Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 16.07.2008
LSG NRW: schutz der menschenwürde, vorläufiger rechtsschutz, kündigung, unionsbürger, arbeitssuche, wohnung, hauptsache, niedersachsen, vermieter, erlass
Landessozialgericht NRW, L 19 B 111/08 AS ER
Datum:
16.07.2008
Gericht:
Landessozialgericht NRW
Spruchkörper:
19. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
L 19 B 111/08 AS ER
Vorinstanz:
Sozialgericht Köln, S 14 AS 43/08 ER
Sachgebiet:
Grundsicherung für Arbeitssuchende
Rechtskraft:
rechtskräftig
Tenor:
Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des
Sozialgerichts Köln vom 28.04.2008 geändert. Die Antragsgegnerin wird
im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragssteller
Regelleistung zur Sicherung des Lebensunterhalts nach § 20 SGB II in
Höhe von 347,00 EUR monatlich und Kosten für Unterkunft und Heizung
von 440,00 EUR monatlich für die Zeit ab dem 05.03.2008 bis zum
28.07.2008 als Darlehen zu gewähren.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Gründe:
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I. Der am 00.00.1974 geborene Antragsteller ist italienischer Staatsangehöriger. Am
10.01.2007 reiste er aus Italien in die Bundesrepublik ein. Die Stadt L erteilt dem
Antragsteller eine Bescheinigung nach § 5 Freizügigkeitsgesetz/EU (FreizügG/EU) für
die Zeit vom 03.03.2008 bis zum 28.05.2008 und vom 15.05. bis zum 23.12.2008. Eine
Ausweisungsverfügung ist gegen den Antragsteller nicht ergangen.
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Laut Bescheinigung der AOK Rheinland/Hamburg vom 27.12.2007 ist der Antragsteller
als Beschäftigter ab dem 16.01.2007 und seit dem 18.06.2007 bis laufend als Bezieher
von Arbeitslosengeld II gesetzlich krankenversichert. Die Firma E1 Hochbau- und Putz
GmbH meldete als Arbeitgeberin den Antragsteller im Januar 2008 rückwirkend zum
15.05.2007 bei der AOK Rheinland/Hamburg ab. Die Firma E1 Hochbau- und Putz
GmbH meldete der Urlaubs- und Lohnausgleichkasse der Bauwirtschaft für den
Antragsteller einen in der Zeit vom 16.01. bis zum 30.04.2007 erworbenen
Urlaubsanspruch von 8,83 Tagen.
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Am 08.04.2008 beantragte der Antragsteller bei der Agentur für Arbeit die Gewährung
von Insolvenzgeld für rückständiges Arbeitsentgelt für die Zeit vom 01.04. bis zum
30.06.2007. Er gab an, dass er bei dem zahlungsunfähigen Arbeitgeber "Inhaber H B,
E1 Hochbau- und Putz GmbH, X Straße 00, L" beschäftigt gewesen sei. Der Arbeitgeber
habe am 06.02.2008 die Betriebstätigkeit beendet. Die Firma E1 Hochbau- und Putz
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habe am 06.02.2008 die Betriebstätigkeit beendet. Die Firma E1 Hochbau- und Putz
GmbH wurde nach den Feststellungen der Agentur für Arbeit L am 06.02.2008 bei der
Stadt L gewerberechtlich abgemeldet und am 06.02.2008 wegen Vermögenslosigkeit im
Handelsregister gelöscht. Herr H B war Geschäftsführer der Firma.
Am 03.04.2008 erhob der Antragsteller gegen Herrn H B Klage vor dem Arbeitsgericht
Köln, 12 Ca 2807/08, mit dem Begehren, festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis nicht
durch die mündliche Kündigung vom 31.01.2008 aufgelöst sei sowie der Verurteilung
von Herrn H B zur Zahlung von rückständigem Lohn für die Zeit von Januar bis März
2008 in Höhe von insgesamt 4.500,00 EUR. Er trug vor, er sei seit dem 16.01.2007
aufgrund eines mündlichen Arbeitsvertrages als Bauhelfer gegen 1.500,00 EUR
beschäftigt gewesen. Am 31.01.2008 habe Herr H B das Arbeitsverhältnis mündlich
gekündigt. Als er am nächsten Tag seine Arbeitskraft angeboten habe, sei er von Herrn
H B nach Hause geschickt worden. Durch Versäumnisurteil vom 29.04.2008 hat das
Arbeitsgericht Köln festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die
Kündigung vom 31.01.2008 nicht aufgelöst ist, und Herrn H B zur Zahlung von 4.500,00
verurteilt.
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Seit dem 15.05.2007 wohnt der Antragsteller in der 45 qm großen Wohnung, L Weg 00,
L. Die Miete beträgt 350,00 EUR zuzüglich 120,00 EUR Nebenkosten. In den
Nebenkosten ist eine Vorauszahlung von Stromkosten in Höhe von 30,00 EUR
enthalten. Mit Schreiben vom 11.12.2007 kündigte der Vermieter die Wohnung des
Antragsstellers zum 15.02.2008. Es ist eine Kündigungsklage vor dem Amtsgericht
Köln, 221 C 123/08, anhängig.
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Am 12.06.2007 beantragte der Antragssteller bei der Antragsgegnerin die Gewährung
von Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II). Er gab an, dass er
von der Unterstützung durch seinen Bruder und seine Mutter lebe. Er reichte Kopien von
Lohnbescheinigungen " - Baulohn - Abrechnung der Brutto-Netto-Bezüge" vom
04.04.2007 für die Monate Januar bis April 2007, ausgestellt von "H, X Straße 00, L"
über einen monatlichen Bruttobetrag von 1.500,00 EUR sowie eine Bescheinigung des
Steuerberaters Dr. C vom 20.03.2007, wonach der Antragsteller seit dem 16.01.2007 bei
der Firma E Hochbau GmbH beschäftigt sei, zu den Akten. Mit Bescheid vom
02.08.2007 gewährte die Antragsgegnerin dem Antragsteller Leistungen nach dem SGB
II in Höhe von 567,00 EUR monatlich für die Zeit vom 18.06 bis zum 31.12.2007. Durch
weiteren Bescheid vom 01.09 bis zum 31.12.2007 bewilligte die Antragsgegnerin
Leistungen in Höhe von 721,00 EUR für September 2007 und von 787,00 EUR
monatlich für die Zeit vom 01.10 bis zum 31.12.2007. Laut Vermerk der Antragsgegnerin
vom 04.01.2008 gab der Antragssteller an, dass er in der Zeit vom 16.01. bis zum
15.05.2007 bei der Firma E Hochbau GmbH, H, X Straße 00, gearbeitet habe. Die Firma
sei insolvent und existiere nicht mehr. Der Antragssteller unterschrieb den Vermerk.
Durch Bescheid vom 13.03.2008 lehnte die Antragsgegnerin den Antrag unter Berufung
auf § 7 Abs. 1 S. 2 2. Halbs. SGB II ab. Zur Begründung führte sie aus, dass die
gesetzlichen Voraussetzungen für den Anspruch auf Leistungen nicht vorlägen, da der
Antragsteller nicht erwerbsfähig sei. Den hiergegen eingelegten Widerspruch wies die
Antragsgegnerin am 25.06.2008 als unbegründet zurück.
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Am 05.03.2008 hat der Antragsteller beim Sozialgericht (SG) Köln beantragt, die
Antragsgegnerin im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes zu verpflichten, ihm
Leistungen nach dem SGB II in Höhe von 721,00 EUR monatlich bis zum Abschluss
des Verwaltungs- und Klageverfahrens zu gewähren.
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Er hat vorgetragen, er sei auf die Hilfe zum Bestreiten seines Lebensunterhaltes
dringend angewiesen. Er habe für März 2008 weder Lohn noch Entgeltersatzleistungen
erhalten. Er sei bis zum letzten Jahr bei einer Baufirma beschäftigt gewesen, die in
Insolvenz gegangen sei. Wegen Mietrückständen in Höhe von 2.640,00 EUR habe der
Vermieter die Wohnung gekündigt. Ihm drohe Obdachlosigkeit. Er habe einen
Arbeitnehmerstatus im Sinne des FreizügG/EU. Arbeitgeberin sei nicht die Firma E
Hochbau GmbH, sondern die Einzelfirma des Herrn H B gewesen. Den Arbeitsvertrag
habe er mit Herrn H B geschlossen. Die Kündigung seines Arbeitsverhältnisses sei
unwirksam, da sie mündlich erfolgt sei. Gegen die Kündigung habe er
Kündigungsschutzklage erhoben. Sein Arbeitgeber sei verpflichtet, ihn weiter zu
beschäftigen.
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Die Antragsgegnerin hat vortragen, dass der Antragsteller während seiner
Beschäftigung bei der Firma E Hochbau GmbH vom 10.01. bis März 2007 einen
Arbeitnehmerstatus i.S.d. § 2 Abs.2 Nr. 1 1. Alt. Gesetz über die allgemeine
Freizügigkeit von Unionsbürgern (FreizügG/EU) innegehabt habe. Nach § 2 Abs. 3 S. 2
FreizügG/EU sei der Antragsteller während der Dauer von sechs Monaten
freizügigkeitsberechtigt als Arbeitnehmer gewesen. Der genaue Zeitpunkt des Ablaufs
der 6-Monatsfrist sei nicht feststellbar. Es sei jedoch davon auszugehen, dass diese
Frist aufgrund der letztmaligen Ausfertigung einer Gehaltsabrechnung für April 2007
zum 31.10.2007 ausgelaufen sei. Die Firma E Hochbau GmbH existiere nicht mehr.
Demnach gehe die Kündigungsschutzklage ins Leere.
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Durch Beschluss vom 28.04.2008 hat das SG Köln den Antrag abgewiesen. Auf die
Gründe wird Bezug genommen.
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Gegen den am 02.05.2008 zugestellten Beschluss hat der Antragssteller am 30.05.2006
Beschwerde eingelegt.
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Er trägt vor, er sei seit dem 01.01.2007 als Bauhelfer bei Herrn H B beschäftigt. Da Herr
H B bei der Anstellung nicht erklärt habe, für eine anderen Firma zu handeln, sei das
Arbeitsverhältnis zwischen ihm und Herrn H B zustande gekommen. Die mündliche
Kündigung des Arbeitsverhältnisses durch Herrn Herr H B sei unwirksam. Zur
Bestreitung seines Lebensunterhaltes habe er Darlehen bei Freunden und Bekannten
aufgenommen.
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II. Die zulässige Beschwerde ist begründet.
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Nach § 86b Abs. 2 S. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der Hauptsache
auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in
Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur
Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint. Der Erlass einer einstweiligen
Anordnung setzt das Bestehen eines Anordnungsanspruches (d. h. eines materiellen
Anspruchs, für den vorläufiger Rechtsschutz begehrt wird) sowie das Vorliegen des
Anordnungsgrundes (d. h. der Unzumutbarkeit, bei Abwägung aller betroffenen
Interessen die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten) voraus. Der
Anordnungsanspruch und der Anordnungsgrund sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs.
2 S. 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung - ZPO - ).
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Einen Anordnungsanspruch hat der Antragsteller glaubhaft gemacht. Der Antragsteller
verfügt nicht über die finanziellen Mittel zur Sicherung seiner Existenz. Er erzielt kein
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Erwerbseinkommen. Ein Abwarten auf das Hauptsacheverfahren ist ihm nicht zumutbar.
Im vorliegenden Verfahren kann nicht abschließend geklärt werden, ob dem
Antragsteller ein Anspruch auf Gewährung von Leistungen nach dem SGB II zusteht.
Die Voraussetzungen für eine Leistungsberechtigung nach § 7 Abs. 1 S. 1 SGB II liegen
in der Person des Antragstellers vor. Der Antragsteller ist 44 Jahre alt (§ 7 Abs. 1 S. 1
Nr. 1 SGB II). Die Erwerbsfähigkeit des Antragstellers ist gegeben (§ 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 2
SGB II). Er ist als italienischer Staatsangehöriger und damit als "Alt-Unionsbürger"
gemeinschaftsrechtlich freizügigkeitsberechtigt und berechtigt, ohne Arbeitserlaubnis
eine Arbeit in der Bundesrepublik aufzunehmen. Des weiteren ist der Antragsteller
hilfebedürftig i.S.v. § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 3, 9 SGB II. Hilfebedürftig ist, wer seinen
Lebensunterhalt, seine Eingliederung in Arbeit und den Lebensunterhalt der mit ihm in
einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen nicht oder nicht ausreichend aus
eigenen Kräften und Mitteln, vor allem nicht durch die Aufnahme einer zumutbaren
Arbeit (Nr. 1) oder aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen sichern
kann (Nr.2) und die erforderliche Hilfe nicht von anderen erhält (Nr.3). Der Antragssteller
erzielt weder Erwerbseinkommen noch bezieht er Sozialleistungen. Angesichts seines
mehr als einjährigen Aufenthalts hat der Antragssteller auch seinen gewöhnlichen
Aufenthalt in der Bundesrepublik (§ 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 SGB II).
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Jedoch ist nicht abschließend zu klären, ob der Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 S. 2
Nr. 2 SGB II, wonach Ausländer von den Leistungen zur Sicherung des
Lebensunterhalts ausgenommen sind, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem
Zweck der Arbeitsuche ergibt. Zwar spricht mehr dafür als dagegen, dass der
Antragssteller in der Zeit ab der Antragstellung am 15.03.2008 nicht mehr sein
Aufenthaltsrecht als Arbeitnehmer nach § 2 Abs. 2. Nr. 1 FreizügG/EU, sondern nur als
zum Zweck der Arbeitssuche § 2 Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU hat und die Vorschrift des §
2 Abs. 3 Nr. 1 FreizügG/EU nach Satz 2 nicht zu seinen Gunsten eingreift. Unter einen
Arbeitnehmer i.S.v. § 2 Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU ist jeder zu verstehen, der eine
tatsächliche und echte Tätigkeit ausübt (LSG NRW, Beschluss vom 07.11.2007, L 20 B
184/07 AS ER m.w.N.; Renner , Ausländerrecht, 8. Aufl., § 2 FreizügG/EU Rdz. 7
m.w.N.) Der Arbeitnehmerbegriff des § 2 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 FreizügG/EU entspricht dem
gemeinschaftsrechtlichen Arbeitnehmerbegriff. Mit der Beendigung des
Arbeitsverhältnisses verliert der Betroffene die gemeinschaftsrechtliche
Arbeitnehmereigenschaft (siehe EuGH, Urteil vom 12.05.1998, C-85/96). Vieles spricht
dafür, dass zwischen dem Antragsteller und Firma E1 Hochbau- und Putz GmbH ein
Arbeitsverhältnis bestanden hatte, das am 15.05.2007 faktisch endete, und somit der
Antragsteller ab dem 16.05.2007 kein Arbeitnehmer mehr, sondern unfreiwillig
arbeitslos war. Bis auf die Erklärung des Antragstellers im arbeitsgerichtlichen
Verfahren sind nach Aktenlage keine Anhaltspunkte dafür erkennbar, dass der
Antragsteller nach dem 15.05.2007 eine abhängige Erwerbstätigkeit ausübte. Der
Vortrag des Antragstellers im Arbeitsgerichtsverfahren, er sei vom 16.01.2007 bis zum
30.01.2008 durchgehend für Herrn H B tätig gewesen, steht im Widerspruch zu seiner
Erklärung gegenüber der Antragsgegnerin vom 04.04.2008, dass er in der Zeit vom
16.01. bis zum 15.05.2007 bei der Firma E Hochbau GmbH, H, X Straße 00, gearbeitet
habe. Auch ist nicht nachvollziehbar, dass der Antragsteller in der Zeit vom 15.05.2007
bis zum 31.01.2008, d. h. mehr als 8 Monate, durchgehend ohne Entgelt gearbeitet
haben soll. Denn den Erhalt von Lohnzahlungen zeigte der Antragsteller in diesem
Zeitraum der Antragsgegnerin nicht an, obwohl er dazu verpflichtet war. Ob der
Antragsteller sich noch zum Zwecke der Arbeitssuche oder zu anderen Zwecken in der
Bundesrepublik aufhält, ist im Klageverfahren zu klären. Dabei wird auch zu klären sein,
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ob der Antragsteller zum 01.07.2008 dieTätigkeit bei der Firma C-Telekom-Center
aufgenommen hat und zumindest seit dem 01.07.2008 wieder einen Arbeitnehmerstatut
i.S.d. § 2 Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU innehat (siehe zur Arbeitnehmereigenschaft i.S.d.
FreizügG/EU bei Ausübung einer geringfügigen Beschäftigung; LSG NRW, Beschluss
vom 17.04.2008, L 7 B 70/08 AS ER und vom 30.01.2008, L 20 B 76/07 S0 ER). Jedoch
bestehen erhebliche Zweifel, ob die Ausschlussvorschrift des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB
II mit dem Gemeinschaftsrecht der EU vereinbar ist (offen gelassen vom Senat im
Beschluss vom 22.03.2007, L 19 B 21/07 AS ER, und vom 16.04.2007, L 19 B 13/07 AS
ER; siehe die Zusammenfassung des Meinungsstands: LSG Berlin-Brandenburg,
Beschluss vom 20.12.2007, L 5 B 2073/07 AS ER m.w.N.; OVG Niedersachsen-
Bremen, Beschluss vom 14.01.2008, L 8 SO 88/07 ER; OVG Bremen, Beschluss vom
05.11.2007, S 1 B 252/07; Vorlagebeschluss des SG Nürnberg vom 18.12.2007, S 19
AS 738/07). Durch diese Bestimmung sollte Art. 24 Abs. 2 i.V.m. Art. 14 Abs. 4b RL
2004/38/EG umgesetzt werden (vgl. BT-Drucks. 16/688, S. 13). Danach ist der
Aufnahmemitgliedsstaat nicht verpflichtet, anderen Personen als Arbeitnehmern oder
Selbständigen, Personen, denen dieser Status erhalten bleibt, und ihren
Familienangehörigen während der ersten drei Monate des Aufenthalts oder ggf.
während des längeren Zeitraums nach Art. 14 Abs. 4b) - Aufenthaltsrecht aufgrund des
Nachweises der Arbeitssuche und der begründeten Aussicht einer Einstellung - einen
Anspruch auf Sozialhilfe zu gewähren. Insoweit ist aber schon fraglich, ob es sich bei
der Grundsicherungsleistung nach dem SGB II, die eine besondere
beitragsunabhängige Geldleistung im Sinne des Art. 4 Abs. 2a V0 (EWG) 1408/71 ist
(vgl. Beschluss des Senats vom 30.03.2007, L 19 B 102/06 AS; SG Berlin, Urteil vom
29.02.2008, S 37 AS 1403/08 m.w.N.), um eine Sozialhilfe im Sinne des Art. 24 Abs. 2
RL 2004/38/EG handelt (verneinend SG Berlin, Urteil vom 29.02.2008, S 37 AS 1403/08
m.w.N). Des weiteren hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) entschieden, dass es mit
dem Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 12 EWG-Vertrag (EG) unvereinbar ist, einen
Unionsbürger, solange er sich rechtmäßig im Hoheitsgebiet eines Mitgliedsstaates
aufhält, dessen Staatsangehörigkeit er nicht besitzt, von Sozialhilfeleistungen aus
Gründen auszuschließen, die für die Staatsangehörigen dieses Mitgliedsstaates keine
Geltung haben (vgl. Urt. vom 07.09.2004 Rs C - 456/02 [Trojani] Rn 39ff; vgl. auch LSG
NRW, Beschluss vom 03.11.2006, L 20 B 248/06 AS ER). Auch wird in der
Rechtsprechung vertreten, dass es sich bei dem SGB II wie bei dem SGB XII um ein
Fürsorgegesetz i. S. v. Art. 1 des Europäischen Fürsorgeabkommen (EFA) handelt und
die Vorschriften des EFA, die als innerstaatliches Gesetz sowie nach § 30 Abs. 2
Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I) Anwendung finden, der Ausschlussnorm des § 7
Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II entgegenstehen (siehe LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss
vom 14.01.2008, L 8 SO 88/07 ER m.w.N.). Nach Art. 1 EFA verpflichtet sich jeder
Vertragsstaat, dem Angehörigen eines anderen Vertragsstaates, der sich erlaubt in
seinem Gebiet aufhält, Fürsorgeleistungen unter den gleichen Voraussetzungen wie
seinen eigenen Staatsangehörigen zu gewähren. Auf dieses Gleichstellungsgebot
können sich die Angehörigen der anderen Vertragsstaaten des EFA gegenüber den
deutschen Behörden unmittelbar berufen und Ansprüche auf Leistung geltend machen
(BVerwG, Urteil vom 18.05.2000, 5 C 29/98; Haverkate/Huster, Europäisches
Sozialrecht, Rdz. 377). Das EFA ist auf dem Antragsteller anwendbar, da die
Bundesrepublik Deutschland und Italien das EFA ratifiziert haben (Haverkate/Huster,
Europäisches Sozialrecht, Rdz. 377), der Antragsteller sich als Unionsbürger
möglicherweise erlaubt in der Bundesrepublik aufhält und die Hilfebedürftigkeit des
Antragstellers erst nach Ausübung einer abhängigen Beschäftigung und damit nach
Begründung des gewöhnlichen Aufenthaltes eingetreten ist (vgl. hierzu OVG Berlin,
Beschluss vom 22.04.2003, 6 S 9.03 FEVS 55, 186-192). Da eine abschließende
Klärung der Sach- und Rechtslage wegen derer Komplexität im Rahmen des
einstweiligen Rechtsschutzverfahren nicht möglich erscheint, ist aufgrund einer
Folgenabwägung zu entscheiden (vgl. BVerfG, Beschluss vom 12.05.2005, 1 BvR
569/05). Die grundrechtlichen Belange des Antragstellers sind dabei umfassend in die
Abwägung einzubeziehen. Die Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende
dienen der Sicherstellung eines menschenwürdigen Lebens. Diese Sicherstellung ist
eine verfassungsrechtlichen Pflicht des Staates, die aus dem Gebot zum Schutz der
Menschenwürde in Verbindung mit dem Sozialstaatsgebot folgt (vgl. BVerfG, Beschluss
vom 12.05.2005, 1 BvR 569/05 ). Daher überwiegt im vorliegenden Fall - auch unter
Berücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalls - Eintritt der
Hilfebedürftigkeit nach betriebsbedingtem Verlust des Arbeitsplatzes - das Interesse des
Antragstellers am Erlass der Regelungsanordnung, weil während des
Hauptsacheverfahrens ohne die zuerkannten Leistungen das Existenzminimum des
Antragstellers nicht gedeckt wäre und der Antragsteller ausreisen müsste. Diese
möglicherweise noch längere Zeit dauernde, erhebliche Beeinträchtigung kann
nachträglich nicht mehr ausgeglichen werden. Durch vorläufige Gewährung der
Leistung wird die Entscheidung in der Hauptsache nicht vorweggenommen, weil die
Leistungen nur darlehensweise gewährt werden (vgl. hierzu LSG Niedersachsen-
Bremen, Beschluss vom 02.11.2007, L 6 AS 664/07 ER;OVG Bremen, Beschluss vom
05.11.2007, S 1 B 252/07)
Der Senat hat die Leistungsverpflichtung der Antragsgegnerin auf den Ablauf der
Klagefrist gegen den Widerspruchsbescheid vom 25.06.2008 begrenzt. Bei der
Begrenzung der Leistungsverpflichtung der Antragsgegnerin auf sechs Monate hat sich
der Senat an § 41 Abs. 1 S. 4 SGB II orientiert. Danach sollen Leistungen für jeweils
sechs Monate im Voraus erbracht werden. Da die Antragsgegnerin die Leistung im
vorliegenden Fall ohne zeitliche Begrenzung abgelehnt hat, ist über den Anspruch des
Antragstellers auf Gewährung von Leistungen für in einem Hauptsacheverfahren über
den Anspruch des Antragsstellers auf Gewährung von Leistungen nach dem SGB II für
die gesamte bis zur Entscheidung verstrichene Zeit zu befinden (vgl. BSG, Urteil vom
07.11.2006, 7b AS 14/06 R).
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Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
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Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
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