Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 15.05.2006

LSG NRW: wohnung, unterkunftskosten, mietvertrag, steuererklärung, miete, kündigung, wasser, gas, umzug, rechtskraft

Landessozialgericht NRW, L 19 B 14/06 AS ER
Datum:
15.05.2006
Gericht:
Landessozialgericht NRW
Spruchkörper:
19. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
L 19 B 14/06 AS ER
Vorinstanz:
Sozialgericht Dortmund, S 31 AS 59/06 ER
Sachgebiet:
Grundsicherung für Arbeitssuchende
Rechtskraft:
nicht rechtskräftig
Tenor:
Auf die Beschwerde der Antragsgegenerin wird der Beschluss des
Sozialgerichts Dortmund vom 24.02.2006 geändert.
Der Antrag wird abgelehnt.
Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu
erstatten.
Gründe:
1
I.
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Streitig ist die Verpflichtung der Antragsgegenerin zur einstweiligen Übernahme von
Unterkunftskosten.
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Der Antragsteller wohnt alleine in einer in drei Zimmer nebst Küche aufgeteilten
Wohnung mit einer Gesamtfläche von 60 qm, wovon zumindest in der Vergangenheit
etwa 20 qm gewerblich genutzt wurden. Der Antragsteller zahlt eine Kaltmiete von
monatlich 220,00 Euro, eine Betriebskostenvorauszahlung von monatlich 50,00 Euro
und eine Heizkostenvorauszahlung für eine Gaszentralheizung von monatlich 68,00
Euro. Auf den Antrag vom 12. Dezember 2005 bewilligte die Antragsgegnerin mit
Bescheid vom 06.01.2006 Leistungen nach dem SGB II, bestehend aus dem Regelsatz
und zwei Dritteln der Miete, der Nebenkosten- und der Heizkostenvorauszahlung.
Ferner setzt sie einen Betrag von 18 % von der Heizkostenvorauszahlung (wegen der
im Regelsatz bereits enthaltenen Kosten für Warmwasserzubereitung) ab und bewilligte
für die Unterkunftskosten 217,17 Euro. Hiergegen legte der Antragsteller am 20.01.2006
Widerspruch ein und machte geltend, eine Umzugsaufforderung liege nicht vor; die
Wohnung werde aktuell nicht gewerblich genutzt. Er sei zum Umzug in eine im gleichen
Haus gelegene, nur 43 qm große, jedoch besser ausgestattete Wohnung bereit, für die
eine Kaltmiete von 220,00 Euro sowie Neben- und Heizkosten von zusammen 150,00
Euro anfallen würden.
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Mit Antrag beim Sozialgericht vom 17. Februar 2006 hat der Antragsteller begehrt, die
Antragsgegnerin zur Übernahme der vollen Kosten für Unterkunft und Heizung
zumindest für ein halbes Jahre zu verpflichten. Vor dem Sozialgericht hat die
Antragsgegnerin geltend gemacht, der Antragsteller nutze die Wohnung nach wie vor
(teilweise) gewerblich. Ändere sich dies, werde sie ihre Entscheidung überprüfen.
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Mit Beschluss vom 24.02.2006 hat das Sozialgericht die Antragsgegnerin im Wege der
einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller vorläufig ab 01. Februar 2006
bis 31. Mai 2006 monatlich weitere 108,55 Euro auszuzahlen. Im Übrigen hat das
Sozialgericht den Antrag abgelehnt. Das Sozialgericht hat eine Verpflichtung der
Antragsgegnerin zur Übernahme der vollen Unterkunftskosten, nach Abzug allerdings
einer Pauschale von 18 %, die im Regelsatz enthaltenen Kosten der
Warmwasserbereitung von den Heizkosten, festgestellt, solange der Antragsteller keine
Möglichkeit hat, seine Unterkunftskosten zu senken.
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Gegen den ihr am 24.02.2006 zugestellten Beschluss richtet sich die Beschwerde der
Antragsgegnerin vom 06.03.2006, mit der sie sich weiterhin dagegen wendet, die
Kosten des gewerblich genutzten Anteiles der Wohnung des Antragstellers zu
übernehmen. Zudem habe der Antragsteller die Eilbedürftigkeit einer Entscheidung
nicht dargelegt, da weder eine Wohnungskündigung noch Mietrückstände
nachgewiesen worden seien.
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Hierauf hat der Antragsteller eine Bescheinigung seines Vermieters vorgelegt, wonach
er bei diesem mit drei Monatsmieten im Rückstand sei und eine Kündigung ins Auge
gefaßt sei. Im weiteren Verfahren hat die Antragsgegnerin geltend gemacht, sie vermute
aufgrund der Beobachtungen bei einem Hausbesuch am 23.03.2004, die Wohnung des
Antragstellers werde in erster Linie als Büro genutzt. Der Berichterstatter des Senats hat
auf die Diskrepanz zwischen der angegebenen nur teilweisen Nutzung der
Räumlichkeiten T. Straße zu gewerblichen Zwecken und der Höhe der individuellen
Ermittlung für das Steuerjahr 2004 eingestellten Kosten für Betriebsräume hingewiesen.
Mit Schreiben vom 03.05.2006 hat der Antragsteller eidesstattlich versichert, keine
Aufträge mehr zu bearbeiten. Ab 2000 habe er das Büro auch als Wohnung benutzt. Seit
2004 habe er keine aktuellen Aufträge mehr. In 2004 seien ihm noch Zahlungen für
erledigte Aufträge des Vorjahres zugeflossen. Er halte es deshalb für richtig, diesen
Zahlungen steuerrechtlich den vollen Mietwert gegenüber zu stellen. Zu Einzelheiten
wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.
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II.
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Die zulässige Beschwerde, der das Sozialgericht nicht abgeholfen hat (Beschluss vom
06.03.2006), ist begründet. Der Antragsteller hat keinen Anspruch auf Übernahme der
vollen Kosten für die Wohnung T. Straße als Kosten der Unterkunft i.S. von § 22 SGB II
Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitssuchende -, SGB II. Der hierfür erforderliche
Anordnungsanspruch i.S. eines materiell-rechtlichen Anspruches auf die begehrte
Leistung ist nicht nach dem sich aus §§ 86b Abs. 2 Satz 4, 920 Abs. 2 ZPO ergebenden
Maßstab glaubhaft gemacht. Dabei läßt der Senat die bislang im Vordergrund des
Verfahrens stehende Frage, ob bei teilweiser geweblicher Nutzung einer Privatwohnung
die Gesamtkosten als Aufwendungen für Unterkunftskosten nach § 22 Abs. 1 Satz 1
SGB II so lange zu übernehmen sind, wie es dem Hilfebedürftigen nicht möglich ist, die
Kosten zu senken (für den Fall einer insgesamt zu großen und zu teueren Wohnung,
Beschluss des Hessischen LSG von 30.01.2006, - L 7 AS 1/06 R -), offen. Denn derzeit
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ist zur Überzeugung des Senats nicht glaubhaft gemacht, dass es sich bei den
Aufwendungen für die Anmietung und Nutzung der Wohnung T. Straße überhaupt um
Unterkunftskosten i.S. von § 22 SGB II handelt. Es bestehen nämlich gewichtige
Anhaltspunkte dafür, dass der Antragsteller die Wohnung T. Straße ausschließlich oder
zumindest überwiegend gewerblich genutzt hat und diese Nutzung im Antragszeitraum
fortgesetzt worden ist. Die Wohnung T. Straße wurde nach dem vorgelegten Mietvertrag
aus dem Jahre 1983 zu ausschließlich gewerblichen Zwecken angemietet und die
gewerbliche Nutzung ab dem 01.10.1983 aufgenommen. Die Nutzung zu anderen
Zwecken sollte nach dem Mietvertrag der schriftlichen Zustimmung des Vermieters
bedürfen. Im Widerspruch hierzu steht die Angabe in der vorgelegten
Mietbescheinigung, die Wohnung sei seit dem 01.10.1983 (zu Unterkunftszwecken)
genutzt worden. Diese Angabe steht zugleich in unauflösbarem Widerspruch zur
aktuellen Angabe des Klägers, ab dem Jahre 2000 sei die Wohnung T. Straße zu
Unterkunftszwecken genutzt worden, anfänglich zu 2/3 der Gesamtfläche und wegen
Wegfalls der gewerblichen Nutzung mangels Aufträgen inzwischen insgesamt. Für eine
Fortsetzung der ausschließlich geweblichen Nutzung der Wohnung spricht die vom
Antragsteller vorgelegte Gewinnermittlung im Zusammenhang mit seiner
Steuererklärung für das Steuerjahr 2004. Dort werden den erzielten Einkünften
Mietaufwendungen von 3.931,81 EUR (3.718,00 EUR Miete, 213,81 EUR Gas, Strom,
Wasser) gegenübergestellt. Dies ist - so man dem Antragsteller keine bewußte
Falschangabe im Rahmen seiner Steuererklärung unterstellen will - mit der aktuellen
Angabe unvereinbar, ab dem Jahr 2000 sei lediglich 1/3 der Wohnung T. Straße zu
gewerblichen Zwecken genutzt. Denn die in die Gewinnermittlung für 2004 eingestellten
Mietaufwendungen entsprechen nicht einem Drittel der Aufwendungen für die
Anmietung der Wohnung T. Straße, sondern den Gesamtkosten dieser Anmietung.
Nach den der Antragstellung zugrundeliegenden aktuellen Verhältnissen hat der Kläger
die durch Vorlage der Kontoauszüge seines Vermieters nachgewiesenen 338,00 EUR
monatlich, jährlich mithin 4.056,00 EUR für die Wohnung T. Straße aufzubringen.
Angesichts dieses bislang nicht aufgelösten Widerspruches zwischen der Angabe in der
Mietbescheinigung einerseits, die Wohnung werde bereits seit 1983 (zu
Unterkunftszwecken) genutzt und der jetzt aufgestellten Behauptung, die Wohnung sei
bis 2000 ausschließlich, danach nur noch zu einem Drittel, gewerblich genutzt worden,
kommt es auf weitere Zweifel an der Nutzung zu Unterkunftszwecken, die sich aus den
Beobachtungen eines Mitarbeiters der Antragsgegenerin bei einem Hausbesuch am
23.03.2006 ergeben nicht an. In einem möglichen Hauptsacheverfahren wird auch zu
beachten sein, dass der Antragsteller die tatsächliche Erbringung von Mietzahlungen
bislang nur durch Kontoauszüge seines Vermieters, nicht jedoch durch Auszüge vom
Überweisungskonto nachgewiesen hat.
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Die Kostenentscheidung folgt der Entscheidung in der Sache und beruht auf § 193 Abs.
1 SGG in entsprechender Anwendung.
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Dieser Beschluss ist nach § 177 SGG endgültig.
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