Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 04.09.2008

LSG NRW: künstlerisches werk, kunst, verkehrsauffassung, bemessungsgrundlage, meldung, vertragsinhalt, rücknahme, zuschauer, begriff, kritik

Landessozialgericht NRW, L 16 KR 5/08
Datum:
04.09.2008
Gericht:
Landessozialgericht NRW
Spruchkörper:
16. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
L 16 KR 5/08
Vorinstanz:
Sozialgericht Köln, S 23 KR 3/07
Nachinstanz:
Bundessozialgericht, B 3 KS 4/08 R
Sachgebiet:
Krankenversicherung
Rechtskraft:
rechtskräftig
Tenor:
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Köln vom
12. November 2007 wird zurückgewiesen. Die Klägerin trägt auch die
Kosten des Berufungsverfahrens. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
1
Die Klägerin wendet sich gegen ihre Heranziehung zur Künstlersozialabgabe (KSA)
nach dem Künstlersozialversicherungsgesetz (KSVG) für die Jahre 2001 bis 2005 in
Höhe von 173.462,92 EUR. Umstritten ist, ob Honorare an Juroren der Fernsehshow "E"
(E) nach dem KSVG abgabepflichtig sind.
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Der klagende Fernsehsender produzierte und strahlte seit 2002 die Castingshow E aus.
Die Sendung kombinierte einen Talentwettbewerb mit interaktiven Elementen. Zunächst
beurteilte eine Jury in Castingveranstaltungen die Auftritte von Nachwuchskünstlern,
anschließend konnten die Zuschauer in sog Mottoshows telefonisch für ihre Favoriten
stimmen. Der oder die Kandidat/in mit den wenigsten Telefonanrufen schied aus. Die
Auftritte wurden von einer prominent besetzten Jury kommentiert und bewertet; bei den
hier allein in Streit stehenden Sendestaffeln der Jahre 2002 und 2003 waren dies der
Musikproduzent E C, die Musikjournalistin T G, der Musikmanager U T und der
Musikmoderator U C. Zusammen erhielten diese für ihre Jurorentätigkeit ein Honorar
von 3.950.397,00 EUR bei einem Honorarrahmen von 60.000,00 EUR bis 1.200.000,00
EUR je Staffel. Die Verträge der Jurymitglieder enthielten übereinstimmend unter der
Überschrift "Aufgabengebiet und Vertragsgegenstand" den Passus, dass die
Vertragspartner "als Mitglied einer vierköpfigen, gleichberechtigten Jury" engagiert
werden und "eigenschöpferische, höchstpersönliche Leistungen" erbringen sollen (§ 3
Abs 1 der Verträge).
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Die Klägerin ist laut bestandskräftigen Erfassungsbescheid vom 27.05.1999 als
Unternehmerin, die Rundfunk- und/oder Fernsehprogramme anbietet, dem Grunde nach
gemäß § 24 Abs 1 Satz 1 Nr 4 KSVG nach der Künstlersozialversicherung
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abgabepflichtig. Mit Bescheiden vom 14.02.2002, 06.02.2003, 19.02.2004 und
22.02.2005 stellte die Beklagte die KSA (jeweils auf die Kalenderjahre 2001 bis 2005
bezogen) auf der Grundlage der Meldungen der Klägerin fest. Nach einer
Betriebsprüfung vom 08. bis 09.03.2006, bei der festgestellt wurde, dass die Klägerin
bei ansonsten "sehr korrekter" Meldung der Beklagten ua die Entgelte für die
Jurorentätigkeit in E nicht gemeldet hatte, setzte die Beklagte unter Rücknahme der
bisher erteilten Abgabebescheide die KSA mit Bescheid vom 29.06.2006 für die Jahre
2001 bis 2005 nunmehr auf insgesamt 5.913.282,73 EUR neu fest. Der Prüfbericht
enthält den Hinweis, dass die Klägerin die Jury-Tätigkeit als "nicht abgabepflichtig"
ansehe und ihr eine entsprechende telefonische Auskunft 2002 von der Beklagten erteilt
worden sei. Der Widerspruch der Klägerin vom 24.07.2006, mit dem sie geltend machte,
die Jury leiste zwar einen Beitrag zum Unterhaltungscharakter der Show, erbringe indes
keine eigene künstlerische, sondern nur eine Expertenleistung, blieb ohne Erfolg
(Widerspruchsbescheid vom 17.01.2007).
Gegen diese Entscheidung hat die Klägerin am 12.02.2007 vor dem Sozialgericht (SG)
Köln Klage erhoben. Zur Begründung hat sie ua ausgeführt, die Aufgabe der Jury bei E
erschöpfe sich darin, die künstlerische Leistung der Castingteilnehmer und Kandidaten
zu kommentieren und zu bewerten. Dies unterfalle noch nicht dem Kunstbegriff des
KSVG; es handele sich vielmehr um eine Expertenmeinung, ähnlich wie
Meinungsäußerungen von Prominenten in Talkshows, deren Honorare nach der
Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) ebenfalls nicht abgabepflichtg nach
dem KSVG seien. Hinzu komme die Besonderheit, dass die Experten nicht nur als
Juroren sondern auch in marketingtechnischer Hinsicht, etwa bei der Durchführung des
Sendekonzepts beratend, tätig geworden seien. Auch wenn aus den Äußerungen der
Jury ein gewisser Unterhaltungswert resultiere, sei dies abgaberechtlich unschädlich;
maßgebend sei vielmehr, dass die Jurorentätigkeit nach allgemeiner
Verkehrsauffassung nicht künstlerisch eingeordnet werde; dem Fernsehpublikum sei
bewusst, dass die Jurymitglieder als Experten agierten. Schließlich sei der in den
Verträgen enthaltene Passus der "eigenschöpferischen, höchstpersönlichen Leistung"
für einen Juror eine Selbstverständlichkeit. Es handele sich hierbei um eine Standard-
Klausel in Moderatorenverträgen, die nicht die künstlerische, sondern allgemein die
selbständige Stellung des Vertragspartners verdeutliche.
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Die Klägerin hat erstinstanzlich beantragt,
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den Bescheid vom 29.06.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom
17.01.2007 aufzuheben, soweit er den die Jurorentätigkeit betreffenden Betrag in Höhe
von 173.462,92 EUR betrifft.
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Die Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie hat die Auffassung vertreten, bei den Juryhonoraren handele es um Zahlungen für
eine künstlerische Tätigkeit. Wesentlicher Erfolgsaspekt der Show seien die
Kommentare der Jury selbst und deren Diskussion untereinander; insbesondere die
Äußerungen von Herrn C gingen dabei weit über die schlichte Beurteilung und
Kommentierung durch einen Experten hinaus.
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Das SG hat die Verträge der Juroren und Aufzeichnungen der Shows beigezogen und
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mit Urteil vom 12.11.2007 die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die
Honorarzahlungen der Klägerin an die Juroren der Show E seien abgabepflichtig nach
dem KSVG. Die konkrete Tätigkeit der Jury unterfalle der Unterhaltungskunst, wobei das
KSVG keinen besonderen Qualitätsrahmen vorgebe. Die Juroren seien nicht
vergleichbar mit Schiedsrichtern im Sport, welche mit ihren Entscheidungen den
Ausgang des Wettstreits bestimmten, nicht aber begründeten. Die Kommentare, aber
insbesondere auch Gestik und Mimik der Jurymitglieder enthielten eine nach dem
KSVG zur Abgabepflicht ausreichende eigenschöpferische Leistung. Daneben seien
auch die wiedergegebenen Gespräche der Jurymitglieder untereinander und ihre
Interaktion mit den Nachwuchskünstlern und dem Publikum Teil des
Gesamtgestaltungskonzeptes der Sendung E.
Gegen das ihr am 12.12.2007 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 11.01.2008 bei dem
erkennenden Gericht Berufung eingelegt. Unter Vertiefung ihres bisherigen Vorbringens
hat sie weiterhin die Auffassung vertreten, die Jury habe nicht "frei schöpferisch",
sondern rein fachlich die Leistung der Nachwuchskünstler beurteilt und damit noch nicht
das nach dem KSVG notwendige Maß der eigenschöpferischen Leistung erreicht. Die
Sendebeiträge der Jury dienten, ausgehend von ihrer Fachkompetenz und beruflichen
Erfahrungswerten, der fachlichen Bewertung der Künstler, also deren Bühnenpräsenz,
Ausstrahlung und Professionalität. Dazu zähle auch gerade die persönliche Wirkung der
Kandidaten auf die Jury. Dass diesen Kommentaren gelegentlich ein gewisser
Unterhaltungswert zukomme, führe nicht dazu, dass sie der Unterhaltungskunst nach
dem KSVG zugerechnet werden könne. Dies habe für das Sendekonzept keine Rolle
gespielt und sich ohnehin erst aufgrund der guten Zusammenarbeit der Jurymitglieder
im Laufe der zahlreichen Sendungen ergeben. Auch wenn eine Kritik humorvoll
vorgetragen werde, bleibe sie immer noch Expertenmeinung. Daran ändere auch der
extrem hohe Bekanntheitsgrad von Herrn C nichts. Die Bewertungen der Jury seien in
keiner Weise von der Klägerin vorgegeben worden, es sei gerade nicht darum
gegangen, das Publikum durch vorformulierte Sprüche zu unterhalten, sondern die
Qualität des Talentwettbewerbes zu gewährleisten, um am Ende einen Sieger küren zu
können. Aus diesem Grund ordne die allgemeine Verkehrsauffassung wie auch die
überwiegende Meinung der einschlägigen Fachkreise die Tätigkeit von Juroren nicht
der Kunst zu. Dies werde vom Publikum ebenso gesehen. Zudem habe das SG nicht
berücksichtigt, dass sich die Tätigkeit der Juroren aus unterschiedlichen Leistungen
zusammengesetzt habe; Schwerpunkt dieser Leistungen sei gerade kein künstlerischer
Aspekt gewesen.
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Die Klägerin beantragt,
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das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 12.11.2007 zu ändern und Bescheid vom
29.06.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.01.2007 insoweit
aufzuheben, soweit er den die Jurorentätigkeit betreffenden Betrag von 173.462,92 EUR
betrifft; ferner, die Beklagte zu verurteilen, ihr 173.462,92 EUR nebst Zinsen in Höhe von
fünf Prozentpunkten über den Basissatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen; ferner,
hilfsweise, die Revision zuzulassen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen; hilfsweise, die Revision zuzulassen.
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Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend. Ergänzend hat sie zur
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Begründung weiterhin darauf verwiesen, dass vertraglich ausdrücklich eine
eigenschöpferische Tätigkeit der Jurymitglieder vereinbart gewesen sei. Deren
Tätigkeitsschwerpunkt habe auch gerade nicht in einer klassischen
Schiedsrichtertätigkeit gelegen, sondern in einer unterhaltsam, kommentierenden
Leistung. Zudem unterfalle die Bewertung und Kommentierung der Kandidaten
jedenfalls unter der publizistischen Öffnungsklausel des § 2 Satz 2 KSVG.
Wegen der weiteren Einzelheiten der Sach- und Rechtslage und des Vorbringens der
Beteiligten im Einzelnen wird auf den Inhalt der Prozessakte sowie der Verwaltungsakte
der Beklagten Bezug genommen, die ihrem wesentlichen Inhalt nach Gegenstand der
mündlichen Verhandlung und Entscheidung gewesen sind.
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Entscheidungsgründe:
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Die zulässige, insbesondere fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin ist nicht
begründet. Das SG hat zu Recht und mit zutreffender Begründung entscheiden, dass die
Honorare der Juroren der Castingshow E (Staffeln 2002 und 2003) in der
Künstlersozialversicherung abgabepflichtig sind. Streitgegenstand ist allein der
Abgabebescheid vom 29.06.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom
17.01.2007, soweit dort die Beklagte die KSA für die Jahre 2001 bis 2005 unter
Einbeziehung der Honorare der Juroren in Höhe von zusammen 3.950.397,00 EUR neu
festgesetzt hat. Dieser Bescheid hält der rechtlichen Prüfung stand.
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Dies gilt zunächst, als die Beklagte die KSA für die Jahre 2001 bis 2005 nachträglich
erhöht hat. Rechtsgrundlage hierfür ist § 27 Abs 1a Satz 2 KSVG in der Fassung (idF)
des Zweiten Gesetzes zur Änderung der KSVG und anderer Gesetzes (2. KSVGÄndG)
vom 13.06.2001 (Bundesgesetzblatt (BGBl) I 1027). Danach wird ein Abgabebescheid
mit Wirkung für die Vergangenheit zu Ungunsten des zur Abgabe Verpflichteten
zurückgenommen, wenn dessen Meldung nach Absatz 1 dieser Vorschrift unrichtige
Angaben enthält. Das KSVG schafft damit eine Sonderregelung gegenüber den
Vorschriften des Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGBX) über die Rücknahme
fehlerhafter Verwaltungsakte, wobei kein Ermessensspielraum der beklagten
Künstlersozialkasse besteht (BSG, Urteil vom 04.03.2004 - B 3 KR 15/03 R - Die
Beiträge, Beilage 2005, 12). Voraussetzung ist danach, dass die Meldung nach § 27
Abs 1 KSVG unrichtige Angaben enthält. Da es sich um eine Anfechtungsklage gegen
Verwaltungsakte ohne Dauerwirkung handelt, ist die Rechtmäßigkeit des
Verwaltungshandelns anhand der zum Zeitpunkt des Erlasses des Bescheides
bestehenden Gesetzeslage zu prüfen (BSG, Urteil vom 04.03.2004 -aaO; Urteil vom
11.03.1987 - 10 RAr 5/85 - SozR 4100 § 186a Nr 21 st Rspr). Maßgebend ist also § 27
KSVG idF des 2. KSVGÄndG vom 13.06.2001. Die Meldungen der Klägerin, die
Grundlage für die Bescheide der Abgabenhöhe in den Jahren 2001 bis 2005 waren,
enthielten insofern unrichtige Angaben, als die Klägerin die Honorare an Juroren der
Castingshow E nicht angegeben hatte. Die Klägerin hat gegen das Rechenwerk keine
Einwände erhoben, sondern nur eingewandt, die Jurymitglieder seien keine Künstler,
sondern Experten. Die Beteiligten streiten also über die Vollständigkeit und damit die
Richtigkeit der Meldungen über abgabepflichtige Honorare, bei der die Klägerin die
Honorarzahlungen an die Juroren der E Staffeln 2002 und 2003 ausgenommen hatte.
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Die Honorare der Juroren der Castingshow E der Staffeln 2002 und 2003 waren
entgegen der Rechtsauffassung der Klägerin als Entgelte für künstlerische Werke oder
Leistungen nach § 25 Abs 1 Satz 1 KSVG einzuordnen und damit von der Klägerin zu
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Unrecht nicht gemeldet worden (§ 27 Abs 1 Satz 1 KSVG). Nach § 25 Abs 1 Satz 1
KSVG sind Bemessungsgrundlage der KSA die Entgelte, die ein nach § 24 Abs 1 oder
2 KSVG zur Abgabe Verpflichteter im Rahmen der dort aufgeführten Tätigkeiten im
Laufe eines Kalenderjahres an selbständige Künstler oder Publizisten zahlt, auch wenn
diese selbst nach dem KSVG nicht versicherungspflichtig sind. Die Vorschrift verlangt
also die Zahlung von Entgelten an selbständige Künstler; darüber hinaus muss es sich
um ein künstlerisches Werk oder eine künstlerische Leistung handeln.
Diese Voraussetzungen sind hinsichtlich der an die Juroren der Staffeln 2002 und 2003
der Fernsehshow E gezahlten Honorare erfüllt:
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Die Klägerin ist nach dem bestandskräftigen Erfassungsbescheid vom 27.05.1999 ein
abgabepflichtiges Unternehmen nach § 24 Abs 1 Nr 4 KSVG, das die Honorare im
Rahmen ihres Unternehmensbetriebes gezahlt hat. Mit der Einbeziehung nach § 25 Abs
1 Satz 1 KSVG von an nicht versicherungspflichtige Künstler (§§ 1 und 2 KSVG)
gezahlten Entgelten unterfallen diese Zahlungen auch der Bemessungsgrundlage zur
KSA. Auch wenn, wie der Senat bereits durch eine Internetrecherche (wikepedia.de)
ermitteln konnte, die Jurymitglieder ausnahmslos außerhalb ihres Auftritts in der
Fernsehshow E anderweitig ausgesprochen erfolgreich beruflich arbeiten, sind sie iS
der Bemessungsgrundlage zur KSA als selbständige Künstler einzustufen. Mit der
Entkoppelung von der Versicherungspflicht nach dem KSVG erfasst § 25 Abs 1 Satz 1
KSVG auch Entgelte, die an Amateure oder an Künstler gezahlt werden, deren
beruflicher Schwerpunkt an sich außerhalb der hier streitigen Tätigkeit liegt (BSG, Urteil
vom 12.04.1995 - 3 RK 4/94 - SozR 3-5425 § 24 Nr 10; vom 28.08.1997 - 3 RK 13/96 -
Breithaupt (Breith) 1998, 732; vom 24.01.2008 - B 3 KS 1/07 R - zitiert nach juris.de).
Angesichts der Höhe der tatsächlich gezahlten Honorare und des vertraglich
geschuldeten Umfangs ihrer Tätigkeit besteht zwischen den Beteiligten kein Streit, dass
die Jurorentätigkeiten selbständig, erwerbsmäßig und nicht nur vorübergehend
ausgeübt wurden. Auch nach Auffassung des erkennenden Senats ist dies ohne
weiteres zu bejahen.
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Die Zahlungen für diese Jurorentätigkeit erfolgten auch für eine künstlerische Tätigkeit,
so dass der abgabepflichtige Tatbestand des § 25 Abs 1 Satz 1 KSVG erfüllt ist. Die
Auftritte der Juroren in den Staffeln der Jahre 2002 und 2003 unterfallen der
darstellenden Kunst in Form der Unterhaltungskunst. Dies hat das SG zutreffend
dargelegt und ausführlich begründet. Der Senat verweist insoweit nach eigener Prüfung
zur Vermeidung von Wiederholungen auf die entsprechenden Ausführungen im
angefochtenen Urteil, § 153 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
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Ergänzend ist lediglich darauf hinzuweisen, dass der Begriff der künstlerischen Tätigkeit
aus dem Regelungszweck des KSVG unter Berücksichtigung der allgemeinen
Verkehrsauffassung und der historischen Entwicklung zu erschließen ist (BSG, Urteil
vom 24.01.2008, aaO; vom 07.12.2006 - B 3 KR 2/06 R - SozR 4-5425 Nr 9; jeweils mit
weiteren Nachweisen (mwN)). Der Gesetzgeber spricht in den §§ 1 und 2 KSVG nur
allgemein von "Künstlern" und "künstlerischen Tätigkeiten", auf eine materielle
Definition des Kunstbegriffs hat er hingegen verzichtet (Bundestag-Drucksache (BT-
Drs), 8/3172, S 21). Aus den Materialien zum KSVG ergibt sich, dass der Begriff der
Kunst trotz seiner Unschärfe auf jeden Fall solche künstlerischen Tätigkeiten umfassen
soll, mit denen sich der "Bericht der Bundesregierung über die wirtschaftliche und
soziale Lage der künstlerischen Berufe (Künstlerbericht)" aus dem Jahr 1975 (BT-Drs
7/3071) beschäftigt (dazu bereits BSG, Urteil vom 26.11.1998 -B 3 KR 12/97 R - SozR 3-
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5425 § 2 Nr 9). Der Gesetzgeber hat damit einen an der Typologie von Ausübungsforen
orientierten offenen Kunstbegriff vorgegeben. Dabei hat er nicht auf ein Mindestniveau
oder eine Qualitätskontrolle abgestellt. Wenn das KSVG überhaupt das Erreichen einer
Werk- oder Gestaltungshöhe voraussetzt, ist diese Grenze jedenfalls so tief anzusetzen,
dass eine Differenzierung zwischen "höherer" und "niedriger" bzw "guter" und
"schlechter" Kunst nicht voraussetzt wird; maßgebend ist jede eigenschöpferische
Darstellung, bei der - wenn auch nur in Ansätzen - eine freie, eigenschöpferische
Leistung zu erkennen ist (BSG, Urteil vom 25.10.1995 - 3 RK 24/94 - SozR 3-5425 § 24
Nr 12; vom 12.05.2005 - B 3 KR 13/04 R – SozR 4-5425 § 2 Nr 3). Maßgebend für die
Zuordnung zur Unterhaltungskunst ist, da die individuelle Kunstauffassung sehr
unterschiedlich sein kann, im Zweifel die allgemeine Verkehrsauffassung (BSG Urteil
vom 25.10.1995, aaO; vom 28.08.1997 aaO; vom 12.05.2006, aaO; jeweils mwN). Setzt
sich die zu beurteilende Tätigkeit schließlich aus unterschiedlichen Teilbereichen
zusammen, kann von einer künstlerischen Tätigkeit nur dann ausgegangen werden,
wenn die künstlerischen Elemente das Gesamtbild der Tätigkeit prägen, die Kunst also
den Schwerpunkt der Leistung bildet (BSG, Urteil vom 16.04.1998 - B 3 KR 7/97 R -
SozR 3-5425 § 25 Nr 12; vom 26.01.2006 - B 3 KR 1/05 R - SozR 4-5425 § 2 Nr 9; vom
23.03.2006 - B 3 KR 9/05 R - SozR 4-5425 § 2 Nr 7).
Entgegen der Rechtsauffassung der Klägerin entspricht die Jurorentätigkeit der Staffeln
2002 und 2003 der Fernsehshow E diesen Typusanforderungen der
Unterhaltungskunst. Im Künstlerbericht der Bundesregierung finden sich allerdings nur
die Katalogberufe des Unterhaltungskünstlers/Artisten (BT-Drs 7/3071, S 6, im
Einzelnen etwa Conferenciers oder Disk-Jockeys, vgl S 7 Tabelle 1; ähnlich § 2 Abs 4
Nrn 5 und 6 der inzwischen außer Kraft getretenen Verordnung zur Durchführung des
KSVG vom 23.05.1984) und nicht der eines/r Juroren/in in einer Unterhaltungsshow.
Angesichts der Vielfalt und Dynamik in der Entwicklung künstlerischer Betätigungen
spricht dies aber nicht gegen die hier vorgenommene Einordnung; maßgebend ist, dass
die hier zu beurteilende Tätigkeit nach den aufgezeigten Kriterien der
Unterhaltungskunst zuzuordnen ist (zur Auslegung des Künstlerberichts, BSG, Urteil
vom 15.11.2007 - B 3 KS 3/07 R - Die Beiträge, Beilage 2008, 2; Wehrmann, jurisPR-
SozR 17/2008).
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Das Unterhaltungskonzept der Sendung E basiert, wovon sich der Senat durch die
vorliegenden Sendungsausschnitte überzeugen konnte, maßgebend auf einer
eigenschöpferischen Leistung der Jury. Die Sendung stellt eine allein auf Unterhaltung
ausgerichtete Mischung aus musikalischer und Wortunterhaltung dar. Die
publikumswirksam, unterhaltsam abgegebenen Bewertungen der Jury sind prägend für
diese Art von Castingsshows. Im Gegensatz zu reinen Fachjurys, etwa bei Festspiel-
oder Filmfestspielen, vollzieht sich bei E die Meinungsbildung und Bewertung der
einzelnen Künstler offen vor dem Saal- bzw Fernsehpublikum und dient dabei
unmittelbar dem Unterhaltungszweck dieses Sendekonzepts. Zu Recht weist die
Beklagte darauf hin, dass die Zuschauer die Sendung nicht nur wegen der - zumindest
bei den vorgeschalteten Castingsendungen - teilweise bestenfalls dilettantisch zu
bewertenden Gesangseinlagen (Süddeutsche Zeitung (SZ) vom 13.11.2007) sehen
wollen. Erwartet werden vielmehr gerade "flotte Sprüche" und unterhaltsam
vorgetragene Kritik der Jury, die, nach Auffassung des Senats, häufig bewusst das
Mindestmaß an sachlicher Bewertung deutlich unterschreitet. Soweit die Klägerin den
Schwerpunkt dieser "Expertenmeinungen" den Bereich von Fachkommentaren
zuordnen will, folgt ihr der Senat nicht. Auch in der hier anzustellenden Gesamtschau
überwiegt der Unterhaltungsansatz der Tätigkeit deutlich. Das Gleiche gilt hinsichtlich
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der von der Klägerin vorgetragenen Vielschichtigkeit der Jurytätigkeit. Die behauptete
beratende Tätigkeit steht weder nach dem Vertragsinhalt, noch in der äußeren
Wahrnehmung im Vordergrund der Tätigkeit der Jurymitglieder. Im Gegenteil (§ 4 der
Verträge) soll die Tätigkeit der Jury "pr-fördernd" in das Sendekonzept mit einbezogen
werden, was die herausragende Bedeutung der Jury für die Unterhaltungssendung E
nur unterstreicht. Vertraglich hat sich die Klägerin denn auch nicht nur die
Fachkompetenz der Jurymitglieder gesichert. Davon ist in den vorliegenden Verträgen
an keiner Stelle die Rede, geschuldet wird vielmehr übereinstimmend eine
"eigenschöpferische, höchstpersönliche" Leistung (§ 3 der Verträge). Dass damit, wie
die Klägerin meint, lediglich das Fehlen einer persönlichen Abhängigkeit
hervorgehoben werden sollte, verkürzt den Vertragsinhalt deutlich.
Zu Recht weist die Klägerin allerdings darauf hin, dass sich die Jury nicht allein mit
einer Hervorhebung und Bewertung der Person des E C beschreiben lässt. In der Tat
hat der Senat die Frage, ob es sich bei den Auftritten der Jury der Staffeln 2002 und
2003 in der Sendung E um eine künstlerische Tätigkeit handelt, einheitlich entschieden.
Dies entspricht zunächst dem Vertragsinhalt (" Mitglied einer vierköpfigen,
gleichberechtigten Jury ", § 1 der Verträge) und dem für den Senat erkennbaren
Sendekonzept. Danach nutzt zwar die Klägerin das mit einem "extrem hohen
Bekanntheitsgrad" (Schriftsatz der Klägerin vom 03.04.2008) von E C verbundene
Interesse ersichtlich aus, das aber erst in einer gewollten Interaktion innerhalb der Jury
als Ganzes zur Geltung kommt. So liegt gerade in der Vielfalt der Beiträge der
Jurymitglieder ein wesentlicher Unterhaltungswert der Sendung: Die Aufzeichnungen
der Sendungen dokumentieren, dass gerade nicht einheitliches Expertenwissen gefragt
ist, sondern durch Austausch unterschiedlicher Bewertungen oder zB durch
Parteinahme für einzelne Künstler Gegenpole innerhalb der Jury geschaffen werden,
die dadurch stimmungsmäßig das Saal- und Fernsehpublikum beeinflussen und damit
unterhalten. Hervorgehoben wird diese Interaktion zwischen Publikum und Jury noch
durch die Sendung von Gesprächen der Jury untereinander, deren
Unterhaltungswirkung für das breite Fernsehpublikum durch Untertitel zusätzlich
unterstrichen wird. So misst der Senat der scheinbar juryintern gestellten Frage, ob eine
Kandidatin nun einen BH trage oder nicht, keinerlei Experteninteresse, sondern nur -
niedriges - Unterhaltungsniveau bei.
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Soweit die Klägerin durchgehend vorträgt, die Verkehrsanschauung und die
überwiegende Mehrheit einschlägiger Fachkreise ordne die Tätigkeit von Juroren nicht
der Kunst zu, mag dies im Allgemeinen durchaus berechtigt sein; im hier allein zur
Entscheidung stehenden Sachverhalt ist dies ersichtlich nicht der Fall. Für die hier
vertretende Auffassung spricht zunächst die Tatsache, dass das durch die Jurytätigkeit
ausgelöste Medienecho sich gerade nicht in Fachzeitschriften, sondern
schwerpunktmäßig in sog Boulevardzeitungen mit hoher Auflage manifestiert hat.
Daraus wird für den Senat deutlich, dass das breite Publikum, das Sendungen dieser
Art schätzt, den Jurybeiträgen sehr wohl Unterhaltungswert beimisst und damit die
Reproduktion musikgeschäftlichen Fachwissens deutlich in den Hintergrund stellt.
Dabei ist unerheblich, ob, wie die Klägerin wohl nicht zu Unrecht unterstellt, für die
Jurytätigkeit ein solches Fachwissen zwingende Voraussetzung ist. Der Senat hat
schließlich keine Anhaltspunkte dafür, dass Fachkreise aus dem Medien- und
Unterhaltungsbereich der Tätigkeit der Jury in den Staffeln der Jahre 2002 und 2003 der
Sendung E nicht diesem künstlerischen Unterhaltungsbereich zuordnen. Auch die
Klägerin als großer Fernsehsender bestreitet selbst nicht, dass den Kommentaren
("gelegentlich") ein ("gewisser") Unterhaltungswert zukommt. Darin dürfte nach
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Auffassung des Senats eine bewusste Untertreibung liegen, denn es handelt sich um
eine klassische Unterhaltungssendung, in der der Tätigkeit der Jury bei der
Unterhaltung des Publikums eine besonders hervorgehobene Rolle beigemessen wird.
Diese besondere künstlerische Bedeutung der Jurytätigkeit für den Unterhaltungswert
der Sendung E wird nachdrücklich mit der Höhe der gezahlten Honorare (zur
Heranziehung des Honorars bei der Bestimmung einer künstlerischen Tätigkeit, vgl.
BSG, Urteil vom 25.10.1995, aaO) untermauert. Die hier gezahlten Honorare haben mit
den im Wesentlichen mit einer Aufwandsentschädigung entgoltenen Sendebeiträgen für
prominente Talkshowteilnehmern (dazu: BSG, Urteil vom 28.08.1997, aaO) nichts
gemein; tatsächlich entsprechen sie, wie dem Senat aufgrund seiner Zuständigkeit aus
anderen Streitverfahren nach dem KSVG bekannt ist, der Honorierung
eigenschöpferischer, künstlerischer Tätigkeiten.
Zu Recht und mit zutreffender Begründung hat schließlich das SG im angefochtenen
Urteil einen Vertrauensschutz aufgrund der in der Schlussbesprechung vom 09.03.2006
von der Klägerin vorgetragenen telefonischen Auskunft der Beklagten verneint. Dem
schließt sich der Senat nach eigener Prüfung ebenfalls an. Das der Festsetzung der
Höhe der KSA zugrundeliegende Rechenwerk im angefochtenen Bescheid ist zwischen
den Beteiligten spätestens nach der gemeinsamen ausdrücklichen Erklärung im
Verhandlungstermin am 04.09.2008 nicht streitig und weist auch nach Ansicht des
Senats keine rechnerischen oder sonstigen Ungenauigkeiten auf.
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Hat die Beklagte nach alledem die KSA für die Jahre 2001 bis 2005 zu Recht und in
rechnerisch richtiger Höhe neu festgesetzt, besteht kein Anspruch auf Rückzahlung der
zwischenzeitlich von der Klägerin nachentrichteten KSA (zur Zulässigkeit des gestellten
Antrags im Berufungsverfahrens, Leitherer, in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
Sozialgerichtsgesetz, 9. Auflage, § 99 Rn 4). Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a
SGG iVm § 154 Abs 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Der Senat hat wegen der
grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache die Revision an das BSG zugelassen, §
160 Abs 2 Nr 1 SGG.
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