Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 30.04.2008
LSG NRW: aufschiebende wirkung, rechtskraft, einzelrichter, rechtsmittelfrist, satzung, krankenkasse, krankenversicherung, beteiligter, auflage, verwaltung
Landessozialgericht NRW, L 16 B 8/08 KR
Datum:
30.04.2008
Gericht:
Landessozialgericht NRW
Spruchkörper:
16. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
L 16 B 8/08 KR
Vorinstanz:
Sozialgericht Dortmund, S 40 KR 132/07 ER
Sachgebiet:
Krankenversicherung
Rechtskraft:
rechtskräftig
Tenor:
Die Beschwerde der Beigeladenen gegen den Streitwertbeschluss des
Sozialgerichts Dortmund vom 25. Juli 2007 wird als unzulässig
verworfen. Dieser Beschluss ergeht gerichtskostenfrei. Kosten werden
nicht erstattet.
Gründe:
1
I. Die Beigeladene (d. Bgl.) wendet sich gegen einen Beschluss des Sozialgerichts (SG)
Dortmund, mit welchem dieses den Streitwert nach den Vorschriften des
Gerichtskostengesetzes (GKG) für das in der Hauptsache durch rechtskräftigen
Beschluss erledigte Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes auf 2.500 Euro
festgesetzt hat. Sie hält vielmehr einen Streitwert von 250.000,00 Euro für zutreffend.
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Im Hauptsacheverfahren hatte sich die Antragstellerin (d. AStn.) - ein privates
Krankenversicherungsunternehmen - dagegen gewandt, dass der Antragsgegner (d.
Ag.) als landesrechtliche Aufsichtsbehörde eine Satzung der beigeladenen
Krankenkasse genehmigt hatte. Diese hatte mit ihrer zum 01.04.2007 geänderten
Satzung Wahltarife und Zusatzversicherungen für ihre Versicherten eingeführt. Dem
gegenüber hatte d. AStn. gemeint, die Wahltarife seien Versicherungsleistungen, die in
der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) nicht zulässig und auch nicht
genehmigungsfähig seien. Die Genehmigung durch d. Ag. sei rechtswidrig erfolgt und
aufzuheben. Im Rahmen eines Verfahrens des einstweiligen Rechtsschutzes hatte d.
AStn. beantragt, festzustellen, dass ihr Widerspruch vom 11.05.2007 gegen den
Genehmigungsbescheid d. Ag. vom 20.03.2007 aufschiebende Wirkung habe.
Hilfsweise sei festzustellen, dass d. Ag. der beigeladenen Krankenkasse zu untersagen
habe, die beanstandeten Leistungen anzubieten und zu gewähren.
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Mit Beschluss vom 25.07.2007 hat das SG den Antrag abgelehnt, weil die Anträge
unzulässig seien (zugestellt am 26.07.2007). Denn d. AStn. könne aus dem
Genehmigungserfordernis keine eigenen subjektiv-öffentliche Rechte herleiten; daher
fehle es an einer Antragsbefugnis d. AStn ... Das SG hat d. AStn. die Verfahrenskosten
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auferlegt und den Streitwert mangels näherer Anhaltspunkte und fehlenden
Sachvortrags der Beteiligten gemäß § 197a SGG und § 63 Abs. 2 GKG auf die Hälfte
des Auffangstreitwertes (§ 52 Abs. 2 GKG) von 5.000,00 Euro festgesetzt.
Dagegen richtet sich die (erst) am 31.01.2008 eingelegte Beschwerde allein der
Beigeladenen. Diese trägt vor: Zwar habe d. AStn. im vorliegenden Verfahren keinerlei
Angaben zum Streitwert gemacht. Sie habe jedoch in einem vor dem Landgericht (LG)
Köln angestrengten Parallelverfahren des einstweiligen Rechtsschutzes den Streitwert
vorläufig mit 250.000,00 Euro beziffert.
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D. AStn. weist darauf hin, dass die anwaltlich vertretene Bgl. durch die zu niedrige
Streitwertfestsetzung nicht beschwert sei. Dies sei allenfalls dann der Fall, wenn der
Streitwert zu ihren Lasten zu hoch festgesetzt worden sei.
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D. Ag. sieht von einer Stellungnahme ab.
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II. 1. Der Senat entscheidet über die Beschwerde in der Besetzung durch drei
Berufsrichter. Zwar bestimmen § 68 Abs. 1 S. 4 und § 66 Abs. 6 S. 1 GKG, dass bei
Erinnerungen und Beschwerden nach dem GKG das Gericht durch eines seiner
Mitglieder als Einzelrichter entscheidet. Die Vorschrift ist allerdings, wie auch beim
Bundesgerichtshof (vgl. BGH, Beschluss vom 13.01.2005, Az.: V ZR 218/04 in:
Monatsschrift für Deutsches Recht (MDR) 2005, 597; siehe auch www.juris.de) oder
beim Bundesfinanzhof (vgl. Beschluss vom 29.09.2005 Az.: IV E 5/05 in: www.juris.de),
nicht auf Verfahren anwendbar, die vor dem Landessozialgericht (LSG) anhängig
werden. Denn die Entscheidung durch den Einzelrichter ist beim LSG institutionell - von
einigen Ausnahmen abgesehen - nicht vorgesehen (anders als im zivilgerichtlichen
Verfahren vor dem Landgericht (LG) oder dem Oberlandesgericht (OLG), vgl. §§ 348,
348a, 568 der Zivilprozessordnung (ZPO), im verwaltungsgerichtlichen Verfahren vor
dem Verwaltungsgericht (VG) , vgl. § 6 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO),
und im finanzgerichtlichen Verfahren vor dem Finanzgericht (FG) , vgl. § 6 Abs. 1 der
Finanzgerichtsordnung (FGO)). Das Sozialgerichtsgesetz (SGG) kennt zwar - in
Ansätzen - auch das Rechtsinstitut der Einzelrichterentscheidung, diese ist jedoch auf
einzelne Fallgestaltungen beschränkt und nicht generell eingeführt. So entscheidet
erstinstanzlich generell allein der Vorsitzende bei Beschlüssen außerhalb der
mündlichen Verhandlung und bei Gerichtsbescheiden (§ 12 SGG); in zweiter Instanz
sind indes die Einzelrichterentscheidungen auf besondere Fallgestaltungen im
vorbereitenden Verfahren beschränkt (vgl. § 155 Abs. 2 und 4 SGG, ähnlich § 125 Abs.
1 i.V.m. § 87a VwGO; siehe jetzt auch § 153 Abs. 5 SGG - Übertragung der Berufung
gegen einen Gerichtsbescheid auf den einzelnen Berufsrichter mit ehrenamtlichen
Richtern -). Eine generelle Entscheidung durch den Einzelrichter ist durch das SGG
indes nicht vorgesehen. Dementsprechend können die durch die
Einzelrichterentscheidung im GKG-Beschwerdeverfahren durch § 66 Abs. 6 S. 1 GKG
bezweckten Entlastungs- und Beschleunigungseffekte im Verfahren vor dem LSG nicht
genutzt werden.
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2. Die Streitwertbeschwerde d. Bgl. ist als unzulässig zu verwerfen.
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Zutreffend hat d. AStn. darauf hingewiesen, dass d. Bgl. durch die von ihr als fehlerhaft
gerügte Streitwertfestsetzung nicht in ihren eigenen Rechten betroffen ist. Denn durch
die auf § 63 Abs. 2 GKG gestützte Festsetzung wird d. Bgl. wirtschaftlich nicht belastet.
Kosten des Verfahrens trägt allein nach der insoweit zutreffenden, sorgfältig
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begründeten, rechtskräftigen Entscheidung des SG d. AStn. Der Bgl. sind keine von ihr
auszugleichenden Kosten entstanden. Soweit ihr Bevollmächtigter mit der
Mandatsübernahme Kostenansprüche nach dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz
(RVG) erworben hat, sind diese nach Rechtskraft des Streitwertbeschlusses auf eine
Vergütung begrenzt, die sich nach einem Gegenstandswert gemäß § 2 GKG in
Verbindung mit dem Vergütungsverzeichnis (VV) zum RVG richtet. Insoweit ist aber
festzustellen, dass der durch die Streitwertfestsetzung auf nur 2.500,00 Euro betroffene
und letztlich allein benachteiligte Bevollmächtigte d. Bgl. nicht von der Möglichkeit
Gebrauch gemacht hat, innerhalb der sechsmonatigen Rechtsmittelfrist eine eigene
Beschwerde einzulegen (vgl. 32 Abs. 2 RVG). Es bleibt festzuhalten, dass sich ein
Beteiligter selbst im Regelfall nur über eine zu hohe Wertfestsetzung beschweren kann,
nicht aber über eine zu niedrige (so: Hartmann, a.a.O., RNr. 5 zu § 68 GKG m.w.N.;
zuletzt ebenso: LSG NRW vom 24.02.2006, a.a.O., vgl. dazu vorher schon OLG
Brandenburg, Monatsschrift für Deutsches Recht (MDR) 2005, S. 47; deutlich:
Zimmermann in Binz-Dornhöfer, a.a.O., RNr. 16 zu § 68 m.w.N.: "der Wunsch, den
Gegner möglichst zu schädigen, zählt nicht"; auch Schneider-Herget, Streitwert-
kommentar, 12. Auflage, 2007, spricht nur von der Beschwerde des Anwalts, der einen
höheren Vergütungsanspruch fordert, einerseits und von der Herabsetzungsbeschwerde
der Partei andererseits, vgl. RNrn. 4970 f.).
3. Der Senat ist auch nicht gehalten, den Streitwert von Amts wegen gemäß § 63 Abs. 3
S. 1 GKG zu ändern. Ob diese Befugnis dem Beschwerdegericht nur nach Einlegung
einer - hier nicht vorliegenden - zulässigen Beschwerde eines Beteiligten zusteht (wohl
überwiegende Auffassung in Rspr. und Literatur, der der erkennende Senat auch in
Kenntnis der nachfolgend genannten abweichenden obergerichtlichen Entscheidungen
zuneigt: siehe Hartmann, Kostengesetze, Kommentar, 38. Aufl., 2008, RNr. 49 zu § 63
GKG m.w.N.; eingehend Zimmermann in Binz-Dornhöfer, GKG u.a., Kommentar 2007,
RNr 10 zu § 63 m.w.N.; siehe auch LSG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 20.07.2006,
Az.: L 5 ER 130/06 KA; anders aber LSG NRW, Beschluss vom 24.02.2006, Az.: L 10 B
21/05 KA sowie BayLSG, Beschluss vom 09.01.2006, Az.: L 5 B 456/05 KR, beide in:
www.sozialgerichtsbarkeit.de; VGH Mannheim, MDR 1992, 300; OVG Münster, Die
öffentliche Verwaltung (DÖV) 1978, 816), kann dahinstehen; denn zu einer
Sachentscheidung ist das Beschwerdegericht überhaupt nur befugt, wenn seit
Rechtskraft der Ausgangsentscheidung nicht mehr als sechs Monate verstrichen sind.
Dies ist im vorliegenden Fall nicht zu bejahen: Denn der Beschluss des SG vom
25.08.2006 ist den Beteiligten am 26.08.2007 zugestellt worden. Er ist mit Ende der
Beschwerdefrist des § 173 SGG zum Ablauf des 26.09.2007 rechtskräftig geworden. Die
dem Beschwerdegericht offen stehende sechsmonatige Handlungsfrist des § 63 Abs. 3
S. 2 GKG ist jedoch schon am 26.03.2008 abgelaufen, so dass eine Richtigstellung der
Streitwerthöhe ausgeschlossen ist.
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4. Die Beschwerde d. Bgl. kann auch nicht in eine Beschwerde des Bevollmächtigen
nach § 32 Abs. 2 RVG umgedeutet werden (vgl. dazu LSG NRW vom 24.02.2006,
a.a.O.; Zimmermann in Binz-Dornhöfer, a.a.O., RNr. 17 zu § 68 GKG; generell eher
befürwortend Hartmann, a.a.O., RNr. 5 zu § 68 GKG). Denn die am 29.01.2008 verfasste
Beschwerde ist ausdrücklich nur im Namen d. Bgl. eingelegt worden ("Namens und im
Auftrag der Beigeladenen erheben wir Beschwerde"). Dem entsprechenden Hinweis d.
Kl. im Schriftsatz vom 03.03.2008 sind im Übrigen weder d. Bgl. noch ihr
Bevollmächtigter entgegengetreten noch hat der Bevollmächtigte die erst drei Wochen
später (ebenfalls am 26.03.2008) ablaufende Rechtsmittelfrist von sechs Monaten für
eine Beschwerde nach § 32 Abs. 2 RVG genutzt.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 68 Abs. 3 GKG.
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Rechtsmittelbelehrung: Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar, § 177 SGG.
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