Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 11.06.2008

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Landessozialgericht NRW, L 7 B 153/08 AS ER
Datum:
11.06.2008
Gericht:
Landessozialgericht NRW
Spruchkörper:
7. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
L 7 B 153/08 AS ER
Vorinstanz:
Sozialgericht Dortmund, S 35 AS 34/08 ER
Sachgebiet:
Grundsicherung für Arbeitssuchende
Rechtskraft:
rechtskräftig
Tenor:
Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des
Sozialgerichts Dortmund vom 22.04.2008 geändert. Die
Antragsgegnerin wird verpflichtet, der Antragstellerin in der Zeit vom
24.01.2008 bis 30.06.2008 vorläufig Leistungen nach dem SGB II in
Höhe der Regelleistungen zu gewähren. Im Übrigen wird die
Beschwerde zurückgewiesen. Die Antragsgegnerin trägt die
außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin in beiden Rechtszügen zu
1/3. Der Antragstellerin wird zur Durchführung des einstweiligen
Rechtsschutzverfahrens vor dem Sozialgericht Prozesskostenhilfe
bewilligt und Rechtsanwalt P aus I beigeordnet.
Gründe:
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Die Beschwerden der Antragstellerin sind zulässig. Soweit sich die Beschwerde gegen
die Ablehnung des Antrages auf einstweiligen Rechtsschutz durch das Sozialgericht
(SG) richtet, ist sie teilweise begründet. Soweit sich die Beschwerde gegen Ablehnung
des Antrages auf Prozesskostenhilfe für das Ausgangsverfahren richtet, ist sie
begründet.
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Die Voraussetzungen des § 86b Abs. 2 Satz 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) liegen
ab dem 24.01.2008 vor. Nach dieser Vorschrift sind einstweilige Anordnungen auch zur
Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis
zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile
notwendig erscheint (Regelungsanordnung). Der Erlass einer einstweiligen Anordnung
setzt das Bestehen eines Anordnungsanspruches, d. h. des materiellen Anspruchs, für
den vorläufiger Rechtsschutz begehrt wird, sowie das Vorliegen eines
Anordnungsgrundes, d. h. die Unzumutbarkeit voraus, bei Abwägung aller betroffenen
Interessen die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten. Können ohne die
Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, anders nicht
abwendbare Beeinträchtigungen entstehen, die durch das Hauptsacheverfahren nicht
mehr zu beseitigen wären, sind die Erfolgsaussichten der Hauptsache nicht nur
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summarisch, sondern abschließend zu prüfen. Scheidet eine vollständige Aufklärung
der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren aus, ist auf der Grundlage einer an der
Gewährung eines effektiven Rechtsschutzes orientierten Folgenabwägung zu
entscheiden (BVerfG, Beschluss vom 12.05.2005 - 1 BvR 569/05 -).
Der Antragstellerin stehen bei der in Verfahren dieser Art gebotenen summarischen
Prüfung Leistungen nach dem SGB II in Höhe der Regelleistung zu. Sie hat sowohl
einen Anordnungsanspruch als auch einen Anordnungsgrund hinreichend glaubhaft
gemacht.
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Zur Überzeugung des Senats liegen nach der gebotenen summarischen Prüfung die
Voraussetzungen des § 7 Abs. 1 Zweites Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) vor.
Insbesondere ist auch von einer Hilfebedürftigkeit der Antragstellerin auszugehen.
Gemäß § 9 Abs. 1 Zweites Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) ist hilfebedürftig, wer seinen
Lebensunterhalt, seine Eingliederung in Arbeit und den Lebensunterhalt der mit ihm in
einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen nicht oder nicht ausreichend aus
eigenen Kräften und Mitteln, vor allem nicht aus dem zu berücksichtigenden Einkommen
oder Vermögen sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen,
insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen erhält. Die
Antragstellerin selbst verfügt über keine Einkünfte, mit denen sie ihren Lebensunterhalt
bestreiten kann. Von einer Bedarfsgemeinschaft mit Herrn P kann unter
Berücksichtigung der bisherigen Ermittlungen nicht ausgegangen werden.
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Nach § 7 Abs. 3 Nr. 3 Buchstabe c SGB II gehört zur Bedarfsgemeinschaft als Partner
der erwerbsfähigen Hilfebedürftigen eine Person, die mit dem erwerbsfähigen
Hilfebedürftigen in einem gemeinsamen Haushalt so zusammenlebt, dass nach
verständiger Würdigung der wechselseitige Wille anzunehmen ist, Verantwortung
füreinander zu tragen und füreinander einzustehen. Ein wechselseitiger Wille,
Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen, wird vermutet, wenn
Partner länger als ein Jahr, wie vorliegend, zusammenleben (vgl. § 7 Abs. 3a Nr. 1 SGB
II).
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Auch wenn noch nicht abschließend geklärt ist, ob die Antragstellerin und Herrn P
lediglich eine Wohngemeinschaft oder aber eine Verantwortungs- und
Einstehensgemeinschaft im Sinne von § 7 Abs. 3a SGB II bilden, sprechen die
eidesstattliche Versicherung vom 23.01.2008 sowie das Ergebnis des vom
Ermittlungsdienst der Antragsgegnerin durchgeführten Hausbesuches eher gegen als
für eine Bedarfsgemeinschaft. Dabei verkennt der Senat nicht, dass auch weiterhin
Zweifel angebracht sind. Die Klärung dieser Zweifel muss jedoch dem
Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben. Unter Berücksichtigung des
existenzsichernden Charakters der Leistungen nach dem SGB II und der nach der
Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bei nicht möglicher abschließender
Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes
gebotenen Folgenabwägung ist vorliegend der Erlass einer einstweiligen Anordnung
gerechtfertigt, zumal die Antragsgegnerin der Antragstellerin seit Oktober 2007 keine
Leistungen mehr gewährt. Zur Abklärung der noch bestehenden Zweifel wird u. a. von
der Antragsgegnerin und dem SG zu erwägen sein, ob der jetzige Vermieter und der
damalige Vermieter in der I1-straße 00 in I angeschrieben bzw. als Zeugen vernommen
werden. Vorab müsste die Antragstellerin noch den vollständigen Namen und die
Adresse des ehemaligen Vermieters (I1-straße 00 in I) und des jetzigen Vermieters dem
SG und der Antragsgegnerin kurzfristig mitteilen.
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Die Eilbedürftigkeit ergibt sich aus der von der Antragstellerin glaubhaft gemachten
Mittellosigkeit und dem fehlenden Krankenversicherungsschutz.
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Soweit die Antragstellerin die Verpflichtung der Antragsgegnerin zur Zahlung von
Kosten für Unterkunft und Heizung begehrt, fehlt es hingegen an einer
Glaubhaftmachung eines Anordnungsgrundes (Eilbedürftigkeit). Die Antragstellerin hat
nicht vorgetragen, dass ihr ein Kündigungsschreiben oder gar eine Räumungsklage
zugegangen ist. Derartiges ergibt sich auch nicht aus dem Akteninhalt.
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Bei der Verpflichtung zur vorläufigen Gewährung von Leistungen zur Sicherung des
Lebensunterhalts ist auf den Zeitpunkt des Eingangs des Antrags auf vorläufigen
Rechtsschutz bei Gericht abzustellen. Durch eine einstweilige Anordnung soll in
Verfahren dieser Art eine gegenwärtige Notlage behoben werden, wobei die Zeit des
Eingangs des Antrages bei Gericht bis zu seiner (Beschwerde-)Entscheidung nicht zu
Lasten des Antragstellers gehen darf (LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom
14.01.2008, L 8 SO 88/07 ER). Die Dauer der Leistungen hat der Senat unter
Berücksichtigung des Antrags der Antragstellerin bis zum Ende des Monats der
Entscheidung begrenzt.
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Die Beschwerde ist hinsichtlich der begehrten Bewilligung von Prozesskostenhilfe im
Ausgangsverfahren erfolgreich, denn eine hinreichende Erfolgsaussicht im
einstweiligen Rechtsschutzverfahren liegt, wie oben dargelegt, vor.
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Soweit sich die Beschwerde der Antragstellerin gegen die Ablehnung des Antrages auf
Prozesskostenhilfe für das Ausgangsverfahren richtet, werden Kosten im
Beschwerdeverfahren nicht erstattet (§ 73a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 127 Abs. 4 ZPO);
im Übrigen beruht die Kostenentscheidung auf § 193 SGG. Bei seiner Entscheidung hat
der Senat berücksichtigt, dass der Antragstellerin erst seit Eingang des Antrages beim
SG und auch nur die Regelleistungen zuzusprechen waren.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
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