahlung nur
aufgrund einer Zahlungsunfähigkeit der früheren Arbeitgeberin nicht erfolgt sei. Im
Dezember 2004 sei die frühere Arbeitgeberin jedoch nicht zahlungsunfähig gewesen.
Insolvenztag sei vielmehr der 01.07.2005 gewesen. Erst von diesem Zeitpunkt an könne
von einer Zahlungsunfähigkeit ausgegangen werden. Mithin beruhe die nicht erfolgte
Auszahlung des Weihnachtsgeldes nicht auf einer Zahlungsunfähigkeit der früheren
Arbeitgeberin, so dass sie, die Beklagte, den Alg-Anspruch der Klägerin richtig
berechnet habe.
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Hiergegen hat die Klägerin am 04.04.2004 Klage erhoben und zur Begründung ihr
Vorbringen aus dem Vorverfahren wiederholt und vertieft.
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Die Klägerin hat beantragt,
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die Beklagte unter teilweiser Aufhebung des Bescheides vom 19.07.2005 in der
Fassung des Widerspruchsbescheides vom 03.03.2006 zu verurteilen, ihr
Arbeitslosengeld ab dem 01.07.2005 unter zusätzlicher Berücksichtigung des
Weihnachtsgeldes von 1.281,00 Euro zu gewähren.
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Die Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie hat ferner beantragt,
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die Berufung zuzulassen.
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Sie hat gemeint, das Weihnachtsgeld zu Recht bei der Bemessung des Alg nicht
berücksichtigt zu haben. Es sei im Dezember 2004 fällig gewesen, aber nicht
ausgezahlt worden. Laufendes Arbeitsentgelt für diesen Monat sei hingegen ausgezahlt
worden. Offensichtlich habe sich zwar die frühere Arbeitgeberin der Klägerin in
finanziellen Schwierigkeiten befunden. Gleichwohl habe aber noch keine
Zahlungsunfähigkeit vorgelegen. Diese sei vielmehr erst dann gegeben, wenn der
Arbeitgeber nicht mehr in der Lage sei, seinen finanziellen Verpflichtungen
nachzukommen, also wenn er die Lohn- und Gehaltszahlungen mit Hinweis auf die
Insolvenz eingestellt habe. Dass ein Zahlungsanspruch der Klägerin bei dem späteren
Eintritt in die Insolvenz möglicherweise noch bestanden habe, rechtfertige keine andere
Beurteilung.
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Das Sozialgericht hat mit Urteil vom 13.09.2007 der Klage stattgegeben und die
Beklagte verurteilt, der Klägerin höheres Alg unter zusätzlicher Berücksichtigung des
Weihnachtsgeldes zu gewähren: Die Klägerin habe nicht auf das Weihnachtsgeld
verzichtet, sondern dieses nur gestundet, was zum Hinausschieben der Fälligkeit führe.
Zwar habe auch bei der Zahlungsaufforderung mit Schreiben vom 24.02.2005 nur eine
drohende Zahlungsunfähigkeit vorgelegen. Eine solche müsse aber für die
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Anwendbarkeit des § 131 Abs. 1 S. 2 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III)
ausreichen. Ansonsten würde die Klägerin für ihre Stundung zwecks Erhalt des
Unternehmens bestraft. Dies könne jedoch nicht Sinn und Zweck der Regelung sein.
Gegen dieses ihr am 01.10.2007 zugestellte Urteil wendet sich die Beklagte mit ihrer am
18.10.2007 eingelegten Berufung. Sie meint, nach der Rechtsprechung des
Bundessozialgerichts (BSG) müsse Zahlungsunfähigkeit die alleinige Ursache der
unterbliebenen Zahlung sein. Sei hingegen die Zahlung auch oder zunächst aus
anderen Gründen unterblieben und Zahlungsunfähigkeit erst später hinzu getreten, sei
eine alleinige Ursächlichkeit zu verneinen. Vorliegend sei aber die Zahlungsunfähigkeit
gerade nicht der alleinige Grund. Vielmehr sei das Weihnachtsgeld zunächst aufgrund
der Stundungsvereinbarung nicht ausgezahlt worden. Zahlungsunfähigkeit habe auch
nicht bereits im Dezember 2004 vorgelegen. Ansonsten hätte das Schreiben der IG
Metall vom 01.12.2004, wonach die Geschäftsleitung die Jahressonderzahlung nicht
habe auszahlen wollen und auf einen freiwilligen Verzicht setze, keinen Sinn ergeben.
Im Übrigen hätte auch der Bankenpool die Kreditlinie ansonsten nicht erst im Mai 2005
gekündigt.
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Die Beklagte beantragt,
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das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 13.09.2007 zu ändern und die Klage
abzuweisen.
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Die Klägerin beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Sie hält das Urteil des Sozialgerichts für richtig und meint, Zahlungsunfähigkeit habe
bereits vor Januar 2005 vorgelegen. Ihre Auffassung meint sie auf Rechtsprechung des
Bundesgerichtshofs (BGH) stützen zu können.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Prozessakte, der Verwaltungsakte der Beklagten - 000 - und der in Kopie auszugsweise
vorliegenden Insolvenzakte des Amtsgerichts Münster - Az.: 70 IN 55/05 - Bezug
genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
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Entscheidungsgründe:
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Die zulässige Berufung der Beklagten ist begründet. Entgegen der Auffassung des
Sozialgerichts (SG) ist sie nicht verpflichtet, der Klägerin Arbeitslosengeld ab dem
01.07.2005 unter zusätzlicher Berücksichtigung des Weihnachtsgeldes für 2004 zu
gewähren. Vielmehr ist das Weihnachtsgeld bei der Bemessung des Alg nicht zu
berücksichtigen.
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Da das Weihnachtsgeld für 2004 der Klägerin nicht zugeflossen ist, ist es bei der
Berechnung des Bemessungsentgelts nur zu berücksichtigen, wenn es der Klägerin
wegen Zahlungsunfähigkeit ihres Arbeitgebers nicht zugeflossen ist (§ 131 Abs. 1 S. 2
Alternative 2 SGB III in der aufgrund Artikel 1 Nr. 71 des Gesetzes vom 23.12.2003
[BGBl. 1, S. 2848] seit dem 01.01.2005 geltenden Fassung). Die Zahlungsunfähigkeit
muss die alleinige Ursache des unterbliebenen Zuflusses sein. Hierfür reicht eine
Ursächlichkeit nach der im Sozialrecht herrschenden Kausalitätslehre von der
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wesentlichen Bedingung nicht aus. Es genügt insbesondere nicht, dass die Zahlung
zunächst - wie auch hier - aus anderen Gründen unterblieben und erst im weiteren
Verlauf die Zahlungsunfähigkeit hinzu getreten ist (BSG, Urteil vom 08.02.2007, Az.: B
7a AL 28/06 R, Rn. 15, 17; BSG, Urteil vom 14.12.2006, Az.: B 7 AL 54/05 R, Rn. 13-15;
BSG, Urteil vom 05.12.2006, Az.: B 11a AL 43/05 R, Rn. 22, 24). Die-ser
Rechtsprechung des BSG folgt der Senat. Die Zahlungsunfähigkeit der Arbeitgeberin
war gerade nicht die alleinige Ursache des unterbliebenen Zuflusses des
Weihnachtsgeldes für 2004. Schon nach eigenem Vortrag hat die Klägerin das
Weihnachtsgeld deshalb nicht zum Fälligkeitszeitpunkt - mit der Auszahlung für
November 2004 - erhalten, weil sie es ihrem Arbeitgeber gestundet hatte. Sie hat
überdies lediglich zur Wahrung ihrer Rechte ihren Arbeitgeber mit Schreiben vom
24.02.2005 aufgefordert, das Weihnachtsgeld "bei einer sich ergebenden Möglichkeit
abzurechnen". Hierin ist eine Fortdauer der Stundung zu sehen. Damit war
Zahlungsunfähigkeit gerade nicht - wie von § 131 Abs. 1 S. 2 Alternative 2 SGB III
gefordert - die alleinige Ursache für die Nichtauszahlung des Weihnachtsgeldes.
Zahlungsunfähigkeit ist vielmehr erst im Verlauf des Jahres 2005 zur zwischen Klägerin
und Arbeitgeber vereinbarten Stundung des Weihnachtsgeldes für 2004 hinzu getreten.
Zahlungsunfähigkeit ist anzunehmen, wenn eines der Insolvenzereignisse des § 183
Abs. 1 SGB III vorliegt, also Eröffnung des Insolvenzverfahrens, Abweisung des
Insolvenzantrags mangels Masse oder vollständige Beendigung der Betriebstätigkeit im
Inland bei offensichtlicher Masselosigkeit. Ferner ist Zahlungsunfähigkeit beim
Vorliegen einer eidesstattlichen Versicherung des Arbeitgebers oder unter den
Voraussetzungen des § 17 Insolvenzordnung - InSO - (Zahlungseinstellung oder die
Unfähigkeit, fällige Zahlungsverpflichtung zu erfüllen) anzunehmen (Behrend in
Eicher/Schlegel, Kommentar zum SGB III, Rn. 59b zu § 131 SGB III).
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Die Zahlungsunfähigkeit der Arbeitgeberin ist jedoch nicht vor Mai 2005 eingetreten. So
wurde der Insolvenzantrag erst am 13.05.2005 gestellt. An diesem Tag hat das
Amtsgericht zunächst auch nur vorläufige Sicherungsmaßnahmen eingeleitet und das
Insolvenzverfahren erst zum 01.07.2005 eröffnet. Die Betriebstätigkeit war Ende 2004
auch zumindest nicht vollständig eingestellt. Vielmehr wurde ausweislich des vom
Amtsgericht Münster eingeholten Sachverständigengutachtens des vorläufigen
Insolvenzverwalters, Rechtsanwalt N, vom 27.06.2005 noch am 16.05.2005 mit dem
Vorstand der Arbeitgeberin die vorläufige Fortführung des Betriebs besprochen (Seite
3). Nach diesem Gutachten, an dessen Richtigkeit der Senat keinerlei Zweifel hat, lag
noch bei Erstellung des Jahresabschlusses für 2003/2004 - also Ende 2004 - keine
Überschuldung im Sinne des § 19 InSO vor (Seite 10 f.). Selbst drohende
Zahlungsunfähigkeit lag nach diesem Gutachten erst bei Stellung des
Insolvenzantrages im Mai 2005 vor. Zahlungsunfähigkeit selbst war hingegen erst bei
Erstellung des Gutachtens im Juni 2005 gegeben. Eine eidesstattliche Versicherung hat
die Arbeitgeberin überdies nicht abgegeben.
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Zahlungsunfähigkeit war deshalb frühestens im Mai 2005 eingetreten. Sie war auch
nicht die alleinige Ursache für die Nichtzahlung des Weihnachtsgeldes. Vielmehr war
die ursprüngliche Ursache für dessen Nichtzahlung die Stundung des
Weihnachtsgeldes durch die Klägerin.
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Auch das von den Klägern zitierte Urteil des BGH vom 24.05.2005 (Az.: IX ZR 123/04)
führt angesichts der eindeutigen, den Senat überzeugenden Ausführungen des im
Insolvenzverfahren eingeholten Sachverständigengutachtens zu keiner anderen
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Beurteilung des Zeitpunkts, in dem die Zahlungsunfähigkeit eingetreten ist. Somit hat
die Beklagte bei der Berechnung des Alg das nicht gezahlte Weihnachtsgeld für 2004
zu Recht unberücksichtigt gelassen und auf dieser Grundlage den Anspruch der
Klägerin korrekt berechnet.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
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Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 Nrn.
1 und 2 SGG).
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