Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 23.11.2010
LSG NRW (aufschiebende wirkung, sgg, hauptsache, beschwerde, antrag, verfassung, unterlassen, rechtsschutz, erlass, begehren)
Landessozialgericht NRW, L 6 AS 1500/10 B ER
Datum:
23.11.2010
Gericht:
Landessozialgericht NRW
Spruchkörper:
6. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
L 6 AS 1500/10 B ER
Vorinstanz:
Sozialgericht Dortmund, S 23 AS 3197/10 ER
Sachgebiet:
Grundsicherung für Arbeitssuchende
Rechtskraft:
rechtskräftig
Tenor:
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des
Sozialgerichts Dortmund vom 06.08.2010 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Beschwerdeverfahren nicht zu
erstatten.
Gründe:
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I.
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Die Antragstellerin begehrt, die Antragsgegnerin im Wege des Eilrechtsschutzes
vorläufig zu verpflichten, Ladungen zum Zweck der Überprüfung ihrer psychischen
Verfassung zu unterlassen.
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Die 1965 geborene Antragstellerin bezieht von der Antragsgegnerin Leistungen der
Grundsicherung für Arbeitssuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB
II). Mit Schreiben vom 02.07.2010 forderte die Antragsgegnerin die Antragstellerin auf,
sich am 03.08.2010 beim Gesundheitsamt des F-Kreises zu einer ärztlichen
Untersuchung ihrer Erwerbsfähigkeit einzufinden. Den hiergegen gerichteten
Widerspruch vom 08.07.2010 wies die Antragsgegnerin mit Widerspruchsbescheid vom
28.07.2010 zurück. Mit Schreiben vom 19.08.2010 erhob die Antragstellerin
Unterlassungsklage gegen Ladungen zu Untersuchungsterminen erhoben. Die
Antragsgegnerin kürzte die der Antragstellerin zu gewährenden Leistungen wegen ihres
Nichterscheinens zum Untersuchungstermin am 03.08.2010 mit Bescheid vom
16.08.2010 für den Zeitraum September bis November 2010 gemäß § 31 SGB II.
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Am 14.07.2010 hat die Antragstellerin beim Sozialgericht (SG) Dortmund einen Antrag
auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes gestellt und begehrt, die aufschiebende
Wirkung des Widerspruchs vom 08.07.2010 anzuordnen und festzustellen, dass die
Antragsgegnerin Ladungen zum Zwecke der Überprüfung ihrer psychischen Verfassung
zu unterlassen habe. Für das Eilverfahren hat sie die Bewilligung von
Prozesskostenhilfe (PKH) beantragt.
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Das SG hat die Anträge mit Beschluss vom 06.08.2010 abgelehnt. Zur Begründung hat
es ausgeführt, das Begehren der Antragstellerin sei unzulässig. Der Antrag entspräche
in der Hauptsache einer Feststellungsklage nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 Sozialgerichtsqesetz
(SGG), mit welcher die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines
Rechtsverhältnisses begehrt werden könne. Voraussetzung hierfür sei allerdings, dass
das Begehren nicht mit einer Gestaltungs- oder Leistungsklage verfolgt werden könne
(Subsidiarität der Feststellungsklage). Daran fehle es hier. Die Klärung der Frage, ob
und ggf. unter welchen Voraussetzungen die Antragsgegnerin berechtigt sei, die
Antragstellerin zwecks Überprüfung ihrer Erwerbsfähigkeit zu Gesprächsterminen oder
amtsärztlichen Untersuchungsterminen einzuladen, müsse im Hauptsacheverfahren
vorrangig mit einer Anfechtungsklage verfolgt werden. Denn der begehrte Rechtsschutz
sei - wenn sich die Einladung zu einem Gesprächstermin oder einer ärztlichen
Untersuchung (wie hier) durch Zeitablauf erledige und der Betroffene den Gesprächs-
bzw. Untersuchungstermin nicht wahrgenommen habe, weil er die Aufforderung für
rechtswidrig halte - im Hinblick auf die an die Versäumung des Termins geknüpften
Rechtsfolgen, nämlich die Absenkung des Arbeitslosengeldes II nach § 31 Abs. 2 SGB
II zu suchen. Dies habe die Antragstellerin auch erkannt und im Verfahren vor dem SG
Dortmund, S 23 AS 3483/10 ER, beantragt, die aufschiebende Wirkung ihres
Widerspruchs gegen einen Absenkungsbescheid vom 13.07.2010 anzuordnen, mit
welchem das ihr zustehende Arbeitslosengeld II auf Grund der Nichtwahrnehmung
eines Gesprächstermins am 01.07.2010 abgesenkt worden sei. Da der Rechtsschutz im
einstweiligen Anordnungsverfahren nicht weiter reichen dürfe als der Rechtsschutz im
Hauptsacheverfahren, sei die von der Ast beantragte Feststellung nicht zulässiger
Gegenstand eines einstweiligen Rechtsschutzverfahrens. Die Voraussetzungen für die
Gewährung von PKH lägen mangels Erfolgsaussichten des Verfahrens nicht vor.
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Gegen den ihr am 10.08.2010 zugestellten Beschluss hat die Antragstellerin am
02.09.2010 Beschwerde eingelegt und zuletzt die Verpflichtung der Antragsgegnerin
begehrt, "Ladungen zum Zwecke der Überprüfung der psychischen Verfassung bis zur
Urteilsverkündung des Strafgerichts Essen zu unterlassen". Es gehe nicht um die
Abwendung von Folgen nicht wahrgenommener Termine, sondern um die Verhinderung
weiterer rechtswidriger Ladungen bis zur Klärung in dem von ihr angestrengten
strafrechtlichen Verfahren, ob sich die Antragsgegnerin ihr gegenüber strafbar gemacht
habe. Richtige Klageart für ihr Begehren sei die allgemeine Leistungsklage nach § 54
Abs. 5 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in Form einer Unterlassungsklage. Die
Antragsgegnerin habe sie rechtswidrig mit Schreiben vom 10.08.2010 bzw. 27.09.2010
erneut zu amtsärztlichen Untersuchungen am 31.08.2010 bzw. 26.10.2010 geladen.
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Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichts- und der
Verwaltungsakten Bezug genommen; dieser ist Grundlage der Beratung und
Entscheidung gewesen.
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II.
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Die zulässige Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des SG ist
unbegründet.
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Das SG hat zu Recht den Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes abgelehnt.
Die Antragstellerin hat keinen Anspruch auf die von ihr zuletzt allein begehrte
Verpflichtung der Antragsgegnerin, Ladungen zum Zwecke der Überprüfung ihrer
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psychischen Verfassung zu unterlassen.
Nach § 86b Abs. 2 S. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der Hauptsache
auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustands in
Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur
Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Das von Antragstellerseite geltend
gemachte Recht (sog. Anordnungsanspruch) und die Eilbedürftigkeit, d.h. die
Dringlichkeit, die Angelegenheit sofort vor einer Entscheidung in der Hauptsache
vorläufig zu regeln (sog. Anordnungsgrund), sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 S.
4 SGG in Verbindung mit § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO)). Hiervon ausgehend
sind vorliegend die Voraussetzungen für den Erlass der begehrten einstweiligen
Anordnung nicht erfüllt.
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Dahinstehen kann, ob die Antragstellerin sich (in der Hauptsache und damit auch in
einem diesem vorangehenden Eilverfahren) überhaupt zulässig mit einer
Unterlassungsklage gegen etwaige Ladungen der Antragsgegnerin wehren kann. Für
die begehrte Verpflichtung der Antragsgegnerin fehlt es jedenfalls an der
Glaubhaftmachung eines Anordnungsgrundes. Nach § 86b Abs. 2 S. 2 SGG setzt der
Erlass einer einstweiligen Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustands in
bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis voraus, dass eine solche Regelung zur
Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Die besondere Eilbedürftigkeit (der
Anordnungsgrund) ist entsprechend nur zu bejahen, wenn dem Antragsteller ohne die
einstweilige Regelung eine erhebliche Verletzung in seinen Rechten droht, die durch
die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr beseitigt werden kann (BVerfG,
Beschluss vom 12.05.2005, 1 BvR 569/05 Rn 23; BVerfG, Beschluss vom 25.10.1988, 2
BvR 745/88 Rn 18). Entscheidend ist somit, ob es bei einer Interessenabwägung nach
den Umständen des Einzelfalls für den Betroffenen zumutbar ist, die Entscheidung in
der Hauptsache abzuwarten (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl.
2008, § 86b Rn 28). Hier ist von der Antragstellerin nicht vorgetragen und auch nicht
ersichtlich, welche Rechte durch weitere Ladungen so verletzt würden, dass ein
Abwarten der Hauptsache nicht zumutbar sein sollte. Selbst wenn sie die anberaumten
Untersuchungstermine - wie in der Vergangenheit geschehen - nicht wahrnimmt,
resultieren aus dem Versäumnis keine direkten Folgen. Wesentliche Nachteile treten
vielmehr erst dann ein, wenn sich die Antragsgegnerin (in einem weiteren Schritt) dazu
entscheidet, die Nichtteilnahme der Antragstellerin am Untersuchungstermin gemäß §
31 SGB II zu sanktionieren bzw. gemäß § 66 Abs. 1 Erstes Buch Sozialgesetzbuch
(SGB I) Leistungen mangels Mitwirkung abzulehnen. Derartige Maßnahmen der
Antragsgegnerin erfordern den Erlass eines gesonderten Verwaltungsaktes, gegen den
sich die Antragstellerin mit einem (eigenständig hierauf bezogenen) Eilantrag wenden
kann. Die Rechtmäßigkeit der Ladung zu einem Untersuchungstermin ist dann als
konstitutives Element des (weiteren) eingreifenden Verwaltungshandelns zu prüfen. Hat
der Betroffene wie hier ausreichende Möglichkeiten, effektiven Rechtsschutz gegen ein -
in einem zweiten Schritt vorgenommenes - zu wesentlichen Nachteilen führendes
Verwaltungshandeln zu erlangen, fehlt es an der Notwendigkeit, bereits schon über die
Zulässigkeit der Ladung selbst eine vorläufige Regelung zu treffen.
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Die Beschwerde der Antragstellerin gegen die Ablehnung von PKH für das Verfahren
erster Instanz ist ebenfalls unbegründet. Denn das Eilverfahren hat aus den genannten
Gründen gemäß § 73a SGG i.V.m. §§ 114 ff. Zivilprozessordnung (ZPO) keine
hinreichende Aussicht auf Erfolg.
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Kosten sind im Beschwerdeverfahren hinsichtlich der Ablehnung von PKH gemäß § 73a
Abs. 1 Satz 1 SGG i. V. m. § 127 Abs. 4 ZPO nicht zu erstatten. Im Übrigen folgt die
Kostenentscheidung aus der entsprechenden Anwendung des § 193 Abs. 1 SGG.
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Gegen diesen Beschluss ist keine Beschwerde an das Bundessozialgericht gegeben, §
177 SGG.
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