Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 23.01.2008

LSG NRW: umschulung, leistungsausschluss, härtefall, zweitausbildung, erlass, heizung, darlehen, kauf, zuschuss, aufzählung

Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss vom 23.01.2008 (rechtskräftig)
Sozialgericht Köln S 11 AS 225/07 ER
Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen L 19 B 173/07 AS ER
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Köln vom 19.11.2007 wird
zurückgewiesen. Kosten des Beschwerdeverfahren sind nicht zu erstatten.
Gründe:
I. Die Antragstellerin begehrt von der Antragsgegnerin die vorläufige Bewilligung von höheren Leistungen der
Grundsicherung nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II).
Die am 00.00.1956 geborene Klägerin ist deutsche Staatsangehörige. Nach einem Studium von 1989 bis 1995 erwarb
sie die Qualifikation als Diplom-Ingenieurin im Bereich Architektur. In der Zeit vom 24.10.2005 bis 31.03.2006 bezog
sie von der Antragsgegnerin Leistungen nach dem SGB II. Die Antragstellerin wohnt mit ihrer am 00.00.1990
geborenen Tochter, E L, zusammen. Sie lebt von ihrem Ehemann getrennt.
Seit dem 01.09.2006 besucht die Antragstellerin die C-Schule in C mit dem Ziel der Ausbildung zur pharmazeutisch-
technischen Assistentin (PTA). Die schulische Ausbildung dauert vom 01.09.2006 bis August 2008. Daran schließt
sich ein halbjähriges Apothekenpraktikum bis zum 28.02.2009 an.
Aufgrund eines Antrages vom 28.12.2006 bewilligte die Antragsgegnerin der Antragstellerin durch Bescheid vom
04.05.2007 Leistungen nach § 21 Abs. 3 Nr. 2 SGB II (Mehrbedarf für Alleinerziehende) für die Zeit vom 01.02. bis
zum 31.07.2007 in Höhe von 41,00 EUR monatlich. Des weiteren gewährte sie der Tochter der Klägerin laufende
Leistungen nach dem SGB II in Form von Regelleistung und Kosten der Unterkunft monatlich in Höhe von insgesamt
451,04 EUR. Die Gewährung weiterer Leistungen an die Antragstellerin lehnte die Antragsgegnerin unter Berufung auf
§ 7 Abs. 5 SGB II ab. Den hiergegen eingelegten Widerspruch wies die Antragsgegnerin wegen Versäumung der
Widerspruchsfrist als unzulässig zurück.
Durch Bescheid vom 02.07.2007 gewährte die Antragsgegnerin der Antragstellerin für die Zeit vom 01.08. bis
31.01.2008 Leistungen nach § 21 Abs. 3 Nr. 2 SGB II in Höhe von 42,00 EUR monatlich. Mit einem weiteren
Bescheid vom 02.07.2007, adressiert an die Antragstellerin, bewilligte die Antragsgegnerin der Bedarfsgemeinschaft,
bestehend aus der Antragstellerin und ihrer minderjährigen Tochter, Leistungen nach dem SGB II in Höhe von 453,04
EUR (Regelleistung für die Tochter 124,00 EUR + Kosten für Unterkunft und Heizung 329,04 EUR).
Am 17.10.2007 hat die Antragstellerin beim Sozialgericht (SG) Köln den Erlass einer einstweiligen Anordnung mit dem
Ziel der vorläufigen Gewährung von höheren Leistungen nach dem SGB II beantragt.
Sie hat vorgetragen, sie habe am 12.07.2007 gegen den Bescheid vom 02.07.2007, mit dem ihr ein Mehrbedarf für
Alleinerziehende bewilligt worden sei, Widerspruch mit dem Begehren eingelegt, höhere Leistungen zu erhalten. Über
den Widerspruch habe die Antragsgegnerin bislang nicht entschieden. Deshalb habe sie eine Untätigkeitsklage
erhoben.
Die Antragsgegnerin hat dargelegt, dass bei ihr ein Widerspruch gegen den Bescheid vom 02.07.2007 nicht registriert
sei. Die Antragstellerin könne den Bescheid nur nach § 44 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) überprüfen
lassen. Ein Anspruch der Antragstellerin auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II sei
nach § 7 Abs. 5 Satz 1 SGB II ausgeschlossen, da die Ausbildung der Antragstellerin zur pharmazeutisch-
technischen Assistentin dem Grunde nach nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BaföG) förderungsfähig
sei. Unerheblich sei, dass die Antragstellerin tatsächlich keine Leistung nach dem Bafög beziehe. Bei einer
persönlichen Vorsprache am 12.01.2006 sei der Antrag der Antragstellerin auf Finanzierung einer Umschulung zur
PTA abgelehnt worden, da die Fördervoraussetzungen nicht vorgelegen hätten. Nachdem die Antragstellerin seit dem
01.04.2006 aufgrund einer verbesserten Einnahmesituation ihres Ehemannes nicht mehr auf Hilfe zum
Lebensunterhalt nach dem SGB II angewiesen gewesen sei, habe sie die Finanzierung der Umschulung zur PTA bei
der Agentur für Arbeit in C beantragt. Die Agentur für Arbeit habe der Antragstellerin einen Bildungsgutschein für die
Umschulung zur PTA unter der Voraussetzung ausgestellt, dass sie ihren Lebensunterhalt aus eigenen Mitteln
bestreiten könne. Darauf hin habe die Antragstellerin ab dem 01.09.2006 die Ausbildung zur PTA aufgenommen. Bei
der Antragstellerin liege kein Härtefall i.S. des § 7 Abs. 5 Satz 2 SGB II vor. Deshalb habe ihr auch keine
darlehensweise Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II gewährt werden können.
Durch Beschluss vom 19.11.2007 hat das SG Köln den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt.
Auf die Gründe wird Bezug genommen.
Gegen den am 21.11.2007 zugestellten Beschluss hat die Antragstellerin am 28.11.2007 Beschwerde eingelegt.
Sie verfolgt ihr Begehren weiter.
Sie trägt vor, sie absolviere eine Zweitausbildung. Es sei nicht zumutbar und hinnehmbar, dass sie ihre Ausbildung
abbrechen müsse um leistungsberechtigt nach dem SGB II zu sein. Sie habe das Widerspruchsschreiben vom
12.07.2007 gleichzeitig mit der Begründung ihres Widerspruches vom 29.06.2007 an die Antragsgegnerin abgesandt.
Es sei unverständlich, dass die Widerspruchsbegründung vom 12.07.2007 bei der Antragsgegnerin eingegangen sei,
jedoch nicht ihren Widerspruch gegen den Bescheid vom 02.07.2007. Sie begehrt die vorläufige Gewährung von
Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II bis zur endgültigen Entscheidung.
II. Die zulässige Beschwerde, der das Sozialgericht nicht abgeholfen hat (Beschluss vom 29.11.2007) ist
unbegründet.
Die Antragstellerin hat keine Anspruch auf einstweilige Verpflichtung der Antragsgegnerin nach § 86b Abs. 2 Satz 2
Sozialgerichtsgesetz (SGG) auf die Erbringung von höheren Leistungen nach dem SGB II. Das SG hat zutreffend die
Glaubhaftmachung eines Anordnungsanspruches verneint.
Der Anspruch der Antragstellerin auf weitere Leistungen nach dem SGB II ist wegen des Besuchs einer
Berufsfachschule nach § 7 Abs. 5 Satz 1 SGB II ausgeschlossen. Hiernach haben Auszubildende, deren Ausbildung
im Rahmen des Bundesausbildungsförderungsgesetzes oder der §§ 60 bis 62 SGB II dem Grunde nach
förderungsfähig ist, keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts.
Die von der Antragstellerin im September 2006 aufgenommene Ausbildung zur PTA ist nach §§ 2 Abs. 1 Nr. 2 BaföG
(dem Grunde nach) förderbar. Denn sie besucht eine Berufsfachschule, deren Besuch eine abgeschlossene
Berufsausbildung nicht voraussetzt und die in einem zumindest zweijährigen Bildungsgang den berufsqualifizierenden
Abschluss einer PTA vermitteln soll. Dies ergibt sich aus den von dem Senat eingeholten Auskünften der
Bezirksregierung Köln und der Ausbildungsstätte. Unerheblich ist, dass die Ausbildung der Antragstellerin aus
persönlichen Gründen - Überschreiten der Höchstaltersgrenze von 30 Jahren - nach § 10 Abs. 3 BaföG dem Grunde
nach nach den Vorschriften des BaföG nicht förderungsfähig ist. Denn die Vorschrift des § 7 Abs. 5 Satz 1 SGB II
knüpft nicht daran an, ob der Auszubildenden angesichts in ihrer Person liegenden Eigenschaften dem Grunde nach
eine Ausbildungsförderung nach dem Bafög zusteht oder nicht , sondern allein daran, ob die von der Auszubildenden
besuchte Ausbildung dem Grunde nach förderungsfähig ist (vgl. zur Maßgeblichkeit der abstrakten
Förderungsfähigkeit im Rahmen des § 7 Abs. 5 Satz 1 SGB II: LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 10.10.2007, L 18
AS 347/07; LSG NRW, Beschluss vom 04.01.2007, L 20 B 315/06 AS ER und vom 14.11.2007, L 9 B 100/07 AS;
Pressemitteilungen des BSG zu den Urteilen vom 06.09.2007, B 14/7b AS 36/06 R und B 14/7b AS 28/06 R). Einer
der Ausnahmetatbestände des § 7 Abs. 6 SGB II, in dem Ausnahmen zu dem in § 7 Abs. 5 Satz 1 SGB II
vorgesehenen Leistungsausschluss geregelt sind, erfüllt die Antragstellerin nicht.
Ebenfalls liegen die Voraussetzungen einer darlehensweisen Gewährung von Leistungen nach dem SGB II nach § 7
Abs. 5 Satz 2 SGB II nicht vor. Hiernach können in besonderen Härtefällen Leistungen zur Sicherung des
Lebensunterhalts als Darlehen geleistet werden. Ein besonderer Härtefall ist nur dann zu anzuerkennen, wenn die
Folgen des Anspruchsauschlusses über dasjenige Maß hinausgehen, das regelmäßig mit der Versagung der Hilfe
zum Lebensunterhalts für eine Ausbildung verbunden ist und vom Gesetzgeber in Kauf genommen worden ist.
Deshalb müssen im Einzelfall Umstände hinzutreten, die auch im Hinblick auf den Gesetzeszweck, die
Grundsicherung von den finanziellen Lasten der Ausbildungsförderung freizuhalten, den Ausschluss übermäßig hart
erscheinen lassen. Ein besonderer Härtefall muss über die mit dem Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 5 Satz 1
SGB II verbundenen Folgen, im Regefall die Ausbildung nicht oder nur eingeschränkt fortsetzen zu können deutlich
hinausgehen. Es muss ein atypischer Lebenssachverhalt vorliegen, der es für eine Auszubildende auch unter
Berücksichtigung des öffentlichen Interesses objektiv nicht zumutbar erscheinen lässt, ihre Ausbildung zu
unterbrechen; die Folgen des Anspruchsauschlusses müssen deshalb über das Maß hinausgehen, das regelmäßig
mit der Versagung der Leistungen zum Lebensunterhalt für eine Ausbildung verbunden ist (LSG NRW, Beschluss vom
14,11,2007, L 9 B 100/07 AS m.w.N., Beschluss vom 04.01.2007, L 20 B 315/06 AS ER; Beschluss vom 23.08.2006,
L 19 B 20/06 AS ER; LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 10.10.2007, L 18 AS 347/07). Das Vorliegen eines solchen
atypischen Lebenssachverhalts hat die Antragstellerin nicht glaubhaft gemacht. Soweit sie vorträgt, dass der
Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 5 Satz 1 SGB II zur Folge habe, dass sie ihre im September 2006 begonnene
Zweitausbildung abbrechen müsse, um zum Bezug von Leistungen nach dem SGB II berechtigt zu sein, handelt es
sich um die typische Konsequenz des Anspruchsauschlusses, die vom Gesetzgeber beabsichtigt und hinzunehmen
ist. Die Antragstellerin stand bei der erneuten Antragsstellung im Juli 2007 auch nicht am Ende ihrer 2,5 jährigen
Ausbildung , sondern an deren Beginn. Dabei hat der Senat auch berücksichtigt, dass die Antragstellerin bei
Aufnahme ihrer 2, 5 jährigen Ausbildung zur PTA im September 2006 Kenntnis davon hatte, dass ihr Lebensunterhalt
während der Ausbildung weder durch Leistungen nach dem BaföG noch den Vorschriften des SGB III gesichert war,
sondern sie ihren Lebensunterhalt während ihrer Ausbildung ihre Lebensunterhalt aus privaten Mitteln, u. a. durch
Unterhaltszahlungen ihres getrennt lebenden Ehemannes, sichern musste. Bei der Aufnahme der Ausbildung konnte
die Antragstellerin nicht davon ausgehen, dass die finanzielle Grundlage ihrer Ausbildung aufgrund der
Unterhaltszahlungen ihres Ehemannes gesichert war, da sie schon vor Beginn der Ausbildung wegen der fehlenden
Leistungsfähigkeit ihre Ehemannes auf Leistungen nach dem SGB II angewiesen gewesen war.
Die Antragstellerin kann auch keinen Zuschuss zu den Kosten für Unterkunft und Heizung § 22 Abs. 7 Satz 1 SGB II
beanspruchen. Denn die Antragstellerin bezieht keine der in § 22 Abs. 7 Satz 1 SGB II aufgezählten Leistungen. Nach
der abschließenden Aufzählung sind danach nur die Auszubildenden anspruchsberechtigt, die
Berufsausbildungsbeihilfe (§§ 59 SGB III), Ausbildungsgeld (§§ 104 SGB II) oder Leistungen nach dem BaföG
erhalten. Die Antragstellerin bezieht keine solche Leistung.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG)