Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 28.01.2004

LSG NRW: rücknahme der klage, einvernehmliche regelung, gerichtlicher vergleich, venire contra factum proprium, treu und glauben, arbeitslosenhilfe, kameramann, geheimer vorbehalt, klagerücknahme

Landessozialgericht NRW, L 12 AL 151/03
Datum:
28.01.2004
Gericht:
Landessozialgericht NRW
Spruchkörper:
12. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
L 12 AL 151/03
Vorinstanz:
Sozialgericht Duisburg, S 17 (14) AL 277/99
Sachgebiet:
Arbeitslosenversicherung
Rechtskraft:
nicht rechtskräftig
Tenor:
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Duisburg
vom 02.04.2003 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind
auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht
zugelassen.
Tatbestand:
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Der Kläger begehrt im Wege der Überprüfung gemäß § 44 des Zehnten Buches
Sozialgesetzbuch (SGB X) höhere Arbeitslosenhilfe ab 05.10.1992.
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Er ist 1947 geboren und siedelte 1989 aus Rumänien in die Bundesrepublik
Deutschland über. In Rumänien hatte er eine Ausbildung zum Kameramann absolviert
und war auch als Kameramann tätig.
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In der Bundesrepublik meldetet sich der Kläger arbeitslos und bezog bis 10.01.1992 -
lediglich unterbrochen vom 05.08.1991 bis 30.09.1991 durch eine Beschäftigung als
Kameramann bei der Firma U - Arbeitslosengeld, zuletzt nach einem
Bemessungsentgelt von 800 DM. Anschließend erhielt er Arbeitslosenhilfe. Grundlage
des berücksichtigten Bemessungsentgelts war eine sogenannte fiktive Bemessung im
Anschluss an einem Sprachkurs ab Oktober 1990.
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Mit Bescheid vom 29.09.1992 in der Gestalt des Widerspruchbescheides vom
16.11.1992 lehnte die Beklagte die Bewilligung von Arbeitslosenhilfe für die Zeit ab
05.10.1992 zunächst ab mit der Begründung, der Kläger sei nicht bedürftig. Ausgehend
von einem Bemessungsentgelt von 800 DM kam die Beklagte zu dem Ergebnis, dass
die anrechenbaren Einkünfte der Ehefrau des Klägers seinen Leistungsanspruch
überstiegen. Dagegen hatte der Kläger vor dem Sozialgericht Köln Klage erhoben (Az S
10 Ar 191/92). Im Rahmen dieses Klageverfahrens bewilligte die Beklagte dem Kläger
mit Bescheid vom 23.06.1993 Arbeitslosenhilfe ab 05.10.1992 nach einem
Bemessungsentgelt von 920,00 DM unter Anrechung von Einkommen seiner Ehefrau.
Grundlage für das höhere Bemessungsentgelt war eine Stellungnahme der Zentralstelle
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für Arbeitsvermittlung in Frankfurt vom 16.02.1993, die nach einem Gespräch mit dem
Kläger ab 01.07.1992 die Berücksichtigung eines fiktiv zu erzielenden Entgelts von
4.000 DM im Monat für angebracht hielt, weil der Kläger habe belegen können, nach
1990 zeitweise als freier Kameramann gearbeitet zu haben.
Vom 15.01. bis 30.04.1994 stand der Kläger nochmals in einem
Beschäftigungsverhältnis als Kameramann.
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In der mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht Köln am 09.06.1994 nahm der
Kläger durch seinen Bevollmächtigten das aufgrund des Bescheides vom 23.06.1993
erklärte Teilanerkenntnis der Beklagten "zur vollständigen Erledigung des Rechtsstreits"
an.
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Vom 01.05.1994 an bezog der Kläger durchgehend wieder Arbeitslosenhilfe.
Entsprechende Bewilligungsbescheide wurden jeweils bindend. Erst gegen den
Bewilligungsbescheid der Beklagten vom 20.06.1997, mit dem ihm Arbeitslosenhilfe ab
01.07.1997 nach einem Bemessungsentgelt von 980,00 DM bewilligt worden war, legte
der Kläger am 18.07.1997 Widerspruch ein. Die Beklagte wies den Widerspruch mit
Widerspruchsbescheid vom 25.07.1997 als unbegründet zurück. Die hiergegen
gerichtete Klage (Az S 12 Ar 167/97) wies das Sozialgericht Duisburg mit Urteil vom
28.11.1997 als unzulässig ab, da der Kläger ausdrücklich die rückwirkende Einstufung
ab 05.10.1992 begehrte. Der Klage - so das Sozialgericht - stehe entgegen, dass der
Kläger seinerzeit in dem sozialgerichtlichen Verfahren vor dem Sozialgericht Köln das
Teilanerkenntnis der Beklagten an - und im übrigen die Klage zurückgenommen habe.
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Die Beklagte wertete allerdings den Widerspruch des Klägers vom 18.07.1997 als
Antrag gemäß § 44 SGB X. Mit Bescheid vom 29.04.1999 lehnte sie eine Erhöhung des
Bemessungsentgelts ab. Dagegen legte der Kläger am 10.05.1999 Widerspruch ein,
den die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 28.09.1999 zurückwies. Zur
Begründung führte sie aus: Der Kläger sei zu Beginn seiner Arbeitslosigkeit wegen
fehlender Deutschkenntnisse als Kameramann nicht vermittelbar gewesen. Gemäß § 44
SGB X könne vorliegend eine rückwirkende Erhöhung des Bemessungsentgelts
allenfalls für die Zeit ab 01.01.1993 erfolgen. Bei der zum Stichtag 04.10.1993
vorzunehmenden Überprüfung des Bemessungsentgelts nach § 136 Abs. 2 b a. F., 112
Abs. 7 AFG ergebe sich keine Erhöhung des Bemessungsentgelts. Aus dem Umstand,
dass der Kläger vom 15.01.1994 bis 30.04.1994 ein Beschäftigungsverhältnis als
Kameramann und ein höheres Gehalt als das vorherige Bemessungsentgelt erzielt
habe, ergebe sich nichts anderes. Die Entlassung durch die Firma U nach Ablehnung
des Einarbeitungszuschusses zeige, dass dem Arbeitgeber selbst ein Arbeitsentgelt von
3500 DM ohne Bezuschussung durch das Arbeitsamt zu hoch gewesen sei.
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Dagegen hat der Kläger am 25.10.1999 vor dem Sozialgericht (SG) Duisburg Klage
erhoben. Er hat die Auffassung vertreten: Seine Einstufung sei von Anfang an fehlerhaft
erfolgt. Aufgrund seiner Tätigkeit in Rumänien als Kameramann sei ein höheres
Bemessungsentgelt gerechtfertigt gewesen. Die Beschäftigungsverhältnisse in den
Jahren 1991 und 1994 seien wegen des Verhaltens der Beklagten schon nach kurzer
Zeit beendet worden. Im ersten Fall habe die Beklagte die Gewährung des
Einarbeitungszuschusses abgelehnt. Im zweiten Fall habe der Arbeitgeber durch die
Entlassung seiner Vernehmung als Zeuge vor dem Sozialgericht entgehen wollen.
Aufgrund falscher Bewerberdaten im Stelleninformationssystem der Beklagten sei eine
Vermittlung in ein adäquates Beschäftigungsverhältnis nicht zustande gekommen.
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Der Kläger hat beantragt,
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die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 29.04.1999 in Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 28.09.1999 und unter Abänderung des Bescheides vom
23.06.1993 zu verpflichten, ihm für die Zeit ab 05.10.1992 Arbeitslosenhilfe nach einem
höheren Bemessungsentgelt als 920,00 DM zu bewilligen.
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Die Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Mit Urteil vom 02.04.2003 hat das SG die Klage abgewiesen und zur Begründung
folgendes ausgeführt: "Der Kläger kann über § 44 SGB X eine Korrektur des
Bewilligungsbescheides vom 23.06.1993 im Sinne einer Erhöhung des
Bemessungsentgelts nicht beanspruchen. Einer Korrektur des Bewilligungsbescheides
gemäß § 44 SGB X steht entgegen, dass der Kläger sich seinerzeit in dem
sozialgerichtlichen Verfahren vor dem Sozialgericht Köln mit der Beklagten hinsichtlich
des ab dem 05.10.1992 zugrundezulegenden Bemessungsentgelts einvernehmlich
geeinigt hat. Diese in Form eines angenommen Anerkenntnisses und Klagerücknahme
im übrigen als Vergleich zu wertende Vereinbarung schließt eine einseitig den Kläger
begünstigende Korrektur über § 44 SGB X aus. Es ist zunächst zu beachten, dass eine
Korrektur der Bewilligungsentscheidung aufgrund des am 18.10.1997 gestellten
Überprüfungsantrags frühestens ab dem 01.01.1993 möglich ist. Denn gemäß § 44 Abs.
4 SGB X werden Sozialleistungen nach den Vorschriften des besonderen Teils des
Gesetzbuchs für einen Zeitpunkt bis zu 4 Jahren vor der Rücknahme erbracht. Dabei
wird der Zeitpunkt der Rücknahme von Beginn des Jahres an gerechnet, in dem der
Verwaltungsakt zurückgenommen wird. Erfolgt die Rücknahme auf Antrag tritt bei der
Berechnung des Zeitraumes, für den rückwirkend Leistungen zu erbringen sind, anstelle
der Rücknahme, der Antrag. Damit ist der ursprüngliche Bewilligungsbescheid über die
Gewährung von Arbeitslosenhilfe vom 21.01.1992 einer Überprüfung entzogen.
Aufgrund der materiell-rechtlichen Vorschriften des Arbeitsförderungsrechts war eine
Neubemessung im Überprüfungszeitraum erstmalig ab dem 05.10.1993 gemäß § 136
2b a. F. möglich. Zu diesem Zeitpunkt war das Gerichtsverfahren vor dem SG Köln noch
anhängig. Mit Bescheid vom 23.06.1993 hatte die Beklagte im Rahmen dieses
Klageverfahrens die Bewilligung der Arbeitslosenhilfe ab dem 05.10.1992 nach einem
Bemessungsentgelt von 920,00 DM bewilligt. In der mündlichen Verhandlung vom
09.06.1994 hatte der Kläger diese, insofern als Teilanerkenntnis zu wertende Erhöhung
des Bemessungsentgelts "zur vollständigen Erledigung des Rechtsstreits"
angenommen. Gemäß § 101 SGG wurde der Rechtsstreit durch das angenommene
Anerkenntnis sowie im übrigen durch die einseitige Erledigungserklärung des Klägers,
die gemäß §§102 SGG als Klagerücknahme zu werten ist, erledigt. Gemäß § 101 Abs. 2
SGG erledigt das angenommene Anerkenntnis den Rechtsstreit in der Hauptsache
soweit dieses reicht. Die Beklagte hat mit Bescheid vom 23.06.1993 dem Kläger
Arbeitslosenhilfe ab dem 05.10.1992 nach einem Bemessungsentgelt von 920,00 DM
bewilligt. Damit hatte sie den streitigen Anspruch des Klägers teilweise anerkennt. Dies
wird vom Kläger insoweit auch nicht bestritten. Durch die weitere Erklärung des Klägers
in der mündlichen Verhandlung vom 09.06.1994 "zur vollständigen Erledigung des
Rechtsstreits" hat der Kläger seine Klage im übrigen zurückgenommen. Gemäß § 102
SGG kann der Kläger die Klage bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung
zurücknehmen. Die Klagerücknahme erledigt den Rechtsstreit in der Hauptsache. Durch
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die Erklärung "zur vollständigen Erledigung des Rechtsstreits" hat der Kläger zu
erkennen gegeben, dass er eine Entscheidung des Gerichts über die Hauptsache nicht
mehr wünscht. Die Annahme des Anerkenntnisses und die Rücknahme der Klage im
übrigen durch den Kläger ist nicht unwirksam gemäß § 142 Abs. 1 BGB, denn dem
Kläger steht ein Anfechtungsrecht nach den §§ 119 ff BGB nicht zu. Anhaltspunkte für
einen nach den §§ 119 ff BGB beachtlichen Irrtum liegen nicht vor. Es liegen auch keine
Anhaltspunkte dafür vor, dass seine Erklärung analog § 779 Abs. 1 BGB unwirksam
wäre. Auch wenn man die Annahme eines Teilanerkenntnisses und die Erklärung der
Rücknahme im übrigen als Vergleich werten und damit der Regelung des § 779 Abs. 1
BGB unterwerfen will, bestehen jedoch keine Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger über
die Vergleichsgrundlage sich im Irrtum befunden hätte. Hiergegen spricht zum einen,
dass der Kläger die aufgrund der vergleichsweisen Regelung bis zum Juli 1997
ergangenen Bewilligungsentscheidungen der Beklagten unwidersprochen akzeptiert
hat. Darüber hinaus ergibt sich aus dem Aktenvermerk der Beklagten, dessen Inhalt mit
den Beteiligten in der mündlichen Verhandlung vom 02.04.2003 ausführlich besprochen
wurde, dass der Sachverhalt zwischen ihm und einem Mitarbeiter der Zentralstelle für
Arbeitsvermittlung am 17.03.1993 in Köln persönlich besprochen wurde. Hierbei hatte
sich der Kläger mit einer neuen Einstufung aufgrund eines fiktiven Entgeltes in Höhe
von 4000 DM einverstanden erklärt. Wegen des Inhalts des Vermerks wird auf Blatt 98
der Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen. All dies zeigt, dass der Kläger seinerzeit
eine einvernehmliche Regelung mit der Beklagten zur vollständigen Erledigung des
Rechtsstreits schließen wollte. Wenn er dann später durch Stellung eines Antrags
gemäß § 44 SGB X versucht, sich einseitig von dem Vergleich zu lösen, so stellt dies
ein rechtsmissbräuchliches Handeln im Sinne eines venire contra factum proprium dar.
Denn es muss als rechtsmissbräuchlich angesehen werden, wenn sich eine
Vergleichspartei durch Abschluss des Vergleichs Rechtsvorteile sichert und
anschließend auf anderem Wege versucht, sich darüber hinausgehende Rechtsvorteile
zu verschaffen. Es würde Sinn und Zweck eines Vergleichs, Frieden zu stiften,
widersprechen, wenn sich eine Vergleichspartei lediglich die Vorteile des Vergleichs
sichern könnte, ihr aber die Möglichkeit bliebe, ihre Rechtsposition auf anderem Wege
noch weiter zu verbessern. Dies gilt um so mehr, wenn - wie hier - der anderen
Vertragspartei diese Möglichkeit aus Rechtsgründen grundsätzlich verwehrt ist.
Unabhängig von der Frage, ob in einem Vergleich zugleich ein Verzicht auf den
materiell-rechtlichen Anspruch zu sehen ist und bereits deswegen eine Lösung von dem
Vergleich nicht möglich ist, ist mit der herrschenden Meinung (SG Mannheim, Urteil vom
23.02.1989, Breithaupt 1989 Seite 476; Knopp GK SGB-RVO Anmerkung 9 zu § 50
SGB X, Heilemann SGB 1995 Seite 240, 243, Dörr: Die Deutsche
Angestelltenversicherung 1988, 452, 454) davon auszugehen, dass ein gerichtlicher
Vergleich einer erneuten Überprüfung des dort einvernehmlich geregelten
Rechtsverhältnisses entgegensteht. Hierfür spricht, dass der vor einem Gericht
abgeschlossene Vergleich die materiell-rechtliche Wirkung eines öffentlichrechtlichen
Vertrages hat. Sofern eine Loslösung von dem Vergleich nach allgemeinen Vorschriften
(§§ 119 ff, 779 BGB) wie oben ausgeführt, nicht in Betracht kommt, kann die Nichtigkeit
oder ein Anspruch auf Kündigung oder Abänderung der vergleichsweise getroffenen
Regelung nur über die gesetzlichen Tatbestände der §§ 58, 59 SGB X erreicht werden.
Eine Unwirksamkeit des Vergleichs gemäß §§ 58 Abs. 1 SGB X, 142 Abs. 1 BGB ist
jedoch nicht gegeben. Denn eine wirksame Anfechtung des Vergleichs durch den
Kläger ist - wie oben ausgeführt - nicht möglich. Auch scheidet eine Unwirksamkeit aus
diesem Grunde gemäß § 779 Abs. 1 BGB aus, denn die zutreffende Einstufung des
Klägers und damit die Höhe des Bemessungsentgelts, sei es, dass es auf der
ursprünglichen Bewilligungsentscheidung oder auf der Bewilligung gemäß § 136 Abs. 2
b a. F. beruhte, wurde von den Beteiligten gerade als streitig oder ungewiss
vorausgesetzt. Eine Anpassung des Vergleichs oder eine Nichtigkeit nach den Regeln
des Wegfalls der Geschäftsgrundlagen, kommt ebenfalls nicht in Frage. Es ist nicht
erkennbar, dass die beiden Vertragsparteien bei Abschluss des Vergleichsvertrages
eine gemeinsame Vorstellung hatten, die sich später als unzutreffend herausstellte.
Genauso wenig war für die Beklagte erkennbar, dass der Kläger hiervon ausging. Sollte
der Kläger sich insgeheim vorbehalten haben, später eine Überprüfung des
vergleichsweise geregelten Rechtsstreits über § 44 SGB X zu beantragen, so wäre
dieser Vorbehalt als geheimer Vorbehalt im Sinne von § 116 BGB unbeachtlich. Aus
dem gleichen Grunde scheidet auch eine Anpassung des Vertrages nach § 59 SGB X
aus. Schließlich liegt auch keine Nichtigkeit des Vergleichsvertrages nach § 58 Abs. 2
SGB X vor. Da somit eine Lösung von der Bindungswirkung des Vergleichsvertrages
nach den oben genannten Vorschriften nicht möglich ist, muss konsequenterweise auch
eine Verpflichtung der Beklagten, eine Abänderung der Bescheide nach § 44 SGB X
vorzunehmen, verneint werden. Ein derartiger Anspruch des Klägers liefe nämlich auf
die unzulässige Ausübung einer formalen Rechtsposition hinaus. Auch wenn einem
Antrag nach § 44 SGB X ein vorhergehendes rechtskräftiges Klageabweisendes Urteil
nicht entgegensteht, macht es einen Unterschied, wenn die Aufgabe der Rechtsposition
aufgrund eines rechtsgeschäftlichen (Vergleichs -) Vertrages erfolgt ist. Denn in diesem
Fall begründet der Vertragsabschluss, dass Vertrauen des Vertragspartners auf den
Bestand der einvernehmlich getroffenen Regelung (pacta sunt servandum). Derjenige,
der einen Rechtsstreit einvernehmlich durch Abschluss eines Vergleichs oder wie hier
durch Annahme eines Anerkenntnisses und Rücknahme der Klage im übrigen beendet,
handelt rechtmissbräuchlich, wenn er anschließend seine formalen Rechte aus § 44
SGB X geltend macht. Der Grundsatz von Treu und Glauben als Gebot der Redlichkeit
und allgemeine Schranke der Rechtsausübung beschränkt nicht nur subjektive Rechte,
sondern auch die Berufung auf Rechtsinstitute und Rechtsnormen. Ein derartiger
institutioneller Rechtsmissbrauch wäre vorliegend gegeben, wenn der Kläger sich über
die Vorschrift des § 44 SGB X von seiner Bindung an die mit der Beklagten getroffenen
einvernehmlichen Regelung lösen könnte. Die Voraussetzungen des § 44 SGB X, unter
denen eine Zugunstenregelung erfolgen kann, bilden nur eine relativ niedrige Schranke,
da der Antragsteller unter Berufung auf eine fehlerhafte Rechtsanwendung zumindest
immer eine Überprüfung in rechtlicher Hinsicht durch die Gerichte erreichen kann.
Letztlich würde auch - wie der vorliegende Fall exemplarisch zeigt - der Zweck eines
gerichtlichen Vergleichs, rechtsbefriedende Wirkung zu entfalten, ad absurdum geführt.
Mit der Zulassung von Vergleichsverträgen eröffnet der Gesetzgeber eine Möglichkeit
zur vereinfachten und beschleunigten Herstellung von Rechtssicherheit zwischen den
Parteien (vgl. Bundestagsdrucksache 7/910, S. 80). Dieser Regelungszweck der §§ 101
Abs. 1 SGG, 54 Abs. 1 SGB X würde vereitelt, wenn die Verwaltung zur Überprüfung
und gegebenenfalls zur Rücknahme eines auf einem Vergleichsvertrag beruhenden
Verwaltungsaktes verpflichtet wäre. Insbesondere würde seitens des regelmäßig
beklagten Sozialleistungsträgers die Bereitschaft, von der eigenen Rechtsposition zum
Zwecke einer einvernehmlichen, schnelleren Beilegung des Rechtsstreits abzurücken,
in dem Maße schwinden, wie der anderen Vertragspartei die Möglichkeit eröffnet wird,
die einmal gefundene einvernehmliche Regelung über den Weg eines
Überprüfungsantrags nach § 44 SGB X in seinem Sinne zu verändern."
Das Urteil ist dem Kläger am 28.05.2003 zugestellt worden. Am 27.06.2003 hat er
dagegen Berufung eingelegt und zur Begründung im Wesentlichen Folgendes
vorgetragen: Es könne dahingestellt bleiben, ob die Annahme des Teilanerkenntnisses
der Beklagten zur vollständigen Erledigung des Rechtsstreits ein Vergleich ist, denn
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auch dieser sei rechtsunwirksam. Das Sozialgericht Duisburg habe bei seiner
Würdigung zwei Tatsachenkomplexe verkannt. Zum einen sei das die Drucksituation, in
der er sich damals befunden habe, als er die Erklärung seines damaligen
Prozessbevollmächtigten in der Verhandlung, in der er selber nicht anwesend gewesen
sei, bestehen gelassen habe. Zum anderen seien es die neuen Tatsachenerkenntnisse,
die sich für ihn erst 1997 gezeigt hätten, als er die Angelegenheit neu geklärt haben
wissen wollen. Wie er erst später erfahren habe, habe bereits damals der Tariflohn für
einen Kameramann seiner Qualität vom 01.09.89 bis 30.03.91 DM 3.200,00 wöchentlich
betragen und nach dem 01.04.91 bis 31.12.92 DM 3.264,00.
Der Kläger beantragt,
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das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 02.04.2003 zu ändern und nach dem
erstinstanzlichen Antrag zu erkennen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Sie hält die Entscheidung des SG für zutreffend. Ergänzend führt sie aus, dass der
Kläger weiterhin den Marktwert seiner beruflichen Qualifikation in der Bundesrepublik
Deutschland verkenne. Dieser Qualifikation sei mit der Einstufung Rechnung getragen
worden, die auf dem Teilanerkenntnis vom 23.06.1993 beruhe und welches der Kläger
auch unter dem 09.06.1994 angenommen habe. Käme es darauf an, ob die Erklärung
zur Beendigung des Rechtsstreites aus 1994 wirksam wäre oder nicht, müsse der
Kläger eben diese Erklärung anfechten. Mit der seinerzeitigen Klagerücknahme und der
damit verbundenen Annahme des Anerkenntnisses zur Erledigung der Hauptsache sei
der Kläger jedenfalls des Rechtsmittels gegen den damaligen Klagegegenstand
verlustig gegangen. Er könne eine erneute Prüfung des Streitgegenstandes ohne neue
entscheidungserhebliche Erkenntnisse nur über den Widerruf erlangen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakten, der beigezogen Gerichtsakten des SG Köln (Az S 10 Ar 191/92) und SG
Duisburg (Az S 12 Ar 167/97) sowie der Verwaltungsakten der Beklagten Bezug
genommen. Diese Akten waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
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Entscheidungsgründe:
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Die Berufung ist zulässig, aber nicht begründet.
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Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen, denn die angefochtenen Bescheide der
Beklagten sind rechtmäßig. Es besteht kein Anspruch des Klägers auf Änderung
bindender Arbeitslosenhilfebewilligungsbescheide, welche die Zeit ab 05.10.1992
betreffen, und damit auch kein Anspruch auf höhere Arbeitslosenhilfe. Der Senat
schließt sich nach eigener Überprüfung der Sach- und Rechtslage den Gründen des
Urteils vom 02.04.2004 an. Von einer weiteren Darstellung seiner Entscheidungsgründe
sieht der Senat gem § 153 Abs 2 SGG insoweit ab.
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Klarstellend ist darauf hinzuweisen, dass hier zwar kein gerichtlicher Vergleich
Grundlage für die Höhe des ab 05.10.1992 berücksichtigten Bemessungsentgelts war,
denn die formalen Anforderungen des § 101 Abs 1 SGG sind nicht erfüllt. Ein
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materiellrechtlicher Vergleich kann allerdings - wie das SG zutreffend ausgeführt hat - in
gleicher Weise Rechtgrundlage für Verwaltungsentscheidungen sein. Weil dieser
Vergleich nicht unwirksam ist, kommt eine Änderung der darauf beruhenden Bescheide
nicht in Betracht.
Das Vorbringen des Klägers im Berufungsverfahren überzeugt nicht und geht zum Teil
an der Sache vorbei. Insbesondere wird nicht deutlich warum am 09.06.1994 (Termin
vor dem SG Köln) noch eine Drucksituation bestanden haben soll, obwohl das
Arbeitsverhältnis des Klägers mit der Studio Dortmund GmbH bereits zum 30.04.1994
beendet war und zwar durch eine Kündigung vom 28.03.1994. Die Ladung des
Arbeitgebers als Zeugen erfolgte erst am 03.05.1994.
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Im Übrigen ist der Senat mit der Beklagten der Auffassung, dass der Kläger
insbesondere aufgrund seiner Beschäftigungslosigkeit vom 1989 bis 1992 und der
fehlenden verwertbaren Berufserfahrung in Deutschland im Jahre 1992 keinen höheren
Verdienst hätte erzielen können. Dies wird durch die auch nach 1992 noch lange Zeit
fortbestehende Arbeitslosigkeit des Klägers deutlich unterstrichen. Die Bescheide der
Beklagten sind daher auch aus diesem Grunde rechtmäßig.
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Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 183, 193 SGG.
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Die Revision wird nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nrn. 1
oder 2 SGG nicht vorliegen.
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