Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 17.12.2004
LSG NRW: erwerbsunfähigkeit, berufsunfähigkeit, arbeitsmarkt, orthopädie, verwaltungsakt, wechsel, neurologie, psychiatrie, verdacht, leistungsklage
Datum:
Gericht:
Spruchkörper:
Entscheidungsart:
Vorinstanz:
Nachinstanz:
Sachgebiet:
Tenor:
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Aktenzeichen:
Rechtskraft:
Landessozialgericht NRW, L 4 RJ 72/03
17.12.2004
Landessozialgericht NRW
4. Senat
Urteil
L 4 RJ 72/03
Sozialgericht Münster, S 14 RJ 206/01
Bundessozialgericht, B 5 RJ 6/05 R
Rentenversicherung
nicht rechtskräftig
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Münster
vom 03.06.2003 teilweise geändert. Der Widerspruchsbescheid vom
05.12.2001 wird insoweit aufgehoben, als darin eine Regelung betreffend
einen Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung nach dem ab
01.01.2001 geltenden Recht enthalten ist. Im Übrigen wird die Klage
abgewiesen und die Berufung zurückgewiesen. Kosten sind auch im
zweiten Rechtszug nicht zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist ein Anspruch auf Rente wegen Erwerbsunfähigkeit, hilfsweise auf Rente wegen
voller Erwerbsminderung.
Der am 00.00.1947 geborene Kläger bestand 1964 nach dreijähriger Ausbildung die
Prüfung als Tankwart und - nach verschiedenen Tätigkeiten - 1987 nach Umschulung die
als Qualitätsprüfer. Danach war er arbeitslos, arbeitete dann Ende 1989 kurzzeitig als
Giesser in der metallverarbeitenden Industrie und zuletzt in 1990 kurzzeitig als Tankwart.
Seitdem verrichtete er keine Erwerbstätigkeit mehr. Bis zum Tod seiner Mutter am
07.04.2000 lebte er mit dieser in einem gemeinsamen Haushalt und pflegte sie. Seine
Mutter erhielt Leistungen aus der Pflegeversicherung ab März 1997 in Form von Pflegegeld
der Stufe I, ab 01.08.1998 nach Stufe II und ab 27.03.2000 nach Stufe III. Im Rahmen der
Begutachtungen gab der Kläger zuletzt an, seine Mutter mindestens 28 Stunden pro Woche
zu pflegen (Gutachten vom 04.04.2000). Sein Versicherungsverlauf enthält Pflichtbeiträge
für Pflegetätigkeit ab März 1997. Der Kläger ist im Besitz eines mit einem
Automatikgetriebe ausgestatteten Pkw und einer entsprechenden Fahrerlaubnis.
Einen früheren Rentenantrag lehnte die LVA Niederbayern-Oberpfalz ab (Bescheid vom
25.08.1989, Widerspruchsbescheid vom 11.01.1990). Die dagegen erhobene Klage wies
das Sozialgericht Regensburg (S 6 AR 70/90) nach Begutachtungen durch Dr. H
(12.12.1990) und - auf Antrag des Klägers gem. § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) - den
Orthopäden Dr. X (19.08.1991) ab (Urteil vom 07.10.1991). Seine Berufung nahm der
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Kläger am 18.05.1993 zurück (L 5 AR 828/91).
Am 30.08.1999 beantragte er erneut Rente wegen Berufsunfähigkeit/Erwerbsunfähigkeit.
Dazu gab er an, er sei nicht belastbar. Es bestehe eine Dupuytren sche Kontraktur und ein
Bandscheibenvorfall etc. Die Beklagte holte einen Befundbericht des praktischen Arztes
Dr. L (20.10.1999) ein, dem weitere Arztberichte beigefügt waren. In einem Gutachten
(23.02.2000) kam der Facharzt für Orthopädie Dr. T1 aufgrund der von ihm erhobenen
Diagnosen zu der Beurteilung, vollschichtig könne der Kläger leichte und zeitweilig
mittelschwere Arbeiten ohne überwiegend einseitige Körperhaltung, häufiges Bücken,
starke Witterungseinflüsse und Überkopfarbeiten verrichten. Nach zustimmender Äußerung
des beratenden Arztes (03.03.2000) lehnte die Beklagte den Antrag ab (Bescheid vom
28.03.2000).
Mit seinem Widerspruch trug der Kläger vor, seine Gesundheitsstörungen seien
unzureichend berücksichtigt worden. Arzt für Orthopädie Dr. T2 meinte in einem Gutachten
(17.08.2000), leichte bis gelegentlich mittelschwere Arbeiten mit den von Dr. T1 genannten
Einschränkungen und zusätzlich möglichst ohne vollständige Gebrauchsfähigkeit beider
Hände bei Vermeiden von allergischen Noxen inhalativer Art könne der Kläger
vollschichtig ausüben. Der Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. S kam in einem weiteren
Gutachten (18.11.2000) zu der Beurteilung, bei Vorliegen eines Morbus Bechterew, eines
Zustandes nach Amputation des fünften Fingers linksseitig bei Dupuytren scher Kontraktur
mit Funktionsstörung beider Hände, einem depressiven Syndrom mit
Somatisierungstendenz sowie einer leichtgradig ausgeprägten sensiblen Polyneuropathie
bei Verdacht auf äthyltoxische Genese könne der Kläger vollschichtig noch leichte bis
gelegentlich mittelschwere Arbeiten mit den von den Vorgutachtern genannten
Einschränkungen ausüben. Nach weiteren Ermittlungen ging die Beklagte davon aus, dass
der Kläger sich aus gesundheitlichen Gründen von dem erlernten Beruf des Tankwartes
gelöst habe. Sie teilte ihm mit, Rente wegen Berufsunfähigkeit könne ab 01.09.1999
gezahlt werden (26.01.2001). Der Kläger verwies auf einen im Januar 2001 erlittenen
Infarkt und meinte, es liege Erwerbsunfähigkeit vor. Dazu legte er einen
Kurzentlassungsbericht des G-Hospitals E (02.02.2001) vor, wonach er gegen ärztlichen
Rat aus familiären Gründen das Krankenhaus verlassen habe. Nach Eingang des
ausführlichen Entlassungsberichtes (22.02.2001) und eines Befundberichtes des Arztes für
Neurologie und Psychiatrie Dr. T3 (11.04.2001) kam Dr. S nach erneuter Untersuchung des
Klägers zu der Beurteilung, unverändert sei dieser in der Lage, leichte bis gelegentlich
mittelschwere Arbeiten vollschichtig mit den genannten Einschränkungen zu verrichten
(05.06.2001). Die Beklagte bewilligte Rente wegen Berufsunfähigkeit ab 01.09.1999
(Bescheid vom 11.09.2001) und wies den Widerspruch gegen den Bescheid vom
28.03.2000 zurück, soweit ihm nicht mit Bescheid vom 11.09.2001 abgeholfen worden sei
(Widerspruchsbescheid vom 05.12.2001). In der Begründung des Widerspruchsbescheides
führte sie aus, die Voraussetzungen für eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit seien nicht
erfüllt. Der Kläger sei auch nicht voll erwerbsgemindert nach dem ab 01.01.2001 geltenden
Recht.
Mit der am 12.12.2001 erhobenen Klage hat der Kläger vorgetragen, aufgrund zahlreicher
Erkrankungen auf orthopädischem, internistischem und neurologisch-psychiatrischem
Fachgebiet sei sein Leistungsvermögen soweit eingeschränkt, dass er keinerlei
regelmäßigen Erwerbstätigkeit mehr nachgehen könne. Ein auch nur halbschichtiges
Leistungsvermögen scheide aus. Seine Gehfähigkeit sei sehr stark reduziert. Er sei nicht
nur berufs-, sondern auch erwerbsunfähig.
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Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 28.03.2000 und unter Abänderung des
Bescheides vom 11.09.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.12.2001
zu verurteilen, Rente wegen Erwerbsunfähigkeit ab 01.09.1999 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat die angefochtenen Bescheide für rechtmäßig gehalten.
Der Kläger hat eine Auflistung zu seinen Erkrankungen und den vorhandenen
Beschwerden (06.02.2002) vorgelegt und sich kritisch zu den von dem Sozialgericht (SG)
eingeholten Gutachten geäußert.
Das SG hat Befundberichte von Dr. L (12.03.2002) und Dr. T3 (08.03.2002) eingeholt, die
Akten des Versorgungsamtes N beigezogen und Begutachtungen des Klägers veranlasst.
Arzt für Orthopädie Dr. K hat aufgrund des von ihm erhobenen orthopädischen Befundes
den Kläger für fähig gehalten, ohne Einschränkung der Arbeitszeit leichte Arbeiten in
wechselnder Körperposition ohne Zwangshaltung und Überkopfarbeiten zu verrichten. Für
grobe und zupackende Arbeiten seien seine Hände ebenso wie für Fingerfeinarbeiten nicht
geeignet. Wechsel- und Nachtschichtarbeit sollten unterbleiben. Wegstrecken von etwas
mehr als 500 Meter in ca. 15 Minuten seien zu Fuß viermal täglich möglich (28.06.2002).
Arzt für Neurologie und Psychiatrie - Sozialmedizin - Dr. C hat als Diagnose eine
depressive Fehlentwicklung, eine distal akzentuierte sensible Polyneuropathie bei
Verdacht auf alkohol-toxische Genese, ein LWS-Syndrom ohne lumbale
Wurzelreizerscheinungen, den Verdacht auf beginnende hirnorganische
Leistungseinbußen sowie einen Zustand nach TIA im Januar 2001 ohne aktuelles zentral-
nervös bedingtes neurologisches Defizit genannt und ausgeführt, das körperliche
Leistungsvermögen werde im wesentlich internistisch bzw. orthopädisch beurteilt werden.
Geistig seien nur noch einfache Anforderungen zu stellen, auch Anforderungen an
Reaktionsfähigkeit, Übersicht, Aufmerksamkeit- und Verantwortungsbewusstsein sowie
Zuverlässigkeit sollten nur noch gering sein. Tätigkeiten mit häufigem Publikumsverkehr
sollten unterbleiben. Zumutbare Arbeiten könne der Kläger aus nervenärztlicher Sicht noch
vollschichtig verrichten (15.07.2002).
Internist und Sozialmediziner Dr. O hat unter Berücksichtigung der Zusatzgutachten und
der von ihm erhobenen Diagnosen eines Lungenemphysems und einer
Magenschleimhautentzündung gemeint, der Kläger könne nur noch leichte Arbeiten mit der
Möglichkeit zum Wechsel zwischen Gehen, Stehen und Sitzen ausüben. Es bestehe zwar
ein vielfältiges Erkrankungsbild, die Ausprägung der einzelnen Erkrankungen seien aber
noch nicht schwergradig. Auch resultiere keine höhergradige Beeinträchtigung des
Allgemeinzustandes durch die vielfältigen Erkrankungen. Der Kläger könne unter den
üblichen betrieblichen Bedingungen noch vollschichtig - mit den genannten
Einschränkungen - arbeiten. Angesichts der aus Anfang des Jahres 2002 stammenden
neueren Arztberichte bestehe der Eindruck, dass es aktuell tendenziell eher zu einer
gewissen Verschlechterung gekommen sei (08.08.2002).
Nach Eingang der Akten des SG Regensburg und Berichten über kardiologische
Untersuchungen (05. und 12.09.2002) hat auf Antrag des Klägers gem. § 109 SGG Prof. Dr.
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F, Direktor der Klinik für Kardiologie am Universitätsklinikum F, ein Gutachten erstattet
(23.11.2002). Der Sachverständige hat den Kläger aus internistischer Sicht für fähig
gehalten, leichte bis mittelschwere Arbeiten unter den üblichen betrieblichen Bedingungen
vollschichtig zu verrichten und im übrigen auf die Leistungsbeurteilungen in den
Vorgutachten hingewiesen.
Auch zu diesem Gutachten hat sich der Kläger kritisch geäußert und dazu weitere
Arztberichte (05.02. und 06.03.2003) vorgelegt.
Das SG hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 03.06.2003, zugestellt am 11.06.2003). Der
Kläger sei nicht erwerbsunfähig im Sinne des anzuwendenden § 44 Abs. 2 SGB VI alte
Fassung. Er könnte zumindest noch leichte Tätigkeiten unter Innendienstbedingungen, wie
zum Beispiel als Bürohilfskraft im Arbeiterverhältnis, vollschichtig verrichten. Eine
Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen liege nicht vor und eine
ausreichende Wegefähigkeit sei vorhanden.
Mit der am 07.07.2003 eingelegten Berufung trägt der Kläger weiter vor, bei einer
Gesamtschau aller Fachgebiete zeige sich, dass sein Leistungsvermögen in ungewöhnlich
starkem Maße reduziert sei. Die im Verwaltungs- und erstinstanzlichen Verfahren
eingeholten Gutachten seien unzureichend. Insgesamt sei sein Leistungsvermögen völlig
aufgehoben und er keineswegs in der Lage, regelmäßig einer Tätigkeit von bis zu sechs
Stunden Dauer nachzugehen. Nach der im Berufungsverfahren gem. § 109 SGG
durchgeführten Begutachtung gehe er davon aus, dass längere Arbeitsausfälle zu erwarten
seien und deshalb "einer der Katalogbeispiele der Rechtsprechung des
Bundessozialgerichts" vorliege und ein entsprechender Arbeitsplatz nicht mehr vorhanden
sei. Im übrigen habe sich nunmehr seine depressive Erkrankung stark verschlimmert,
weshalb er in ständiger neurologisch-psychiatrischer Behandlung sei.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 03.06.2003 zu ändern und die Beklagte unter
Aufhebung des Bescheides vom 28.03.2000 und des Widerspruchsbescheides vom
05.12.2001 zu verurteilen, ihm Rente wegen Erwerbsunfähigkeit ab dem 01.09.1999
gemäß den gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren, hilfsweise Rente wegen voller
Erwerbsminderung nach den ab 01.01.2001 geltenden Vorschriften zu gewähren,
hilfsweise, weitere Sachaufklärung nach Maßgabe der im Schriftsatz vom 16.12.2004 unter
Ziffer 2. und 3. aufgeführten Maßgaben zu betreiben.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend, sieht sich durch die Ermittlungen im
Berufungsverfahren bestätigt und hat sich bereit erklärt, dem Kläger nach Abschluss des
Streitverfahrens eine Rehabilitationsmaßnahme in den Kliniken "B" in C zu gewähren.
Der Kläger hat einen Bericht über eine Computertomographie der Lendenwirbelsäule
(06.11.2003) vorgelegt. Das Gericht hat den Kläger in einem Erörterungstermin
(05.12.2003) gehört, die Pflegeakte der Bundesknappschaft und die Akte des
Sozialgerichts Regensburg (S 6 Ar 70/90) beigezogen sowie auf weiteren Antrag des
Klägers gemäß § 109 SGG den Arzt für Orthopädie, Rheumatologie und Handchirurgie Dr.
X mit einer Begutachtung beauftragt. Dr. X ist zu der Beurteilung gelangt, bei einem stark
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ins Auge springenden schlechten Trainingszustand des Klägers müsse mit einer
vorsichtigen Rehabilitationstherapie über mindestens vier bis sechs Wochen versucht
werden, allmählich den schwachen körperlichen Kräftezustand zu kräftigen. Bei
entsprechendem Training könne ein Leistungsvermögen von wenigstens sechs Stunden
pro Tag erreicht werden. Seines Erachtens könne der Kläger täglich maximal sechs
Stunden regelmäßig arbeiten, ohne dass er überfordert wäre. Nach entsprechender
Einarbeitungszeit könne der Kläger sechs Stunden pro Tag leichte und geistig einfache
Tätigkeiten wie Post öffnen, Botengänge vornehmen etc. verrichten. Er könne unter
betriebsüblichen Bedingungen arbeiten, sei bei der Kfz-Benutzung nicht eingeschränkt und
könne viermal 500 Meter täglich in weniger als 20 Minuten gehen. Aufgrund der
Wirbelsäulenerkrankung sowie der Schulterproblematik seien allerdings durchaus längere
Arbeitsausfälle auch weiterhin zu erwarten, so dass er schon von einigen Wochen bis
Monaten pro Jahr Arbeitsausfall ausgehen würde. Die Einschränkungen bei dem Kläger
hätten sich langsam entwickelt, lediglich der Bereich der Schulter könne eher kürzeren
Datums sein. Gegenüber den Vorbefunden und Vorgutachten habe er besonders den
Trainingsmangel noch mitberücksichtigt. Rein orthopädischerseits seien sicher die von den
Vorgutachtern erhobenen Befunde korrekt, wobei allerdings ein Morbus Bechterew nicht zu
begründen sei.
Nach Übersendung dieses Gutachtens hat der Kläger vorgetragen, seine depressive
Erkrankung habe sich stark verschlimmert und er sei nunmehr in ständiger neurologisch-
psychiatrischer Behandlung bei den Ärzten Dres. O1 und T3. In einem Befundbericht
(27.10.2004) hat Dr. O1 über Untersuchungen bzw. Behandlungen am 13.02. und
06.03.2001 sowie am 07.05. und 07.06.2004 berichtet. Zu einer vereinbarten
Kontrolluntersuchung am 23.07.2004 sei der Kläger ohne Absage nicht erschienen. Die
von ihnen erhobenen Befunde hätten sich nicht erheblich verschlechtert oder deutlich
gebessert. Dazu hat der Kläger vorgebracht, dieser Bericht sei insbesondere nicht
zutreffend, als er zu einer Kontrolluntersuchung im Juli 2004 ohne Absage nicht erschienen
sein solle. Seine Beschwerden in Form erheblicher Gedächtnisstörung durch
Vergesslichkeiten sowie anhaltendem Kribbeln im linken Bein beständen nach wie vor und
führten dazu, dass er keine Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt verrichten könne.
Der Sachverhalt auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet sei nicht ausreichend
aufgeklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakten sowie der beigezogenen Akten der Beklagten, der Bundesknappschaft und
des SG Regensburg (S 6 Ar 70/90) Bezug genommen, der Gegenstand der mündlichen
Verhandlung gewesen ist.
Entscheidungsgründe:
Die hinsichtlich des Anspruches auf Rente wegen Erwerbsunfähigkeit zulässige Berufung
ist nicht begründet.
Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die Bescheide vom 28.03.2000 und
05.12.2001 sind insoweit rechtmäßig. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Rente wegen
Erwerbsunfähigkeit. Der Bescheid vom 11.09.2001 enthält insoweit keine Beschwer und ist
deshalb auch nicht angefochten worden.
Der geltend gemachte Anspruch auf Rente wegen Erwerbsunfähigkeit richtet sich allein
nach den §§ 43, 44 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) in der bis zum 31.12.2000
geltenden Fassung (a.F.), da er auch Zeiten vor diesem Zeitpunkt, hier ab 01.09.1999,
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betrifft.
Erwerbsunfähigkeit setzt nach § 44 Abs. 2 SGB VI a.F. eine gegenüber der bereits
anerkannten Berufsunfähigkeit weiter herabgesetzte Erwerbsfähigkeit voraus. Nach § 44
Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 SGB VI a.F. sind erwerbsunfähig Versicherte, die wegen
Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, eine
Erwerbstätigkeit in gewisser Regelmäßigkeit auszuüben oder Arbeitsentgelt oder
Arbeitseinkommen zu erzielen, dass 1/7 der monatlichen Bezugsgröße übersteigt. Nach §
44 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 SGB VI a.F., neugefasst mit Wirkung ab 08.05.1996 durch das zweite
SGB VI-ÄndG vom 02.05.1996 (BGBl I 659), ist nicht erwerbsunfähig, wer eine Tätigkeit
vollschichtig ausüben kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu
berücksichtigen. Auf die sonstigen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für die
geltend gemachte Rente wegen Erwerbsunfähigkeit braucht nicht eingegangen zu werden;
sie stehen außer Streit, da sie mit denjenigen für die bereits anerkannte Rente wegen
Berufsunfähigkeit identisch sind.
Bei der Frage, ob noch "Erwerbstätigkeiten in gewisser Regelmäßigkeit" (§ 44 Abs. 2 SGB
VI a.F.) ausgeübt werden können, ist kein Berufsschutz zu beachten. Die Versicherten sind
grundsätzlich auf sämtliche, meist ungelernte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes
oder -feldes verweisbar. Besteht, wenngleich mit Einschränkungen, vollschichtige
Leistungsfähigkeit, ist grundsätzlich die konkrete Benennung einer Verweisungstätigkeit
nicht erforderlich. Es genügt, dass das Restleistungsvermögen des Versicherten körperlich
mittelschwere oder leichtere Arbeiten erlaubt (z.B. Zureichen, Abnehmen, Transportieren,
Reinigen, Bedienen von Maschinen, Kleben, Sortieren, Verpacken, Zusammensetzen von
Teilen), wie es bei ungelernten Tätigkeiten üblicherweise gefordert wird. Nach der
Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG), zusammengefasst in einem Beschluss
des großen Senats des BSG (Beschluss vom 19.12.1996 - GS 2/95 - BSGE 80, 24, 31, 32
f), besteht jedoch dann die Pflicht zur Benennung zumindest einer Verweisungstätigkeit,
wenn eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine schwere
spezifische Leistungsbehinderung vorliegt. Darunter fallen nicht die "üblichen"
Leistungseinschränkungen, wie z.B. der Ausschluss von Tätigkeiten, die überwiegendes
Stehen oder Sitzen erfordern, im Akkord oder Schichtdienst verrichtet werden oder
besondere Anforderungen an das Seh-, Hör- und Konzentrationsvermögen erfordern.
Anerkannt sind dagegen nach der Rechtsprechung des BSG z.B. besondere
Schwierigkeiten hinsichtlich der Gewöhnung und Anpassung an einen neuen Arbeitsplatz,
in Verbindung mit anderen Einschränkungen die Erforderlichkeit, zwei zusätzliche
Arbeitspausen von je 15 Minuten einzulegen, Einschränkungen der Arm- und
Handbewegung, halbstündiger Wechsel vom Sitzen zum Gehen oder Analphabetismus.
Der Grund für die Benennungspflicht liegt darin, dass der Arbeitsmarkt möglicherweise für
diese überdurchschnittlich leistungsgeminderten Versicherten keine Arbeitsstelle bereit hält
oder nicht davon ausgegangen werden kann, dass es für diese Versicherten eine
ausreichende Zahl von Arbeitsplätzen gibt bzw. ernste Zweifel daran aufkommen, ob der
Versicherte in einem Betrieb einsetzbar ist. Im Übrigen bleibt es bei dem Grundsatz, dass
bei nicht außergewöhnlichen Leistungseinschränkungen ohne Prüfung im Einzelfall, d.h.
ob das Anforderungsprofil der in Betracht kommenden Tätigkeit dem Leistungsprofil des
Versicherten entspricht, die Verweisung auf den allgemeinen Arbeitsmarkt erfolgt.
Unabhängig davon ist gesondert und vorab zu prüfen, ob der Arbeitsmarkt generell
verschlossen ist und sich aus diesem Grunde eine Prüfung im Einzelfall erübrigt. Diese
Konstellation erfassen die sogenannten Katalogfälle, die im Beschluss des großen Senats
vom 19.12.1996 aufgelistet sind (vgl. insgesamt BSG, Urteil vom 20.10.2004 - B 5 RJ 48/03
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R - mit weiteren Nachweisen).
Mit rechtlich zutreffendem Ansatz und unter sorgfältiger, in Begründung und Ergebnis
gleichermaßen nicht zu beanstandender Würdigung des sich zum Zeitpunkt seiner
Entscheidung darbietenden Sachverhaltes hat das SG festgestellt, dass dem Kläger ein
Anspruch auf Rente wegen Erwerbsunfähigkeit nach der bis zum 31.12.2000 geltenden
Fassung des SGB VI nicht zusteht, weil er auch unter Berücksichtigung seiner
Gesundheitsstörungen noch in der Lage war, vollschichtig leichte Arbeiten mit den - im
einzelnen genannten - Einschränkungen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu verrichten
und eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen (oder eine schwere
spezifische Leistungsbehinderung) nicht vorgelegen hat. Gemäß § 153 Abs. 2 SGG sieht
der Senat insoweit von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab und
verweist statt dessen auf die zutreffenden Gründe des angefochtenen Urteils.
Anderes folgt auch nicht aus den Ergebnissen der Ermittlungen im Berufungsverfahren.
Wesentliche neue Befunde ergeben sich - entgegen den ursprünglichen Angaben des
Klägers - weder aus dem Befundbericht der behandelnden Ärzte Dres. O1/T3 noch aus
dem auf seinen Antrag hin eingeholten Gutachten des Dr. X. Dieser Sachverständige
stimmt ausdrücklich den von den Vorgutachtern erhobenen Befunden zu. Wenn er unter
Berücksichtigung eines Trainingsmangels maximal täglich 6 Stunden Arbeit für möglich
hält, begründet er dies im Wesentlichen auch mit einer eingetretenen Verschlechterung im
Bereich der Schulter, die "eher kürzeren Datums sein" soll. Daraus lässt sich nicht
entnehmen, dass er bereits Ende 2000 nur untervollschichtige Tätigkeiten für möglich
gehalten hätte. Eine etwaige abweichende Beurteilung gegenüber den zeitnäher
erstatteten Vorgutachtern für den maßgeblichen Zeitraum begründet er jedenfalls nicht
nachvollziehbar. Soweit er längere Arbeitsausfälle von einigen Wochen bis Monaten pro
Jahr erwartet, lässt sich seinen Ausführungen weder entnehmen, auf welche Tätigkeit er
dabei abstellt noch in welchem zeitlichen Ausmaß genau er solche Ausfälle erwartet.
Zudem sieht er ursächlich dafür nur die Wirbelsäulenerkrankung und die Schulterprobleme
an, die bereits von den für das SG tätig gewordenen Sachverständigen bei ihren
Beurteilungen berücksichtigt worden sind. Im Übrigen verrichtete der Kläger nach seinen
Angaben anlässlich der Begutachtungen im Rahmen der Pflegeversicherung noch bis in
das Jahr 2000 hinein Pflegetätigkeiten und ist weiterhin in der Lage, bis auf "schwere"
Arbeiten auch seinen Haushalt selbständig zu führen.
Eine weitere Sachaufklärung durch Einholung eines (weiteren) neurologisch-
psychiatrischen Sachverständigengutachtens und eine Vernehmung der Dres. O1/T3 hält
der Senat nicht für erforderlich. Hinsichtlich des geltend gemachten Anspruches auf Rente
wegen Erwerbsunfähigkeit ist es unerheblich, ob Dr. T3 - entgegen dem Inhalt des
Befundberichtes vom 27.10.2004 - im Januar 2004 eine cerebrale TIA diagnostiziert hat.
Der Befund "Durchblutungsstörungen im Stammhirnbereich (sog. TIA)" aus Januar 2001
wurde sowohl in den Befundberichten vom 11.04.2001, 08.03.2002 und 27.10.2004
erwähnt als auch bereits von Dr. C und Dr. O in ihren Gutachten berücksichtigt.
Dem nochmaligen Antrag des Klägers, ein weiteres Gutachten gemäß § 109 SGG
einzuholen, ist der Senat gemäß § 109 Abs. 2 SGG nicht gefolgt. Dabei kann offen bleiben,
ob das Recht, auf seinen Antrag einen bestimmten Arzt gutachtlich zu hören, bereits durch
die Anhörung der von dem Kläger benannten Sachverständigen Prof. Dr. F und Dr. X
"verbraucht" ist. Jedenfalls war dieser Antrag nach dem unter Fristsetzung erfolgten
Hinweis des Gerichts im Schreiben vom 25.02.2004 abzulehnen, da durch die Zulassung
die Erledigung des Rechtsstreits verzögert worden wäre und der Antrag nach der freien
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Überzeugung des Gerichts aus grober Nachlässigkeit nicht früher vorgebracht worden ist.
Sowohl im Klageverfahren als auch mit seinem Berufungsvorbringen hat sich der Kläger
ausdrücklich darauf gestützt, sein Leistungsvermögen werde wesentlich auch durch die
Befunde auf nervenärztlichem Fachgebiet beeinträchtigt. Nachvollziehbare Gründe dafür,
dass nicht innerhalb der gesetzten Frist eine Begutachtung gemäß § 109 SGG auf
nervenärztlichem Gebiet hätte beantragt werden können, sondern dies erst nach Erhalt der
Ladung zum Verhandlungstermin am 17.12.2004 möglich gewesen sein solle, hat der
Kläger nicht dargelegt.
Das im Berufungsverfahren erstmals ausdrücklich geltend gemachte Begehren auf
Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung nach § 43 SGB VI in der seit dem
01.01.2001 geltenden Fassung (n.F.) ist unzulässig. Dabei handelt es sich um ein
Begehren, dass nicht bereits Streitgegenstand im erstinstanzlichen Verfahren war oder -
was der Senat für rechtlich zweifelhaft hält - nach §§ 153 Abs. 1, 96 SGG Gegenstand des
Berufungsverfahrens geworden wäre, sondern vielmehr um einen neuen Klageanspruch,
der im Berufungsverfahren im Wege einer unzulässigen zweitinstanzlichen Klage geltend
gemacht wird.
Die Beklagte hat über diesen ausdrücklich erstmals im Berufungsverfahren erhobenen
Anspruch bisher nicht (wirksam) durch Verwaltungsakt entschieden. Mit einer reinen
Leistungsklage nach § 54 Abs. 5 SGG konnte das Klageziel nicht erreicht werden, weil die
Entscheidung darüber, ob ein Anspruch auf Rente besteht, durch Verwaltungsakt zu treffen
ist. Richtige Klageart war damit die kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage nach §
54 Abs. 4 SGG. Deren Erhebung setzt jedoch die Durchführung eines
Verwaltungsverfahrens voraus (vgl. BSG, Urteil vom 22.06.2004 - B 2 U 22/03 R).
Nach § 157 SGG prüft das Landessozialgericht im Berufungsverfahren den Streitfall im
gleichen Umfang wie das SG. Der Streitgegenstand des erstinstanzlichen Verfahrens wird
durch den Inhalt des Bescheides vom 28.03.2000 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 05.12.2001 bestimmt, dessen inhaltliche Richtigkeit durch
die gegen ihn erhobene Anfechtungs- und Leistungsklage nach § 54 Abs. 4 SGG überprüft
wird (vgl. BSG, Urteil vom 22.03.1983 - 2 RU 37/82 -; Urteil vom 03.04.2001 - B 4 RA 90/00
R -; LSG NRW, Urteil vom 16.04.2004 - L 4 RJ 115/02 -). Mit diesem Bescheid lehnte die
Beklagte einen Anspruch des Klägers auf Rente wegen Erwerbsunfähigkeit nach § 44 Abs.
2 SGB VI a.F. ab. Sie traf in diesem Bescheid weder ausdrücklich noch konkludent eine
Entscheidung über einen Anspruch des Klägers auf Rente wegen Erwerbsminderung nach
dem ab 01.01.2001 geltenden Recht. Hinsichtlich des Bescheides vom 28.03.2000 bestand
dazu auch keine Veranlassung, da zum Zeitpunkt seines Erlasses die Regelungen des
SGB VI n.F. keine Geltung hatten.
Auch der Widerspruchsbescheid vom 05.12.2001 enthält insoweit keine (wirksame)
Regelung. Die materielle Bestandskraft (Bindungswirkung) eines Verwaltungsaktes
beschränkt sich auf den Entscheidungsausspruch, den sogenannten Verfügungssatz,
wobei ein Verwaltungsakt mehrere Verfügungssätze enthalten kann. Zur Klärung des
Umfangs der Bindungswirkung kann daneben zwar auch die Begründung des
Verwaltungsaktes berücksichtigt werden, jedoch nur innerhalb des Verfügungssatzes und
nur, wenn dieser unklar ist und Raum für eine Auslegung lässt. Sofern Verwaltungsakte
keine strenge Trennung zwischen Verfügungssatz und Begründung aufweisen, ist die
gesamte Begründung daraufhin zu prüfen, inwieweit sie für einen Verwaltungsakt typische,
der Bindung fähige Regelungen trifft. Aber auch wenn Verfügungssatz und Begründung
klar voneinander getrennt sind, können Teile der Begründung eines Verwaltungsaktes als
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weiterer Verfügungssatz bewertet werden, wenn ihnen unter Berücksichtigung der
Interessen der Beteiligten nach dem jeweils anzuwendenden materiellen Recht eine
solche Bedeutung zukommt (vgl. Urteile des BSG vom 07.07.2004 - B 8 KN 7/03 R - und
vom 22.06.2004 - B 2 U 36/03 R - mit weiteren Nachweisen). Der Verfügungssatz des
Widerspruchsbescheides vom 05.12.2001 enthält hinsichtlich des geltend gemachten
Anspruches lediglich die Regelung, dass der Widerspruch gegen den Bescheid vom
28.03.2000 zurückgewiesen wird, soweit ihm nicht mit Bescheid vom 11.09.2001
abgeholfen worden ist. Dieser Verfügungssatz enthält keine vom Ausgangsbescheid
losgelöste Sachentscheidung mit einer neuen Beschwer (vgl. insoweit BSG, Urteil vom
23.06.1994 - 4 RK 3/93 -) für den Kläger. Die übrigen Ausführungen im
Widerspruchsbescheid stehen unter der Überschrift "Begründung", sind also ersichtlich
nicht als Verfügungssätze gestaltet, sondern dienen allein der Begründung der in dem
Verfügungssatz getroffenen Regelungen. Für den Empfänger war deshalb schon aus dem
äußeren Aufbau des Bescheides und der logischen Zuordnung der Aussagen ohne
Weiteres erkennbar, dass eine verbindliche Entscheidung allein über den eingelegten
Widerspruch betreffend den die Rente wegen Erwerbsunfähigkeit ablehnenden Bescheid
vom 28.03.2000 getroffen werden sollte. Dem entsprach der Inhalt des Klageantrages vor
dem SG. Der Feststellung in dem Widerspruchsbescheid, der Kläger sei "auch nicht voll
erwerbsgemindert nach dem ab 01.01.2001 geltenden Recht", kommt kein
Regelungscharakter zu. Zu einer anderen Auffassung sind die Beteiligten offensichtlich erst
im Berufungsverfahren gelangt. Für einen (objektiven) Erklärungsempfänger war dieser
Mitteilung nicht zu entnehmen, dass damit rechtlich wirksam ein im Verhältnis zu dem
Anspruch auf Rente wegen Erwerbsunfähigkeit weitergehender Anspruch auf Rente wegen
voller Erwerbsminderung abgelehnt werden sollte. Selbst ein entsprechender
Erklärungswille lässt sich der entsprechenden Ausführung, die nicht erkennbar von der
Begründung für die Zurückweisung des Widerspruches abgegrenzt ist, nicht deutlich
bestimmt entnehmen.
Entgegen der Auffassung der Beteiligten enthält der Bescheid vom 28.03.2000 auch nicht
etwa deshalb eine Regelung zu einem Anspruch auf Rente wegen voller
Erwerbsminderung nach § 43 SGB VI n.F., weil es sich dabei um einen gleichartigen
Anspruch zu dem geltend gemachten auf Rente wegen Erwerbsunfähigkeit handelte. Mit
dem In-Kraft-Treten des geänderten § 43 SGB VI n.F. ist dem Grunde nach eine neue
Rentenleistung eingeführt worden (vgl. BSG, Urteil vom 14.08.2003 - B 13 RJ 4/03 R -)
bzw. eine Umstellung auf "neue Rentenarten" erfolgt (vgl. BSG, Urteil vom 20.10.2004 - B 5
RJ 48/03 R -). Zwar mag dem Begehren auf Rente wegen Erwerbsunfähigkeit bzw. auf
Rente wegen voller Erwerbsminderung ein einheitlicher Lebenssachverhalt zugrunde
liegen, es handelt sich aber um verschiedene Streitgegenstände. Zum 01.01.2001 ist eine
Rechtsänderung eingetreten, die bei geändertem Wortlaut der einschlägigen Vorschriften
andere Voraussetzungen für einen Rentenanspruch geschaffen hat (vgl. ausführlich dazu
LSG NRW , Urteil vom 16.04.2004 - L 4 RJ 115/02 -; LSG NRW, Urteil vom 12.01.2004 - L 3
RA 7/03 -). Außerdem würde eine Rente gemäß § 43 SGB VI n.F. erst ab 2001 beginnen
können, eine Rente gemäß § 44 SGB VI a.F. hätte für den Kläger hindessen schon ab
01.09.1999 beginnen können (vgl. insoweit zu den Regelungen in § 1265
Reichsversicherungsordnung und § 243 SGB VI BSG, Urteil vom 30.07.1997 - 5 RJ 12/96 -
).
Ein anderweitiger Bescheid, in dem ein Anspruch auf Rente wegen voller
Erwerbsminderung nach § 43 SGB VI n.F. abgelehnt worden wäre, ist auch dem
schriftsätzlichen Vorbringen der Beklagten im gerichtlichen Verfahren nicht zu entnehmen.
Dazu ist auch von den Beteiligten nichts vorgetragen worden. Deshalb kann offen bleiben,
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ob ein etwaiger Bescheid im Verlauf des Klage- und/oder Berufungsverfahrens
(entsprechend) § 96 SGG Gegenstand des Verfahrens geworden wäre, was der Senat
allerdings auch für sehr zweifelhaft hält.
Im Übrigen wäre - für den Fall, dass man insoweit eine wirksame Regelung annehme -
diese möglicherweise in Bestandskraft erwachsen, da der vor dem SG gestellte
Klageantrag ausdrücklich lediglich "Rente wegen Erwerbsunfähigkeit ab 01.09.1999"
erfasst.
Auf die Berufung des Klägers war jedoch das angefochtene Urteil teilweise zu ändern und
der Widerspruchsbescheid vom 05.12.2001 teilweise aufzuheben. Den Auffassungen der
Beteiligten lässt sich entnehmen, dass insoweit jedenfalls der Rechtsschein einer
Regelung besteht, der zu beseitigen ist. Darüber hinaus wäre eine - von den Beteiligten
angenommene - Regelung von der dafür funktional und sachlich unzuständigen Stelle
erlassen worden, weshalb insoweit ein Aufhebungsanspruch des Klägers besteht (vgl.
BSG, Urteil vom 30.03.2004 - B 4 RA 48/01 R -). Eine entsprechende Regelung durch den
Widerspruchsausschuss der Beklagten ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen
Rechten. Die Widerspruchsbehörde (§ 85 Abs. 2 SGG) ist funktional und sachlich
unzuständig, anstelle der Ausgangsbehörde über das Begehren des Klägers
"erstinstanzlich" zu entscheiden. Eine vorherige Entscheidung der "Ausgangsbehörde"
über einen Anspruch auf Rente nach den Regelungen des SGB VI n.F. liegt nicht vor.
Dieser Verfahrensfehler ist im Sinne von § 62 Halbsatz 2, § 42 Satz 1 Zehntes Buch
Sozialgesetzbuch (SGB X) beachtlich und begründet einen Aufhebungsanspruch (vgl.
BSG, Urteil vom 30.03.2004 - B 4 RA 48/01 R - mit weiteren Nachweisen).
Im Übrigen hält der Senat nach dem Gesamtergebnis der Beweisaufnahme einen
Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung gemäß § 43 SGB VI n.F. auch für
unbegründet. Denn der Kläger ist weiterhin in der Lage, unter den üblichen Bedingungen
des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 6 Stunden täglich erwerbstätig zu sein.
Anderes lässt sich auch dem im Berufungsverfahren auf Antrag des Klägers gemäß § 109
SGG eingeholten Gutachten des Dr. X nicht entnehmen. Auch dieser hält vielmehr den
Kläger grundsätzlich für fähig, körperlich leichte Arbeiten wie eingehende Post öffnen,
sortieren und registrieren, Postsendungen packen, kuvertieren, adressieren und frankieren
sowie Botengänge zu erledigen. Er hält das Bedienen von Telefon-, Kopier- und
Faxgeräten ebenso für möglich wie das Empfangen und Anmelden von Besuchern,
Überprüfen von Ausweisen und Erteilen von Auskünften.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG
zugelassen.