Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 28.10.2009

LSG NRW (berechnung, partner, gemeinschaftspraxis, praxis, bemessungszeitraum, job sharing, umsatz, honorar, höhe, begründung)

Landessozialgericht NRW, L 11 KA 3/08
Datum:
28.10.2009
Gericht:
Landessozialgericht NRW
Spruchkörper:
11. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
L 11 KA 3/08
Vorinstanz:
Sozialgericht Düsseldorf, S 14 KA 202/04
Sachgebiet:
Vertragsarztangelegenheiten
Rechtskraft:
rechtskräftig
Tenor:
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts
Düsseldorf vom 05.12.2007 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen,
dass die Beklagte bei der Neubescheidung die Rechtsauffassung des
Senats zu beachten hat. Die Beklagte trägt die notwendigen
erstattungsfähigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin und die
Gerichtskosten für beide Rechtszüge zu 2/3. Die Klägerin trägt die
notwendigen erstattungsfähigen außergerichtlichen Kosten der
Beklagten und die Gerichtskosten für beide Rechtszüge zu 1/3. Die
Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
1
Im Berufungsverfahren ist zwischen den Beteiligten die Höhe des Honorars der Klägerin
für das Quartal IV/2003 und insofern das von der Beklagten die Honoraransprüche
begrenzende Individualbudget streitig.
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Die klagende Gemeinschaftspraxis, die in wechselnder Zusammensetzung aus
Gynäkologen und Anästhesisten mit Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung
besteht, hat ihren Praxissitz in I. Ab 01.07.1997 gehörten der damals bereits seit über
fünf Jahren etablierten Klägerin die Fachärzte Dr. Z, Dr. C1, Dr. I und L an. Der Partner
Dr. C1 verstarb am 17.01.1998. Ab dem Quartal III/1998 war sodann die Anästhesistin
Dr. C als vierte Partnerin tätig.
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Zum 01.07.1999 wurde erstmals ein Individualbudget in Höhe von 3.385.781,7 Punkten
errechnet. Dabei legte die Beklagte den von der Klägerin im Bemessungszeitraum
(III/1997 bis II/1998) erzielten Umsatz zu Grunde, teilte diesen durch drei und wies in
ihrer internen Berechnung den Ärzten Dr. Z, Dr. I und L einen auf dieser Grundlage
errechneten IB-Anteil von 897.727,9 Punkten zu. Für die Anästhesistin Dr. C legte sie
den Fachgruppendurchschnitt von 692.598 Punkten zu Grunde, da deren Niederlassung
erst zum 01.07.1998 erfolgt war. Auf der Basis dieses IB s von 3.385.781,7 Punkten
erfolgten die Honorarabrechnungen der Quartale III/1999 bis III/2000.
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Zum Quartal lV/2000 schied Dr. I aus der Praxis aus. Deren Nachfolge trat die
Gynäkologin S an. Die Beklagte legt insoweit den Fachgruppendurchschnitt i.H.v.
596.255 Punkten zu Grunde. Das IB der Klägerin wurde entsprechend mit 3.084.308,8
Punkten ausgewiesen.
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Nachfolgend (III/2001) schied die Ärztin L aus. Das der Klägerin zugewiesene IB wurde
auf 2.994.536,1 Punkte gesenkt. Nach Wiedereintritt der Ärztin L in die
Gemeinschaftspraxis (II/2002) wurde das Honorar der Klägerin wieder auf der Basis
eines IB von 3.084.308,8 Punkten abgerechnet.
6
Mit Schreiben vom 05.03.2004 wies die Beklagte die Klägerin darauf hin, dass bei der
Berechnung des Punktzahlvolumens der Fachgruppendurchschnitt für Dr. C zweimal
berücksichtigt worden sei. Für die Dres. L und I sowie Z und C1 habe ein
Punktzahlvolumen von 2.667.447,4 Punkten zur Verfügung gestanden. Da Dr. C1 am
17.10.1998 verstorben sei, habe sie - die Beklagte - einerseits ein Viertel an Punkten
(666.861,9 Punkte) heraus gerechnet und andererseits einen den
Fachgruppendurchschnitt in Höhe von 692.598,0 Punkten für Dr. C hinzu addiert.
Aufgrund dieser Umrechnung habe der Gemeinschaftspraxis Z, C, L und S ein
Punktzahlvolumen von 2.693.183,7 Punkten zur Verfügung gestanden. Tatsächlich
seien für die Gemeinschaftspraxis jedoch 3.385.781,7 Punkte hinterlegt worden. Das
Schreiben enthält einen handschriftlichen Vermerk vom 13.04.2004, dass sich die
Korrektur auf das Quartal IV/2003 beziehe und der richtige Wert 2.693.183,7 Punkte
betrage. Ferner wurde festgehalten, dass der Klägerin momentan keine korrigierte
Mitteilung geschickt werde.
7
Die Klägerin erhob gegen das Schreiben vom 05.03.2004 Widerspruch. Die
Punktzahlabsenkung sei nicht nachvollziehbar, da es an einer entsprechenden
Begründung fehle. Das Punktzahlvolumen sei zum Quartal IIl/1999 auf 3.385.782
Punkte festgesetzt worden. Eine nachträgliche Reduzierung dieser Ausgangsbasis sei
auch dann nicht zulässig, wenn die Festsetzung tatsächlich fehlerhaft gewesen sei.
Nach § 45 Abs. 3 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) könne ein rechtswidrig
begünstigender Verwaltungsakt mit Dauerwirkung nur bis zum Ablauf von zwei Jahren
nach seiner Bekanntgabe zurückgenommen werden. Diese Frist sei bereits abgelaufen.
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Dieser wie auch der Widerspruch der Klägerin gegen die Honorarabrechnung vom
06.04.2004 blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 24.08.2004). Der Widerspruch
sei unzulässig, soweit er sich gegen das Schreiben vom 05.03.2004 richte. Denn hierbei
handele es sich um eine bloße Mitteilung und keinen Verwaltungsakt. Die Anpassung
des Individualbudgets stelle keine eigenständige Regelung dar, sondern ergebe sich
zwangsläufig aus den generell-abstrakten Regelungen im Honorarverteilungsmaßstab
(HVM). Der Widerspruch gegen den Honorarbescheid sei unbegründet, weil die
Bemessung des Individualbudgets rechtmäßig und nunmehr zutreffend umgesetzt
worden sei. Zur weiteren Begründung stellte die Beklagte die "richtige Entwicklung des
maximal zulässigen Punktzahlvolumens bis zum Quartal IV/03" zusammenfassend wie
folgt dar:
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III/1997 - II/1998 2.667.447,6 Punkte Ausscheiden Dr. C1 (17.01.1998) - 666.861,9
Punkte Eintritt Dr. C (01.07.1998) + 692.598,0 Punkte = 2.693.183,7 Punkte
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ab III/1999 2.693.183,7 Punkte Ausscheiden Dr. I (30.09.2000) - 666.861,9 Punkte
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Eintritt Dr. S (01.10.2000) + 666.861,9 Punkte Ausscheiden Dr. L (30.06.2001) -
666.861,9 Punkte (90 % des Anteils verbleiben in Praxis) + 600.175,7 Punkte =
2.626.497,6 Punkte
Eintritt Dr. L (01.04.2002) 2.693,183,7 Punkte
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Zu keinem Zeitpunkt habe für die Klägerin ein höheres Punktzahlvolumen bestanden.
Das max. zulässige Punktzahlvolumen für das Quartal IV/2003 betrage 2.693.183,7
Punkte und erhöhe sich um den Zuwachs gem. § 7 Abs. 5b HVM bzw. § 13 HVM auf
2.718.918,1 Punkte.
13
Im fristgerecht eingeleiteten Klageverfahren hat die Klägerin sich gegen die Absenkung
des Individualbudgets sowie die Honorarabrechnung IV/2003 gewandt. Unter
Wiederholung und Vertiefung hat sie im Wesentlichen ihre bereits im
Verwaltungsverfahren geäußerte Auffassung vertreten. Das Individualbudget sei seit
dem Quartal III/1999 bis zum Schreiben der Beklagten vom 05.03.2004 ständig unter
Zugrundelegung des erstmals festgesetzten Individualbudgets von 3.385.781,7 Punkten
"neu" festgelegt worden. Auch beim Ein- und Ausstieg einzelner Gesellschafter sei die
Neuberechnung stets auf der Grundlage des für das Quartal III/1999 festgelegten
Individualbudgets erfolgt. Sie - die Klägerin - habe daher für sämtliche
Investitionsentscheidungen dieses Ausgangsbudget zugrunde gelegt und damit eine
schutzwürdige Vertrauensposition erworben, die nicht nach über vier Jahren zunichte
gemacht werden dürfe. Im Übrigen sei eine Absenkung ohnehin vor Beginn des
Leistungszeitraumes bekannt zu geben. Die erstmalige Festlegung des
Individualbudgets könne nur unter den Voraussetzungen des § 45 Abs. 3 Satz 1 SGB X
korrigiert werden. Die darin vorgesehene Zwei-Jahres-Frist sei überschritten. Aus
Gründen des Vertrauensschutzes sei daher eine Absenkung des Individualbudgets
nicht mehr möglich. Darüber hinaus sei darauf hinzuweisen, dass Dr. C1 bereits in den
Quartalen III/1997 und IV/1997 aufgrund seiner schweren Erkrankung nicht mehr in der
Praxis tätig gewesen und schließlich am 17.01.1998 verstorben sei. Die verbliebenen
Partner hätten ihn in diesem Zeitraum vertreten, so dass die im Bemessungszeitraum
erbrachten Leistungen nur durch drei und nicht durch vier Gesellschafter zu teilen sei.
Erst mit dem Eintritt von Frau Dr. C zum Quartal III/1998 habe sich das
Leistungsvolumen der klägerischen Praxis wieder erhöht.
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Die Klägerin hat schriftsätzlich sinngemäß beantragt,
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den Honorarbescheid für das Quartal IV/2003 vom 06.04.2004 sowie den Bescheid vom
05.03.2004 beides in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 24.08. 2004
aufzuheben und - soweit das Honorar für das Quartal IV/2003 betroffen ist - die Beklagte
zu verurteilen, die Klägerin unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut
zu bescheiden.
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Die Beklagte hat schriftsätzlich beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie hat vorgetragen, § 45 Bundesmantelvertrag-Ärzte (BMV-Ä) bzw. § 34
Bundesmantelvertrag-Ärzte/Ersatzkassen (EKV-Ä) räume den Kassenärztlichen
Vereinigungen (KVen) eine umfassende Berichtigungs- und Rücknahmebefugnis von
Honorarforderungen ein. Die Vorschrift differenziere nicht danach, in wessen
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Verantwortungsbereich die Unrichtigkeit falle. Auf Vertrauen könnten sich die Mitglieder
der Klägerin nicht berufen, weil sie die Rechtswidrigkeit der bisherigen
Honorarbescheide aufgrund ihres Schreibens vom 05.03.2004 gekannt hätten. Bei der
Berechnung des dem Punktzahlvolumen zu Grunde liegenden Leistungsbedarfs sei
nicht auf die kurzfristige Übernahme des Leistungsvolumens eines ausscheidenden
bzw. aufgrund einer Krankheit reduziert tätigen Praxispartners durch die verbliebenen
Praxispartner abzustellen.
Das Sozialgericht (SG) hat der Klage durch Urteil vom 05.12.2007 insofern
stattgegeben, als es die Beklagte unter Aufhebung des Quartalsbescheides IV/2003 in
dern Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.08.2004 verurteilt hat, über das
vertragsärztliche Honorar der Klägerin erneut unter Beachtung der Rechtsauffassung
des Gerichts zu entscheiden. Die Klage sei insoweit begründet, als die Beklagte das
Individualbudget nicht unter Berücksichtigung sämtlicher relevanter Umstände ermittelt
habe. Zudem könne eine etwaige Änderung des Individualbudgets vorliegend nur für
die Zukunft wirken. Zwar stehe der Beklagten nach § 45 BMV-Ä bzw. § 34 EKV-Ä ein
umfassendes Berichtigungsrecht zu. Die Beklagte sei jedoch bei der Berechnung des
Individualbudgets für das Quartal IV/2003 erneut von einem unrichtigen Sachverhalt
ausgegangen ist. Sie habe nicht berücksichtigt, dass der zu Beginn des Quartals
IIl/1997 der Klägerin zugehörige Partner Dr. C1 am 17.01.1998 verstorben sei. Dieser
hätte daher bereits ab dem Quartal I/1998 für den individualbudgetrelevanten Umsatz
der Klägerin nicht mehr berücksichtigt werden dürfen. Soweit darüber hinaus belegt
werden könne, dass Dr. C1 aufgrund seiner Erkrankung auch in den weiteren Quartalen
des Bemessungszeitraums (IIl/1997 und IV/1997) der vertragsärztlichen Versorgung
nicht zur Verfügung gestanden habe, sei auch dieser Umstand bei der Bemessung des
Individualbudgets zu prüfen und zu bewerten. Darüber hinaus sei die Berechnung des
Honorars für das Quartal IV/2003 auch deshalb fehlerhaft, weil die Klägerin - jedenfalls
für dieses Quartal - Vertrauensschutz für sich in Anspruch nehmen könne. Sie habe erst
mit Schreiben der Beklagten vom 05.03.2004 Kenntnis davon erlangt, dass das
Individualbudget der Praxis fehlerhaft berechnet worden sei. Zu diesem Zeitpunkt sei
das Quartal IV/2003 aus leistungsmäßiger Sicht bereits abgeschlossen gewesen.
Demgemäß habe die Beklagte das Honorar der Klägerin für das Quartal IV/2003 neu zu
berechnen. Im Übrigen hat das SG die Klage abgewiesen, denn das Schreiben vom
05.03.2004 habe keine Verwaltungsaktqualität.
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Mit ihrer am 09.01.2008 eingelegten Berufung wendet sich die Beklagte gegen das ihr
am 12.12.2007 zugestellte erstinstanzliche Urteil und bleibt bei ihrer Auffassung, der
angefochtene Honorarabrechnungsbescheid sei rechtmäßig. Die Klägerin könne sich
entgegen der Ansicht des SG nicht auf Vertrauensschutz berufen. Darauf, dass das
Quartal IV/2003 aus leistungsmäßiger Sicht bereits abgeschlossen gewesen sei, könne
es nicht ankommen, weil sich die Leistungserbringung der Klägerin nicht nach dem zu
Grunde liegenden Individualbudget, sondern nach medizinischen Erfordernissen richte.
Auf den Rückgriff gegen die durch den Berechnungsfehler begünstigte Klägerin könne
nicht von vornherein verzichtet werden. Auf die tatsächliche Tätigkeit von Dr. C1 im
Bemessungszeitraum könne es nicht ankommen, da die Praxis dasselbe
Leistungsvolumen wie zuvor mit vier Partnern erbracht habe. Entgegen der Auffassung
des SG sei bei der Berechnung des dem individuellen Punktzahlvolumens zu Grunde
liegenden Leistungsbedarfs nicht auf die kurzfristige Übernahme des
Leistungsvolumens eines ausscheidenden bzw. aufgrund einer Krankheit reduziert
tätigen Praxispartners abzustellen.
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Die Beklagte beantragt,
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das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 05.12.2007 abzuändern und die Klage
abzuweisen.
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Die Klägerin beantragt,
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die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
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Sie bleibt im Anschluss an die erstinstanzliche Entscheidung bei ihrer Auffassung und
meint, die Beklagte berücksichtige nicht, dass Honorarverteilungsregelungen auch
steuernde Wirkung zukomme. Wenn die Individualbudgetkürzung bei Beginn des
Quartals IV/2003 bekannt gewesen wäre, hätte ggf. eine Leistungsmengensteuerung
stattfinden können, indem z.B. einzelne Leistungen - soweit medizinisch nicht zu
beanstanden - zeitlich hinausgeschoben worden wären. Auch der
Sprechstundenumfang hätte auf das notwendige Maß zurückgeführt werden können.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte sowie der vom Senat beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten
und der Gerichtsakte des SG Düsseldorf S 33 KA 233/04 Bezug genommen.
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Entscheidungsgründe:
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Die statthafte und im Übrigen zulässige Berufung der Beklagten ist nicht begründet.
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I. Streitgegenstand ist im Berufungsverfahren allein der von der Klägerin unter
Anfechtung des Honorarbescheides IV/2003 geltend gemachte Anspruch auf höhere
Vergütung der von ihr in diesem Quartal erbrachten vertragsärztlichen Leistungen. Das
SG hat der dagegen gerichteten kombinierten Anfechtungs- und Bescheidungsklage im
Ergebnis zu Recht stattgegeben. Die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides
folgt indessen nicht aus den Erwägungen des SG sondern ergibt sich wie nachfolgend
dargelegt. Demzufolge hat die Beklagte bei der Neubescheidung die Rechtsauffassung
des Senats und nicht jene des SG zu beachten.
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II. 1. Der angefochtene Honorarbescheid ist bereits formell rechtswidrig, da er nicht
hinreichend begründet ist. Gemäß § 35 Abs. 1 SGB X ist ein schriftlicher Verwaltungsakt
mit einer Begründung zu versehen (Satz 1). In der Begründung sind die wesentlichen
tatsächlichen und rechtlichen Gründe mitzuteilen, die die Behörde zu ihrer
Entscheidung bewogen haben (Satz 2). Die Form, in denen die Beklagte
Honorarbescheide als Verwaltungsakte im Sinne des § 31 SGB X erlässt, genügt
vielfach den Anforderungen des 35 SGB X. Dabei kann insbesondere von langjährig
aktiv tätigen Vertragsärzten verlangt werden, dass sie die - unbestritten komplizierten -
Darlegungen und Rechenvorgänge in den Bescheiden auch vollziehen können, ggf.
durch Inanspruchnahme fachkundiger Hilfe (ständige Rechtsprechung vgl. BSG, zuletzt
Urteil vom 09.12.2004 - B 6 KA 44/03 R - m.w.N.; vgl. auch Senat, Urteile vom
29.10.1997 - L 11 Ka 94/97 -, 16.07.1997 - L 11 Ka 102/96 -, 10.01.1996 - L 11 Ka
112/95 -). Die Höhe des der Klägerin konkret zugewiesenen Honorars ist in Verbindung
mit den Anzahl- und Summenstatistiken sowie den einzelnen in den Anlagen zu den
Bescheiden schriftlich dargelegten Rechenschritten grundsätzlich in der Weise
nachvollziehbar, dass die Richtigkeit der Berechnung des zuerkannten Honorars
überprüfbar ist. Der Beklagten ist zuzugestehen, dass in der Begründung grundsätzlich
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nicht ausdrücklich alle in Betracht kommenden Umstände und Einzelüberlegungen
enthalten sein müssen; ausreichend ist, wenn die Gründe in der Entscheidung in einem
solchen Maße bekannt gegeben werden, dass die Entscheidung selbst nachvollziehbar
und der betroffene Vertragsarzt ggf. seine Rechte sachgemäß wahrnehmen kann (vgl.
BSG a.a.O.; Senat a.a.O.). Daran fehlt es indessen. Die Klägerin bemängelt zu Recht,
dass weder aus dem angefochtenen Bescheid noch aus dem Widerspruchsbescheid
hervorgeht, aus welchen Gründen die Beklagte das Individualbudget bei gleich
bleibender Rechtslage nach über fünf Jahren auf 2.693.183,7 Punkte reduziert hat. Dies
lässt sich unmittelbar auch nicht daraus herleiten, dass ein personeller Wechsel
stattgefunden hat und dadurch das Individualbudget zweier Ärzte auf den
Arztgruppendurchschnitt begrenzt wurde. Eher zur Verwirrung beigetragen haben die für
die Klägerin nicht nachvollziehbaren Ausführungen der Beklagten im Schreiben vom
05.03.2004. Handschriftlich wurde zwar vermerkt, der richtige Wert betrage 2.693.183,7
Punkte, eine entsprechende Mitteilung an die Klägerin ist allerdings unterblieben. Auch
der Einwand der Klägerin, die Punktzahlabsenkung sei nicht nachvollziehbar,
veranlasste die Beklagte nicht zu einer Erläuterung. Hierauf konnte trotz der
Darlegungen im Bescheid vom 13.05.2005 nicht verzichtet werden, da dessen Adressat
lediglich die Ärztin S war.
Damit fehlt jedenfalls vorliegend an einer nachvollziehbaren und damit hinreichenden
Erläuterung der Budgetberechnung mit der Folge, dass der Bescheid gegen § 35 Abs. 1
Satz 1, 2 SGB X verstößt. Die Beklagte hat diesen Mangel nachfolgend nicht geheilt (§
41 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 SGB X).
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Welche Rechtsfolgen hieraus herzuleiten sind, kann dahinstehen, denn der Bescheid ist
auch materiell fehlerhaft (nachfolgend zu 2.).
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2. Rechtsgrundlage für den Anspruch der Klägerin auf Zahlung höheren
vertragsärztlichen Honorars ist § 85 Abs. 4 Satz 1 bis 3 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch
(SGB V) in der Fassung des Gesetzes zur Einführung des Wohnortprinzips bei
Honorarvereinbarungen für Ärzte und Zahnärzte vom 11.12.2001 (BGBl. I 3526) i.V.m.
dem HVM der Beklagten. Danach verteilt die Kassenärztliche Vereinigung die
Gesamtvergütungen an die Vertragsärzte, in der vertragsärztlichen Versorgung getrennt
für die Bereiche der hausärztlichen und der fachärztlichen Versorgung (Satz 1). Sie
wendet dabei den im Benehmen mit den Verbänden der Krankenkassen festgesetzten
(Honorar-)Verteilungsmaßstab an (Satz 2).
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Honorarverteilungen, die der HVM durch die Einführung individueller Leistungsbudgets
für den einzelnen Vertragsarzt geregelt und die die Beklagte ihrer Berechnung zu
Grunde gelegt hat, sind von Ansatz und wesentlicher Ausgestaltung her mit den von der
Rechtsprechung des BSG entwickelten Grundsätzen vereinbar. Das in dem HVM der
Beklagten festgelegte System einer Bindung des Vertragsarztes an einen in der
Vergangenheit erzielten eigenen Honorarumsatz ist grundsätzlich zulässig (Senat, Urteil
vom 20.11.2002 - L 11 KA 85/02 -, bestätigt durch BSG, Urteil vom 10.12.2003 - B 6 KA
54/02 R -) und wird auch von der Klägerin nicht in Frage gestellt.
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a) Streitbefangen hingegen die Höhe des der Honorarberechnung zu Grunde gelegten
Individualbudgets. Nach § 7 Abs. 6a HVM (a.F.) vom 17.04.1999 in der Fassung vom
30.11.2002 (Rhein. Ärzteblatt 1/03 S. 76 ff. ) berechnet sich das Individualbudget für
eine Gemeinschaftspraxis, die am 01.07.1999 und im Bemessungszeitraum in der
"jetzigen" Zusammensetzung am derzeitigen Tätigkeitsort bestanden hat, auf Basis der
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Quartale III/1997 bis II/1998. Diese Bestimmung findet indessen keine Anwendung, da
die Klägerin im streitigen Quartal IV/2003 mit den Fachärzten Dr. Z, Dr. C, L und S
sowohl personell als auch zahlenmäßig eine andere Zusammensetzung als im
Bemessungszeitraum hatte. Dr. C ist erst am 01.07.1998 und die Ärztin S erst am
01.10.2000 Mitglied der Klägerin geworden. Zudem ist Dr. C1 als einer der vier Ärzte,
die im Bemessungszeitraum der Klägerin angehörten, mit seinem Tod am 18.01.1998
aus der Praxis ausgeschieden. Für die Zeit bis zum Ende des Bemessungszeitraums
(30.06.1998) bestand die Klägerin vorübergehend aus nur drei Partnern.
Bei einer Gemeinschaftspraxis, die - wie vorliegend - nicht unter die in § 7Abs. 6a HVM
aufgeführte Regelung fällt, wird das Individualbudget nach § 7 Abs. 6b HVM je nach
Zusammensetzung der Partner - mit der hier nicht einschlägigen Ausnahme von Job-
Sharing-Partners - berechnet aus:
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den Individualbudgets eines oder mehrerer Partner bzw. einer Gemeinschaftspraxis.
dem maximal abrechenbaren individuellen Punktzahlvolumen (Individualbudget) mit
einem erlaubten Zuwachs von jährlich 3% vorbehaltlich der Regelung in § 13, jedoch
höchstens bis zum durchschnittlichen Punktzahlengrenzwert der Fach-/Untergruppe.
dem erlaubten Zuwachs (maximal abrechenbares individuelles Punktzahlvolumen) bis
zum durchschnittlichen Punktzahlengrenzwert der Fach-/Untergruppe für die Dauer von
20 Quartalen.
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Die Individualbudgets der Partner der Gemeinschaftspraxis, die bereits im
Bemessungszeitraum wie auch im Quartal IV/2003 der Klägerin angehört haben, mithin
der Fachärzte Dr. Z und L berechnen sich nach Maßgabe des § 7 Abs. 1 HVM a.F., der
für jede Praxis ein individuelles Leistungsbudget in Form eines
Punktzahlengrenzwertes für das Gros der von ihr erbrachten Leistungen vorsieht (Abs. 1
Satz 1). Davon ausgenommen sind Notfall-, Präventions-, Impf-, Substitutions- und
psychotherapeutische Leistungen, die hausärztliche Grundvergütung, Förderbeträge,
Vorquartalsberichtigungen, die übrigen Vorwegzahlungen nach § 6 Abs. 2 HVM a.F.
(wie z.B. Fremdkassenausgleich, Dialyse-Kostenerstattungen) sowie bestimmte Labor-
Kostenanteile (Abs. 1 Satz 10). Der Punktzahlengrenzwert wird aus den um die
vorgenannten Leistungen bereinigten Honorarumsätzen der Quartale III/1997 bis II/1998
errechnet (Abs. 1 Satz 7). Insofern werden zunächst gemäß § 7 Abs. 1 Satz 11 HVM a.F.
diese Umsätze durch die Anzahl der zur Berechnung herangezogenen (vier) Quartale
dividiert, um den durchschnittlichen Umsatz je Quartal zu bestimmen, wovon sodann 3
% abgezogen werden (§ 7 Abs. 1 Satz 12 HVM für die Finanzierung neuer Praxen und
des bestimmten Praxen erlaubten Zuwachses). Diese DM-Beträge ergeben multipliziert
mit 10 (dem Faktor zur Umrechnung der DM-Beträge auf eine am damaligen Wert von
10 Pfennig orientierte Punktzahl) das zulässige Punktzahlvolumen (§ 7 Abs. 1 Satz 13).
Nach § 7 Abs. 6c Satz 2 HVV erhält ein Partner einen nach Köpfen bemessenen
arithmetischen Durchschnittswert, wenn sich - wie vorliegend - ein maximal
abrechenbares individuelles Punktzahlvolumen einem Partner nicht konkret zuzuordnen
lässt. Zwar bezieht sich diese Regelung nur auf die Berechnung des Individualbudgets
eine aus der Gemeinschaftspraxis ausscheidenden Partners, sie findet vorliegend
jedoch entsprechende Anwendung, da auch das individuelle Punktzahlvolumen der
Partner Dr. Z und L, die bereits im Bemessungszeitraum der Klägerin angehörten, nicht
individuell zuzuordnen ist, sondern ausweislich der Verwaltungsvorgänge der
Beklagten lediglich praxisbezogene Umsätze erfasst wurden.
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Die Beklagte hat bei ihrer Berechnung des für das Abrechnungsquartal zu Grunde zu
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legenden Individualbudgets nicht ausreichend berücksichtigt, dass Dr.C1 in den
Quartalen I/1998 und II/1998 nicht mehr zum Umsatz beigetragen hat, mithin der von der
Klägerin erwirtschaftete Umsatz auf der Tätigkeit der verbliebenen Partner beruht. Zwar
hat die Beklagte vom Grundsatz her - wie in dem die Ärztin S betreffenden Bescheid
vom 13.05.2005 ausgeführt - diesen Fehler erkannt und dort insoweit zutreffend
festgestellt, dass das Individualbudget der Klägerin grundsätzlich fehlerhaft ermittelt
worden ist, weil sie das Ausscheiden von Dr. C1 nicht berücksichtigt hat. Ihre
Auffassung, dass wegen des Todes von Dr. C1 der ursprünglich ermittelte Wert der
Vierergemeinschaft aus III/1997 bis II/1998 durch vier Ärzte dividiert und mit drei Ärzten
multipliziert werden müsse, um das jeweilige Individualbudget ab III/1999 für die bereits
im Bemessungszeitraum bei der Klägerin tätigen Ärzte zuordnen zu können, ist jedoch
unzutreffend und steht nicht im Einklang mit dem HVM a.F ... Die Beklagte hat bei der
Neuberechnung die konkreten (bereinigten) Umsätze der Quartale III/1997 und IV/1997
um jeweils ein Viertel (Anteil des verstorbenen Dr. C1) zu kürzen und die sich aus den
Restbeträgen und den (bereinigten) Umsätze aus den Quartalen I/1998 und II/1999
ergebende Gesamtsumme durch drei Ärzte zu teilen, um den für die weitere Berechnung
zu Grunde zu legenden jeweiligen Umsatz der Ärzte Dr. Z und L zu ermitteln. Der Anteil
des verstorbenen Dr. C1 war und ist nicht budgetrelevant.
Die Beklagte wird sodann die nach Maßgabe der o.a. Ausführungen zu ermittelnden
Umsätze von Dr. Z und L durch die Anzahl der zur Berechnung herangezogenen (vier)
Quartale dividieren, um den durchschnittlichen Umsatz je Arzt und Quartal zu
bestimmen, sodann 3 % von der Summe abziehen und zur Feststellung des maximalen
Punktwertvolumens mit zehn multiplizieren. Abschließend wird die Beklagte die
weiteren Regelungen des HVM zu beachten haben.
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b) Soweit das SG die Auffassung vertreten hat, aus Vertrauensschutzgründen müsse im
für die Honorarberechnung für das Quartal IV/2003 anzuwendenden Individualbudget
weiterhin das zuvor für die Ärzte Dr. Z und L zu Grunde gelegte Punktzahlvolumen zu
Grunde gelegt werden, ist dem nicht zuzustimmen. Das SG ist insofern unter
Zugrundelegung der § 45 BMV-Ä bzw. § 34 EKV-Ä von einer sachlich-rechnerischen
Berichtigung der Beklagten ausgegangen, bei der diese den Vertrauensschutz der
Klägerin nicht berücksichtigt habe. Es hat sich insofern auf die Rechtsprechung des
BSG zur rückwirkenden Änderung von Berechnungen der Punktwertdegression und
damit verbundene Honorarrückforderungen (Urteil des BSG vom 30.06.2004 - B 6 KA
34/03 R - und vom 31.10.2001 - B 6 KA 16/00 R -) gestützt. Diese sind vorliegend
jedoch nicht einschlägig.
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Das BSG hat Ausführungen gemacht, in welcher Weise Vertrauensschutzerwägungen
zu Gunsten des von einer rückwirkenden Honorarberichtigung betroffenen Arztes
Beachtung finden müssen und hat insofern verschiedene Fallkonstellationen beurteilt.
Anders als in den dort zu Grunde liegenden Sachverhalten hat die Beklagte keine
nachträgliche sachlich-rechnerische Berichtigung der abgerechneten vertragsärztlichen
Leistungen - wie es auch in § 7 Abs. 11 HVM a.F. vorgesehen ist - vorgenommen,
sondern lediglich das Honorar unter Berücksichtigung des HVM berechnet. Die
Festlegung des Praxisbudgets beruht auf normativen Regelungen und nicht auf
Tatsachenmitteilungen des Vertragsarztes.
43
Die Beklagte wäre nur an das zu hoch angesetzte Individualbudget gebunden, wenn sie
- unabhängig von einem Honorarbescheid - mit einem Bescheid das Budget
bestandskräftig festgelegt hätte. Dies ergibt sich weder aus den Verwaltungsvorgängen
44
der Beklagten noch hat die Klägerin solches vorgetragen. Auch das Schreiben der
Beklagten vom 05.03.2004 belegt allenfalls die wohl übliche Praxis, lediglich das
ermittelte Punktzahlvolumen edv-technisch zu "hinterlegen" und den betroffenen Ärzten
davon Mitteilung zu machen, ohne eine "Regelung" i.S.d. § 31 SGB X zu treffen.
Lediglich wenn sich aus der Umsetzung des HVM die Notwendigkeit von
Ausnahme"regelungen" ergibt, sind diese nach Anhörung des HVM-Ausschusses im
Einzelfall zu beschließen (vgl. § 7 Abs. 10 HVM a.F.).
Aus dem Umstand, dass die Klägerin aufgrund der vorherigen Abrechnungspraxis von
einem höheren Individualbudget ausging, ergibt sich insofern nichts anderes. Nach
Auffassung des BSG (Urteil vom 29.11.2006 - B 6 KA 42/05 R -) müssen erst zum
Zeitpunkt des Erlasses des Honorarbescheids - soweit in ihm eine verbindliche
Regelung getroffen wird - die maßgeblichen rechtlichen Vorgaben zur Verteilung der
Vergütung (Honorarbegrenzungsregelungen) feststehen. Dies gilt erst recht für die (Neu-
)Berechnung aufgrund bereits bestehender Regelungen gelten.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG in Verbindung mit § 154 Abs. 1
Verwaltungsgerichtsordnung.
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Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2
SGG).
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