Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 05.10.2005
LSG NRW: meldung, arbeitslosigkeit, meldepflicht, minderung, unverzüglich, broschüre, arbeitsamt, befragung, werktag, verfügung
Landessozialgericht NRW, L 12 AL 294/04
Datum:
05.10.2005
Gericht:
Landessozialgericht NRW
Spruchkörper:
12. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
L 12 AL 294/04
Vorinstanz:
Sozialgericht Aachen, S 8 AL 131/04
Sachgebiet:
Arbeitslosenversicherung
Rechtskraft:
nicht rechtskräftig
Tenor:
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts
Aachen vom 05.11.2004 geändert. Der Bescheid der Beklagten vom
05.07.2004 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom
10.08.2004 wird insoweit abgeändert, als das Arbeitslosengeld des
Klägers um mehr als 133,00 EUR gemindert worden ist. Im Übrigen wird
die Berufung zurückgewiesen. Die Beklagte trägt 1/4 der
außergerichtlichen Kosten des Klägers in beiden Instanzen. Die
Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
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Umstritten ist die Minderung des Arbeitslosengeldes wegen verspäteter Meldung.
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Der am 00.00.1956 geborene Kläger arbeitete zuletzt vom 01.07.2003 bis zum
30.06.2004 als Mitarbeiter im Bereich Haustechnik für den O-Verein e.V ... Das
Arbeitsverhältnis war von vornherein auf 12 Monate befristet.
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Am 26.04.2004 meldete sich der Kläger arbeitslos und beantragte Arbeitslosengeld.
Dieses wurde ihm ab dem 01.07.2004 für die Dauer von 180 Leistungstagen bewilligt.
Mit Bescheid vom 05.07.2004 minderte die Beklagte den Anspruch, weil der Kläger sich
um 25 Tage zu spät arbeitslos gemeldet habe. Sie stützte ihre Entscheidung auf die §§
37 b, 140 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III) und errechnete einen
Minderungsbetrag in Höhe von 175,00 EUR (7,00 EUR x 25 Tage = 175,00 EUR). Im
Widerspruchsverfahren trug der Kläger vor, er habe die Pflicht zur unverzüglichen
Meldung nicht verletzt, weil § 37 b SGB III lediglich festlege, wann man sich im Falle
eines befristeten Arbeitsverhältnisses frühestens zu melden habe. Dies habe er
beachtet. Mit Widerspruchsbescheid vom 10.08.2004 wies die Beklagte den
Widerspruch unter Hinweis auf die zitierten Vorschriften zurück.
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Hiergegen hat der Kläger am 02.09.2004 vor dem Sozialgericht Aachen Klage erhoben.
Er hat weiterhin die Auffassung vertreten, seiner Meldepflicht nach § 37 b SGB III
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Genüge getan zu haben.
Vor dem Sozialgericht hat der Kläger beantragt,
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den Bescheid vom 05.07.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom
10.08.2004 aufzuheben.
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Die Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, der Kläger hätte sich spätestens am
31.03.2004 arbeitsuchend melden müssen. Er habe sich jedoch erst am 26.04.2004
arbeitslos gemeldet und damit um 25 Tage zu spät. Bei einem Bemessungsentgelt von
130,00 EUR in der Woche ergebe sich eine Minderung von 25 x 7,00 EUR = 175,00
EUR.
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Mit Urteil vom 05.11.2004 hat das Sozialgericht der Klage stattgegeben und hat den
angefochtenen Bescheid aufgehoben. Es hat die Auffassung vertreten, dass es für die
Entscheidung der Beklagten keine Rechtsgrundlage gebe. Der Begriff "unverzüglich" in
§ 37 b Satz 1 SGB III sei so zu verstehen, dass sich der Betroffene ohne schuldhaftes
Zögern arbeitslos melden müsse. Die Formulierung "frühestens" in § 37 b Satz 2 SGB III
könne nicht dahingehend ausgelegt werden, dass sich der Betroffene genau 3 Monate
vor dem Ende seines Arbeitsverhältnisses melden müsse. Wegen des genauen
Wortlauts der Entscheidungsgründe wird auf den Inhalt des angefochtenen Urteils
Bezug genommen. Das Sozialgericht hat die Berufung zugelassen.
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Gegen dieses ihr am 11.11.2004 zugestellte Urteil richtet sich die am 18.11.2004
eingegangene Berufung der Beklagten. Sie hat unter umfangreicher Bezugnahme auf
das Schrifttum die Auffassung vertreten, gegen die Anwendbarkeit der §§ 37 b, 140 SGB
III bestünden keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Unverzüglich bedeute ohne
schuldhaftes Zögern. Auf die Kenntnis des Betroffenen von seiner Meldepflicht komme
es nicht an. Daher müsse sich ein Arbeitnehmer in einem befristeten Arbeitsverhältnis
genau 3 Monate vor Ablauf des Beschäftigungsverhältnisses arbeitslos melden. Der
Kläger habe diese Frist um 25 Tage überschritten, so dass die Minderung dem Grunde
und der Höhe nach zu Recht erfolgt sei. Wegen des genauen Wortlauts der
Berufungsbegründung wird auf den Schriftsatz vom 21.12.2004 Bezug genommen.
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Die Beklagte beantragt,
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das Urteil des Sozialgerichts Aachen vom 05.11.2004 zu ändern und die Klage
abzuweisen.
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Der Kläger beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Der Kläger trägt vor, den genauen Wortlaut des § 37 b SGB III habe er sich erst nach
dem Minderungsbescheid besorgt. Einige Zeit vor der Arbeitslosmeldung habe er sich
jedoch bei einem Besuch des Arbeitsamtes eine dort ausliegende Broschüre
mitgenommen. Darin habe gestanden, was zu tun ist, wenn man arbeitslos werde. Die
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grundsätzliche Pflicht, sich rechtzeitig beim Arbeitsamt bei Arbeitslosigkeit zu melden,
sei ihm jedoch seit langem bekannt gewesen. Er habe eine Vorstellung von 3 Monaten
vor Eintritt der Arbeitslosigkeit gehabt. An dieses Wissen habe er sich allerdings dann
konkret nicht gehalten, weil er aus der bereits erwähnten Broschüre erfahren habe, dass
er sich frühestens 3 Monate vor Eintritt der Arbeitslosigkeit zu melden habe. Hieraus
habe er geschlossen, dass er sich nicht an die 3-Monatsfrist halten müsse.
Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte und der den Kläger betreffenden Verwaltungsakte der Beklagten mit der
Kundennummer 000 Bezug genommen. Diese Akten waren Gegenstand der
mündlichen Verhandlung.
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Entscheidungsgründe:
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Die Berufung ist zulässig, weil das Sozialgericht sie gemäß § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 in
Verbindung mit Abs. 2 Nr. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zugelassen hat. Der Streitwert
beträgt 175,00 EUR. Das Landessozialgericht ist gemäß § 144 Abs. 3 SGG an die
Zulassung durch das Sozialgericht gebunden.
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Die Berufung ist auch teilweise begründet. Das Sozialgericht hat zu Unrecht
entschieden, dass die §§ 37 b, 140 SGB III nicht als Ermächtigungsgrundlage dienen
können. Verfassungsrechtliche Bedenken hat der Senat im Gegensatz zur Auffassung
des Sozialgerichts nicht. Er sieht sich in seiner Auffassung durch die inzwischen
vorliegende Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes (BSG) bestätigt. Die beiden
zuständigen Senate des BSG haben mit Urteilen vom 25.05.2005 und 18.08.2005 (Urteil
vom 25.05.2005 - B 11a/11 AL 81 und 47/04 R - und vom 18.08.2005 - B 7a AL 4/05 R
und B 7a/7 AL 80/04 R -) übereinstimmend diese Vorschrift angewandt, ohne
verfassungsrechtliche Bedenken zu äußern. Dieser Rechtsprechung schließt sich der
erkennende Senat an.
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Aus den zitierten Urteilen folgt weiter, dass es auf die Kenntnis des Betroffenen von
seiner Meldepflicht ankommt. Die gegenteilige Ansicht der Beklagten wird vom BSG
nicht geteilt. Auch insoweit schließt sich der erkennende Senat der Rechtsprechung des
BSG an. Übertragen auf den vorliegenden Fall ist daher zunächst festzustellen, wann
der Kläger Kenntnis von seiner Meldepflicht hatte. Der Senat geht aufgrund der eigenen
Angaben des Klägers davon aus, dass dieser wusste, dass er sich 3 Monate vor Eintritt
der Arbeitslosigkeit bei der Arbeitsagentur arbeitslos melden musste. Er hat bei seiner
Befragung durch den Senat sogar bekundet, dass er diese Regelung für sinnvoll und
angebracht hält. Diese Kenntnis hatte er auch bereits vor dem 01.04.2004, wie er selbst
angibt. Lediglich durch ein Informationsblatt der Beklagten sei er davon abgehalten
worden, sich "pünktlich" zu melden. Durch die Formulierung in dem Informationsblatt,
das bei befristeten Arbeitsverhältnissen die Meldung frühestens 3 Monate vor Eintritt der
Arbeitslosigkeit zu erfolgen habe, habe er geschlossen, dass eine Meldung irgendwann
nach dem 31.03.2004 noch rechtzeitig sei. Diese Auffassung kann der Senat nicht
teilen. Jemand der - wie der Kläger - die Meldepflicht kennt, muss die Rechtslage
sorgfältig prüfen (vgl. BSG vom 25.05.2005 - B 11a/11 AL 81/04 R - unter Randnr. 19).
Wer weiß, dass er sich 3 Monate vor Eintritt der Arbeitslosigkeit bei der Arbeitsagentur
melden muss und auch gelesen hat, dass diese Meldung bei befristeten
Arbeitsverhältnissen frühestens 3 Monate vorher geschehen soll, der macht es sich zu
einfach, wenn er dann meint, nun könne er die erforderliche Meldung notfalls bis zum
letzten Tag des befristeten Arbeitsverhältnisses zurückstellen. Der Senat stellt somit
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aufgrund der eigenen Angaben des Klägers fest, dass er sich eigentlich am 31.03.2004
hätte arbeitslos melden müssen. Insoweit trifft den Kläger ein subjektiver
Fahrlässigkeitsvorwurf im Sinne der zitierten BSG-Rechtsprechung, dass er das ihm
bekannte Informationsblatt der Beklagten nicht hinterfragt hat.
Gleichwohl konnte die Berufung nicht in vollem Umfang Erfolg haben. Aus der
Formulierung "unverzüglich" in § 37 b Satz 1 und "frühestens" in Satz 2 SGB III schließt
der Senat, dass nicht eine Meldung konkret an einem bestimmten Tag gemeint sein
kann. Dem Betroffenen muss nach Ansicht des Senats ein gewisser
Handlungsspielraum eingeräumt werden. So wird auch in der BSG-Entscheidung vom
25.05.2005 unter Randnr. 32 (a.a.O.) ausdrücklich offen gelassen, welche
Handlungsfrist dem Arbeitnehmer nach Kenntnis von der Meldepflicht zur Verfügung
steht. Der Senat hält eine Handlungsfrist von 5 Werktagen ab Kenntnis sowohl bei
unbefristeten als auch bei befristeten Arbeitsverhältnissen für angebracht. Dies deshalb,
um unverhältnismäßigen Verwaltungsaufwand zu vermeiden. Im Hinblick auf die Höhe
des möglichen Streitwertes ist es für die Versicherungsgemeinschaft hinnehmbar, dass
man bei einer Meldung innerhalb von 5 Werktagen auf jegliche Prüfung der
"Unverzüglichkeit" verzichtet und diese unterstellt. Erst bei einer Meldung ab dem 6.
Werktag nach Kenntnis obliegt es dem Leistungsbezieher darzulegen und zu beweisen,
dass in seinem konkreten Einzelfall ein Schuldvorwurf nicht zu erheben ist. Der Senat
hat bereits oben dargelegt, dass dem Kläger hier dieser Schuldvorwurf zu machen ist.
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Rechnerisch ergibt sich aus den vorstehenden Darlegungen folgendes Ergebnis: Der
Kläger hätte sich am 31.03.2004 arbeitslos melden müssen. Ihm war eine
Handlungsfrist von 5 Werktagen bis 07.04.2004 einzuräumen, also hätte er sich am
08.04.2004 arbeitslos melden müssen. Gemeldet hat er sich am 26.04.2004, also 19
Tage zu spät. Bei einem Bemessungsentgelt unter 400,00 EUR (= 130,00 EUR)
errechnet sich nach § 140 SGB III ein Minderungsbetrag von 19 x 7,00 EUR = 133,00
EUR. In diesem Umfang war der Berufung stattzugeben, im Übrigen zurückzuweisen.
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Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 183, 193 SGG.
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Der Senat hat die Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 zugelassen. Dem Senat ist
bekannt, dass in Fällen befristeter Arbeitsverhältnisse die Auslegung des Wortes
"frühestens" in § 37 b SGB III Gegenstand anhängiger Revisionsverfahren beim BSG ist.
Ferner hat das BSG die angenommene Handlungsfrist nach Kenntnis in der
Entscheidung vom 25.05.2005 (a.a.O.) ausdrücklich offen gelassen. Dem Senat schien
es daher geboten, die Revision zuzulassen.
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