Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 29.05.2001
LSG NRW: geschäftsführer, sperrminorität, mehrheit, sozialarbeiter, teilhaber, gehalt, wechsel, kompetenz, rücknahme, krankenkasse
Datum:
Gericht:
Spruchkörper:
Entscheidungsart:
Vorinstanz:
Sachgebiet:
Tenor:
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Aktenzeichen:
Rechtskraft:
Landessozialgericht NRW, L 5 KR 172/00
29.05.2001
Landessozialgericht NRW
5. Senat
Urteil
L 5 KR 172/00
Sozialgericht Münster, S 3 KR 21/99
Krankenversicherung
rechtskräftig
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Münster
vom 09.08.2000 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind
nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist, ob der Kläger in der Zeit vom 01.10.1991 bis 30.06.1997 als Gesellschafter-
Geschäftsführer versicherungspflichtig beschäftigt war.
Der 1950 geborene Kläger war nach einer Elektromechanikerausbildung und
anschließendem Studium als Sozialarbeiter tätig. Ab April 1990 war er Geschäftsführer der
P ... E ... Handels GmbH, bei der es 1991 zu einem Wechsel der Anteilseigner kam. Ab
dem 01.10.1991 war der Kläger Gesellschafter der GmbH und am Stammkapital von
50.000,-DM mit 45 v.H. (22.500,-- DM) beteiligt. Die übrigen Anteile hielten der
Versicherungsfachwirt H. mit 45 v.H. und der Student und spätere Dipl.-Ing. Sch. mit 10 v.H
... Nach § 8 des Gesellschaftsvertrages vom 01.10.1991 bedurften sämtliche Beschlüsse
der Gesellschafter einer 2/3 Mehrheit der abgegebenen Stimmen. Der Kläger wurde zum
alleinigen Geschäftsführer bestellt. Ein schriftlicher Arbeitsvertrag existierte nicht.
Am 01.04.1997 wurde das Konkursverfahren über die Firma eröffnet. Die Beklagte
überprüfte das Versicherungsverhältnis. Der Kläger gab an, seit April 1990 in der GmbH mit
einer regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von 38 Stunden und einer monatlichen
Vergütung von 2.500,--DM beschäftigt zu sein. Bezüglich Zeit, Ort und Art der
Beschäftigung sei er wie ein Arbeitnehmer dem Direktionsrecht der Gesellschaft
unterworfen. Urlaub, Kündigungsfrist und Lohnfortzahlung im Krankheitsfall richteten sich
nach den gesetzlichen und tariflichen Bestimmungen.
Mit Bescheid vom 02.05.1997, korrigiert durch Bescheid vom 30.06.1997, teilte die
Beklagte dem Kläger mit, dass wegen der Gesellschafterbeteiligung rückwirkend ab dem
01.10.1991 eine selbständige Tätigkeit vorliege.
Der Kläger erhob Widerspruch und führte aus: Die Mehrheitsverhältnisse seien durch stille
Einlagen so verändert gewesen, dass sein Anteil auf weniger als 30 v.H. gesunken sei.
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Faktisch seien relevante Entscheidungen der Gesellschafter mit einfacher Mehrheit
abgestimmt worden. Bei Abschluss des Arbeitsvertrages sei außerdem allseits akzeptiert
worden, dass er als versicherungspflichtiger Angestellter arbeite. Ab September 1996 sei er
ohne Einkommen gewesen. Ab Dezember 1996 seien auch keine
Versicherungsbeiträgemehr entrichtet worden.
Mit Widerspruchsbescheid vom 11.02.1999 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Ab
dem 01.10.1991 habe kein abhängiges, die Gesamtsozialversicherungspflicht
begründendes Beschäftigungsverhältnis bestanden. Bei Beteiligung eines Geschäftsführer
am Gesellschaftskapital fehle die Arbeitnehmereigenschaft, wenn er aufgrund seines
Anteiles nicht genehme Entscheidungen der Gesellschaft verhindern könne. Der Kläger
habe über eine ausreichende Sperrminorität verfügt.
Am 02.03.1999 hat der Kläger Klage erhoben und vorgetragen: Praktisch sei er
weisungsabhängig gewesen, weil er als Sozialarbeiter nicht die erforderlichen fachlichen
Kompetenzen gehabt habe. Seine Funktion sei eigentlich die eines "Mädchen für alles"
gewesen. Von 9.00 bis 12.30 Uhr habe für ihn eine Präsenzpflicht im Büro bestanden,
darüber hinaus eine Gleitzeit, die sich nach den Erfordernissen des Betriebes gerichtet
habe. Die Arbeitszeiten seien je nach Saison unterschiedlich und der Arbeitsort das
Ladenlokal sowie die jeweiligen Baustellen gewesen. Im Übrigen hat der Kläger auf sein
Vorbringen in einem Parallelklageverfahren auf Gewährung von Arbeitslosengeld und
Konkursausfallgeld (SG Münster: Az. S 3 AL 33/98) verwiesen.
Der Kläger hat beantragt,
die Bescheide vom 02.05.1997 und 30.06.1997 in der Fassung des
Widerspruchsbescheides vom 11.02.1999 aufzuheben und festzustellen, dass er in der Zeit
vom 01.10.1991 bis 30.06.1997 sozialversicherungspflichtig beschäftigt war.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Das Sozialgericht hat die Klage durch Urteil vom 09.08.2000 abgewiesen. Nach der
Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) sei ein abhängiges
Beschäftigungsverhältnis immer zu verneinen, wenn der Geschäftsführer über die Hälfte
des Stammkapitals der Gesellschaft oder über eine Sperrminorität verfüge. Ob vom Recht
der Sperrminorität tatsächlich Gebrauch gemacht werde, sei unerheblich. Deshalb komme
es nicht darauf an, ob der Kläger die Entscheidungen seinen Mitgesellschaftern oder
sachkundigen Mitarbeitern überlassen habe. Die Stellung des Klägers sei auch nicht da
durch verändert worden, dass stille Teilhaber in erheblichem Umfang Kapital beigesteuert
hätten. Denn stille Teilhaber hätten keinen rechtlichen Einfluss auf die Beschlüsse der
Gesellschaft nehmen können. Gegen eine abhängige Beschäftigung spreche im Übrigen,
dass der Kläger ein geringeres als das übliche, und seit Oktober 1996 kein Gehalt mehr
bezogen habe, ohne hieraus Konsequenzen zu ziehen. Dies sei für einen abhängig
Beschäftigten ungewöhnlich.
Gegen das am 17.08.2000 zugestellte Urteil hat der Kläger am 05.09.2000 Berufung
eingelegt.
Er trägt erneut vor, dass er faktisch gehindert gewesen sei, seine Mehrheitsrechte
auszuüben. Die fachlichen und kaufmännischen Kompetenzen hätten bei den
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Mitgesellschaftern gelegen. Die Struktur und Entscheidungsfindung der aus alternativen
Ideen mit seiner Unterstützung entstandenen GmbH seien paritätisch aufgebaut gewesen.
In allen Phasen sei seine Funktion die eines Koordinators gewesen. Im Übrigen hätten
1993 und 1995 Betriebsprüfungen der Beklagten und einer weiteren Krankenkasse
stattgefunden, ohne dass Beitragszahlungen beanstandet worden seien. Bei Änderung des
Gesellschaftervertrages zum 01.10.1991 seien die Vertragsentwürfe mehrfach überarbeitet
worden, gerade um für ihn eine sozialversicherungspflichtige Tätigkeit zu begründen. Er
habe auf die Richtigkeit der dann praktizierten Regelung vertraut und dieses Vertrauen
müsse schutzwürdig sein. Es könne nicht erwartet werden, dass er in Fragen der
Sozialversicherung mehr Kompetenz haben müsse, als die mit seinem Fall beschäftigten
Fachleute.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 09.08.2000 zu ändern und unter Aufhebung der
Bescheide vom 02.05.1997 und 30.06.1997 in der Gestalt des Widerpruchsbescheides
vom 11.02.1999 festzustellen, dass er in der Zeit vom 01.10.1991 bis 30.06.1997 bei der P
... Handels-GmbH in einem sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis
gestanden hat, hilfsweise, die Revision zuzulassen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie bezieht sich auf die Begründung der angefochtenen Bescheide und des
erstinstanzlichen Urteils.
Die Beigeladenen haben sich dem Vorbringen und dem Antrag der Beklagten
angeschlossen.
Der Senat hat die Parallelverfahrensakte beigezogen. Nach dieser wurde die Klage auf
Gewährung von Arbeitslosen- und Konkursausfallgeld durch Urteil des Sozialgerichts
Münster vom 05.05.1999 abgewiesen. Das Berufungsverfahren (LSG NW -L 9 AL 103/99-)
wurde am 08.02.2001 durch Rücknahme der Berufung erledigt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte, der Parrallelverfahrensakte sowie der Verwaltungsakten der Beklagten und
der Beigeladenen zu 2) Bezug genommen, die sämtlichst vorlagen und Gegenstand der
mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht und
mit zutreffender Begründung und Darstellung der rechtlichen Voraussetzungen einer
versicherungspflichtigen Beschäftigung abgewiesen. Auf die erstinstanzlichen
Entscheidungsgründe nimmt der Senat deshalb gemäß § 153 Abs. 2 Sozialgerichts gesetz
Bezug.
Ergänzend kann ausgeführt werden: Die Annahme einer abhängigen Beschäftigung des
Klägers scheidet schon allein aufgrund der gesellschaftsrechtlichen Stellung des Klägers
aus. Nach ständiger Rechtsprechung des BSG gehört der GmbH-Gesellschafter-
Geschäftsführer nicht zu den in abhängiger Beschäftigung stehenden Personen, wenn er
kraft seiner Gesellschaftsrechte die für das Beschäftigungsverhältnis typische Abhängigkeit
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von einem Arbeitgeber vermeiden kann. Dies ist immer der Fall, wenn der Geschäftsführer
über mindestens die Hälfte des Stammkapitals der Gesellschaft verfügt. Aber auch bei
einem geringeren Kapitalanteil ist eine abhängige Beschäftigung grundsätzlich zu
verneinen, wenn der Geschäftsführer über eine Sperrminorität verfügt und damit ihm nicht
genehme Entscheidungen der Gesellschaft verhindern kann (BSG SozR 3-4100 § 168 Nr.
5 m.w.N.). Diese Voraussetzungen wurden durch die gesellschaftsrechtliche Stellung des
Klägers erfüllt.
Die Kapitalbeteiligung des Klägers mit 45 v.H. reichte aus, um ihm nicht genehme
Weisungen der Gesellschaft zu verhindern, weil Beschlüsse der
Gesellschafterversammlung nur mit 2/3 Mehrheit gefasst werden konnten. Damit war der
Kläger im Besitz einer sog. Sperrminorität.
Ob der Gesellschafter-Geschäftsführer die ihm kraft der Sperrminorität zustehende
Rechtsmacht ausübt oder von ihr keinen Gebrauch macht, ist unerheblich, wenn er
jedenfalls an der Ausübung des Stimmrechtes nicht gehindert ist (BSG a.a.O.). Selbst
unterstellt, dass die Entscheidungsfindungen in der GmbH, die noch keinen Gewinn
erzielte, paritätisch erfolgt sind, hat der Kläger nichts dafür vorgetragen, dass er an der
Ausübung seiner Rechte aus der Sperrmimorität gehindert gewesen wäre oder welche
Folgen die Inanspruchnahme für ihn gehabt hätte. Dass die übrigen Mitgesellschafter
fachlich kompetenter gewesen sein sollen, reicht nicht aus, zumal die Präsenz eines
weiteren Gesellschafters nach den eigenen Angaben des Klägers ab 1995 nicht mehr
gegeben war.
Der Kläger verweist lediglich auf zwei Fälle, in denen gegen seine Empfehlung eine
Personalentscheidung und der Wechsel des Steuerberaters erst zu einem späteren
Zeitpunkt erfolgt sein sollen. Dies spricht aber allenfalls dafür, dass der weitere
Hauptgesellschafter von seinem Recht der Sperrminorität Gebrauch gemacht hat bzw. der
Kläger nicht die notwendige 2/3 Mehrheit erzielen konnte. Nicht aber lässt sich daraus
ableiten, dass dem Kläger selbst die Gesellschafterrechte aus seiner Sperrminorität
gänzlich abgeschnitten waren. Gegen eine solche Annahme spricht im Übrigen auch die
Tatsache, dass er nach eigenen Angaben als um fassender Koordinator der Gesellschaft
tätig geworden ist.
Unabhängig davon bestehen weitere Anhaltspunkte gegen eine versicherungspflichtige
Beschäftigung. Denn der Kläger hat ein nicht unerhebliches Unternehmerrisiko getragen,
weil nach seinen Angaben trotz stiller Einlagen der Gesellschafter und von Freunden eine
ständig angespannte wirtschaftliche Situation der GmbH bestand. Deutlich gegen ein
abhängiges Beschäftigungsverhältnis spricht die für eine 38 Stundenwoche eines
Geschäftsführers geringe Gehaltshöhe sowie die Tatsache, dass der Kläger an seiner
Geschäftsführertätigkeit festgehalten hat, obwohl ihm ab September 1996 kein Gehalt mehr
ausgezahlt wurde. Damit hat er allein bis zur Anordnung der Sequestration am 04.02.1997
über Monate ohne jede Entlohnung gearbeitet, was für einen abhängig Beschäftigten
untypisch ist.
Ob in der GmbH Beitragsprüfungen der Krankenkassen stattgefunden haben, ist
unerheblich, weil damit keine Überprüfung und Feststellung der Versicherungspflicht der
Tätigkeit des Klägers nach den rechtlichen und tatsächlichen Verhältnissen verbunden
war. Insoweit kann sich kein Vertrauensschutz des Klägers ergeben. Einen solchen kann er
jedenfalls gegenüber der Beklagten auch nicht daraus herleiten, dass er und nach seinen
Angaben ebenso seine Mitgesellschafter bei Abschluss des Gesellschaftervertrages nach
den getroffenen Absprachen von einer versicherungspflichtigen Beschäftigung
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ausgegangen sind.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Der Senat hat keinen Anlass gesehen, die Berufung nach § 160 SGG zuzulassen. Weder
hat die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung noch weicht der Senat mit seiner
Entscheidung von der obergerichtlichen Rechtsprechung ab.