Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 24.09.2008
LSG NRW: aufschiebende wirkung, wiederherstellung der aufschiebenden wirkung, öffentliches interesse, steuerberater, anfechtungsklage, sicherheitsleistung, rechtsschutz, nachforderung, hauptsache
Landessozialgericht NRW, L 16 B 11/08 R ER
Datum:
24.09.2008
Gericht:
Landessozialgericht NRW
Spruchkörper:
16. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
L 16 B 11/08 R ER
Vorinstanz:
Sozialgericht Dortmund, S 15 R 162/08 ER
Sachgebiet:
Rentenversicherung
Rechtskraft:
rechtskräftig
Tenor:
Die Beschwerden der Antragstellerin gegen den Beschluss des
Sozialgerichts Dortmund vom 02.07.2008 werden zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch für das Beschwerdeverfahren nicht
zu erstatten.
Gründe:
1
I.
2
Streitig ist im Hauptsacheverfahren, das bei dem Sozialgericht Dortmund unter dem Az.
S 46 (15) R 155/08 geführt wird, die Rechtmäßigkeit einer Nachforderung von
Gesamtsozialversicherungsbeiträgen in Höhe von 13.979,76 EUR zuzüglich
Säumniszuschlägen in Höhe von 5.091,00 EUR. Im vorliegenden einstweiligen
Rechtsschutzverfahren erstrebt die Antragstellerin (ASt in) Vollstreckungsschutz sowie
die Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) unter Beiordnung von Rechtsanwalt T
aus T.
3
In der Zeit vom 24.03.2006 bis zum 16.04.2007 führte die Antragsgegnerin (AG in) in
dem Imbissbetrieb der ASt in für den Prüfzeitraum vom 01.01.2002 bis zum 31.12.2005
eine Betriebsprüfung gemäß § 28p Abs. 1 Sozialgesetzbuch Viertes Buch (SGB IV)
durch. Mit Bescheid vom 20.06.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom
08.05.2008 machte die AG in die o. g. Nachforderung geltend. Sie ging dabei davon
aus, dass die ASt in Arbeitnehmer beschäftigt und entlohnt habe, ohne diese gegenüber
den Trägern der gesetzlichen Sozialversicherung grundsätzlich bzw. den tatsächlichen
Verhältnissen entsprechend anzumelden und damit im Zusammenhang stehend die ihr
als Arbeitgeberin obliegenden Aufzeichnungs- und Meldepflichten nicht
ordnungsgemäß erfüllt habe. In der Finanzbuchhaltung der Firma der ASt in seien für
die Jahre 2002 und 2003 Aushilfslöhne und Lohnsummen gebucht worden, die bis zum
Abschluss des Vorverfahrens nicht durch Lohnkonten, Monatsabrechnungen,
Arbeitsverträge, Beitragsnachweise oder Stundenaufzeichnungen hätten belegt werden
können. Auch seien Meldungen zur Sozialversicherung nicht oder völlig unzureichend
4
erstellt worden; die gemeldeten Entgeltdaten hätten mit den Buchungen nicht
übereingestimmt. Der Steuerberater P der ASt in hatte insoweit am 24.03.2006 erklärt
und unterschriftlich bestätigt, dass im gesamten Prüfzeitraum keinerlei Lohnunterlagen
geführt worden seien. Auf diesen Umstand wurde auch im Protokoll der
Schlussbesprechung am 14.11.2006, wiederum unterschriftlich bestätigt durch den
Steuerberater P der ASt in, hingewiesen. Die mit dem Widerspruch angekündigten
Unterlagen hatte der Steuerberater trotz Erinnerung nicht vorgelegt.
Parallel zu der am 06.06.2008 zum Sozialgericht Dortmund erhobenen Klage hat die
ASt in im Rahmen ihres Antrages auf "Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung
des Widerspruchs vom 10.07.2007 gegen den Bescheid vom 20.06.2007" geltend
gemacht, sie habe den Imbissbetrieb bis zum 31.12.2006 geführt. Sie sei eine
sorgfältige Geschäftsfrau, die ihren Aufzeichnungspflichten stets nachgekommen sei.
Allerdings seien die von der AG in geforderten Unterlagen offensichtlich im Rahmen von
Umzügen, die wegen Bauarbeiten in ihrer Wohnung und in dem Betrieb stattgefunden
hätten, verloren gegangen. Zuvor seien sie jedoch jeweils von dem Steuerberater P
dem Bearbeitungsauftrag entsprechend weiterbearbeitet worden. Wenn von ihr die
Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung verlangt werden sollte, so sei sie
gegenüber Banken und Vertragspartnern diskreditiert; ihr drohten erhebliche
wirtschaftliche Nachteile. Auch eine Sicherheitsleistung könne sie nicht erbringen; denn
sie verfüge nach Aufgabe des Betriebes nicht über entsprechende finanzielle
Möglichkeiten.
5
Die ASt in hat zunächst beantragt,
6
die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs vom 10.07.2007 herzustellen.
7
Trotz des Hinweises des Sozialgerichts, dass die aufschiebende Wirkung des
Widerspruchs vom 10.07.2007 nicht wieder hergestellt werden könne, nachdem die AG
in über diesen bereits entschieden habe und ein Klageverfahren anhängig sei, hat der
Prozessbevollmächtigte der ASt in seinen Antrag lediglich geringfügig modifiziert und
schriftsätzlich beantragt,
8
die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs vom 10.07.2007 anzuordnen.
9
Die AG in hat schriftsätzlich beantragt,
10
den Antrag zurückzuweisen.
11
Sie hat neben formellen Bedenken geltend gemacht, die ASt in habe entgegen allen
Ankündigungen auch während der gerichtlichen Verfahren keine die Buchungen
belegenden Unterlagen vorgelegt. Sie trage auch erstmals im Klageverfahren vor, dass
die Unterlagen verloren gegangen seien. Bislang sei behauptet worden, entsprechende
Unterlagen seien nie geführt worden. Dennoch sei sie, die AG in, in Übereinstimmung
mit der Einzugsstelle bereit, einer Aussetzung der Beitragsforderung nach § 86b SGG
bis zur rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache zuzustimmen, wenn die ASt in
eine entsprechende Sicherheitsleistung erbringe und sich verpflichte, den
Nachforderungsbetrag angemessen zu verzinsen.
12
Das Sozialgericht hat mit Beschluss vom 02.07.2008 den Antrag auf einstweiligen
Rechtsschutz zurückgewiesen und den Antrag auf Bewilligung von PKH abgelehnt. Der
13
Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz sei nicht statthaft. Nachdem der Widerspruch der
ASt in mit Widerspruchsbescheid vom 08.05.2008 zurückgewiesen und Klage erhoben
worden sei, habe statthaft lediglich die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der
erhobenen Anfechtungsklage begehrt werden können. Trotz gerichtlichen Hinweises
habe der Prozessbevollmächtigte der ASt in, dessen Verhalten sie sich zurechnen
lassen müsse, seinen Antrag nicht entscheidend umgestellt. Eine Umdeutung des
Antrages verbiete sich. Mangels hinreichender Erfolgsaussichten des Eilverfahrens sei
auch der Antrag auf Bewilligung von PKH abzulehnen gewesen.
Gegen den ihren Prozessbevollmächtigten am 04.07.2008 zugestellten Beschluss hat
die ASt in am 10.07.2008 "sofortige Beschwerde" eingelegt. Sie erachtet die
Entscheidung des Sozialgerichts, das nicht auf den geänderten Antrag eingegangen
sei, als willkürlich. Im Übrigen bezieht sie sich zur Begründung auf den bisherigen
Vortrag.
14
Die ASt in stellt schriftsätzlich keinen Antrag.
15
Die AG in beantragt schriftsätzlich,
16
die Beschwerde der ASt in gegen den Beschluss des Sozialgerichts Dortmund vom
02.07.2008 zurückzuweisen.
17
Sie erachtet die erstinstanzliche Entscheidung als zutreffend.
18
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes und des Vorbringens der
Beteiligten im Einzelnen wird auf den Inhalt der Prozess- und der Verwaltungsakte
sowie der beigezogenen Akte des Sozialgerichts Dortmund, Az.: S 46 (15) R 155/08,
Bezug genommen, die ihrem wesentlichen Inhalt nach Gegenstand der Entscheidung
gewesen sind.
19
II.
20
Die zulässige, insbesondere fristgerecht erhobene "sofortige Beschwerde", die das
SGG - anders als § 567 Zivilprozessordnung (ZPO) und § 78 Arbeitsgerichtsgesetz
(ArbGG) - nicht kennt und die als Beschwerde gemäß § 172 Abs. 1 i. V. m. § 173 S. 1
SGG auszulegen ist, ist nicht begründet. Das Sozialgericht hat zu Recht mit Beschluss
vom 02.07.2008 den Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz zurückgewiesen und den
Antrag auf Bewilligung von PKH abgelehnt. Der Senat verweist zur Begründung auf die
zutreffenden Gründe der erstinstanzlichen Entscheidung, denen er sich entsprechend §
153 Abs. 2 SGG nach eigener Prüfung der Sach- und Rechtslage vollinhaltlich
anschließt. Der Prozessbevollmächtigte der ASt in hat nicht einmal im
Beschwerdeverfahren eine Umstellung seines Antrages vorgenommen und unter
Änderung des Beschlusses des Sozialgerichts Dortmund vom 02.07.2008 die
Anordnung der aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage gemäß § 86b Abs. 1 S. 1
Nr. 2 i. V. m. § 86a Abs. 2 Nr. 1 SGG beantragt. Vielmehr hat er die erstinstanzliche
Umstellung seines Antrages, die sich auf die Auswechslung der Verben "herzustellen"
und "anzuordnen" beschränkt hat, auch in Kenntnis der erstinstanzlichen
Entscheidungsgründe als ausreichend angesehen. Dieser Auffassung vermag sich der
Senat in Bezugnahme auf die zutreffende Entscheidung des Sozialgerichts in keiner
Weise anzuschließen.
21
Der Senat weist ergänzend darauf hin, dass der Antrag der ASt in auch unbegründet ist.
Diese hat weder einen Anordnungsgrund, also die besondere Eilbedürftigkeit des
Verfahrens, glaubhaft gemacht noch ist ein Anordnungsanspruch ersichtlich.
22
Ein Anspruch auf vorläufige Aussetzung der Vollstreckung ist nicht ersichtlich. Nach §
86b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag in den Fällen, in
denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die
aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Die aufschiebende Wirkung
entfällt gemäß § 86a Abs. 2 Nr. 1 SGG bei Entscheidungen über Beitragspflichten und
die Anforderung von Beiträgen einschließlich der darauf entfallenden Nebenkosten, um
die es vorliegend geht. Maßstab für eine Entscheidung im Eilverfahren, ob dennoch die
aufschiebende Wirkung durch das Gericht angeordnet wird, ist gemäß § 86b Abs. 1 S. 1
Nr. 2 SGG eine umfassende Abwägung des privaten Aufschubinteresses des
Antragstellers einerseits und des öffentlichen Interesses an der Vollziehung des
Verwaltungsaktes andererseits. Vor allem dann, wenn der Verwaltungsakt bereits nach
summarischer Prüfung offensichtlich rechtswidrig ist, kann schlechterdings ein
öffentliches Interesse an seiner sofortigen Vollziehbarkeit nicht bestehen, so dass das
Aufschubinteresse Vorrang hat. In den anderen Fällen verbleibt es bei der gesetzlichen
Anordnung des Entfallens der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs und der
Anfechtungsklage.
23
Für eine offensichtliche Rechtswidrigkeit des mit der Klage angefochtenen Bescheides
vom 20.06.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.05.2008 bestehen
nach der in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gebotenen summarischen
Prüfung der Sach- und Rechtslage keine Anhaltspunkte. Im Hinblick auf die zweifache
Erklärung des Steuerberaters P, dass die ASt in nie entsprechende Lohnunterlagen
geführt habe, erscheint der erstmals im gerichtlichen Verfahren behauptete Verlust
entsprechender Unterlagen nicht nachvollziehbar. Insoweit hat die ASt in zur
Glaubhaftmachung nicht einmal eine eidesstattliche Versicherung von Beschäftigten
oder des Steuerberaters vorgelegt. Im Übrigen sollte sich die ASt in über mögliche
strafrechtliche Folgen falscher Angaben in einem gerichtlichen Verfahren klar werden.
Bezüglich ihres privaten Aufschubinteresses hat sich die ASt in auf den Vortrag
beschränkt, ihre finanziellen Verhältnisse erlaubten weder die Zahlung der
nachgeforderten Beiträge noch die Einholung einer Sicherheitsleistung, ohne
schlüssige Angaben zu den aktuellen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen
zu machen. Aus der im Beschwerdeverfahren zu den Akten gereichten Erklärung über
die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse geht lediglich hervor, wie hoch das
Einkommen der ASt in und ihres Ehemannes im Jahre 2006 gewesen ist, nicht aber,
wovon sie und ihre vier Kinder ihren Lebensunterhalt nach der behaupteten Aufgabe
des Gewerbebetriebes bestreiten, die ebenfalls nicht durch eine Kopie der
Gewerbeabmeldung nachgewiesen worden ist, insbesondere, welche Einkünfte der
dem Grunde nach unterhaltspflichtige Ehemann aktuell erzielt. Es dürfte wohl kaum der
Wahrheit entsprechen, dass die sechsköpfige Familie ausschließlich über Kindergeld
und die Eigenheimzulage als Einkommen verfügt. Auch bezüglich der Angaben zu den
persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen ist die ASt in eindringlich auf ihre
Wahrheitspflicht zu verweisen.
24
Die gegen die Ablehnung der Bewilligung von PKH gerichtete Beschwerde war, wie
das Sozialgericht ebenfalls zutreffend ausgeführt hat, wegen mangelnder
Erfolgsaussichten zurückzuweisen.
25
Die Kostenentscheidung folgt aus einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.
26
Der Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten
werden, § 177 SGG.
27