Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 28.11.2003

LSG NRW: arbeitslosenhilfe, hauptsache, rechtsschutz, alleineigentum, bedürftigkeit, alter, sozialhilfe, familie, dach, versuch

Landessozialgericht NRW, L 9 B 75/03 AL ER
Datum:
28.11.2003
Gericht:
Landessozialgericht NRW
Spruchkörper:
9. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
L 9 B 75/03 AL ER
Vorinstanz:
Sozialgericht Dortmund, S 33 AL 156/03 ER
Sachgebiet:
Arbeitslosenversicherung
Rechtskraft:
nicht rechtskräftig
Tenor:
Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des
Sozialgerichts Dortmund vom 02. Oktober 2003 aufgehoben. Die
Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet,
dem Antragsteller ab 15. September 2003 vorläufig Arbeitslosenhilfe
nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften bis zum 31. März 2004,
längstens jedoch bis zum Abschluss des erstinstanzlichen Verfahrens in
der Hauptsache zu zahlen. Im Übrigen wird die Beschwerde
zurückgewiesen. Die Antragsgegnerin trägt die notwendigen
außergerichtlichen Kosten des Antragstellers in beiden Rechtszügen zur
Hälfte.
Gründe:
1
Die Beschwerde der Antragsgegnerin, der das Sozialgericht nicht abgeholfen hat
(Beschluss vom 30.10.2003), ist teilweise begründet.
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Das Sozialgericht hat zutreffend darauf hingewiesen, dass die Voraussetzung der
Bedürftigkeit des Antragsstellers gemäß § 190 Abs. 1 Nr. 5 SGB III in Verbindung mit § 1
Abs. 3 Nr. 5 Arbeitslosenhilfe-Verordnung (Alhi-VO 2002 vom 13.12.2001,
Bundesgesetzblatt I S. 3734 in der Fassung durch Artikel 11 des 1. Gesetzes für
moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 23.12.2002, Bundesgesetzblatt I S.
4607) mit Rücksicht auf die Frage der Verwertbarkeit des im Alleineigentum der Ehefrau
des Antragsstellers stehenden Hausgrundstücks eine zeitliche Dimension aufwirft und
durchaus ein Anspruch auf Arbeitslosenhilfe begründet sein kann. Dabei geht der Senat
auf Grund der Darlegung des Antragstellers, die letztlich auch von der Antragsgegnerin
nicht bezweifelt wird, davon aus, dass hier eine Verwertung lediglich in Form der
Veräußerung in Betracht kommt, weil eine weitere Belastung durch Darlehen derzeit
ausgeschlossen ist. Angesichts der Lage des Hausgrundstücks im ehemaligen
Zonenrandgebiet teilt der Senat ebenso wie die Antragsgegnerin auch die Bedenken,
ob überhaupt eine Veräußerung mit der Folge eines im Rahmen der
Bedürftigkeitsprüfung relevanten Veräußerungsgewinns hier realistisch ist.
3
Ausnahmsweise mit Rücksicht darauf kommt daher auch nach Auffassung des Senats
vorerst eine Verweisung auf die vorrangig in Betracht zu ziehende Sozialhilfe nicht in
Betracht, so dass grundsätzlich ein Anordnungsanspruch in Übereinstimmung mit dem
Sozialgericht gegeben ist.
Andererseits berücksichtigt die Entscheidung des Sozialgerichts nach Auffassung des
Senats nicht hinreichend, dass es sich in diesem Verfahren um eine vorläufige
Entscheidung handelt, die in aller Regel die Entscheidung in der Hauptsache nicht
vorwegnehmen darf. Die Ausnahmegründe, die eine andere Entscheidung rechtfertigen
könnten, liegen nicht vor. Weder ist Rechtsschutz für den Antragsteller ansonsten nicht
erreichbar noch ist eine andere als die die Entscheidung in der Hauptsache
vorwegnehmende Entscheidung für den Antragsteller unzumutbar. Hierfür sind folgende
Gründe ausschlaggend:
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Es ist zunächst kein Grund dafür ersichtlich, dass die Antragsgegnerin im Wege der
einstweiligen Anordnung verpflichtet worden ist, dem Antragsteller Arbeitslosenhilfe
bereits ab 15.04.2003 zu zahlen. Das Gesuch auf einstweiligen Rechtsschutz ist
erstmals am 15.09.2003 beim Sozialgericht angebracht worden. Da mit der beantragten
Arbeitslosenhilfe in erster Linie eine Sicherung des Lebensunterhalts des Antragstellers
und seiner Familie jetzt und in der Zukunft erreicht werden soll, bedürfte es besonderer
Gründe, um eine rückwirkende Bewilligung im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes
auszusprechen. Derartige Gründe hat der Antragsteller nicht glaubhaft gemacht.
Insbesondere reicht es nicht aus, dass, wie erst mit Schreiben vom 17.11.2003 geltend
gemacht, mit der rückwirkenden Zahlung der Arbeitslosenhilfe vorerst das Anwachsen
der Schulden verhindert werden soll. Dies begründet eine rückwirkende vorläufige
Entscheidung nicht, weil sich die Situation des Antragstellers für den Fall, dass er im
Hauptsacheverfahren nicht obsiegt, noch ungünstiger darstellen wird: Der Antragsteller
dürfte dann sogar noch verpflichtet sein, die vorläufig gezahlte Arbeitlosenhilfe
zurückzuzahlen, was letztlich eine noch größere Schuldenlast zur Folge hätte.
5
Die Antragsgegnerin darf auch nicht verpflichtet werden, ohne eine zeitliche Grenze
vorläufig Arbeitslosenhilfe zu zahlen. Der Schriftsatz des Antragstellers vom 17.11.2003
im Beschwerdeverfahren hat beim Senat Zweifel geweckt, ob der Antragsteller
überhaupt ernsthaft an einer Verbesserung seiner finanziellen Situation durch den
Verkauf des Hausgrundstücks interessiert ist, bzw. nachhaltig um eine Verbesserung
dieser Situation bemüht ist. Da der Antragsteller offenbar bislang noch nicht einen
Versuch unternommen hat, das Hausgrundstück zu verkaufen, er sogar diesbezüglich
zumindest unter Berücksichtigung seines Vorbringens noch nichts in die Wege geleitet
hat, um eine etwaige Verkaufsmöglichkeit zu erkunden, hätte er es bei einer
Verpflichtung der Antragsgegnerin zur unbegrenzten Zahlung von Arbeitslosenhilfe in
der Hand, allein durch eine Verzögerung des Verfahrens hier die Dauer seines
Anspruchs auf Arbeitslosenhilfe zu bestimmen. Sollte nämlich entgegen den noch nicht
einmal glaubhaft gemachten Darlegungen des Antragstellers eine Veräußerung
durchaus mit einem unter Berücksichtigung der Arbeitslosenhilfeverordnung relevanten
Veräußerungsgewinn möglich sein, ist es nicht gerechtfertigt, dass die Antragsgegnerin
Arbeitslosenhilfe zahlt. Sollte hingegen die Veräußerung unwirtschaftlich sein, was
immerhin auch unter Berücksichtigung der Darstellung der Antragsgegnerin nicht
ausgeschlossen werden kann, besteht ein Anspruch des Antragstellers auf
Arbeitslosenhilfe, den die Beklagte offenbar zu erfüllen bereit ist. Mit Rücksicht auf diese
Konstellation hat der Senat die Verpflichtung der Antragsgegnerin zur Zahlung von
Arbeitslosenhilfe vorläufig bis zum 31. März 2004 befristet.
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Bis zu diesem Zeitpunkt wird sich klären lassen, ob ein Verkauf des Hausgrundstückes
überhaupt wirtschaftlich ist. Das Sozialgericht wird bis dahin auch klären können, ob der
Antragsteller überhaupt bereit ist, das Hausgrundstück zu veräußern. Denn wenn er sich
trotz eines möglichen Veräußerungsgewinns aus den im Schriftsatz vom 17.11.2003
dargelegten Gründen (Alleineigentum der Ehefrau, eigenes Dach im Alter) nicht zu
einem Verkauf entschließen kann, dürfte ein zukünftiger Anspruch auf Arbeitslosenhilfe
an der Voraussetzung der Bedürftigkeit unter dem Gesichtspunkt eines verwertbaren
Vermögensbestandes in Frage stehen.
7
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
8
Diese Entscheidung ist nicht anfechtbar, § 177 SGG.
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