Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 07.05.2008
LSG NRW: satzung, krankenversicherung, öffentlich, tarif, krankenkasse, unterlassen, aufsichtsbehörde, verfügung, ausnahme, rechtsverletzung
Landessozialgericht NRW, L 5 B 8/08 KR ER
Datum:
07.05.2008
Gericht:
Landessozialgericht NRW
Spruchkörper:
5. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
L 5 B 8/08 KR ER
Vorinstanz:
Sozialgericht Köln, S 5 KR 169/07 ER
Sachgebiet:
Krankenversicherung
Rechtskraft:
nicht rechtskräftig
Tenor:
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des
Sozialgerichts Köln vom 18.12.2007 wird zurückgewiesen. Die Kosten
des Beschwerdeverfahrens trägt der Antragsteller. Der Streitwert wird
auf 1.000.000 Euro festgesetzt.
Gründe:
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1.
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Der Antragsteller wendet sich gegen das Angebot von Wahltarifen nach Maßgabe der
§§ 26 - 29 der Satzung der Antragsgegnerin an deren Versicherte.
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Der Antragsteller ist eine Vereinigung von privaten Krankenversicherungsunternehmen.
Die Antragsgegnerin bietet ihren Mitgliedern nach Maßgabe der §§ 26 - 29 ihrer
Satzung Wahltarife an, die die Kostenerstattung für Leistungen im Ausland (§ 26),
Kostenerstattung der Krankenhauszuzahlungen (§ 27) Kostenerstattung des Ein- und
Zwei-Bett-Zimmers im Krankenhaus (§ 28) sowie Kostenerstattung des Zahnersatzes (§
29) beinhalten. Die Antragsgegnerin bietet den Wahltarif Ausland ihren Versicherten für
eine Jahresprämie von 6 Euro (bis Vollendung des 65. Lebensjahres) bzw. 12 Euro
jährlich (nach Vollendung des 65. Lebensjahres) an. Der Wahltarif
Krankenhauszuzahlungen kostet gestaffelt nach Altersgruppen zwischen 0,90 Euro und
9,50 Euro monatlich. Für den Wahltarif Ein- und Zwei-Bett-Zimmer im Krankenhaus
verlangt die Antragsgegnerin gestaffelt nach Altersklassen und je nach Wahl von Ein-
Bett oder Zwei-Bett-Zimmer zwischen 4,70 Euro und 85,20 Euro monatlich. Der
Wahltarif Zahnersatz ist ebenfalls nach Altersklassen gestaffelt und sieht eine
monatliche Prämie zwischen 2,10 Euro und 19,10 Euro vor.
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Das Landesversicherungsamt Nordrhein-Westfalen genehmigte die Satzung durch
Bescheid vom 20.03.2007.
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Der Antragsteller hat die Auffassung vertreten, dass das Angebot der Wahltarife durch
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die Antragsgegnerin gegen § 4 Nr. 11 des Gesetzes gegen unlauteren Wettbewerb
(UWG) in Verbindung mit (i.V.m.) § 194 Abs. 1 a Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB
V) sowie § 30 Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV) verstoße. Er sei deshalb als
Verband befugt, diese Rechtsverletzung gemäß § 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG gerichtlich
geltend zu machen. Es handele sich bei dem Angebot der Wahltarife um
Zusatzversicherungen, die üblicherweise von privaten
Krankenversicherungsunternehmen angeboten würden. § 194 Abs. 1 a SGB V gestatte
es den gesetzlichen Krankenkassen nur, derartige Verträge mit Hilfe privater
Versicherungsunternehmen an ihre Versicherten zu vermitteln, nicht aber, diese selbst
anzubieten. Die privaten Krankenversicherungsunternehmen hätten im Jahr 2006 mit
dem Geschäftsbereich der Zusatzversicherungen (als Ergänzung zum
Krankenversicherungs-schutz der gesetzlichen Krankenversicherung) ein
Umsatzvolumen von 3,5 Millarden Euro erzielt.
Der Antragsteller hat beantragt,
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1.die Antragsgegnerin hat es unter Androhung eines vom Gericht für jeden Fall der
Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000 Euro, ersatzweise
Ordnungshaft oder Ordnungshaft bis zu 6 Monaten zu unterlassen, im geschäftlichen
Verkehr Versicherungsleistungen in Form von Kostenerstattungstarifen für
Zusatzleistungen anzubieten und/oder anbieten zu lassen und/oder zu bewerben
und/oder bewerben zu lassen, welche als Zusatzversicherung außerhalb des
Leistungskataloges der gesetzlichen Krankenkassen liegen, wie dies in den §§ 26 bis
29 der Satzung der Antragsgegnerin vom 01.04.2007 mit den Angeboten
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Tarif für die Kostenerstattung für Leistungen im Ausland (§ 26), Tarif für die
Kostenerstattung Krankenhauszuzahlung (§ 27), Tarif für die Kostenerstattung bei
Wahlleistung Ein- oder Zwei-Bett-Zimmer im Krankenhaus (§ 28) und/oder Tarif für die
Kostenerstattung bei Zahnersatz (§ 29) vorgesehen ist,
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2. die Kosten des Verfahrens werden der Antragsgegnerin auferlegt.
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Die Antragsgegnerin hat beantragt,
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1. den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückzuweisen, 2. hilfsweise,
die Vollziehung der einstweiligen Verfügung von einer angemessenen
Sicherheitsleistung durch den Antragsteller abhängig zu machen.
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Sie hat entgegnet: Ein Anordnungsanspruch stehe dem Antragsgegner nicht zu. § 4 Nr.
11 UWG sei schon deshalb nicht erfüllt, weil das Landesversicherungsamt die Satzung
genehmigt und damit das Anbieten der Wahltarife erlaubt habe. Das entspreche auch
der Rechtslage, denn § 53 Abs. 4 SGB V räume den gesetzlichen Krankenkasse gerade
die Möglichkeit des Anbietens von Wahltarifen ein. Ebenso wenig liege ein Verstoß
gegen § 194 Abs. 1 a SGB V vor. Es gehe nicht um den Vertrieb von
Zusatzversicherungen im Sinne dieser Vorschrift wie der Antragsteller fälschlich meine,
sondern vielmehr lediglich um das Angebot von Wahltarifen an ihre Versicherten. Ein
Verstoß gegen das europäische Kartellrecht liegt nicht vor, denn sie sei kein
Unternehmen im Sinne dieser Vorschriften. Im Übrigen fehle es auch am Vorliegen
eines Anordnungsgrundes. Der Antragsteller habe nicht darzulegen vermocht, dass er
durch das Angebot der Wahltarife nachhaltig in dem Zusatzversicherungsgeschäft der
privaten Krankenversicherer betroffen werde.
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Durch Beschluss vom 18.12.2007 hat das Sozialgericht Köln den Antrag auf Erlass
einer einstweiligen Anordnung abgelehnt. Das Vorliegen eines Anordnungsanspruchs
sei als offen zu beurteilen. Das Vorliegen eines Anordnungsgrundes sei wegen des
Fehlens wesentlicher Nachteile oder einer Gefahr nicht anzunehmen. Entscheidend sei
bei der Abwägung zu berücksichtigen, dass der Antragsteller mit dem vorläufigen
Rechtsschutz die endgültige Entscheidung vorweg nehme wolle. Dies sei aber in aller
Regel ausgeschlossen und könne nur im Interesse der Effektivität des Rechtsschutzes
ausnahmsweise erforderlich sein, wenn Rechtsschutz nicht erreichbar und dies für den
Antragsteller unzumutbar sei.
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Gegen den ihm am 27.12.2007 zugestellten Beschluss hat der Antragsteller am
14.01.2008 Beschwerde eingelegt.
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Zur Begründung bringt er vor: Der Anordnungsanspruch ergebe sich aus § 8 Abs. 3 Nr.2
UWG iVm § 4 Nr. 11 UWG. Das UWG sei auch anwendbar. Es liege ein wirtschaftliches
Handeln der Antragsgegnerin vor, das den Regelungen des Wettbewerbsrechts
unterfalle. Nach § 4 Nr. 11 UWG handele unlauter und rechtswidrig, wer einer
gesetzlichen Vorschrift zuwider handele, die auch dazu bestimmt sei, im Interesse der
Marktteilnehmer das Marktverhalten zu regeln. Insbesondere der Verstoß gegen § 194
Abs. 1 a SGB V stelle eine derartige Zuwiderhandlung dar. Es gehe um klassische
Zusatzversicherungsange-bote. Genau diese würden aber von § 194 Abs. 1 a SGB V in
der Weise geregelt, dass die gesetzlichen Krankenkassen insoweit nur als Vermittler
auftreten dürften. Außerdem ermächtige § 53 Abs. 4 SGB V nicht zu den Regelungen
der §§ 26 - 29 der Satzung der Antragsgegnerin. Durch § 53 Abs. 4 SGB V sollten
Umfang und Leistungen aus der gesetzlichen Krankenversicherung gerade nicht
verändert werden. Es sollte für gesetzlich Versicherte lediglich die Möglichkeit
geschaffen werden, wie Privatversicherte behandelt werden zu können. Darüber hinaus
seien die Wahltarifangebote der Antragsgegnerin für sich allein nicht tragfähig; es liege
ein Verstoß gegen das Verbot der Quersubventionierung aus § 53 Abs. 9 SGB V vor.
Würde man - unzutreffender Weise - in § 53 Abs. 4 SGB V eine
Ermächtigungsgrundlage für das Handeln der Antragsgegnerin erblicken, so sei diese
Norm kartellrechtswidrig. Auch sei ein Verstoß gegen die europäischen Vorschriften des
Wettbewerbs- und Kartellrechts zu bejahen, die nicht zur Disposition des Gesetzgebers
stünden.
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Ferner sei das Vorliegen eines Anordnungsgrundes zu bejahen. Das Sozialgericht habe
die Dringlichkeitsvermutung des § 12 Abs. 2 UWG verkannt. Aber auch unabhängig von
dieser seien die Voraussetzungen eines Anordnungsgrundes zu bejahen. Die
Antragsgegnerin habe inzwischen bereits 20.000 Tarife verkauft.
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Der Antragsteller beantragt,
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den Beschluss des Sozialgerichts Köln vom 18.12.2007 zu ändern und der
Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung aufzugeben, es zu unterlassen,
ihren Versicherten Kostenerstattungstarife für Leistungen im Ausland, für
Krankenhauszuzahlungen, für die Wahlleistung Ein- und Zwei-Bett-Zimmer im
Krankenhaus sowie für Zahnersatz anzubieten.
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Die Antragsgegnerin beantragt,
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die Beschwerde zurückzuweisen.
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Sie meint, der Antrag des Antragstellers sei unzulässig und unbegründet. Die
Vorschriften des UWG seien auf hoheitliches Handeln nicht anwendbar. Das ergebe
sich aus der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG, Urteil vom 31.03.1998, B
1 KR 9/95 R). Darüber hinaus liege kein Wettbewerbsverhältnis und auch keine
Wettbewerbshandlung im Sinne des UWG vor. Die Auswirkungen der Handlungen der
Antragsgegnerin auf die Unternehmen der privaten Krankenversicherung begründeten
kein nach den Grundsätzen des Privatrechts zu qualifizierendes Rechtsverhältnis. § 8
Abs. 3 Nr. 2 UWG sei nicht anzuwenden, so dass der Antragsteller nicht antragsbefugt
sei. Darüber hinaus sei auch ein Anordnungsanspruch nicht gegeben. Die
Satzungsregelungen mit den jeweiligen Wahltarifen seien vom
Landesversicherungsamt als zuständiger Aufsichtsbehörde amtlich genehmigt worden.
Eine Gleichstellung von Wahltarifen mit Zusatzversicherungen sei unzulässig.
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II.
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Die zulässige Beschwerde des Antragstellers ist nicht begründet.
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Der Antrag des Antragstellers auf Erlass einer einstweiligen Anordnung des Inhalts,
dass der Antragsgegnerin das Angebot von Wahltarifen nach den §§ 26 bis 29 ihrer
Satzung untersagt werden soll, ist zulässig.
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Der Rechtsweg zu den Sozialgerichten ist bindend festgestellt worden (§ 17a Abs. 5
Gerichtsverfassungsgesetz [GVG]), im Übrigen aber auch nicht zu bezweifeln (vgl. § 51
Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz [SGG] in der klarstellenden
Fassung gemäß Art. 17 des 6. Änderungsgesetzes zum SGG [SGG-Änderungsgesetz]
vom 17.08.2001, BGBl. I 2144). Danach sind bei Streitigkeiten in Angelegenheiten der
gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) aufgrund von Entscheidungen oder Verträgen
der Krankenkassen oder ihrer Verbände, auch soweit Dritte betroffen werden, mit
Ausnahme bestimmter Fragen aus dem Krankenhausbereich, ausschließlich die
Sozialgerichte zuständig (vgl. Bundessozialgericht [BSG] SozR 3-2200 § 376d Nr. 1).
Ferner ist auch die Antragsbefugnis des Antragstellers zu unterstellen. Zwar vermag
dieser die Verletzung eigener (materieller) Rechte als Verband, der selbst durch das
Angebot der Wahltarife nicht betroffen ist, nicht geltend zu machen. Dies ist aber
grundsätzlich erforderlich (vgl. § 54 SGG, der im Rahmen des einstweiligen
Rechtsschutzverfahrens entsprechende Anwendung findet). Der Antragsteller beruft sich
indes auf die Vorschriften des § 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG vom 03.07.2004 (BGBl I S. 1414)
sowie des § 33 Absatz 2 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB)
vom 15.07.2005 (BGBl I S. 1954), die das Verbandsklagerecht in wettbewerbs- und
kartellrechtlichen Streitigkeiten eröffnen. Diese Vorschriften regeln auch die prozessuale
Klagebefugnis (vergl. Bundesgerichtshof (BGH), Urt. v. 27.01.2005, I ZR 146/02, GRUR
2005, 689f). Diese setzt nur voraus, dass ein derartiger Anspruch behauptet wird. Ob
dagegen diese Vorschriften im vorliegenden Fall tatsächlich anwendbar und ob ggffs.
ihre Voraussetzungen erfüllt sind, ist dagegen eine Frage der Begründetheit des geltend
gemachten Anspruchs (vergl. BGH Urt. v. 23.02.2006, I ZR 164/03).
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Der Antrag des Antragstellers auf Erlass einer Regelungsanordnung gemäß § 86b Abs.
2 Satz 2 SGG ist unbegründet.
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Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines
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vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine
solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint.
Voraussetzung ist nach § 86b Abs. 2 Satz 4 i.V.m. § 920 ZPO das Bestehen eines
Anordnungsanspruchs und eines Anordnungsgrundes, was vom Antragsteller glaubhaft
zu machen ist.
Ein derartiger Anordnungsanspruch, der es der Antragsgegnerin untersagen würde,
ihren Versicherten Wahltarife nach den §§ 26-29 der Satzung anzubieten, steht dem
Antragsteller nicht zur Seite. Da es sich bei dem Antragsteller um einen Verband
handelt, scheidet eine unmittelbare eigene Rechtsverletzung aufgrund des Handelns
der Antragstellerin von vornherein aus. Allein aufgrund der in den §§ 8 Abs. 3 Nr. 2
UWG, 33 Abs. 2 GWB eingeräumten Möglichkeit, die Verletzung fremder Rechte in
eigenem Namen geltend zu machen, käme das Bestehen eines Anordnungsanspruchs
des Antragstellers in Betracht ("Prozeßstandschaft", vergl. BSG, Urt. v. 25.09.2001, B 3
KR 3/01 R). Indes sind diese Vorschriften des UWG und des GWB auf das zwischen
dem Antragsteller und der Antragsgegnerin bestehende Rechtsverhältnis nicht
anwendbar.
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Das ergibt sich aus der durch § 69 SGB V getroffenen Wertungsentscheidung. Diese
Vorschrift bestimmt, dass die Rechtsbeziehungen der Krankenkassen und ihrer
Verbände zu den Leistungserbringern abschließend durch die Normen des SGB V
geregelt werden (Satz 1). Satz 2 (in der ab 01.04.2007 gültigen Fassung des Gesetzes
zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-WSG)
vom 26.03.2007, BGBl I, 378) sieht die entsprechende Anwendung der §§ 19 bis 21
GWB vor; Ausnahmen hiervon sind im 2.Halbsatz sowie Satz 3 geregelt. Nach Satz 4
sind unter bestimmten Voraussetzungen auf diese Rechtsbeziehungen die Regelungen
des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) entsprechend anwendbar. Satz 5 schließlich
erstreckt den Anwendungsbereich der Sätze 1 bis 3 auch auf Dritte, die durch die
Rechtsbeziehungen iSd Satzes 1 betroffen sind. Demzufolge ist es ausgeschlossen,
Handlungen der Krankenkassen und der von ihnen eingeschalteten Leistungserbringer,
die der Erfüllung des öffentlich-rechtlichen Versorgungsauftrags gegenüber den
Versicherten dienen sollen, nach den Vorschriften des Kartell-und Wettbewerbsrechts -
mit Ausnahme des Anwendungsbereichs des Satzes 2 - zu beurteilen (vergl. BGH Urt.v.
02.10.2003, I ZR 117/01, GRUR 2004, 247f; BGH Urt.v. 23.02.2006 aaO).
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Zwar wird der vorliegende Fall nicht unmittelbar von § 69 SGB V erfasst, denn es geht
nicht um die Rechtsbeziehung der Antragsgegnerin zu einem Leistungserbringer, durch
die der Antragsteller als Dritter betroffen ist. Hier geht es vielmehr um das Angebot von
Leistungen der Antragsgegnerin (Angebot von Wahltarifen) aufgrund von § 53 Abs.4
SGB V iVm den betreffenden Satzungsregelungen; hiervon sehen sich die privaten
Krankenversicherungen und der Antragsteller als deren Interessenverband (als Dritte)
betroffen. Nach Auffassung des Senats trifft § 69 SGB V aber eine
Wertungsentscheidung, die generell die Anwendung der Vorschriften des UWG und
GWB auf das Leistungsrecht des SGB V ausschliesst, und zwar auch dann, wenn durch
die aufgrund gesetzlicher Vorschriften des SGB V angebotenen Leistungen an
Versicherte Dritte betroffen sind.
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(1)Vor der Neufassung und Erweiterung des § 69 SGB V durch Art.1 Nr. 26 des
Gesetzes zur Reform der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-
Gesundheitsreformgesetz 2000 vom 22.12.1999, BGBl I, S. 2626, (§ 69 SGB V a.F.))
entsprach es der Rechtsprechung des BGH hinsichtlich der Handlungen von
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gesetzlichen Krankenkassen zu unterscheiden zwischen dem öffentlich-rechtlichen
Verhältnis zu den Versicherten und demjenigen zu anderen Betroffenen, nämlich den
Leistungserbringern der Kassen sowie Dritten. Das Rechtsverhältnis zu
Leistungserbringern und betroffenen Dritten wurde als privatrechtliches qualifiziert und
die Vorschriften des Wettbewerbs- und Kartellrechts für anwendbar gehalten (Beschluss
vom 29.10.1987 des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes,
(GmS-OGB) 1/86; BGH Urt. v. 19.01.1995, I ZR 41/93, NJW 1995, 2352f;)
Als Reaktion hierauf wies der Gesetzgeber durch § 69 SGB V a.F. die
Rechtsbeziehungen zwischen Kassen und Leistungerbringern sowie betroffenen Dritten
dem öffentlichen Recht zu und schloss die Anwendung des Wettbewerbs- und
Kartellrechts auch hinsichtlich betroffener Dritter aus (vergl. BSG Urt. v. 25.09.2001 aaO;
BGH Urt. v. 23.02.2006 aaO; vergl. ferner die Übersicht über die Entstehungsgeschichte
des § 69 SGB V bei Engelmann, jurisPK-SGB V, § 69 Rdnrn 1ff).
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(2)Nach Auffassung des Senats ist hieraus zu schlußfolgern, dass nach dem Willen des
Gesetzgebers Handlungen der gesetzlichen Krankenkassen, die der Erfüllung ihres
öffentlich-rechtlichen Versorgungsauftrags gegenüber ihren Versicherten dienen sollen,
auch dann allein nach sozialversicherungsrechtlichen Grundsätzen beurteilt werden
sollen, wenn dadurch Dritte betroffen werden. Durch die Schaffung des § 69 SGB V hat
der Gesetzgeber klargestellt, dass Handlungen der Krankenkassen, die jenen durch das
SGB V geregelten Bereich betreffen, nur einheitlich nach öffentlich-rechtlichen
Grundsätzen zu beurteilen sein sollen. Die dargestellte frühere Rechtsprechung des
BGH, durch die "ein und dassselbe Verhalten, das öffentlich-rechtlich geordnet war,
allein wegen der Auswirkungen auf den Wettbewerb als zugleich privatrechtliches
Verhältnis qualifiziert wurde" (Pietzcker in: Sozialrecht und Sozialpolitik in Deutschland
und Europa, Festschrift für Bernd Baron von Maydell, 2002, Seite 531ff) ist damit
gegenstandslos geworden. Es erschiene unerklärlich, würden Handlungen der Kassen
unter Beteiligung eines Leistungserbringers gemäß § 69 SGB V ausschließlich nach
den Vorschriften des SGB V beurteilt, dagegen Handlungen bzw. Leistungen, die eine
Krankenkasse ebenfalls nach Maßgabe sozialgesetzlicher Normen unmittelbar
gegenüber Versicherten anbietet oder erbringt, bei Betroffenheit eines Dritten der
Anwendung des Kartell- und Wettbewerbsrechts unterfielen.
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(3)Die Antragsgegnerin bewegt sich mit dem Angebot von Wahltarifen im Bereich ihres
öffentlich-rechtlichen Versorgungsauftrags. Dies ist hier schon deshalb zu bejahen, weil
die Wahltarife den Versicherungsschutz der Versicherten - der sich grundsätzlich nach
den Vorschriften des Dritten Kapitels bemisst - lediglich in einigen Bereichen
modifizieren, indem der Leistungsumfang ausgeweitet wird. Ausreichend für die
Rechtsfolge des Ausschlusses von Kartell- und Wettbewerbsrecht ist insoweit, dass sich
die Krankenkasse auf ihr gesetzlich eingeräumte Befugnisse stützt und dass sie sich
ersichtlich in dem ihr zugewiesenen Aufgabenbereich halten will. Der Gesetzgeber hat
die Möglichkeit der Schaffung von Wahltarifen eröffnet (§ 53 SGB V), die
Antragsgegnerin hat hiervon Gebrauch gemacht, indem sie entsprechende Leistungen
in ihre Satzung aufgenommen hat, die zuständige Aufsichtsbehörde hat diese
Satzungsregelungen genehmigt. Die Antragsgegnerin bewegt sich damit - unabhängig
davon, ob die Voraussetzungen des § 53 Abs.4 SGB V im einzelnen gegeben sind -
innerhalb des vom Gesetzgeber gezogenen Rahmens, der eine Anwendung des Kartell-
und Wettbewerbsrechts ausschliesst. (Jedenfalls) insoweit unterscheidet sich der
vorliegende Fall von den der Entscheidung des BGH vom 19.01.1995 (I ZR 41/93, NJW
1995, 2352f) und des Landgerichts Braunschweig vom 08.01.2007 (21 O 2945/07). Dort
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fehlte es gerade für die angebotenen Zusatz(sterbegeld)versicherungen an jeglicher
gesetzlicher Grundlage. Soweit der Antragsteller im Hinblick auf die von der
Antragsgegnerin angebotenen Wahltarife einen Vergleich mit privaten
Zusatzversicherungen und der Regelung des § 194 Abs. 1a SGB V bemüht, kann er
daraus für die hier zu entscheidende Fallgestaltung nichts ableiten. Der Antragsteller
verkennt, dass das Vermitteln von Zusatzversicherungen rechtlich und tatsächlich etwas
anderes darstellt, als das Angebot von Wahltarifen. Während im ersteren Fall private
Zusatzversicherungen bei privaten Versicherungsunter-nehmen an Versicherte nur
vermittelt werden, erfolgt im Rahmen des Angebots von Wahltarifen eine Modifizierung
des im Rahmen der Pflichtversicherung bzw. freiwilligen Versicherung bestehenden
Versicherungsschutzes der Versicherten der Antragsgegnerin.
Es kann offen bleiben, ob möglicherweise dann etwas anderes zu gelten hätte, wenn
der Antragsteller sein Begehren ausschliesslich auf wettbewerbsrechtliche Vorschriften
im Sinne der Entscheidung des BGH vom 09.11.2006 (I ZB 28/06, NJW 2007, 1819f)
stützen würde. Ungeachtet der Frage, ob dieser Entscheidung zu folgen ist (vergl. dazu
Knispel, NZS 2008, Seite 129f), ist dies hier nicht der Fall; denn der Antragsteller macht
im Kern gerade die Verletzung von Vorschriften des SGB V geltend.
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Auf die Frage, ob die europarechtlichen Wettbewerbs- und Kartellvorschriften auf das
Handeln der gesetzlichen Krankenkassen anwendbar sind, kommt es hier nicht an, weil
diese jedenfalls dem Antragsteller keine eigenen Rechte einräumen, die dieser im
gerichtlichen Verfahren geltend machen könnte. Im Übrigen ist auch bei dem
vorliegenden Sachverhalt ein grenzüberschreitender Bezug nicht ersichtlich.
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Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 197a SGG
i.V.m. § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
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Bei der Festsetzung des Streitwertes ist der Senat im Rahmen einer Schätzung davon
ausgegangen, dass das finanzielle Interesse der Mitglieder des Antragstellers an dem
Unterlassen des Angebots der Wahltarife durch die Antragsgegnerin mindestens einen
Umfang von 1 Million Euro erreicht; ein Abschlag hiervon wegen der Vorläufigkeit der
angestrebten einstweiligen Anordnung ist nicht vorzunehmen, da diese für den Zeitraum
ihrer Gültigkeit endgültigen Charakter gehabt hätte.
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Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
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