Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 09.11.2000
LSG NRW: versorgung, junger erwachsener, krankenversicherung, lift, verfügung, sklerose, heimbewohner, krankheit, zivilprozessordnung, geschäftsfähigkeit
Landessozialgericht NRW, L 5 KR 97/00
Datum:
09.11.2000
Gericht:
Landessozialgericht NRW
Spruchkörper:
5. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
L 5 KR 97/00
Vorinstanz:
Sozialgericht Dortmund, S 8 KR 264/99
Sachgebiet:
Krankenversicherung
Rechtskraft:
rechtskräftig
Tenor:
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts
Dortmund vom 14.04.2000 wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu
erstatten.
Tatbestand:
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Streitig ist die Versorgung der Klägerin mit einem Elektrolifter.
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Die bei der Beklagten versicherte 1961 geborene Klägerin leidet an einer rasch
progredienten Mutiplen Sklerose (MS) mit zunehmenden Paresen und hirnorganischem
Psychosyndrom. Es besteht eine links betonte Tetraspastik mit unüberwindbarer
spastischer Tonussteigerung, die sich bei Berührung krampfartig schlagend verstärkt.
Ferner besteht eine hochgradige Lähmung der Arme mit Zielunsicherheit (Ataxie). Die
Klägerin erhält Leistungen aus der Pflegeversicherung nach der Pflegestufe III. Seit
Januar 1997 lebt sie in einem Altenpflegeheim mit 24 Bewohnern, die mit Ausnahme
der Klägerin zwischen 70 und 95 Jahre alt sind und überwiegend an
Demenzerkrankungen leiden. Im Heim steht ein hydraulisch betriebener Lift sowie zum
Baden ein zusätzlicher Badewannenlift zur Verfügung. Diese Lifte kann die Klägerin
wegen des Krankheitsbildes nicht benutzen, da das für ihren Transport erforderliche
Gurtsystem an dem zur Verfügung stehenden hydraulischen Lift nicht angebracht
werden kann.
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Unter dem 20.11.1998 verordnete die als Vertragsärztin zugelassene Neurologin und
Psychiaterin Dr. A ... einen elektrischen Patientenlifter; die Kosten hierfür belaufen sich
nach dem Kostenvoranschlag des Sanitätshauses auf 2.514,21 DM.
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Mit Bescheid vom 02.12.1998 lehnte die Beklagte die beantragte Versorgung ab, da das
Hilfsmittel vorrangig der Verminderung des Zeitaufwands des Pflegepersonals diene.
Mit ihrem Widerspruch machte die Klägerin geltend, sie habe nach § 40 Abs. 1 Satz 1
Elftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI) Anspruch auf Pflegehilfsmittel. Offenbar auf
Grund dieser Begründung wurde der Widerspruch von der Pflegekasse mit
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Widerspruchsbescheid vom 12.04.1998 zu rückgewiesen, worauf die Klägerin Klage vor
dem Sozialgericht Dortmund erhob (S 8 KR 120/99). In der Klage vertrat sie die
Auffassung, auf Grund der ärztlichen Verordnung handele es sich bei dem begehrten
Patientenlift rechtlich um eine Leistung der Krankenversicherung. Daraufhin wies der
Widerspruchsausschuss der Beklagten mit Bescheid vom 14.09.1999 den Widerspruch
auch für die Krankenkasse zurück, da ein Patientenlifter zu den von der
Pflegeeinrichtung vorzuhaltenden Hilfsmitteln zähle.
Zur Begründung hat die Klägerin im Klageverfahren vorgetragen, sie erleide bei der
Benutzung der hauseigenen Lifter beim Umsetzen erhebliche Schmerzen, so dass bei
der Behandlungs- und Grundpflege Probleme entstünden. Der beantragte "Speziallifter"
führe zu einer Verbesserung ihrer "persönlichen schmerzfreien Lebensqualität".
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Mit Urteil vom 14.04.2000 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Zur Begründung
hat es ausgeführt, soweit bei Hilfsmitteln so wohl die Zuständigkeit der Krankenkassen
wie der Pflegekasse in Betracht komme, sei die Konkurrenz der Ansprüche danach zu
entscheiden, ob der Einsatz des Hilfsmittels ausschließlich der Unterstützung einer
Grundpflegeverrichtung diene oder ob das Hilfsmittel über den grundpflegerischen
Bereich hinaus vom Versicherten benötigt werde. Im vorliegenden Fall diene der Lifter
alleine dazu, die Klägerin aus ihrem Bett in den Rollstuhl zu verbringen. Da
entscheidend auf den unmittelbaren Einsatzbereich des Hilfsmittels abzustellen sei,
beschränke sich der Einsatzbereich des beantragten Lifters auf die Hilfe bei dem
Aufstehen aus dem Bett, das nach § 14 Abs. 4 Ziff. 3 SGB XI zu den
Grundpflegeverrichtungen zähle, so dass ein von der Beklagten zu erfüllender Anspruch
nach § 33 Abs. 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) nicht gegeben sei.
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Zur Begründung ihrer Berufung trägt die Klägerin vor, der begehrte Lifter sei medizinisch
notwendig, da er ihr erlaube, ohne Schmerzen das Bett zu verlassen, um am
gesellschaftlichen Leben teilzunehmen. Sie bezieht sich hinsichtlich der medizinischen
Notwendigkeit auf eine ärztliche Stellugnahme der behandelnden Ärztin Dr. A ... vom
01.04.2000.
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Die Klägerin beantragt,
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das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 14.04.2000 zu ändern und die Beklagte
unter Aufhebung des Bescheides vom 02.12.1998 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 14.09.1999 zu verurteilen, sie mit einem Patientenlifter
der Firma R ... GmbH zu versorgen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend und sieht sich in ihrer Auffassung
durch das den Beteiligten übersandte Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom
10.02.2000 - B 3 KR 26/99 R - bestätigt.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte sowie der Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen, die Gegenstand der
mündlichen Verhandlung gewesen sind.
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Entscheidungsgründe:
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Die Klägerin ist ungeachtet der bestehenden Betreuung prozessfähig (§ 71 Abs. 1
Sozialgerichtsgesetz (SGG)), denn ihre Geschäftsfähigkeit wird durch die eingerichtete
Betreuung (§ 1896 Abs. 1 Bür gerliches Gesetzbuch (BGB)) nicht berührt, so dass sie
selbst klagen kann. § 53 Zivilprozessordnung (ZPO) findet keine Anwendung, da sie in
dem Verfahren nicht durch ihren Betreuer vertreten wird und somit selbst in eigenem
Namen klagen kann.
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Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht
abgewiesen, denn die Klägerin hat keinen Anspruch gegen die Beklagte auf die
Zurverfügungstellung des beantragten Elektrolifters.
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Der Anspruch auf die Versorgung mit einem Patientenlifter kann sich nur aus § 33 Abs.
1 SGB V ergeben. Die von der Klägerin genannte Vorschrift des § 40 Abs. 1 SGB XI ist
für den krankenversicherungsrechtlichen Anspruch nicht einschlägig (darüber hinaus
betrifft diese Vorschrift auch nur die ambulante Pflege). Zwar handelt es sich bei dem
Elektrolift um ein Hilfsmittel im Sinne des § 33 Abs. 1 SGB V. Die Klägerin benötigt
diesen Lift zur Herstellung ihrer Mobilität, da sie infolge der auf Grund der multiplen
Sklerose bestehenden Funktionseinschränkungen des Bewegungsapparates nicht
selbst das Bett verlassen kann. Da ein Lifter nicht von Gesunden benutzt wird, ist er
auch kein Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens.
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Dem Anspruch gegen die Beklagte steht jedoch entgegen, dass die Pflicht der
gesetzlichen Krankenversicherung zur Versorgung der Versicherten mit Hilfsmitteln
nach der gesetzlichen Konzeption des SGB V und des SGB XI dort endet, wo bei
vollstationärer Pflege die Pflicht des Heimträgers auf Versorgung der Heimbewohner mit
Hilfsmitteln einsetzt (BSG, Urteile vom 10.02.2000 - B 3 KR 24/99 R, 25/99, 26/99 R,
28/99 R). In den genannten Entscheidungen hat das Bundessozialgericht (BSG) im
Einzelnen ausgeführt, dass der Träger des Heimes bei vollstationärer Pflege für die im
Rahmen des üblichen Pflegebetriebes notwendigen Hilfsmitteln zu sorgen hat, weil er
verpflichtet ist, die Pflegebedürftigen ausreichend und angemessen zu pflegen, sozial
zu betreuen und mit medizinischer Behandlungspflege zu versorgen. Zu den von den
Pflegeheimen vorzuhaltenden Hilfsmitteln zählen z. B. alle Hilfsmittel, die bei
Verwirrtheitszuständen, Lähmungen und sonstigen Funktionseinschränkungen üblicher
Art (z. B. auch bei multipler Sklerose) benötigt werden. Die gesetzliche
Krankenversicherung hat darüber hinaus nur solche Hilfsmittel zur Verfügung zu stellen,
die individuell angepasst und nach ihrer Natur für den Versicherten bestimmt und
grundsätzlich nur für ihn verwendbar sind oder die der Befriedigung eines allgemeinen
Grundbedürfnisses außerhalb des Pflegeheimes dienen.
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Nach diesen vom BSG aufgestellten Grundsätzen, denen der Senat folgt, zählt der
Elektrolifter zu den vom Heimträger vorzuhalten den Hilfsmitteln. Er wird nur innerhalb
des Heimes eingesetzt und dient, wie schon das Sozialgericht hervorgehoben hat, nur
der Hilfe beim Verlassen des Bettes und dem Benutzen der Badewanne. Zur
Befriedigung eines Grundbedürfnisses außerhalb des Heimes ist er daher nicht
erforderlich. Ebensowenig handelt es sich um ein individuell nur für die Klägerin
bestimmtes Hilfsmittel, auch wenn die übrigen Heimbewohner auf einen solchen
Elektrolifter nicht an gewiesen sind. Wie auch in der ärztlichen Stellungnahme von Dr. A
... eingeräumt wird, kann der Lifter grundsätz lich auch von den anderen
Heimbewohnern benutzt werden.
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Für die Leistungspflicht der Beklagten ist es unerheblich, ob in dem Altenheim, in dem
die Klägerin versorgt wird, ein Lifter der beantragten Art für die übrigen Patienten
benötigt wird. Die für die Versorgung ihrer Bewohner notwendigen Hilfsmittel müssen
die Pflegeheime vorhalten, so dass sie bei Aufnahme einer Patientin wie der Klägerin
auch über die entsprechende Ausstattung verfügen müssen. Zu Recht bezeichnet es Dr.
A ...als Hauptprolem, dass sich die Klägerin in einem Altenpflegeheim befindet, das nur
auf die Versorgung dieses Klientels eingerichtet ist. Sie zieht allerdings den
unzutreffenden Schluss, dass mangels geeigneter Alternativen die optimale Versorgung
der Klägerin mit Hilfsmitteln in diesem Heim zu Lasten der Beklagten gehen müsse. Der
Senat verkennt nicht, dass es Defizite bei der Versorgung pflegebedürftiger junger
Erwachsener geben mag. Soweit geeignete Heime in der näheren Umgebung fehlen,
kann dieses Defizit jedoch nicht zu Lasten der Krankenversicherungsträger gehen. Es
ist Aufgabe der Länder, eine adäquate Versorgungsstruktur vorzuhalten (§ 9 Satz 1 SGB
XI), und es obliegt den Pflegekassen, die pflegerische Versorgung ihrer Versicherten
sicherzustellen (§ 12 Abs. 1 Satz 1 SGB XI). Somit kann die Unterbringung der Klägerin
in einer nicht für ihre Krankheit eingerichteten Pflegeeinrichtung keine Ansprüche gegen
den Träger der Krankenversicherung begründen.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
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Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor. Insbesondere hat der
Rechtsstreit im Hinblick auf die genannten neueste Rechtsprechung des BSG, der sich
der Senat angeschlossen hat, keine grundsätzliche Bedeutung.
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