Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 01.02.2007

LSG NRW: verfügung, nettoeinkommen, arbeitslosenversicherung, beschränkung, wohnung, heizung, existenzminimum, bevollmächtigung, eltern, deckung

Landessozialgericht NRW, L 9 AS 57/06
Datum:
01.02.2007
Gericht:
Landessozialgericht NRW
Spruchkörper:
9. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
L 9 AS 57/06
Vorinstanz:
Sozialgericht Dortmund, S 32 (5, 38) AS 89/05
Nachinstanz:
Bundessozialgericht, B 11b AS 9/07 R
Sachgebiet:
Grundsicherung für Arbeitssuchende
Rechtskraft:
nicht rechtskräftig
Tenor:
Die Berufung der Kläger gegen das Urteil des Sozialgerichts Dortmund
vom 24.07.2006 wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
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Streitig ist die Gewährung höherer Regelsatzleistungen nach dem Sozialgesetzbuch
Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II) für die Zeit vom
01.01.2005 bis zum 30.04.2005.
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Die seit 1997 verheirateten Kläger zu 1) und 2) leben mit den Klägern zu 3) und 4), der
am 00.00.1997 geborenen Tochter T L und dem am 00.00.2000 geborenen Sohn U L,
gemeinsam in einer Wohnung. Die Klägerin zu 1) bezog bis zum 07.01.2004
Arbeitslosengeld. Anschließend erhielt sie bis zum 31.12.2004 Arbeitslosenhilfe. Der
Kläger zu 2) erzielte im streitigen Zeitraum (Januar bis April 2005) ein
Erwerbseinkommen aus abhängiger Beschäftigung in Höhe von monatlich 853,32 Euro
netto. Für die Wohnung waren 383,99 Euro Grundmiete, 129,35 Euro
Betriebskostenvorauszahlung und 76,00 Euro Heizkosten monatlich zu zahlen.
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Am 08.11.2004 beantragten die Kläger mit einem von der Klägerin zu 1)
unterschriebenen Antragsformular Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes
nach dem SGB II.
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Die Beklagte bewilligte den Klägern zu 1) bis 4) mit an die Klägerin zu 1) adressiertem
Bescheid vom 02.12.2004 diese Leistungen in Höhe von 716,88 Euro monatlich für die
Zeit vom 01.01.2005 bis zum 30.04.2005. Da die Klägerin zu 1) die Leistungen
beantragt habe, werde vermutet, dass sie die Vertretung der Bedarfsgemeinschaft
übernommen habe. Den Klägern zu 1) und 2) erkannte die Beklagte je 311,00 Euro
Regelbedarf, den Klägern zu 3) und 4) je 207,00 Euro Sozialgeld zu. Diesem Bedarf
rechnete sie 572,66 Euro Kosten der Unterkunft und Heizung (KdU) hinzu, was einen
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Gesamtbedarf von 1608,66 Euro ergab. Hiervon zog die Beklagte bei den Klägern zu 3)
und 4) je 154,00 Euro Kindergeld ab. Ferner setzte sie 583,78 Euro vom Einkommen
des Klägers zu 2) ab, was die bewilligten 716,88 Euro ergab.
Hiergegen legten die Kläger mit am 31.01.2005 bei der Beklagten eingegangenem
Schreiben Widerspruch ein. Sie erhoben verfassungsrechtliche Bedenken gegen die
Höhe der Leistungen. Die von den Klägern zu 1) und 2) in die Arbeitslosenversicherung
eingezahlten Beiträge schlügen sich nunmehr bei Eintritt des Risikos nicht in
entsprechenden Leistungen von entsprechender Dauer nieder. Auch würden die Kläger
mit denjenigen gleichgestellt, die nie in die Arbeitslosenversicherung eingezahlt hätten.
Die durch das SGB II bewirkten massiven Verschlechterungen verstießen gegen die
Menschenwürde und das Sozialstaatsprinzip. Auch müssten jedem Mitglied der
Bedarfsgemeinschaft originäre und nicht bloß akzessorische Ansprüche zustehen.
Ferner treffe der angefochtene Bescheid keine Vorsorge für atypische Fälle und
Härtefälle. Die Regelleistung in Höhe von 345,00 Euro sei zu gering. Schon gar nicht
tragbar sei die Absenkung der Regelleistung auf 90 % (311,00 Euro) für den
Haushaltsvorstand. Zudem verstoße die in § 27 SGB II enthaltene
Verordnungsermächtigung gegen das Bestimmtheitsgebot des Art. 80 Grundgesetz
(GG). Überdies enthalte der Bescheid keine nachvollziehbare Begründung. Die
Berücksichtigung der Unterkunfts- und Heizkosten sei nicht nachzuvollziehen.
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Mit Widerspruchsbescheid vom 02.03.2005, zugestellt am 04.03.2005, wies die
Beklagte den Widerspruch unter Bezugnahme auf die Ausführungen im angefochtenen
Bescheid als unbegründet zurück.
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Hiergegen haben die Kläger mit am 01.04.2005 beim Sozialgericht (SG) Dortmund
eingegangenem Schriftsatz Klage erhoben und sich weiterhin gegen die Absenkung der
monatlichen Regelleistung auf 90 % (311,00 Euro) bei Bedarfsgemeinschaften gewandt.
Dieser Betrag stelle eine Unterschreitung des von Art. 1 Abs. 1, 20 Abs. 1 Grundgesetz
(GG) vorgegebenen Mindestleistungsniveaus dar.
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Die Beklagte hat die Rechtsauffassung vertreten, auch nach dem SGB II werde
jedenfalls das Existenzminimum gewährleistet. Dies sei verfassungsrechtlich nicht zu
beanstanden. Im weiteren hat sie die Berechnung der KdU und des anrechenbaren
Einkommens des Klägers zu 2) erläutert. Sie ist zu einem anrechenbaren Einkommen
von nur noch 563,09 Euro gekommen. Nach erfolgter Überprüfung der Bescheide habe
sich für die Zeit vom 01.01.2005 bis zum 31.07.2005 ein Nachzahlungsbetrag von
114,58 Euro ergeben, der in Kürze überwiesen werde. Daraufhin haben die Kläger
erklärt, sie griffen die Kosten der Unterkunft und die Einkommensanrechnung nicht mehr
an, sofern dieser Betrag überwiesen werde.
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Das SG hat die Klage mit Urteil vom 24.07.2006 abgewiesen. Die Beklagte habe die der
Klägerin und den mit ihr in Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen zu gewährenden
Leistungen zutreffend berechnet. Dabei habe sie der Klägerin und deren Ehemann
gemäß § 20 Abs. 2 und 3 S. 1 SGB II einen Eckregelsatz in Höhe von 311,00 Euro
zuerkannt und den Kindern jeweils Sozialgeld nach § 28 Abs. 1 S. 3 Nr. 1 SGB II in
Höhe von 207,00 Euro bewilligt. Die gesetzliche Festsetzung der Eckregelsätze sei
auch verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Diese trage dem sozialstaatlichen
Gebot der Gewährleistung eines menschenwürdigen Daseins aus Art. 1 Abs. 1, 20 Abs.
1 GG ausreichend Rechnung. Dem Sozialstaatsgrundsatz lasse sich wegen seiner
Weite und Unbestimmtheit kein Gebot entnehmen, Sozialleistungen in einer bestimmten
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Höhe zu gewähren. Der Gesetzgeber habe lediglich zwingend zu beachten, dass der
Staat die Mindestvoraussetzungen für ein menschenwürdiges Dasein seiner Bürger
schaffen müsse. Bei der Einschätzung dieser Mindestvoraussetzungen könne der
Gesetzgeber auch die allgemeinen wirtschaftlichen Verhältnisse berücksichtigen. Dabei
sei es grundsätzlich zulässig, den Bedarf gruppenbezogen zu erfassen und eine
vergröbernde, die Abwicklung von Massenverfahren erleichternde Typisierung
vorzunehmen. Im Rahmen einer solchen Typisierung sei das Existenzminimum
allerdings grundsätzlich so zu bemessen, dass es in möglichst allen Fällen den
existenznotwendigen Bedarf abdecke. An diese Vorgaben habe sich der Gesetzgeber
gehalten. Ebenso wie der Regelsatz nach § 20 Abs. 2 SGB II unterlägen auch die auf 90
und 80 % verminderten Regelleistungen keinen verfassungsrechtlichen Bedenken.
Hierbei habe sich der Gesetzgeber erkennbar an die Vorschriften der früheren
Regelsatzverordnung angelehnt. Dort sei allerdings vorgesehen, dass der
Haushaltsvorstand 100 % des Regelsatzes und Angehörige ab Vollendung des 14.
Lebensjahres 80 % und bis zur Vollendung des 14. Lebensjahres 60 % erhalten. Mit der
Festlegung auf jeweils 90 % des Regelsatzes für erwachsene Haushaltsangehörige
habe der Gesetzgeber lediglich die schon in der Rechtsprechung zum
Bundessozialhilfegesetz (BSHG) entwickelte Konzeption des Mischregelsatzes
übernommen, die immer dann zur Anwendung komme, wenn nicht festgestellt werden
könne, wer als Haushaltsvorstand anzusehen sei. Der verminderte Regelsatz
volljähriger Partner und minderjähriger Angehöriger verstoße nicht gegen das Verbot
der Benachteiligung von Ehe und Familie aus Art. 6 Abs. 1 GG, sondern beruhe auf der
zutreffenden Wertung, dass durch eine gemeinsame Haushaltsführung, insbesondere
durch die gemeinsame Nutzung der Energieversorgung und der Haushaltsgeräte, ein
deutlich sparsameres Wirtschaften möglich sei und dass minderjährige Angehörige im
Gegensatz zu Erwachsenen einen geringeren Bedarf hätten. Auch im Übrigen sei die
von der Beklagten getroffene Entscheidung rechtmäßig.
Gegen das am 23.08.2006 zugestellte Urteil haben die Kläger mit am 22.09.2006 beim
SG eingegangenem Schriftsatz Berufung eingelegt. Sowohl die Höhe der
Regelleistungen nach § 20 Abs. 3 SGB II als auch die Höhe des Sozialgeldes (§ 28
SGB II) seien mit dem Grundgesetz unvereinbar. Nach dem bis Ende 2004 geltenden
Leistungsniveau hätte der Regelsatz für Kinder zwischen 7 und 14 Jahren 229,00 Euro
betragen müssen, während er nach dem SGB II nur 207,00 Euro betrage, was zu einer
Schlechterstellung der Schulkinder und ihrer Eltern führe. Soweit sich der Gesetzgeber
insoweit auf eine wissenschaftliche Untersuchung des statistischen Bundesamtes
stütze, überzeuge dies nicht. Denn dort seien nicht die Altersgruppen von 7 - 14 Jahren
und 15 - 18 Jahren, sondern der Bedarf in den Altersgruppen von 6 - 12 Jahren und 12 -
18 Jahren untersucht worden. Dies habe orientiert an Durchschnittshaushalten ergeben,
dass die Kosten für Kinder von 6 - 12 Jahren knapp 20 % über denen für Kinder bis zu 6
Jahren lägen. Die Bundesregierung habe sich nicht an diesen Ergebnissen orientiert,
sondern Absenkungen vorgenommen. Entgegen der Rechtslage vor "Hartz IV" seien die
höheren Ausgaben von Schulkindern gerade nicht anerkannt worden.
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Die Kläger beantragen,
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das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 24.07.2006 abzuändern und die Beklagte
unter teilweiser Aufhebung des Bescheides vom 02.12.2004 in der Fassung des
Widerspruchsbescheides vom 02.03.2005 zu verurteilen, ihnen für die Zeit vom
01.01.2005 bis zum 30.04.2005 höhere Regelsatzleistungen nach dem SGB II zu
zahlen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Mit der Terminsladung sind die Beteiligten auf das Urteil des Bundessozialgerichts vom
07.11.2006 zu Az.: B 7 b AS 8/06 R mit den prozessualen Folgen (Bedarfsgemeinschaft)
aufmerksam gemacht worden.
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Der Prozessbevollmächtigte der Kläger hat daraufhin angeregt, die Kläger zu 1) bis 4)
im Rubrum aufzunehmen.
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In der öffentlichen Sitzung des Senats vom 01.02.2007 haben die Kläger klargestellt,
dass es lediglich um die höhere Regelsatzleistung gehe. Die Kosten der Unterkunft
seien nicht mehr im Streit.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes nimmt der Senat Bezug
auf die Verwaltungs- und Gerichtsakten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung
gewesen sind.
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Entscheidungsgründe:
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Gegenstand von Klage und Berufung sind Ansprüche der in Bedarfsgemeinschaft
lebenden Kläger zu 1) - 4) gegen die Beklagte nach dem SGB II für die Zeit vom
01.01.2005 bis zum 30.04.2005. Kläger sind damit alle Mitglieder der
Bedarfsgemeinschaft. Nach der Entscheidung des Bundessozialgerichts vom
07.11.2006 (Az.: B 7 b AS 8/06 R) sind nämlich Anspruchsinhaber jeweils alle
einzelnen Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft, weil das einzelne Mitglied der
Bedarfsgemeinschaft nicht mit einer eigenen Klage die Ansprüche aller Mitglieder der
Bedarfsgemeinschaft verfolgen kann. Dies gilt auch für den Kläger zu 2), obwohl sein
Einkommen zur Deckung seines Bedarfs ausreichen dürfte (BSG, a. a. O., Rn. 13). Nach
§ 38 SGB II ist davon auszugehen, dass die Klägerin zu 1) den Leistungsantrag am
08.11.2004 für alle Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft, also auch für die Kläger zu 2) -
4), gestellt hat. Über ihren Wortlaut hinaus muss diese Norm dahin ausgelegt werden,
dass die vermutete Bevollmächtigung alle Verfahrenshandlungen umfasst, die mit der
Antragstellung und der Entgegennahme der Leistungen zusammenhängen und der
Verfolgung des Antrags dienen, also insbesondere die Einlegung des Widerspruchs
(BSG, a. a. O., Rn. 29). Damit ist davon auszugehen, dass die Klägerin zu 1) den
Widerspruch mit Wirkung auch für die Kläger 2) - 4) eingelegt hat. Schließlich mangelt
es für die Kläger zu 2) - 4) auch nicht an einem Widerspruchsverfahren (§ 78 SGG), da
sich die Beklagte erkennbar mit den Ansprüchen der Kläger zu 1) - 4) in den
angefochtenen Bescheiden auseinander gesetzt hat (BSG, a. a. O., Rn. 28). Ferner ist
der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (a. a. O., Rn. 24 und 28) folgend davon
auszugehen, dass der Prozessbevollmächtigte Klage und Berufung zulässigerweise für
die Kläger zu 1) - 4) eingelegt hat (§§ 153 Abs. 1, 73 Sozialgerichtsgesetz/SGG). Zwar
ist die Vollmacht nur von der Klägerin zu 1) unterschrieben. Jedoch kann nach § 73 Abs.
2 S. 2 SGG bei Ehegatten und Verwandten in gerader Linie eine Bevollmächtigung des
anderen Ehegatten bzw. der Kindsmutter zur Führung des Prozesses unterstellt werden.
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Die auch sonst zulässige Berufung ist unbegründet. Sie richtet sich allein gegen die
Höhe der Regelsatzleistungen nach § 20 Abs. 3 SGB II und die Höhe des Sozialgeldes
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nach § 28 Abs. 1 S. 3 Nr. 1 SGB II. Insbesondere hat der Senat nicht mehr über die
Kosten der Unterkunft und Heizung zu befinden, da die Kläger diesen Punkt
ausdrücklich außer Streit gestellt haben. Dies haben sie mit entsprechender Erklärung
in der öffentlichen Sitzung des Senats vom 01.02.2007 nochmals klargestellt. Die
Beschränkung des Streitgegenstandes auf die Höhe der Regelleistung ist zulässig.
Denn bei der Verfügung über Unterkunfts- und Heizungskosten handelt es sich um eine
abtrennbare Verfügung (Verwaltungsakt im Sinne des § 31 Zehntes Buch
Sozialgesetzbuch/SGB X) des Gesamtbescheides, der fähig ist, alleiniger
Streitgegenstand zu seien (BSG, a. a. O., Rn. 18). Daraus ergibt sich im Umkehrschluss,
dass diese Verfügung zulässigerweise auch außer Streit gestellt werden kann.
Die gemäß § 20 Abs. 3 SGB II für die Kläger zu 1) und 2) nur zu jeweils 90 %
auszuzahlende Regelleistung begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Da
bei zwei Angehörigen einer Bedarfsgemeinschaft ein Wirtschaften "aus einem Topf" zu
Kostenersparnissen führt, ist nicht zu beanstanden, dass der Gesetzgeber dies
typisierend berücksichtigt (vgl. hierzu auch BVerfG, Beschluss vom 03.07.2006 - 1 BvR
2383/04 - § 22 b Abs. 3 Fremdrentengesetz). Die Kostenersparnis bei gemeinsamer
Haushaltsführung war schon der Grund für die gestaffelten Eckregelleistungen nach
dem BSHG (BSG, Urteil vom 23.11.2006, Az.: B 11 b AS 1/06 R, Rn. 54).
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Die Höhe dieser auf 90 % abgesenkten Regelleistung, die unter Berücksichtigung der
Rundungsvorschrift des § 41 Abs. 1 SGB II 311,00 Euro beträgt, ist ebenso wenig zu
beanstanden. Es bestehen keine durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken
gegen die Festsetzung der Regelleistung in § 20 Abs. 2 S. 1 SGB II mit 345,00 Euro, die
Ausgangspunkt der Berechnung der Regelleistung nach § 20 Abs. 3 SGB II ist.
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Hierbei folgt der Senat nach eigener Überprüfung dem bereits zitierten Urteil des
Bundessozialgerichts vom 23.11.2006 (Az.: B 11 b 1/06 R, Rn. 49 ff.). Danach ist die
vom Gesetzgeber gewählte Art der Bedarfsermittlung und deren Ergebnis
verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Es ist grundsätzlich zulässig, Bedarfe
gruppenbezogen zu erfassen und eine Typisierung bei Massenverfahren vorzunehmen.
Die Art der vorgenommenen Typisierung ist ebenso wenig zu beanstanden.
Grundsätzliche Einwände gegen die Festsetzung der Regelleistungen sind nicht
erkennbar. Wie schon bei der Sozialhilfe hat der Gesetzgeber bei der Ermittlung der
typisierten Bedarfe nach dem SGB II auf das Statistikmodell zurückgegriffen, wobei
erkennbarer Bezugspunkt für die Bemessung der Regelleistung mit 345,00 Euro die
Höhe der bis dahin geltenden Regelsätze (ca. 297,00 Euro) zuzüglich eines an der
damaligen Bewilligungspraxis bezüglich einmaliger Leistungen gemessenen Anteils in
Höhe von 16 % war.
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Auch im Übrigen widerspricht die Höhe der Regelleistung nach § 20 Abs. 2 SGB II nicht
höherrangigem Recht. Denn der Bestimmung der Regelleistung liegen ausreichende
Erfahrungswerte zugrunde. Zudem hat der Gesetzgeber den ihm zuzubilligendem
Einschätzungsspielraum nicht in unvertretbarer Weise überschritten. Im Rahmen dieser
Vertretbarkeitsprüfung ist zu bedenken, dass die gegenwärtige Situation durch die
Zunahme niedrig entlohnter Tätigkeiten und durch Einkommenseinbußen in breiten
Bevölkerungskreisen geprägt ist, weshalb dem Gesichtspunkt des Lohnabstandsgebots
maßgebliche Bedeutung zukommen muss. Diesem Gebot entspricht, dass in der
Konsequenz der Festlegung der Regelleistung in § 20 Abs. 2 SGB II der Hilfeempfänger
weniger konsumieren kann, als die untersten 20 % der nach ihrem Nettoeinkommen
geschichteten Haushalte ohne Einbeziehung der Hilfeempfänger. Zudem ist im Rahmen
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einer Gesamtbetrachtung zu beachten, dass der Gesetzgeber des SGB II den
Hilfebedürftigen nicht nur die Regelleistung, sondern in nicht unwesentlichem Umfang
weitere Leistungen zur Verfügung stellt (vgl. u. a. §§ 16, 21, 22, 23 SGB II).
Der zitierten Rechtsprechung des Bundessozialgerichts folgend vermag der erkennende
Senat eine Unvertretbarkeit der Höhe der Regelleistung nicht zu erkennen.
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Auch die Festsetzung der Höhe des Sozialgeldes für Kinder bis zu Vollendung des 14.
Lebensjahres auf 60 vom Hundert der Regelleistung (207,00 Euro) gemäß § 28 Abs. 1
S. 3 Nr. 1 SGB II begegnet keinen durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken.
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Soweit nunmehr geltend gemacht wird, mit der Beschränkung des Sozialgeldes auf 60
% der Regelleistung komme es zu einer verfassungwidrigen Schlechterstellung der
Kinder gegenüber dem früheren Rechtszustand nach den Eckregelsätzen des BSHG,
vermag dies für den am 10.01.2000 geborenen Kläger zu 4) schon rein tatsächlich nicht
zu überzeugen. Der Kläger zu 4) vollendete im streitigen Zeitraum erst das 5.
Lebensjahr. Nach dem BSHG standen aber Haushaltsangehörigen bis zu Vollendung
des 7. Lebensjahres nur 50 bzw. 55 % des Eckregelsatzes und damit geringere
Leistungen als nach den Regelungen des SGB II zu. Die materielle Situation des
Klägers zu 4) hat sich somit nach dem neuen System des Sozialgeldes gerade
verbessert. Eine Verfassungswidrigkeit ist hierin nicht zu erkennen.
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Eine - prozentuale - Verschlechterung ist allerdings für die am 00.00.1997 geborene
Klägerin zu 3) eingetreten. Die Klägerin zu 3) hatte am 29.03.2004 das 8. Lebensjahr
begonnen. Nach den Regelungen des BSHG aber erhielten Haushaltsangehörige vom
Beginn des 8. bis zur Vollendung des 14. Lebensjahres 65 % des Eckregelsatzes.
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Aus dieser für die Klägerin zu 3) eingetretenen Verschlechterung ihrer materiellen
Situation gegenüber den Regelungen des BSHG zum Eckregelsatz ergibt sich jedoch
keine Verfassungswidrigkeit des § 28 Abs. 1 S. 3 Nr. 1 SGB II. Auch insoweit ist es
zulässig, Bedarfe gruppenbezogen zu erfassen und eine Typisierung beim
Massenverfahren vorzunehmen. Ebenfalls ist dem Gesetzgeber bei der Festlegung der
Höhe des Sozialgeldes für bis zu 14-jährige Kinder ein Einschätzungsspielraum
zuzubilligen, den er allerdings nicht in unvertretbarer Weise überschreiten darf. Da es
sich bei dem Sozialgeld um eine Leistung handelt, die an die Hilfebedürftigkeit eines
erwerbsfähigen Mitglieds der Bedarfsgemeinschaft anknüpft (§ 28 Abs. 1 S. 1 SGB II),
sind auch diejenigen Grundsätze maßgeblich, nach denen sich die
Leistungsgewährung an einen hilfebedürftigen Erwerbsfähigen richtet. Für einen
erwerbsfähigen Hilfebedürftigen liegt es aber wie gezeigt in der Konsequenz der
Festlegung der Regelleistung in § 20 Abs. 2 und 3 SGB II, dass er weniger konsumieren
kann, als die untersten 20 % der nach ihrem Nettoeinkommen geschichteten Haushalte
ohne Einbeziehung der Hilfeempfänger. Gleiches muss auch ür den Empfänger von
Sozialgeld gelten. Entgegen der Meinung der Kläger ist es daher nicht zu beanstanden,
dass der Gesetzgeber das Sozialgeld nicht in Höhe der Ausgaben von Kindern in
Haushalten mit Durchschnittseinkommen gewährt, sondern hiervon einen erheblichen
Abschlag vorgenommen hat.
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Ebenso wenig war der Gesetzgeber gehalten, sich bei der Bemessung des
Sozialgeldes für Kinder strikt an die Altersstufungen nach der für das BSHG geltenden
Regelsatzverordnung zu halten (bis zur Vollendung des 7. Lebensjahres: 50 bzw. 55 %
vom Eckregelsatz; von Beginn des 8. bis zur Vollendung des 14. Lebensjahres: 65 %
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des Eckregelsatzes; von Beginn des 15. bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres: 90 %
des Eckregelsatzes). Vielmehr ist es nicht zu beanstanden, dass sich der Gesetzgeber
(BT-Drs. 15/1516, Begründung zu § 28 SGB II) bei der Bemessung der Regelleistung für
nicht erwerbsfähige Angehörige bis zur Vollendung des 14. Lebensjahres an den
Festlegungen der Regelsatzverordnung zum Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII)
für Kinder bis zur Vollendung des 14. Lebensjahres orientiert hat. Nach dessen § 3 Abs.
2 Nr. 1 beträgt der Regelsatz für sonstige Haushaltsangehörige bis zur Vollendung des
14. Lebensjahres 60 von Hundert des Eckregelsatzes. Diese Festlegung konnte der
Gesetzgeber in § 28 Abs. 1 S. 3 Nr. 1 SGB II übernehmen, ohne höherrangiges Recht zu
verletzen. Denn er hat damit eine Bestimmung für Kinder von Leistungsempfängern
nach dem SGB XII auf Kinder von Leistungsempfängern nach dem SGB II übertragen,
die gemäß § 28 Abs. 3 S. 4 SGB XII ihre Grundlage in einer Einkommens- und
Verbrauchsstichprobe hat sowie nach § 28 Abs. 4 SGB XII gewährleistet, dass bei
Haushaltsgemeinschaften von Ehepaaren sogar mit drei Kindern die staatlichen
Leistungen unter den erzielten monatlichen durchschnittlichen Nettoeinkommen unterer
Lohn- und Gehaltsgruppen mit einer alleinerziehenden vollzeitbeschäftigten Person
bleiben. Damit aber dient auch die Regelung in § 28 Abs. 1 S. 3 Nr. 1 SGB II der
Wahrung des Lohnabstandsgebotes. Hierbei handelt es sich um ein Gebot, das der
Gesetzgeber auch bei der Festlegung von Leistungen nach dem SGB II zu beachten hat
(BSG, Urteil vom 23.11.2006, Az ... B 11b AS 1/06 R, Rn. 53).
Zusammenfassend trägt der Gesetzgeber in § 28 Abs. 1 S. 3 Nr. 1 SGB II den mit
zunehmendem Alter der Kinder wachsenden Bedürfnissen in vertretbarer und damit
verfassungsrechtlich nicht zu beanstandener Weise Rechnung.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
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Der Senat hat die Revision zugelassen, weil er der Frage der Verfassungsmäßigkeit der
Höhe des Sozialgeldes grundsätzliche Bedeutung beimisst (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG).
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