Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 15.10.2003

LSG NRW (gutachten, mit an sicherheit grenzender wahrscheinlichkeit, leukämie, berufliche tätigkeit, form und inhalt, tätigkeit, sgg, gutachter, anlage, 1995)

Landessozialgericht NRW, L 17 U 85/00
Datum:
15.10.2003
Gericht:
Landessozialgericht NRW
Spruchkörper:
17. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
L 17 U 85/00
Vorinstanz:
Sozialgericht Duisburg, S 26 U 239/97
Sachgebiet:
Unfallversicherung
Rechtskraft:
rechtskräftig
Tenor:
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts
Duisburg vom 08. Februar 2000 geändert und die Klage abgewiesen.
Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten. Die Revision wird
nicht zugelassen.
Tatbestand:
1
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Klägerin als Sonderrechtsnachfolgerin ihres
verstorbenen Ehemannes Lebzeitenrente wegen einer Berufskrankheit (BK) nach Nr.
1303 der Anlage zur Berufskrankheiten- Verordnung (BKV) zusteht.
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Die Klägerin ist die Witwe des 1953 geborenen und am 00.00.1996 während einer
stationären Behandlung in den USA verstorbenen Versicherten N A (im Folgenden: Z.).
Z. war ab August 1967 als Auszubildender im Maler- und Lackiererhandwerk und nach
seiner Gesellenprüfung - mit Unterbrechung durch Wehrdienst vom 01.10.1974 bis
31.12.1975 - im erlernten Beruf beschäftigt, zuletzt seit Oktober 1980 bei der Firma B H
in X. Ab dem 14.11.1995 war Z. wegen einer akuten myeloischen Leukämie
arbeitsunfähig erkrankt und wurde ab dem 16.11.1995 in der Medizinischen Klinik II
(Onkologie, Hämatologie, Immunologie) des St. K-Hospitals E-I (Chefarzt: Prof. Dr. X1)
mehrfach stationär behandelt. Dr. B1, Oberarzt dieser Klinik, erstattete der Beklagten im
Januar 1996 ärztliche Anzeige wegen des Verdachts auf das Vorliegen einer BK und
gab an, der Versicherte führe seine Beschwerden auf eine Lösemittelexposition zurück.
Die Beklagte holte Auskünfte vom Versicherten sowie von früheren Arbeitgebern,
nämlich der Firma C, der Firma U, bei der Z. von Januar 1976 bis 31.08.1980 beschäftigt
war, und der Firma H ein und zog die Unterlagen des Arbeitsmedizinischen Dienstes
sowie den Arztbrief des St. K-Hospitals E-I vom 06.03.1996 über die dort von November
1995 bis Februar 1996 stattgefunden stationären Behandlungen des Versicherten bei. In
der Auskunft der Firma H vom 01.02.1996 heißt es, der Versicherte habe tapeziert,
Dispersionsfarben und -lacke verarbeitet, Bautenlacke, Spritzlacke,
Korrossionsschutzlacke und Holzschutzmittel aufgetragen sowie verschiedene Lacke
entfernt. Handschuhe, Schutzbrille, Atemschutzmasken und andere
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Schutzvorrichtungen hätten zur Verfügung gestanden. Entsprechende Angaben machte
auch der Versicherte.
Der Technische Aufsichtsdienst (TAD) der Beklagten - Dipl.-Ing. T - äußerte sich in der
Stellungnahme vom 07.06.1996 zu den arbeitstechnischen Voraussetzungen der
streitigen BKNr. 1303 wie folgt: Der Erkrankte habe bis auf die Beschäftigung bei der
Firma U in Y überwiegend allgemein übliche Malerarbeiten verrichtet. Während seiner
Tätigkeit bei der Firma U habe er überwiegend (zu ca. 90 %) textile Beläge verlegt.
Nach telefonischer Auskunft des Herrn U hätten diese Bodenlegearbeiten einen
Großteil an Einbau von Teppichböden in verschiedenen Räumen ausgemacht. Dabei
seien die üblichen lösemittelarmen Dispersionskleber bzw. Kunstharzkleber verwendet
worden. In geringem Maße seien jedoch diese textilen Beläge auf Treppenstufen verlegt
worden. Dabei seien die seinerzeit üblichen stark lösemittelhaltigen Neopren-Kleber
verwendet worden. Die Kunstharzklebstoffe hätten einen Lösemittelanteil von ca. 13 - 18
% mit einem Anteil an Benzolhomologen (hier: Toluol) von ca. 0 - 7 % enthalten. Bei der
Verarbeitung von Neopren-Klebern sei von einem Lösemittelanteil von ca. 65 - 85 %
auszugehen. Der Anteil an Benzolhomologen (hier: Toluol und Xylol) liege hier bei bis
zu 25 %. Es sei davon auszugehen, dass beim Verarbeiten von Neopren-Klebern -
abgesehen von den vorbereitenden Arbeiten (Zuschnitt der Stufenbeläge) - in der Regel
fast immer Grenzwertüberschreitungen der Lösemittelbestandteile vorgelegen hätten.
Für die Verarbeitung der Kunstharzklebstoffe gelte dies nicht. Insbesondere unter
Berücksichtigung der geringeren Anteile an Benzolhomologen werde hier eine
Einwirkung aus technischer Sicht als nicht wahrscheinlich angesehen. Der Anteil der
Verlegung von Textilbelägen in Treppenbereichen habe vom Unternehmer nicht näher
als mit "gering" beschrieben werden können.
4
Die Beklagte beauftragte sodann Dr. Q, Dipl.-Chem. und Arzt für Arbeits-, Sozial- und
Umweltmedizin in D-S mit der Erstattung eines Gutachtens nach Aktenlage. Darin führte
dieser unter dem 05.08.1996 aus, aufgrund der im Februar 1954 erlassenen
Lösemittelverordnung sei es in den folgenden Jahren bis Anfang der 60er-Jahre zu
einer drastischen Reduktion des Benzols in handelsüblichen Lösemitteln gekommen.
Somit sei davon auszugehen, dass seit Anfang der 60er-Jahre weniger als 5 %, seit
Anfang der 70er-Jahre weniger als 1 % Benzol in malerüblichen Lösemitteln enthalten
gewesen seien. Da auch die Kanzerogenese Dosis-/Wirkungsbeziehungen gehorche,
müsse nach aller arbeitsmedizinischer Erfahrung und toxikologischer Erkenntnis davon
ausgegangen werden, dass von der geringen Exposition gegenüber den Spuren an
Benzol, welche noch in Lösemitteln enthalten (gewesen) seien, keine konkrete Gefahr
der Entstehung einer benzolbedingten BK ausgehe. Gesichert sei, dass eine
Benzolexposition von 50 ppm-Jahren mit einer erhöhten Rate an Leukämien
einhergehe. Ab 20 ppm-Jahren würden im Einzelfall Anerkennungen von Leukämien,
bedingt durch Benzol, ausgesprochen. Zusammenfassend kam Dr. Q zu dem Ergebnis,
die arbeitstechnischen Voraussetzungen zum Entstehen einer benzolbedingten BK
hätten bei Z. nicht vorgelegen.
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Mit dem der Klägerin als Sonderrechtsnachfolgerin ihres verstorbenen Ehemannes
erteilten Bescheid vom 28.01.1997 lehnte die Beklagte die Anerkennung und
Entschädigung der Leukämie-Erkrankung des Versicherten als BK nach Nr. 1303 der
Anlage zur BKV ab, weil die arbeitstechnischen Voraussetzungen zum Entstehen einer
benzolbedingten BK nicht vorgelegen hätten.
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Dagegen legte die Klägerin am 10.02.1997 Widerspruch ein. Im März 1997 übersandte
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die Beigeladene der Beklagten das von ihr in Auftrag gegebene Gutachten des Prof. Dr.
R. N1, Arzt für Arbeitsmedizin/Sozialmedizin am Zentrum für Sozialpolitik der Universität
C1, vom 12.02.1997. Darin kam dieser zu dem Ergebnis, die Exposition des
Versicherten gegenüber Benzol sei als wesentliche Teilursache für die Entstehung der
akuten myeloischen Leukämie anzusehen und führte dazu aus, Z. sei von 1967 bis
1995 einer wesentlich höheren Benzolexposition als beruflich nicht belastete
Bevölkerungsgruppen ausgesetzt gewesen. Bis heute existierten keine eindeutigen
Aussagen zur sog. Wirkungsschwelle von Benzol. Selbst bei Verwendung von Lacken
mit weniger als 0,1 % Benzolgehalt sei die Einhaltung der Technischen-Richtlinie-
Konzentration (TRK) und der Auslöseschwelle nicht gewährleistet. Im Verlauf des
Widerspruchsverfahrens holte die Beklagte - einer Forderung der Beigeladenen
entsprechend - eine Stellungnahme zur Benzolexposition bei Malern in den Jahren
1967 bis 1995 vom Berufsgenossenschaftlichen Institut für Arbeitssicherheit (BIA) des
Hauptverbandes der gewerblichen Berufsgenossenschaften in T1 B2 ein. Dr. X2 vom
BIA kam darin am 22.05.1997 i.S. einer worst-case-Betrachtung - ausgehend von den
vom TAD ermittelten Lösemittelexpositionszeiten - zu dem Ergebnis, der Versicherte sei
während seiner Tätigkeit als Maler und Anstreicher von 1967 bis 1995 insgesamt 1,92
Benzoljahren (ppm-Jahren) ausgesetzt gewesen. Derzeit gelte eine Verdoppelung für
Leukämien bei 50 Benzol-Jahren als plausibel. Auf den Inhalt der Stellungnahme des
Dr. X2 nebst ergänzender Stellungnahme von Dr. C2 vom 23.05.1997 wird verwiesen.
Schließlich übersandte die Beigeladene im August 1997 ein weiteres von ihr in Auftrag
gegebenes (internistisch-hämatologisches) Gutachten des Prof. Dr. X1 vom 06.07.1997.
Darin führte dieser u.a. aus, bei Z. habe eine sog. refraktäre myeloische Leukämie i. S.
einer biphänotypischen akuten Leukämie mit deutlicher myeloischer Komponete
vorgelegen. Es sei zu konstatieren, dass auch an den für Z. üblichen Arbeitsplätzen
durchaus Benzol-Werte hätten erreicht werden können, welche den gültigen TRK-Wert
von Benzol (1993) hätten überschreiten können. Wenn also ein Arbeitnehmer - so der
Gutachter - eine langjährige Exposition mit einem Kanzerogen - hier Benzol - gehabt
habe und bei ihm eine für diese Kanzerogenität charakteristische Tumorart auftrete,
könne es nicht als gerechtfertigt angesehen werden, die Anerkennung einer
entschädigungspflichtigen BK i. S. der Nr. 1303 zu verweigern. Der Umstand, dass eine
biphänotypische akute Leukämie vorgelegen habe, unterstreiche den Zusammenhang
zwischen Benzolexposition und Leukämie-Erkrankung.
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Mit Widerspruchsbescheid vom 21.10.1997 wies die Beklagte den Widerspruch als
unbegründet zurück. Dagegen hat die Klägerin am 21.11.1997 Klage beim Sozialgericht
(SG) Duisburg erhoben und geltend gemacht, das Vorliegen der arbeitstechnischen
Voraussetzungen für die Entstehung einer BK nach Nr. 1303 insbesondere während der
ersten Berufsjahre ihres Ehemannes dürfe nicht bezweifelt werden. Auch nach Meinung
des TAD seien die für Lösungsmittel geltenden Grenzwerte während der
Fußbodenverlegearbeiten fast immer überschritten worden. Für eine berufliche
Verursachung der Leukämie-Erkrankung, die sich als therapieresistent erwiesen habe,
spreche deren rasanter Verlauf. Im Übrigen hat sich die Klägerin zur Stützung ihres
Anspruchs auf das von der Beigeladenen eingeholte Gutachten des Prof. Dr. N1
bezogen. Die Beklagte hat sich demgegenüber auf das ihren angefochtenen
Verwaltungsentscheidungen zugrundeliegende Ermittlungsergebnis, insbesondere auf
das Gutachten des Dr. Q sowie auf die Stellungnahme des BIA aus Mai 1997 gestützt
und vorgetragen, die quantitative Einschätzung der Benzoleinwirkung sei aufgrund der
Angaben des Versicherten und seiner Arbeitgeber erfolgt. Die Menge der
Benzoleinwirkung lasse nicht den Schluss zu, dass diese Exposition mit hinreichender
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Wahrscheinlichkeit ursächlich für die akute myeloische Leukämie gewesen sei.
Nach den Berechnungen des BIA sei ein Wert von 1,92 Benzoljahren errechnet worden,
der weit unter dem Wert von 50 Benzoljahren liege, bei dem eine Verdoppelung
myeloischer Leukämie-Erkrankungen im Vergleich zur übrigen Befölkerung
angenommen werde.
10
Das SG hat Beweis erhoben durch Einholung eines toxikologischen Gutachtens von
Prof. Dr. O, Toxikologisches Labor am Universitätsklinikum F, das am 31.05.1999 im
Zusammenwirken mit der Allgemeinmedizinerin Dr. O erstattet und unter dem
26.08.1999 ergänzt worden ist. Zusammenfassend ist der Sachverständige (SV) zu dem
Ergebnis gelangt, für Benzol seien sog. Schwellenwerte nicht gängig. Im vorliegenden
Fall seien die an den Arbeitsplätzen des Versicherten aufgetretenen
Spitzenkonzentrationen an Benzol noch nicht berücksichtigt, aber auch nicht
berechenbar. Die vom Tabakrauch ausgehende Benzolexpositon lasse sich
mathematisch genauer berechnen als die berufliche Exposition, die sich lediglich auf
die Angaben zum prozentualen Benzolgehalt der am Arbeitsplatz verwendeten
Lösungsmittel stütze. Da zuverlässige Daten, welche zu einer quantitativen
Einschätzung führen könnten, nicht vorlägen, seien beide Schadstoffquellen (berufliche
und private) in gleichem Maße "verdächtig". Die Zusammenhangsfrage könne derzeit
nicht abschließend beantwortet werden.
11
Mit Beschluss vom 04.02.2000 hat das SG die IKK Nordrhein gemäß § 75 Abs. 1 des
Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zum Verfahren beigeladen und sodann mit Urteil vom
08.02.2000 - im Wesentlichen gestützt auf die Gutachten von Prof. Dr. N1 und Prof. Dr.
X1 - die Beklagte verurteilt, die Leukämie-Erkrankung des verstorbenen Versicherten N
A als BK nach Nr. 1303 im Sinne der Anlage zur BKV zu entschädigen. Wegen der
Einzelheiten wird auf die Entscheidungsgründe des Urteils Bezug genommen.
12
Gegen das ihr am 29.02.2000 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 23.03.2000
Berufung eingelegt. Sie vertritt weiterhin die Auffassung, dass der beruflichen
Benzoleinwirkung nach dem derzeitigen medizinisch-wissenschaftlichen Kenntnisstand
nicht die Rolle einer rechtlich wesentlichen Teilursächlichkeit zukommen könne. Sie hat
eine Stellungnahme ihrer Technischen Abteilung - Referat Gefahrstoffe - vom
05.05.2000, auf deren Inhalt verwiesen wird, sowie ein von ihr veranlasstes Gutachten
des Prof. Dr. X3, Direktor des Instituts für Pathologie des Universitätsklinikums M, vom
31.07.2000 vorgelegt, der zusammenfassend keinen Zusammenhang zwischen der
akuten myeloischen Leukämie (AML) des Versicherten und der Benzolexposition
gesehen hat.
13
Die Beklagte beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 08.02.2000 zu
ändern und die Klage abzuweisen.
14
Die Klägerin beantragt, die Berufung zurückzuweisen, hilfsweise, die Gutachter erneut
zu hören, um auf der Grundlage des Referats von Dr. H1 und dessen Rekonstruktion
den Fall zu beurteilen, hilfsweise, die Revision zuzulassen.
15
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
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Die Beigeladene schließt sich dem Antrag der Klägerin an und hält - wie diese - das
gemäß § 109 SGG eingeholte Gutachten von Prof. Dr. O1 für überzeugend.
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Der Senat hat Beweis erhoben durch Einholung eines Gutachtens nach Aktenlage von
Prof. Dr. T2, Leiter des Instituts für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin des
Universitätsklinikums V, vom 04.02.2002. Der von der Klägerin als Arzt ihres Vertrauens
gemäß § 109 SGG zunächst benannte Prof. Dr. X4, Direktor des Instituts und der
Poliklinik für Arbeits- und Sozialmedizin der K1-M1-Universität H2, hat mit Schreiben
vom 02.05.2002, auf dessen Inhalt wegen der Einzelheiten verwiesen wird, den
Gutachtenauftrag zur Vermeidung weiterer Kosten für die Klägerin zurückgegeben, weil
aufgrund der nicht mehr fassbaren Einwirkungen (von Nikotinkonsum des Versicherten
einerseits und von Benzol am Arbeitsplatz andererseits) eine Beurteilung hinsichtlich
der wesentlichen Teilursache nicht mehr möglich sei. Der sodann von der Klägerin
benannte Arbeitsmediziner Prof. Dr. O1 in N2 hat sein Gutachten am 31.10.2002
erstattet. Wegen des Ergebnisses dieser medizinischen Beweisaufnahme wird auf den
Inhalt der genannten Gutachten Bezug genommen. Zum Gutachten von Prof. Dr. O1 hat
die Beklagte ein von ihr veranlasstes arbeitsmedizinisches Zusammenhangsgutachten
nach Aktenlage des Prof. Dr. U1, Direktor des Instituts und der Poliklinik für Arbeits- und
Sozialmedizin des Universitätsklinikums I1, vom 30.04.2003 vorgelegt. Die Klägerin
sieht darin einen Verstoß der Beklagten gegen die Vorschrift des § 200 Abs. 2 des
Siebten Buches des Sozialgesetzbuches - Gesetzliche Unfallversicherung - (SGB VII),
weil ihr Recht auf Gutachterauswahl verletzt worden sei und hält das Gutachten von
Prof. Dr. U1 für nicht verwertbar. Sie hat ferner einen im Zentralblatt für Arbeitsmedizin
53 (2003) auf S. 126 ff. veröffentlichten, von Prof. Dr. X4 et al. verfassten Aufsatz zum
Thema der Benzolerkrankungen überreicht, auf dessen Inhalt verwiesen wird. Die
Beklagte ihrerseits hat einen in englischer Sprache abgefassten Beitrag "Benzol- und
lymphohaemotopoetische bösartige Neubildungen beim Menschen" aus dem American
Journal of Industrial Medicine 2001 vorgelegt. Die Klägerin hat im Termin zur
mündlichen Verhandlung die Kopie eines Referates von Dr. H1, Bau-BG Rheinland und
Westfalen, gehalten an den Potsdamer BK-Tagen 2002, überreicht.
18
Wegen aller weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der
Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und den der beigezogenen
Verwaltungsakten der Beklagten, die sämtlich Gegenstand der mündlichen
Verhandlung gewesen sind, verwiesen.
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Entscheidungsgründe:
20
Die zulässige Berufung der Beklagten ist auch begründet.
21
Das SG hat zu Unrecht der Klage stattgegeben, denn der angefochtene Verwaltungsakt
ist rechtmäßig. Die Beklagte hat zutreffend bei dem Versicherten die Anerkennung einer
BK nach Nr. 1303 der Anlage zur BKV abgelehnt. Es ist nämlich nicht wahrscheinlich zu
machen, dass die bei Z. bestehende akute myeloische Leukämie vom Subtyp II
wesentlich ursächlich auf seine berufliche Tätigkeit zurückzuführen ist.
22
Der Entschädigungsanspruch richtet sich noch nach den Vorschriften der
Reichsversicherungsordnung (RVO), weil Leistungen auch für die Zeit vor dem
Inkrafttreten des SGB VII zum 01.01.1997 begehrt werden (vgl. Artikel 36
Unfallversicherungs-Einordnungsgesetz [UVEG], §§ 212, 214 Abs. 3 SGB VII).
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Gemäß § 547 RVO gewährt der Träger der Unfallversicherung nach Eintritt eines
Arbeitsunfalls nach Maßgabe der folgenden Vorschriften Entschädigungsleistungen,
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insbesondere Verletztenrente nach §§ 580, 581 RVO. Als Arbeitsunfall gilt nach § 551
Abs. 1 Satz 2 RVO auch eine BK. Letztere sind nach § 551 Abs. 1 Satz 1 RVO
Krankheiten, welche die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des
Bundesrates bezeichnet hat und die ein Versicherter bei einer der in den §§ 539, 540
und 543 bis 545 RVO genannten Tätigkeiten erleidet. Die hier allein streitige BK Nr.
1303 der Anlage zur BKV erfasst Erkrankungen durch Benzol, seine Homologe oder
Styrol.
Die Feststellung einer BK setzt voraus (vgl. zum Folgenden: Mehrtens, Gesetzliche
Unfallversicherung [Handkommentar] , § 9 SGB VII, Rdnr. 3; Mehrtens/Perlebach, Die
Berufskrankheiten-Verordnung [Kommentar], E § 9 SGB VII Rdnr. 14), dass in der
Person des Versicherten zunächst die sog. arbeitstechnischen Voraussetzungen
gegeben sind, d.h., dass er im Rahmen der versicherten Tätigkeit schädigenden
Einwirkungen ausgesetzt gewesen ist, die geeignet sind, einen entsprechenden
Gesundheitsschaden zu bewirken (haftungsbegründende Kausalität). Dabei müssen -
wie das Bundessozialgericht (BSG) in ständiger Rechtsprechung (vgl. z.B. SozR 3-5670
Anlage 1 Nr. 2108 Nr. 2) entschieden hat - die Krankheit, die versicherte Tätigkeit und
die durch sie bedingten schädigenden Einwirkungen einschließlich ihrer Art und ihres
Ausmaßes im Sinne des Vollbeweises", also mit an Sicherheit grenzender
Wahrscheinlichkeit, bewiesen sein. Für den ursächlichen Zusammenhang
(haftungsausfüllende Kausalität) als Voraussetzung der Entschädigungspflicht, der nach
der auch sonst im Unfallversicherungsrecht geltenden Lehre von der wesentlichen
Bedingung (vgl. BSGE 61, 127, 129; 63, 272, 278; Mehrtens, a.a.O., Rdnr. 12) zu
beurteilen ist, reicht grundsätzlich die hinreichende Wahrscheinlichkeit - nicht allerdings
die bloße Möglichkeit - aus (BSG, a.a.O. sowie SozR 2200 § 551 Nr. 1;
Mehrtens/Perlebach, a.a.O. Rdnr. 26). Dieser Zusammenhang ist unter Zugrundelegung
der herrschenden unfallmedizinischen Lehrauffassung, die bei der
Zusammenhangsbeurteilung zu beachten ist (BSG Urteil vom 20.09.1977 = Meso B
30/51 und Urteil vom 12.11.1986 - 9 b RU 76/86; Plagemann/Hontschik, Medizinische
Begutachtung im Sozialrecht, 3. Aufl., S. 27 ff.) erst dann gegeben, wenn mehr für als
gegen den Zusammenhang spricht und ernste Zweifel an einer anderen Verursachung
ausscheiden (vgl. BSG Breithaupt 1963, 60, 61; BSGE 32, 303, 309; 45, 285, 286). Die
für den Kausalzusammenhang sprechenden Umstände müssen danach die
gegenteiligen deutlich überwiegen (vgl. Schulz-Weidner, SGb 1992, 59).
25
Von diesen rechtlichen Voraussetzungen ausgehend lässt sich nach dem
Gesamtergebnis der arbeitstechnischen und medizinischen Ermittlungen im
Verwaltungs- und Gerichtsverfahren nicht wahrscheinlich machen, dass die Erkrankung
des Versicherten wesentlich ursächlich auf seine berufliche Tätigkeit als Maler und
Anstreicher zurückzuführen ist. Der Senat stützt sich insoweit zum einen auf das von der
Beklagten im Feststellungsverfahren eingeholte Gutachten des Arbeitsmediziners und
Diplomchemikers Dr. Q. Es entspricht in Form und Inhalt den Anforderungen, die an ein
wissenschaftlich begründetes Sachverständigengutachten zu stellen sind. Derartige
Gutachten, die vom Versicherungsträger im Rahmen der Amtsermittlungspflicht (§§ 20,
21 des Zehnten Sozialgesetzbuches - Sozialverwaltungsverfahren und
Sozialdatenschutz - [SGB X]) eingeholt worden sind, sind keine Parteigutachten (BSG
SozR § 118 SGG Nr. 3; Meyer-Ladewig, SGG 7. Aufl., § 118 Rdnr. 12 b). Solche
Gutachten können im Wege des Urkundsbeweises verwertet werden und nach der
Rechtsprechung des BSG, der der erkennende Senat folgt, auch alleinige medizinische
Grundlage der gerichtlichen Entscheidung sein (BSG SozR § 128 SGG Nr. 66; BSG
Urteil vom 08.12.1988 - 2/9 b RU 76/87 -; Meyer-Ladewig, a.a.O. sowie § 117 Rdnr. 6;
26
Krasney/Udsching, Handbuch des Sozialgerichtlichen Verfahrens, 3. Aufl., Abschnitt III
Rdnrn. 49, 50). Zum anderen hat die Beweisaufnahme im Berufungsverfahren durch das
Gutachten von Prof. Dr. T2 die Richtigkeit der Entscheidung der Beklagten bestätigt.
Schließlich sind auch die von der Beklagten vorgelegten beratungsärztlichen
Stellungnahmen von Prof. Dr. X3 und Prof. Dr. U1, die rechtlich als qualifiziertes
Parteivorbringen zu werten sind, nach der Rechtsprechung des BSG (Urteil vom
06.04.1989 - 2 RU 55/88 -; vgl. auch Meyer-Ladewig, a.a.O.) deshalb bei der
medizinischen Beweiswürdigung aber nicht unberücksichtigt bleiben dürfen, zu dem
Ergebnis gelangt, dass angesichts der nur geringen Exposition des Z. gegenüber
Benzol jedenfalls die haftungsausfüllende Kausalität nicht wahrscheinlich gemacht ist.
Soweit die Klägerin vorgebracht hat, die Beklagte habe durch Vorlage dieser Gutachten
und Stellungnahmen gegen § 200 Abs. 2 SGB VII verstoßen, teilt der Senat diese
Rechtsauffassung nicht. Bei dieser Vorschrift handelt es sich um eine
vertrauensbildende Maßnahme der Transparenz gegenüber den Versicherten im
Feststellungsverfahren (vgl. Mehrtens, a.a.O., § 200 SGB VII, Rdnr. 4; Ricke in
KassKomm, § 200 SGB VII, Rdnr. 3). Sie verpflichtet indes den Versicherungsträger
nicht, bei der Einholung beratungsärztlicher Stellungnahmen und Gutachten zu
Gutachten, die im anschließenden Gerichtsverfahren eingeholt worden sind, den Kläger
vorher zu befragen oder ihm gar die Möglichkeit einzuräumen, den zu hörenden Arzt zu
bestimmen (Ricke, a.a.O., Rdnr. 4). Eine andere Auslegung würde dem
verfassungsrechtlich abgesicherten Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs (§ 63
SGG), der auch für den Versicherungsträger gilt, widersprechen (vgl. dazu auch Urteil
des erkennenden Senats vom 11.12.1991 - L 17 U 54/90 -). Im Übrigen beweist der
vorliegende Sachverhalt exemplarisch den Erkenntnisgewinn, der in schwierigen und
kontrovers beurteilten Verfahren über das Vorliegen einer BK durch diese
Verfahrensweise erzielt wird. Das medizinische Beweisergebnis wird in derartigen
Fällen auf eine breitere Basis gestellt, was der Aufklärung der Sach- und Rechtslage in
hohem Maße dienlich ist. Soweit die von der Beigeladenen beauftragten Gutachter Prof.
Dr. N1 und Prof. Dr. X1, deren Darlegungen urkundsbeweislich zu verwerten sind,
sowie der nach § 109 SGG im zweiten Rechtszug gehörte SV Prof. Dr. O1 zu einer
anderen Beurteilung der Zusammenhangsfrage gekommen sind und das Vorliegen der
streitigen BK beim Versicherten angenommen haben, vermögen ihre Ausführungen
nicht zu überzeugen. Dafür sind folgene Erwägungen maßgebend:
Der Versicherte war während seiner beruflichen Tätigkeit von August 1967 bis
November 1995 insbesondere bei der Verlegung von Teppichböden gegenüber
Lösungsmitteln und Klebern exponiert. Diese enthielten seinerzeit Toluol oder Xylol, die
der BK Nr. 1303 unterfallen. Die krebserregende Wirkung von Benzol ist seit langem
bekannt. Dementsprechend wurde - wie aus den von der Beklagten eingeholten
Stellungnahmen des Dr. X2 und des Dr. C2 vom BIA folgt - am 01.04.1954 eine
Lösemittelverordnung erlassen, wonach ein benzolhaltiger Arbeitsstoff mit mehr als 5 %
Benzol kennzeichnungspflichtig war. Die Arbeitsstoffverordnung von 1971 hat den
Benzolgehalt auf 1 % begrenzt und die Gefahrstoffverordnung von 1991 sogar auf
weniger als 0,1 %. In Anbetracht der Tatsache, dass es in früherer Zeit technisch nicht
möglich war, geringe Benzolkonzentrationen am Arbeitsplatz zu bestimmen, ist ein
sicherer Nachweis des Umfangs der Schadstoffexposition bis zum Beginn der 60er
Jahre nicht möglich. Deshalb - und weil die expositionsbedingungen im Einzelnen nicht
mehr mit hinreichender Sicherheit nachgewiesen werden können - kann die
Benzolkonzentration, der der Versicherte von 1972 bis Ende 1995 ausgesetzt war, nur
anhand von Messdaten im Vergleich zur allgemeinen Lösemittelexposition von Malern
und Anstreichern abgeschätzt werden. Danach muss für die Zeit von 1961 bis 1970 von
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einer Benzolkonzentration mit dem Mittelwert von 1 ppm, für die Zeit bis 1990 mit 0,3
ppm und ab 1991 mit 0,03 ppm ausgegangen werden. Im Hinblick darauf ergab die
Risikoabschätzung durch das BIA eine Gesamtbelastungsdosis für Z. von 1,92 ppm-
Benzoljahren. Dabei wurde der höchste Wert während der Tätigkeit des Versicherten
bei der Firma U von 1976 bis 1980 erreicht, weil dort in größerem Umfang
Fußbodenverlegearbeiten durchgeführt wurden. Der Senat folgt dieser schlüssig
erscheinenden Bewertung, weil sie auch aus arbeitsmedizinischer Sicht von dem SV
Prof. Dr. T2 geteilt wird, dessen Gutachten den Senat besonders beeindruckt hat, weil er
sich mit den Vorgutachten eingehend auseinandergesetzt und überzeugend unter
Anführung der neuesten Fachliteratur dargetan hat, warum die Gesamtbelastungsdosis
des Z. weit unter dem Wert liegt, bei dem ein berufliches Risiko für die Entstehung einer
benzolinduzierten Leukämie angenommen wird. Dieser SV hat ferner darauf
hingewiesen, dass alle Menschen in Deutschland gegenüber Benzol exponiert sind, da
dieser Stoff eine ubiquitäre Noxe ist. Soweit demgegenüber Prof. Dr. O1 meinte, einen
Rechenfehler bei der Berechnung der ppm-Jahre durch Dr. X2 und Dr. C2 gefunden zu
haben, und er selbst die ppm-Jahre mit 4,89 errechnet hat und damit in die Nähe eines
Wertes von 5 Jahren gekommen ist, bei dem er ein beruflich bedingtes
Erkrankungsrisiko für nicht ausgeschlossen (!) hält, ist diese Berechnung unrichtig.
Denn für den Zeitraum von 1980 bis 1990 ist nicht fälschlich nur ein Jahr angesetzt
worden. Vielmehr sind nach der Tabelle 4 12,52 Beschäftigungsjahre zugrunde gelegt
worden, die - wie in den anderen Zeiträumen auch - mit 8 % Benzoljahren berechnet
worden sind, so dass sich - rechnerisch zutreffend - eine Expositionszeit von einem Jahr
ergibt. Diese wiederum ist mit dem Schichtmittelwert von 0,3 ppm in 0,3 ppm-Jahre
umgerechnet worden. Damit erweist sich aber der ermittelte Gesamtwert von 1,92 ppm-
Jahren als richtig. Weshalb der TAD in seiner Stellungnahme vom 05.05.2000 in einer
offenbar recht groben Schätzung unter sog. "worst-case-Bedingungen" dann auf 10 bis
25 ppm-Jahre gekommen ist, hat sich dem Senat mangels nachvollziehbarer
Begründung in Abweichung von den BIA-Werten nicht erschlossen. Letztlich kann diese
Frage auch dahinstehen, denn selbst dann, wenn man dem letztgenannten Wert folgen
würde, wäre die haftungsausfüllende Kausalität nicht gegeben.
Wie aus den Darlegungen von Dr. Q, Prof. Dr. N1, Prof. Dr. O, Prof. Dr. T2 und Prof. Dr.
U1 folgt, gibt es keine gesicherten Grenzwerte, bei deren Erreichen oder Überschreiten
eine beruflich induzierte Leukämie angenommen wird. Auf diese Schwierigkeiten der
Risikobewertung hat insbesondere Prof. Dr. T2 eingehend hingewiesen und sie wird
von Prof. Dr. U1 nachdrücklich geteilt. Letzterer hat bemängelt, dass vom
Sachverständigenbeirat beim Bundesministerium insoweit bedauerlicherweise noch
keine Klärung erfolgt ist. Dementsprechend ist in der Vergangenheit davon
ausgegangen worden, dass erst - so der Gutachter Dr. Q - beim Nachweis von 50 ppm-
Jahren eine relevante Risikoerhöhung für die Entstehung einer beruflich bedingten
Leukämie durch Benzol besteht. Im Einzelfall - so hat er weiter ausgeführt - könnten
auch Anerkennungen von Leukämien als Folge einer BK nach Nr. 1303 der Anlage zur
BKV ab 20 ppm-Jahren ausgesprochen werden. Von diesen arbeitsmedizinischen
Erfahrungswerten bzw. Annahmen ist auch Prof. Dr. N1 ausgegangen, wie sich aus
Blatt 13 seines Gutachtens ergibt. Seinerzeit war aber eine Berechnung der
Gesamtbelastungsdosis noch gar nicht erfolgt und der Gutachter selbst hat insoweit
entsprechende Ermittlungen - etwa durch das BIA - für erforderlich erachtet. Wenn er
dann - in Unkenntnis der später ermittelten niedrigen Benzoljahre - allein im Hinblick
darauf, dass der Versicherte im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit gegenüber Benzol
exponiert war und es dabei zu "Grenzwertüberschreitungen" gekommen sein soll, der
beruflichen Tätigkeit eine wesentliche Teilursache beigemessen hat, überzeugen seine
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Ausführungen daher nicht. Es gibt nämlich keinen Beweis des ersten Anscheins dafür,
dass bei Nachweis einer Benzolexposition und Vorliegen einer Leukämie der
ursächliche Zusammenhang nach § 9 Abs. 3 SGB VII vermutet wird (so ausdrücklich zur
BK Nr. 2108 der Anlage zur BKV, BSG, Urteil vom 18.11.1997 - 2 RU 84/94 - = SGb
1999, 39). Vielmehr ist immer eine einzelfallbezogene individuelle Beantwortung der
Kausalitätsfrage durch den medizinischen SV erforderlich. Dementsprechend hat Prof.
Dr. T2 zutreffend darauf hingewiesen, dass die Beantwortung der Zusammenhangsfrage
durch Prof. Dr. N1 unschlüssig ist. Insoweit hat er auch unter Hinweis auf neueste
Kohortenstudien nachgewiesen, dass sich im Hinblick auf die seit den 70er Jahren
geänderten Expositionsbedingungen jetzt ein generell erhöhtes Leukämierisiko für
Maler und Anstreicher in aller Regel nicht mehr begründen lässt. Zum gleichen Ergebnis
ist Prof. Dr. U1 gelangt. Er hat betont, ein statistisch signifikantes verdoppeltes
Erkrankungsrisiko sei bei einer akuten myeloischen Leukämie erst bei einer
kumulativen Benzoldosis von 200 ppm-Jahren unstreitig und bei einer niedrigeren Dosis
von 40 ppm-Jahren oder weniger gebe es keine Anhaltspunkte für ein erhöhtes
Erkrankungsrisiko. Diese Darlegungen stehen in Einklang mit der neueren
arbeitsmedizinischen Lehrauffassung (vgl. dazu Schönberger/Mehrtens/Valentin,
Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 7. Aufl. 2003, S. 1021 ff.; so auch schon LSG
Schleswig-Holstein, Urt. vom 20.07.2000 = MesoB 100/34). Unterstellt man zu Gunsten
des Versicherten die vom TAD der Beklagten am 05.05.2000 ermittelte
Gesamtbelastungsdosis von 10 bis 25 ppm-Jahren, so lässt sich eine durch versicherte
Tätigkeit entstandene Leukämieerkrankung bei Z. gleichfalls nicht wahrscheinlich
machen. Der von dem SV Prof. Dr. O1 angenommene Grenzwert von 5 ppm-Jahren
entspricht nicht der herrschenden Lehrmeinung.
Soweit von Prof. Dr. O und auch von Prof. Dr. X3 die Frage einer kumulativen
Einwirkung zwischen Benzol am Arbeitsplatz und den Rauchgewohnheiten des
Versicherten erörtert worden ist, ist dies - wie Prof. Dr. T2 überzeugend dargetan hat -
hier ohne entscheidungserhebliche Relevanz, weil selbst bei Annahme einer - von der
Klägerin bestrittenen - langjährigen Raucheranamnese von 20 Zigaretten pro Tag sich
dadurch eine wesentliche Risikoerhöhung im Vergleich zu den Benzoleinwirkungen am
Arbeitsplatz nicht begründen lassen würde.
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Aufgrund der vom BIA ermittelten Gesamtbelastungsdosis von nur 1,92 ppm-
Benzoljahren hat sich auch der vom SG gehörte toxikologische SV Prof. Dr. O gehindert
gesehen, eine BK nach Nr. 1303 der Anlage zur BKV anzunehmen. Seine Darlegungen
stützen daher den Anspruch der Klägerin ebenfalls nicht. Schließlich ist auch
beachtenswert, dass der von der Klägerin im Berufungsverfahren benannte SV Prof. Dr.
X4, der einer der namhaftesten Arbeitsmediziner und ein außerordentlich erfahrener
Gutachter in BK-Verfahren wie diesem ist, dem Klagebegehren keine Chancen
eingeräumt hat, denn nur so ist seine Erklärung zu verstehen, er möchte - um der
Klägerin Kosten zu ersparen - vom Gutachtenauftrag entbunden werden.
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Soweit das SG sich für seine positive Entscheidung auf die von der Beigeladenen
vorgelegten Gutachten von Prof. Dr. N1 und Prof. Dr. X1 gestützt und mit dem
letztgenannten hervorgehoben hat, dass gerade die Seltenheit der beim Versicherten
bestehenden akuten myeloischen Leukämie M II biphänotypischer Art mit deutlicher
myeloischer Komponente für eine relevante toxische Schädigung durch ein
auslösendes Agens am Arbeitsplatz spreche, wird diese Auffassung, die von dem
Gutachter nicht näher belegt worden ist, von keinem der anderen Gutachter und
Sachverständigen geteilt. Insbesondere Prof. Dr. X3 hat aus pathologischer Sicht
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dargetan, dass es in der gesamten Literatur für die von Prof. Dr. X1 vertretene These
keinen Nachweis gebe. Im übrigen hat auch Prof. Dr. X1, dem offensichtlich - ebenso
wie Prof. Dr. N1 - die in der gesetzlichen Unfallversicherung geltende Kausalitätslehre
und die dabei zu beachtenden Beweisgrundsätze nicht geläufig sind, im Wesentlichen
aus der beruflichen Exposition gegenüber Benzol auf das Vorliegen der BK beim
Versicherten gechlossen. Dies ist - wie vorstehend im Einzelnen dargelegt - unzulässig.
Seine Begründung der Zusammenhangsfrage überzeugt - ebenso wie die von Prof. Dr.
N1 - in keiner Weise, hat er doch die entscheidungserhebliche Frage des Umfangs der
Exposition gegenüber Benzol, die nach alledem außerordentlich gering war,
vernachlässigt.
Nach alledem ist zur Überzeugung des Senates der Sachverhalt durch die angeführten
medizinischen Gutachten und Stellungnahmen von Dr. Q, Prof. Dr. X3, Prof. Dr. U1 und
insbesondere durch den SV Prof. Dr. T2 hinreichend aufgeklärt und die gegenteilige
Beurteilung der Zusammenhangsfrage durch Prof. Dr. N1, Prof. Dr. X1 und den nach §
109 SGG gehörten SV Prof. Dr. O1 zuverlässig widerlegt. Zu weiteren Ermittlungen gab
das Berufungsvorbringen der Klägerin keinen Anlass. Insbesondere brauchte dem in
der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisantrag, die Gutachter und SVen zu dem
im Termin überreichten Referat des Dr. H1 ergänzend zu hören, nicht nachgekommen
zu werden. Auch wenn insoweit zu Gunsten der Klägerin unterstellt wird, dass in der
Vergangenheit die MAK- und TRK-Werte hinsichtlich Benzol, denen Z. ausgesetzt
gewesen war, überschritten worden sind, belegt dies - wie Prof. Dr. T2 einleuchtend
dargetan hat - nicht eine berufliche Verursachung der Erkrankung, denn diese Werte
orientieren sich daran, was als technischer Standard durchführbar ist und sind nicht
beweisend dafür, dass bei einer Überschreitung mit einer Gesundheitsschädigung zu
rechnen ist.
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Das angefochtene Urteil des SG konnte daher keinen Bestand haben. Es war auf die
Berufung der Beklagten abzuändern und die Klage abzuweisen.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
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Zur Revisionszulassung bestand kein Anlass, denn die Voraussetzungen des § 160
Abs. 2 Nr. 1 bzw. 2 SGG sind vorliegend nicht erfüllt.
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