Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 21.11.2002

LSG NRW: ärztliche untersuchung, eintritt des versicherungsfalls, obstruktion, silikose, merkblatt, sicherheit, wissenschaft, verdacht, begriff, dokumentation

Datum:
Gericht:
Spruchkörper:
Entscheidungsart:
Vorinstanz:
Nachinstanz:
Sachgebiet:
Tenor:
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Aktenzeichen:
Rechtskraft:
Landessozialgericht NRW, L 2 KN 167/99 U
21.11.2002
Landessozialgericht NRW
2. Senat
Urteil
L 2 KN 167/99 U
Sozialgericht Dortmund, S 31 BU 102/97
Bundessozialgericht, B 8 KN 3/03 U B
Sozialrecht
Nicht rechtskräftig
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts
Dortmund vom 27.07.1999 geändert und die Klage abgewiesen.
Die Beteiligten haben einander in beiden Rechtszügen keine Kosten zu
erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
T a t b e s t a n d
Streitig ist die Zahlung von Verletztenrente wegen einer Berufskrankheit (BK) nach Nr.
4111 der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung (BKV vom 31.10.1997, BGBl.I S. 2623).
Der am 00.00.1930 geborene Kläger wurde im November 1945 im Steinkohlenbergbau
angelegt. Ab Juli 1947 war er unter Tage als Gesteins- und Kohlenhauer tätig. Zuletzt war
er als Maschinensteiger unter Tage beschäftigt. Er kehrte im September 1983 ab.
Insgesamt war er zumindest einer Belastung von 148,7 Feinstaubjahren ausgesetzt
(Technischer Aufsichtsdienst (TAD), 14.08.1996).
Am 04.02.1985 zeigte Arzt für Allgemeinmedizin Dr. M/C den Verdacht einer Silikose an.
Die gegen die ablehnende Entscheidung der Beklagten vom 23.10.1985 zum Sozialgericht
(SG) Dortmund erhobene Sprungklage (S 19 BU 350/85) nahm der Kläger nach Erstattung
des innerfachärztlichen Sachverständigengutachtens von Prof. Dr. X/Moers vom
25.04.1986 nebst lungenfunktionsanalytischem Zusatzgutachten zurück. Wegen der
Lungenfunktionsprüfung vom 04.07.1989 zeigte Dr. M erneut den Verdacht einer Silikose
an. Die Beklagte lehnte eine Entschädigung ab (Bescheid vom 01.03.1990). Seinen
Widerspruch begründete der Kläger mit dem Hinweis auf die Lungenfunktionsprüfung vom
31.05.1990, die ebenfalls eine mittelgradige Obstruktion ergeben habe. Die Beklagte wies
den Widerspruch zurück (Bescheid vom 21.09.1990). Seine Klage (SG Dortmund, S 31 BU
166/90) nahm der Kläger nach der Lungenfunktionsprüfung von Dr. M (31.10.1990) auf das
Sachverständigengutachten des Prof. Dr. X vom 03.05.1991 nebst
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lungenfunktionsanalytischem Zusatzgutachten zurück. Dr. M prüfte die Lungenfunktion
(21.04.1992). Prof. Dr. S/C fand bodyplethysmographisch den Atemwegswiderstand in
Ruhe unauffällig (05.01.1993). Eine eindeutige leistungseinschränkende Funktionsstörung
sei nicht zu belegen. Dr. C1/C ging gutachterlich (05.01.1993) von nur geringen
silikotischen Einlagerungen aus. Veränderungen von Krankheitswert seien nicht
nachweisbar. Die Beklagte erkannte eine Berufskrankheit nach Nr. 4101
(Quarzstaublungenerkrankung-Silikose) an, lehnte aber eine Berentung ab (Bescheid vom
17.02.1993; zurückweisender Widerspruchsbescheid vom 11.08.1993). Seine Klage (SG
Dortmund, S 31 BU 87/93) nahm der Kläger auf das Sachverständigengutachten von Prof.
Dr. X (07.10.1993) zurück. Wegen der Lungenfunktionsprüfung vom 29.11.1995 zeigte Dr.
M den Verdacht an, die Silikose habe sich verschlimmert. Als Ergebnis der
ganzkörperplethysmographischen Untersuchung vom 05.02.1996 sah Prof. Dr. C2/C keine
manifesten obstruktiven oder restriktiven Ventilationsstörungen. Gegenüber dem Vorbefund
vom 05.01.1993 habe sich keine Veränderung ergeben. Dr. C1 führte aus (Gutachten vom
05.02.1996), eine Erhöhung des Atemwegswiderstandes oder auch eine
Sauerstoffuntersättigung habe nicht nachgewiesen werden können. Die Beklagte lehnte es
weiterhin ab, wegen der Silikose Rente zu zahlen (Bescheid vom 28.03.1996;
zurückweisender Widerspruchsbescheid vom 09.12.1996). Seine Klage (SG Dortmund, S
31 BU 117/96) nahm der Kläger zurück. Aufgrund der Bodyplethysmographie vom
29.07.1998 meinte Prof. Dr. C2, es bestehe eine leichtgradige vollreversible obstruktive
Ventilationsstörung. In seinem Gutachten (14.08.1998) führte Dr. N/C aus, die
Lungenfunktionsprüfung vom 29.07.1998 lasse kein Emphysem erkennen. Bei fehlender
wesentlicher Einschränkung der Herzlungenleistungsbreite könne eine BK-bedingte MdE
nicht angenommen werden.
Ab 28.02.1996 prüfte die Beklagte, ob eine BK 4111 (chronische obstruktive Bronchitis
oder Lungenemphysem) zu entschädigen sei. Dr. M berichtete über die
Gesundheitsentwicklung des Klägers seit März 1982 (28.09.1996). Aufgrund
ganzkörperplethysmographischer Untersuchung (26.11.1996) gelangte Prof. Dr. C2 zu dem
Ergebnis, die Befunde entsprächen keiner manifesten obstruktiven oder restriktiven
Ventilationsstörung. Im am 08.01.1997 vorgelegten Gutachten gelangte Dr. C1 zu dem
Ergebnis, Hinweise auf ein Lungenemphysem hätten sich nicht ergeben. Eine chronische
Bronchitis liege nicht vor. Die Beklagte lehnte es ab, eine chronische obstruktive Bronchitis
oder ein Emphysem zu entschädigen (Bescheid vom 12.02.1997; zurückweisender
Widerspruchsbescheid vom 16.07.1997).
Zur Begründung seiner Klage zum SG Dortmund hat sich der Kläger auf die Stellungnahme
von Dr. M (22.10.1997; Lungenfunktionsprüfungen belegten restriktive sowie obstruktive
Ventilationsstörungen), die Behandlung vom 06. bis 12.08.1997 im N1-Krankenhaus/C
wegen chronischer obstruktiver Atemwegserkrankung bei Silikose sowie darauf berufen,
auch Prof. Dr. X habe in seinem Gutachten (03.05.1991) von einer leichten obstruktiven
Ventilationsstörungen berichtet.
Die Beklagte hat verwiesen auf Unterlagen des Versorgungsamts Dortmund (Berichte von
Dr. M [26.02.1981, 09.12.1981, 26.01.1987, 06.08.1991], Dr. B [04.02.1985], Dr. Q
[03.10.1986] und Dr. O [04.01.1991], Stellungnahmen von Dr. C3 [02.07.1981], Dr. T
[01.04.1982], praktischen Arzt C4 [13.02.1987] und Dr. B1 [26.08.1991], den Bericht von Dr.
B/Assistenzärztin I [22.08.1997]) sowie Stellungnahmen von Prof. Dr. C2/Dr. B2
[29.07.1998], Dr. N [14.08.1998], Prof. Dr. L [13.10.1998] und Prof. Dr. S [11.01.1999]).
Das Sozialgericht hat Beweis durch den Sachverständigen Prof. Dr. T1/Moers erhoben
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(Gutachten vom 28.07.1998; ergänzende Stellungnahme vom 16.02.1999). Es hat die
Beklagte verurteilt, dem Kläger Verletztenrente wegen einer am 07.10.1993 eingetretenen
Berufskrankheit Nr. 4111 nach einer MdE (Minderung der Erwerbsfähigkeit) um 20 v.H. zu
gewähren (Urteil vom 27.07.1999). Seit dem 07.10.1993 bestehe eine chronische
obstruktive Bronchitis. Dies ergebe sich aus dem Gutachten von Prof. Dr. T1. Der Eintritt
des Versicherungsfalls der chronischen obstruktiven Bronchitis vor dem 01.01.1993 sei
nicht nachgewiesen.
Mit ihrer Berufung trägt die Beklagte vor, nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme fehle es
an einer chronischen obstruktiven Bronchitis und einem Emphysem. Hilfsweise stütze sie
sich auf die Stellungnahme von Prof. Dr. S (12.09.2000).
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgericht Dortmund vom 27.07.1999 abzuändern und die Klage
abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend und stützt sich auf Stellungnahmen
von Dr. M (25.10.2001 und 19.07.2002).
Das Gericht hat Behandlungsunterlagen beigezogen von Dr. B (N1-Krankenhaus/C;
05.04.2001) und Dr. M (09.04.2001). Es hat Beweis erhoben durch den Sachverständigen
Prof. Dr. Q1 (Gutachten vom 19.07.2000; ergänzende Stellungnahme vom 26.03.2001;
Ergänzungsgutachten vom 31.08.2001 und 11.07.2002 unter Einbeziehung der gerichtlich
beigezogenen Unterlagen sowie der Computerdokumentation der Medikamentation (Dr. M;
16.06.1992 bis 19.07.2001) und Berodual- sowie Salbutamol-Studienunterlagen).
Für die Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichts- und Verwaltungsakten der Beklagten
zu den BKen 4101 und 4111, der Akten SG Dortmund S 19 BU 350/85, S 31 BU 166/90, S
31 BU 87/93 und S 31 BU 117/96 sowie der beigezogenen Studien- und
Behandlungsunterlagen verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung ist begründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zahlung von
Verletztenrente nach einer MdE von 20 v.H. wegen einer BK Nr. 4111.
Der geltend gemachte Anspruch richtet sich noch nach den Vorschriften der
Rechtsversicherungsordnung (RVO). Der Versicherungsfall soll 1993 und somit vor dem
Inkrafttreten des 7. Buches Sozialgesetzbuch (SGB VII) am 01.01.1997 eingetreten sein
(Art. 36 Unfallversicherungseinordnungsgesetz [UVEG], § 212 SGB VII). Nach § 547 RVO
gewährt der Träger der Unfallversicherung nach Eintritt des Arbeitsunfalls nach Maßgabe
der folgenden Vorschriften Leistungen, insbesondere Verletztenrente. Als Arbeitsunfall gilt
gemäß § 551 Abs. 1 Satz 1 RVO auch eine BK. BKen sind nach § 551 Abs. 1 Satz 2 RVO
die Krankheiten, welche die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung
des Bundesrates (BR) bezeichnet und die ein Versicherter bei einer der in den §§ 539, 540
und 543 bis 545 RVO genannten Tätigkeiten erleidet. Nach Nr. 4111 der Anlage zur BKV
gehören zu den BKen auch "chronische obstruktive Bronchitis oder Emphysem von
Bergleuten unter Tage im Steinkohlenbergbau bei Nachweis der Einwirkung einer
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kumulativen Dosis von in der Regel 100 Feinstaubjahren [(mg/m³) x Jahre]".
Eine chronische obstruktive Bronchitis oder ein Emphysem sind nach Ausschöpfen der
gebotenen Aufklärungsmöglichkeiten nicht erwiesen. Die Voraussetzungen der BK Nr.
4111 sind nicht erfüllt. Auch wenn der Kläger bei seiner versicherten Tätigkeit im
Steinkohlenbergbau unter Tage von Juli 1947 bis September 1983 entsprechend den
Berechnungen des TAD bei Unterstellung geringstmöglicher Belastung einer Exposition
von 148,7 Feinstaubjahren ausgesetzt war, ist weder ein Emphysem noch eine chronische
obstruktive Bronchitis mit Sicherheit feststellbar (zu den Beweisgrundsätzen vgl. Hauck in
Weiss/Gagel, Handbuch des Arbeits- und Sozialrechts, § 22A Rdnr. 79 m.w.N.)
Unter dem Emphysem von Bergleuten im Sinne der BK Nr. 4111 ist eine irreversible
Erweiterung des Lungenparenchyms distal der terminalen Bronchiolen mit einer
Destruktion alveolärer Strukturen zu verstehen. Insoweit besteht über den Begriff des
Emphysems in der medizinischen Wissenschaft Einigkeit (vgl. Prof. Dr. Q1). Die BKV
definiert den Begriff nicht selbst, sondern setzt ihn voraus. Nicht anders verhält es sich mit
den Gesetzesmaterialien (BR-Drucks. 642/92, S. 19), der wissenschaftlichen Begründung
von der Sektion "Berufskrankheiten" zur Ergänzung der Berufskrankheitenverordnung
(BArbBl 10/1995, S. 39 ff.) und dem Merkblatt für die ärztliche Untersuchung (BArbBl
12/1997, S. 35 ff; zur Konkretisierung der Begriffe der BKV vgl. BSG, Urteil vom 22.08.2000,
Aktenzeichen (Az) B 2 U 34/99 R, insbesondere zum Stellenwert der Auslegungsmittel Bl.
5 f.; zu den Merkblättern vgl. BSG, Urteil vom 02.05.2001, Az.: B 2 U 16/00 R, SozR 3-2200
§ 551 RVO Nr. 16, S. 79ff., 85 f.; vgl. auch BSG, Urteil vom 23.03.1999, B 2 U 12/98 R,
SozR 3-2200 § 551 RVO Nr. 12, S 33 ff., 44). In der Sache knüpft der Verordnungsgeber
damit an den eingangs genannten, in der medizinischen Wissenschaft allgemein
anerkannten Begriff des Emphysems an. Für die Feststellung des Emphysems mit an
Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bedarf es in der Regel beim lebenden
Versicherten hinreichend aussagekräftiger, sich zu einem Gesamtbild verdichtender
Indizien. Das beruht darauf, dass die medizinische Definition des Emphysems dem
pathologisch-anatomischen Bereich entspringt und dementsprechend zum Teil in der
medizinischen Wissenschaft vertreten worden ist und wird, dass ein Emphysem unter
Berücksichtigung der geringen Sensivität der an die Stelle des pathologisch-anatomischen
Befundes tretenden Indizien zu Lebzeiten des Patienten nicht mit Sicherheit zu
diagnostizieren sei (vgl. LSG NRW, Urteil vom 12.10.2000 L 2 KN 1/00 U und L 2 KN
204/99 U m.w.N.). Demgegenüber ist der Verordnungsgeber mit der Konzeption der BK Nr.
4111 davon ausgegangen, auch Versicherungsfälle von lebendigen Versicherten mit
Emphysem zu entschädigen. Er hat sich infolgedessen mit einem Maß an
Diagnosesicherheit begnügt, das nach dem derzeitigen Stand der allgemein anerkannten
wissenschaftlichen Erkenntnisse intra vitam möglich ist.
Nach diesem Maßstab (vgl. zu den diagnostischen Hilfsmitteln LSG NRW, Urteile vom
12.10.2000, aaO) ist ein Emphysem beim Kläger nicht erweislich. Darin stimmen überein
die Sachverständigen Prof. Dr. Q1 und Prof. T1, die urkundsbeweislich verwertbare
Beurteilung von Dr. C1 und die als Beteiligtenvorbringen verwertbare Einschätzung (zu
Verwertbarkeit des Beteiligtenvorbringens vgl. auch BSG, Beschluss vom 17.08.2000, B 8
KN 5/00 U B, Bl. 5, m.w.N.) von Dr. N (14.08.1998), ohne dass die als Beteiligtenvorbringen
verwertbaren Beurteilungen von Prof. Dr. L (13.10.1998) und Prof. Dr. S (11.01.1999 und
12.09.2000) dies in Zweifel ziehen. Soweit demgegenüber Dr. M (19.07.2000) in seiner als
Beteiligtenvorbringen zu bewertenden Stellungnahme das Ergebnis der Beurteilung des
Sachverständigen Prof. Dr. Q1 vom 19.07.2000 dahingehend zitiert, "ein Emphysem" sei im
Vollbeweis im Oktober 1993 gesichert, handelt es sich um ein Fehlzitat. Prof. Dr. Q1 ist von
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einem Emphysem nicht ausgegangen. Entsprechendes gilt für das Attest Dr. M vom
25.10.2001. Soweit früher Prof. Dr. X vereinzelt aufgrund der Röntgenaufnahmen den
Verdacht eines Emphysems geäußert hat, hat dieser sich bei der Auswertung der neueren
Röntgenaufnahmen unter Berücksichtigung der Klinik und der funktionsanalytischen
Ergebnisse nicht bestätigt (vgl. im Ergebnis die Sachverständigen Prof. Dr. T1 und Prof. Dr.
Q1). Bei demgemäss klinisch, funktionsanalytisch und nativradiologisch hinreichend
abgeklärter Situation bedarf es aber nicht zusätzlich einer (eventuell hochauflösenden)
Computertomographie (vgl. LSG NRW, aaO, unter Hinweis auf das sog. Konsensuspapier
[Konsensuspapier der deutschen Gesellschaft für Arbeitsmedizin und Umweltmedizin und
der deutschen Gesellschaft für Pneumologie, Nowak, Stand 10.12.1998, ASU 1999, 34 S.
79 ff.; Pneumologie 1999, 53, S. 150 ff.]; im Ergebnis dementsprechend die
Sachverständigen Prof. Dr. T1 und Prof. Dr. Q1).
Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme ist auch eine chronische obstruktive Bronchitis
nicht erweislich.
Erforderlich ist, dass eine chronische obstruktive Bronchitis und eine bronchiale
Obstruktion als regelwidriger Körperzustand mit an Sicherheit grenzender
Wahrscheinlichkeit bestehen. Das entspricht dem Wortlaut der BK Nr. 4111 und
widerspricht nicht den Gesetzesmaterialien (BR-Drucks- 642/97, S 19). Es steht mit den für
die Einführung der BK Nr. 4111 maßgeblichen wissenschaftlichen Erkenntnissen im
Einklang (vgl. BArbBl. 10/1995, S. 39 ff.; Bekanntmachung des BMA vom 01. August 1995 -
4a IV-45212/13). Dementsprechend knüpft auch das Merkblatt für die ärztliche
Untersuchung (aaO.) und das sog. Konsensuspapier (aaO.) an dieses Begriffsverhältnis an.
Eine Bronchitis, also ein entzündlicher Reizzustand der Bronchien, ist chronisch, wenn an
den meisten Tagen von wenigstens drei Monaten in zwei aufeinanderfolgenden Jahren
Husten besteht und vermehrt Bronchialschleim entleert wird (vgl. Merkblatt für die Ärztliche
Untersuchung, aaO; in der Sache ebenso Sachverständigengutachten Prof. Dr. Q1, auch
unter Hinweis auf die historische Entwicklung; Prof. Dr. T1). Dies ist auch Ausgangspunkt
des sog. Konsensuspapiers, das sich hinsichtlich der pathophysiologischen und
epidemiologischen Grundlagen ausdrücklich auch auf das Merkblatt beruft (vgl. ebenda,
Fußnote 8). Bei einer bronchialen Obstruktion kommt es infolge einer Einengung der
luftleitenden Bronchien durch Verdickung der Bronchialschleimhaut und Verlegung von
kleinen Atemwegen mit zähem Schleim zu einer Erhöhung des endobronchialen
Strömungswiderstandes mit inhomogener Belüftung der Alveolen.
Im Zusammenhang mit der sich chronifizierenden Reizung einer Bronchitis kann es zudem
zu einer zunächst rezidivierenden und später auch sich chronifizierenden Konstriktion der
Bronchialmuskulatur kommen, die ihrerseits zu einer weiteren Kaliberverengung und einer
Vertiefung der Ventilationsstörung führen kann (Prof. Dr. Q1; Prof. Dr. T1). In der Sache
knüpft der Verordnungsgeber damit an den oben genutzten, in der medizinischen
Wissenschaft allgemein anerkannten Begriff der chronischen obstruktiven Bronchitis an.
Für die Feststellung der chronischen obstruktiven Bronchitis mit an Sicherheit grenzender
Wahrscheinlichkeit bedarf es in der Regel beim lebenden Versicherten hinreichend
aussagekräftiger, sich zu einem Gesamtbild verdichtender Indizien. Das beruht darauf,
dass man direkt eine Entzündung der Bronchien zu Lebzeiten eines Betroffenen nur
bronchoskopisch feststellen kann (vgl. LSG NRW, aaO., m.w.N.; im Ergebnis ebenso Prof.
Dr. Q1, 31.08.2001). Der Verordnungsgeber hat aber nicht verlangt, nur bronchoskopisch
gesicherte chronische obstruktive Bronchitiden zu entschädigen. Er hat sich infolgedessen
mit einem Maß an Diagnosesicherheit begnügt, das nach dem derzeitigen Stand der
allgemeinen anerkannten wissenschaftlichen Erkenntnisse möglich ist.
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Darüber, welche diagnostischen Hilfsmittel zur Feststellung der chronischen obstruktiven
Bronchitis in Betracht kommen, besteht in der medizinischen Wissenschaft Einigkeit (vgl.
Prof. Dr. Q1 und das sog. Konsensuspapier, aaO.). Das LSG geht insoweit von einem
allgemeinen Erfahrungssatz dahingehend aus, dass die in dem sog. Konsensuspapier
aufgeführten Methoden zur Feststellung der chronischen obstruktiven Bronchitis die derzeit
möglichen, anerkannten Nachweisverfahren aufführen. Diagnostisch maßgebliche Kriterien
für die chronische Bronchitis sind die klinischen Befunde und ggfls. die Anamnese. In erster
Linie vermögen Lungenfunktionsuntersuchungen die Obstruktion nachzuweisen. Aber auch
stützende Hinweise, wie eine entsprechende Medikamentation können im
Zusammenwirken mit weiteren Indizien von hinreichender Dichte die Existenz einer
chronischen obstruktiven Bronchitis als regelwidriger Körperzustand belegen. Davon
gehen im Ergebnis auch alle gehörten Ärzte im Einklang mit dem sog. Konsensuspapier
und ohne Widerspruch zum Merkblatt (aaO.) aus.
Ausgehend von diesen Maßstäben ist eine chronische obstruktive Bronchitis nicht
erweislich.
Ob eine chronische Bronchitis beim Kläger gesichert ist, wie Prof. Dr. Q1 meint, Dr. C1 aber
in Zweifel gezogen hat, bedarf keiner Entscheidung. Zweifel ergeben sich daraus, dass die
hierfür herangezogenen Angaben aus den Beschwerdeschilderungen gegenüber Prof. Dr.
X ("wenig Husten und Auswurf"; 25.04.1986; 07.10.1993; oder "vorwiegend morgens etwas
Husten und Auswurf"; 03.05.1991) unter Würdigung der Dokumentation von Dr. M
(Patientenkartei in Abgleich zu den Angaben gegenüber dem Versorgungsamt Dortmund)
nicht eindeutig belegen, dass ein entzündlicher Reizzustand der Bronchien an den meisten
Tagen von wenigstens drei Monaten an zwei aufeinanderfolgenden Jahren mit Husten und
vermehrter Entleerung von Bronchialschleim bestanden hat. Jedenfalls fehlt es an einer
chronischen obstruktiven Bronchitis. Abzugrenzen ist diese von akuten obstruktiven
Bronchitiden, zu denen es etwa im Rahmen von Infekten kommen kann (Prof. Dr. Q1; Prof.
Dr. L; Dr. C1). Auch wenn es insoweit zu Überlagerungen kommen kann, stellt sich die
Abgrenzungsproblematik beim Kläger zugespitzt, weil bei ihm im Behandlungsverlauf
immer wieder akute Bronchitiden von Dr. M dokumentiert sind (30.03.1982, grippaler Infekt
mit Begleitbronchitis; 12.07.1984, akute Bronchitis; 23.01.1985 und 30.10.1986 "Bronchitis"
bzw. Bronchitisrezidiv; 13.06.1991 akute Bronchitis; 23.04.1992 eingehende Besprechung
Infektneigung). Bei Zusammenschau von Anamnese, klinischen Befunden,
Lungenfunktionsuntersuchungen und medikamentöser Behandlung spricht beim Kläger
mehr dafür, dass die beiden vereinzelten Befunde eines erhöhten Atemwegswiderstandes
eher durch akute Bronchitiden als durch eine chronische obstruktive Bronchitis verursacht
worden sind (Prof. Dr. Q1, 31.08.2001; 11.06.2002). Bereits im Rahmen der Anamnese sind
die Angaben "wenig Husten und Auswurf" (vgl. oben) unsicher. Spezifisch klinische
Befunde (in aller Regel behandlungsbedürftige Atemnot; charakterische
Auskultationsbefunde wie Giemen und Brummen; Prof. Dr. Q1) sind kaum dokumentiert
(Dokumentation Dr. M: 22.01.1985 Luftnot, Engegefühl in der Brust, pulmo o.B.; 19.03.1986
wieder Luftnot, Bf. v. Giemen; 09.02.1988, kein Reiben, keine Rasselgeräusche;
20.01.1989 wieder Dyspnoe, gering versch. Atemgrenzen, hypersonorer Klopfschall;
24.02.1989, vesikuläres Atemgeräusch beidseits; 03.03.1989 noch gering verschärftes VA;
23.02.1990, pulmo: diskrete Rasselgeräusche links basal; 26.02.1990, pulmo: Linksreiben;
13.03.1990 Luftnot; Bf. leises VA, keine Nebengeräusche, son-hyperson KS; 21.01.1990
allenfalls gering bronchitische RG; son-hypersonorer KS; 21.04.1992 Luftnot; gering
versch. VA, son-hypersonorer KS; 22.06.1995, kein Husten, kein Auswurf, pulmo frei;
19.11.1995 versch. VA, ver. Giemen; 08.11.1996 Bronchit AG; 17.03.1998 grobblasige RGs
links größer rechts; vgl. im Übrigen die Zusammenstellung Bl. 300 ff. GA, Prof. Dr. Q1,
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31.08.2001). Die Auswertung der Lungenfunktionsuntersuchungen ergibt, dass nur an zwei
Tagen (17.10.1993 und 29.07.1998) zweifelsfrei Nachweise einer obstruktiven
Ventilationsstörung belegt sind (Prof. Dr. Q1, 31.08.2001). Die spirometrischen
Untersuchungen bei Dr. M 1987-1995, die FEV1 Werte unter 80 % der Sollmittelwerte
zeigen, sprechen unter Auswertung der Flussvolumenkurven eher für größere
Mitarbeitsprobleme bei den Spirometrieuntersuchungen als - auch unter Würdigung der
übrigen Befundaufzeichnungen - für stark verminderte tatsächliche Ein-Sekundenwerte
(Prof. Dr. Q1, 19.07.2000). Die bodyplethysmographischen Untersuchungswerte vom
03.05.1991 sind je nach dem normal- oder grenzwertig, von welchen Sollwerten
ausgegangen wird (vgl. Prof. Dr. T1; Prof. Dr. X; Prof. Dr. Q1, 19.07.2000). Auch die
Lungenfunktionsuntersuchungen im Zusammenhang mit den beiden Arzneimittelstudien
lassen nicht den Schluss auf eine bronchiale Obstruktion zum Zeitpunkt der Messungen im
Vollbeweis zu (Prof. Dr. Q1, 31.08.2001). Die beiden zweifelsfrei gesicherten Messungen
mit bronchialer Obstruktion lassen sich bei diesem Gesamtbild unter Berücksichtigung der
Medikamentation aber eher Infektexazerbationen zuordnen. Nach der eingehenden
Dokumentation sind mit Ausnahme der beiden Arzneimittelprüfungen und einer einmaligen
Verschreibung von Theophyllin (Bronchioretard am 04.09.1992) in den 19 Jahren
hausärztlicher und klinischer Betreuung spezifische Bronchiospasmolytika nicht
angewendet worden. Verordnet wurden vielmehr teilweise Antitussiva/ Expektorantia,
Immunmodulatoren und Antibiotika (vgl. Prof. Dr. Q1, 31.08.2001). Eckpfeiler der
medikamentösen Therapie der chronischen obstruktiven Bronchitis bilden demgegenüber
die Bronchiospasmolytika (Beta-2-Sympathomimetika; Anticholinergika; Methylxanthine),
ggf. kombiniert mit zusätzlichen Gaben von Kortikosteroiden und Sekretolytika, im Einzelfall
auch Antibiotika (vgl. im Einzelnen näher auch zu dem jeweiligen historischen Stand der
Verordnungsempfehlungen Prof. Dr. Q1, 31.08.2001).
Die Einwendungen des Klägers gegen die Beurteilungen von Prof. Dr. Q1 (31.08.2001;
11.06.2002) greifen nicht durch. Soweit sich der Kläger mit Dr. M auf die Beurteilungen von
Prof. Dr. Q1 vom 19.07.2000 und 26.03.2001 stützt, verkennt er, dass die zusätzlich
beigezogenen Materialien in der Beurteilung des Sachverständigen nachvollziehbar zu
einem anderen Gesamtbild geführt haben, das - wie dargelegt - in Gesamtwürdigung aller
Umstände das abweichende Gesamtergebnis trägt. Soweit der Kläger sich darauf beruft,
einmalig verordnetes Theophyllin nicht vertragen zu haben und deshalb in der Folgezeit
andere Arzneimittel verschrieben bekommen zu haben, berücksichtigt dies nicht
hinreichend, dass Prof. Dr. Q1 - wie dargelegt - (vgl. zusätzlich wiederholend 11.06.2002)
auf weitere Alternativen der spezifischen medikamentösen Behandlung verwiesen hat, die
aber gerade nicht eingesetzt worden sind. Soweit der Kläger sich darauf berufen hat, dass
er bei akut aufgetretenen Luftnotanfällen Nitrospray benutzt, hat der Sachverständige Prof.
Dr. Q1 überzeugend darauf hingewiesen, dass es sich um ein Medikament handelt, das bei
"Luftnot", die ihre überwiegende Ursache am Herzen bei einer Erkrankung der
Herzkranzgefäße hat, mit Erfolg eingesetzt werden kann und nicht etwa bei Beschwerden,
die von einer Obstruktion in den Atemwegen herrühren. Soweit der Kläger sich auf eine
Besserung seines Gesundheitszustandes nach Sauerstofftherapie beruft, die ihm Dr. W als
HNO-Arzt mit Blick auf die Diagnosen Tinnitus, mittelgradige Schwerhörigkeit empfohlen
hat, gibt es keine gesicherten Erkenntnisse, die die Einschätzung des Klägers und seines
Hausarztes stützen, durch die Sauerstofftherapie kämen Symptome einer chronischen
obstruktiven Bronchitis nicht in dem bestehenden Umfang zur Ausprägung und die
Sauerstofftherapie mache medikamentöse Behandlungen dieser Erkrankung gar nicht erst
notwendig (Prof. Dr. Q1, 11.06.2002). Solche Belege hat Dr. M auch in seinem
ergänzenden Schreiben vom 19.07.2002 nicht vorgelegt. Die abweichende Beurteilung von
Prof. Dr. T1 erklärt sich daraus, dass ihm nicht die vollständigen Behandlungsunterlagen
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vorgelegen haben.
Nach dem Grundsatz der objektiven Beweislast, der auch im sozialgerichtlichen Verfahren
für das Recht der Berufskrankheiten gilt (vgl. Hauck, ebenda), trägt der Kläger die Folgen
der Nichterweislichkeit von Emphysem und chronischer obstruktiver Bronchitis.
Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Gründe, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs. 2 SGG), liegen nicht vor.