Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 26.05.2004
LSG NRW: versorgung, innere medizin, genehmigung, kontrolle, vollziehung, trennung, fahren, haus, aufwand, pauschal
Landessozialgericht NRW, L 11 KA 163/03
Datum:
26.05.2004
Gericht:
Landessozialgericht NRW
Spruchkörper:
11. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
L 11 KA 163/03
Vorinstanz:
Sozialgericht Köln, S 19 KA 17/03
Sachgebiet:
Vertragsarztrecht
Rechtskraft:
rechtskräftig
Tenor:
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des
Sozialgerichts Köln vom 25.11.2003 wird zurückgewiesen. Die Klägerin
trägt die Kosten des Berufungsverfahrens. Die Revision wird nicht
zugelassen.
Tatbestand:
1
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Beigeladene zu 5) weiterhin berechtigt ist,
Gastroskopien (Ziffer 741 EBM) im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung zu
erbringen, § 73 Abs. 1 a Satz 3 SGB V.
2
Der Beigeladene zu 5) ist Arzt für Innere Medizin und in L zur vertragsärztlichen
Versorgung zugelassen. Er nimmt an der hausärztlichen Versorgung teil.
3
Mit Schreiben vom 11.02.2002 beantragte der Kläger die Genehmigung zur Erbringung
von Gastroskopien (Ziffer 741 EBM) weil er seit vielen Jahren diese Leistung erbringe
und im Lner Stadtbezirk 7 (Q und Q1) kein fachärztlich tätiger Gastroenterologe
niedergelassen sei. Deshalb sei es erforderlich, dass er auch über den 31.12.2002
hinaus diese Leistungen erbringe.
4
Der Zulassungsausschuss für Ärzte Köln lehnte mit Beschluss vom 13.01.2003 den
Antrag des Beigeladenen zu 5) ab und führte zur Begründung aus, eine Befragung der
im Planungsbereich fachärztlich tätigen Ärzte habe ergeben, dass in diesen Praxen freie
Behandlungskapazitäten bestünden.
5
Mit seinem Widerspruch verfolgte der Beigeladene zu 5) sein Begehren weiter und wies
nochmals darauf hin, dass der nächstgelegene Endoskopien erbringende Facharzt ca.
15 Kilometer vom Stadtteil Q-A entfernt sei. Gesetzlich Krankenversicherte müssten
somit lange Wartezeiten und Wege in Kauf nehmen, was zu entsprechenden
Beschwerden führe.
6
Die Beigeladene zu 1) und der Beigeladene zu 3) sprachen sich dafür aus, dem
Beigeladenen zu 5) weiterhin die Erbringung und Abrechnung der streitigen Leistung zu
genehmigen.
7
Die Klägerin beantragte, den Widerspruch zurückzuweisen und wies zur Begründung
lediglich auf die zutreffenden Ausführungen im angefochtenen Beschluss des
Zulassungsausschusses hin.
8
Mit Beschluss vom 07.05./16.05.2003 erteilte der Beklagte dem Beigeladenen zu 5) die
Genehmigung zur Erbringung der Leistungen nach Ziffer 741 EBM befristet bis zum
31.12.2006. Weiterhin ordnete er die sofortige Vollziehung dieser Entscheidung an. Er
führte zur Begründung aus, dass ansonsten eine insoweit bedarfsgerechte Versorgung
der gesetzlich Krankenversicherten nicht gewährleistet sei. Es finde sich kein
leistungsbereiter Arzt in L-Q. Eine in L-Mitte zur Erbringung der Leistung berechtigte
Gemeinschaftspraxis sei zur Übernahme weiterer Leistungen nicht in der Lage.
Inwieweit dies für die in anderen Ler Stadtteilen gelegenen internistischen Praxen der
Fall sei, sei nicht festzustellen, weil trotz ausdrücklicher Bitte des
Berufungsausschusses ein mit den örtlichen Verhältnissen vertrauter Vertreter der
Klägerin nicht erschienen sei. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung erfolge, weil
die sofortige Schließung der festgestellten Versorgungslücke im öffentlichen Interesse
liege.
9
Dagegen hat die Klägerin Klage erhoben. Sie hat weiterhin beantragt, den
angeordneten Sofortvollzug aufzuheben (S 19 KA 19/03 ER - L 11 B 38/03 KA ER).
10
Zur Begründung in der Sache trägt sie vor, die im Planungsbereich niedergelassenen
fachärztlichen Internisten seien willens und in der Lage, die streitigen Leistungen
gemäß Ziffer 741 EBM zu erbringen. Die Wartezeiten seien auch gering. Hinsichtlich der
Erreichbarkeit sei auszuführen, L verfüge über ein gutes öffentlichen Verkehrsnetz, so
dass es unerheblich sei, dass im Stadtteil Q kein fachärztlich tätiger Internist
niedergelassen sei. Sie weise nochmals darauf hin, dass im Rahmen einer
Bedarfsprüfung auf den gesamten Planungsbereich abgestellt werden müsse.
11
Das Sozialgericht (SG) Köln hat durch Beschluss vom 30.06.2003 den Antrag der
Klägerin auf Aufhebung des Sofortvollzuges abgewiesen und zur Begründung
ausgeführt, der Beigeladene zu 5) habe in der mündlichen Verhandlung vor dem
Beklagten dargelegt, dass in zumutbarer Entfernung von seinem Arztsitz kein
Gastroentrologe niedergelassen sei, der die streitige Leistung erbringe. Dem habe die
Vertreterin der Klägerin in der mündlichen Verhandlung vor dem Beklagten
Substantiiertes nicht entgegengehalten.
12
Mit Gerichtsbescheid vom 25.11.2003 hat das SG Köln die Klage abgewiesen und
ausgeführt, der Beklagte sei zutreffend von einer entsprechenden Versorgungslücke
ausgegangen. Es sei zu berücksichtigen, dass bei der Bedarfsfeststellung den
Zulassungsgremien ein gerichtlich nur eingeschränkt nachprüfbarer Beurteilungsraum
eingeräumt sei. Die gerichtliche Kontrolle beschränke sich zunächst darauf, ob der
Verwaltungsentscheidung ein richtiger und vollständig ermittelter Sachverhalt zu
Grunde liege. Dies sei der Fall. Denn der Beklagte habe den Beigeladenen zu 5) gehört,
der den Bedarf hinsichtlich der streitigen Leistung aus seiner örtlichen Kenntnis
beschrieben habe. Demgegenüber habe in der mündlichen Verhandlung vor dem
Beklagten die Bevollmächtigte der Klägerin lediglich auf die Frequenztabelle des
13
Beigeladenen zu 5) und die allgemeine Versorgung im Planungsbereich in Bezug
genommen. Darin liege jedoch kein Grund, dem Beigeladenen zu 5) die
Ausnahmegenehmigung zu verweigern. Der Versorgungsgrad im Planungsbereich
sage nichts darüber aus, wie die örtliche Versorgung bezüglich einzelner Leistungen
gesichert sei. In der mündlichen Verhandlung vor dem Beklagten sei auch
unwidersprochen geblieben, dass die vom Beigeladenen zu 5) beanspruchte Leistung
von niedergelassenen Vertragsärzten in einer Entfernung zwischen 12 und 15
Kilometern erbracht werde. Der Beklagte habe sich deshalb zu weiteren Ermittlungen
nicht gedrängt fühlen müssen.
Dagegen hat die Klägerin Berufung eingelegt, mit der sie ihr Vorbringen aus dem
Klageverfahren wiederholt.
14
Die Klägerin beantragt,
15
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Köln vom 25.11.2003 abzuändern und den
Bescheid des Beklagten vom 07.05./16.05.2003 aufzuheben.
16
Der Beklagte und der Beigeladene zu 5) beantragen,
17
die Berufung zurückzuweisen.
18
Sie halten die erstinstanzlichen Entscheidungen für zutreffend.
19
Im Erörterungstermin am 04.02.2004 hat der Beigeladene zu 5) ausgeführt, die
Patienten, bei denen eine Gastroskopie gemäß Ziffer 741 EBM erbracht werden soll,
dürften ab 18.00 Uhr des Vortages nichts mehr essen und ab 20.00 Uhr des Vortages
auch nichts mehr trinken. Die entsprechende Untersuchung werde unter Gabe eines
kurzfristigen Schlafmittels durchgeführt. Der Patient müsse danach mindestens noch
eine halbe Stunde in der Praxis liegen und sei dann weitere drei Stunden nicht in der
Lage, alleine mit der Straßenbahn zu fahren und erst recht nicht, ein Kraftfahrzeug zu
bedienen.
20
Die Verwaltungsakten des Beklagten, die Zulassungsakten sowie die Akten des
Sozialgerichts Köln - S 19 KA 19/03 ER - haben vorgelegen und sind Gegenstand der
mündlichen Verhandlung gewesen. Auf den Inhalt dieser Akten und den der Streitakten
wird - insbesondere hinsichtlich des Vorbringens der Beteiligten - ergänzend Bezug
genommen.
21
Entscheidungsgründe:
22
Die zulässige Berufung der Klägerin ist unbegründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch
auf Aufhebung des Beschlusses des Beklagten, denn dieser ist rechtmäßig und
beschwert die Klägerin nicht in ihren Rechten gemäß § 54 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz
(SGG).
23
Zur Begründung verweist der Senat auf die zutreffende Begründung im angefochtenen
Urteil des SG Köln, die er sich nach Prüfung der Sach- und Rechtslage zu eigen macht
(§ 153 Abs. 2 SGG).
24
Ergänzend weist der Senat darauf hin, dass die von den Zulassungsgremien gemäß §
25
73 Abs. 1 a Satz 3 SGB V zu treffende Entscheidung, also die vom Beklagten erteilte
Genehmigung zur Erbringung einzelner Leistungen, von den Gerichten der
Sozialgerichtsbarkeit nur eingeschränkt überprüft werden kann. Denn die
Zulassungsgremien haben bei den von ihnen zu treffenden, von der grundsätzlichen
Trennung in haus- und fachärztliche Versorgung gemäß § 73 Abs. 1 Satz 1 SGB V
abweichenden Regelungen zu prüfen, ob eine bedarfsgerechte Versorgung nicht (mehr)
gewährleistet ist. Soweit aber von den Zulassungsgremien als Grundlage ihrer
Entscheidung eine Bedarfsfeststellung getroffen werden muss, haben sie einen
gerichtlich nur eingeschränkt nachprüfbaren Beurteilungsspielraum (BSGSozR 3-2500,
§ 101 Nr. 1; BSG, Urteil vom 10. Mai 2000 - B 6 KA 9/99 R; BSG, Urteil vom 28.06.2000
- B 6 KA 35/99 R). Die gerichtliche Kontrolle beschränkt sich daher - wie in anderen
Fällen der Bedarfsfeststellung - darauf, ob der Verwaltungsentscheidung ein richtig und
vollständig ermittelter Sachverhalt zu Grunde liegt, ob die durch Auslegung des
Begriffes besonderer Versorgungsbedarf zu ermittelnder Grenzen einge- halten und ob
die Subsumtionserwägungen so hinreichend in der Begründung der Entscheidung
verdeutlicht wurden, dass im Rahmen des Möglichen die zutreffen- de Anwendung der
Beurteilungsmaßstäbe erkennbar und nachvollziehbar ist (ständige Rechtsprechung
des BSG: BSG SozR 3-2500, § 101 Nr. 1 - für Sonderbedarfszulassungen -; SozR 3-
2500 § 116 Nr. 1; BSGE 70, 167, 175; BSGE 73, 25, 29 und BSG SozR 3-2500 § 97 Nr.
2 - für die Ermächtigung von Krankenhausärzten -; BSGE 77, 188, 191 f. - für
Zweigpraxen -).
Die Entscheidung des Beklagten ist unter Zugrundelegung der eingeschränkten
gerichtlichen Überprüfbarkeit zutreffend, insbesondere ist der Sachverhalt ausreichend
ermittelt worden. Der Senat stellt fest, dass der Beklagte einen lokalen
Versorgungsbedarf hinsichtlich der streitigen Leistungen - ähnlich wie in Nr. 24 a
Bedarfsplanungsrichtlinien - angenommen hat. Zu diesem Ergebnis gelangte der
Beklagte, weil durch den Beigeladenen zu 5) detailliert dargelegt worden war, dass in
dem räumlich etwas abseits gelegenen Stadtteil L-Q-A kein zur vertragsärztlichen
Versorgung zugelassener fachärztlich tätiger Internist niedergelassen ist, der die
streitige Leistung erbringt. Weiterhin ist vom Beigeladenen zu 5) dargelegt worden, dass
anderen im Planungsbereich befindlichen fachärztlich tätigen Internisten, die diese
Leistung erbringen können, von den Versicherten nur mit nicht zumutbarem Aufwand
erreicht werden können. Diese Ausführungen sind von den Beigeladenen zu 1) und 3)
in ihrem Kerngehalt bestätigt worden.
26
Aus dem Vorbringen der Klägerin im Verfahren vor dem Beklagten ergibt sich nichts,
was den Beklagten hätte zu einer weiteren Sachverhaltermittlung veranlassen müssen.
Denn die Klägerin hat lediglich pauschal auf die Ausführungen im Beschluss des
Zulassungsausschuss Bezug genommen, nämlich dass fachärztlich tätige Ärzte im
Planungsbereich bezogen auf die beantragten Leistungen freie
Behandlungskapazitäten hätten. Diese Ausführungen der Klägerin im Verfahren vor
dem Beklagten sind weder substantiiert noch rechtlich relevant. Zwar kommt es - wie die
Klägerin zutreffend ausführt - grundsätzlich auf die Versorgungssituation im gesamten
Planungsbereich an, jedoch ist bei der Regelung gemäß § 73 Abs. 1 a) Satz 3 SGB V -
ähnlich wie bei der Sonderbedarfszulassung gemäß Ziffer 24 a)
Bedarfsplanungsrichtlinien - auf die Situation im lokalen Bereich abzustellen. Dies
bedeutet, dass die Situation im Stadtteil L-Q-A zu berücksichtigen ist und weiterhin
geprüft werden muss, ob und gegebenenfalls inwieweit den Patienten, die eine
entsprechende Leistung in Anspruch nehmen wollen, es zugemutet werden kann,
räumlich entfernte Praxen aufzusuchen. Dazu hat die Klägerin im Verfahren vor dem
27
Beklagten auch nicht ansatzweise Ausführungen gemacht. Sie hat in der mündlichen
Verhandlung vor dem Beklagten lediglich auf die sich aus der Frequenztabelle
ergebende Leistungshäufigkeit des Beigeladenen zu 5) hingewiesen. Diesem Vortrag
brauchte der Beklagte nicht nachgehen, da er rechtlich irrelevant ist.
Das Vorbringen der Beteiligten im Berufungs- und Beschwerdeverfahren zeigt darüber
hinaus, dass die vom Beklagten auf Grund des Vorbringens der Beteiligten im Verfahren
vor dem Beklagten getroffenen Feststellungen auch tatsächlich zutreffend sind. Denn
den im Stadtteil Q-A lebenden Versicherten ist es nicht zumutbar, fachärztlich tätige
Internisten im Planungsbereich L zur Erbringung der streitigen Leistung aufzusuchen.
Denn diese Praxen sind mit öffentlichen Verkehrsmitteln nicht innerhalb angemessener
Zeit zu erreichen und die Versicherten sind wegen der anstehenden bzw.
durchgeführten Untersuchung auch nicht in der Lage, mit einem Kraftfahrzeug den Weg
zurückzulegen. Dies ergibt sich insbesondere aus den Darlegungen des Beigeladenen
zu 5) im Erörterungstermin.
28
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197 a) Abs. 1 SGG in Verbindung mit § 154 Abs.
1, 162 Abs. 1 VwGO.
29
Die Revision ist nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen gemäß § 160 Abs. 2 SGG
nicht vorliegen.
30